Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.129/2004
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1A.129/2004
1A.131/2004 /gij

Urteil vom 8. Juli 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb, Féraud, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Gerber.

1A.129/2004
X.________, Beschwerdeführer 1, vertreten durch Advokat Dr. Heinz Lüscher,

und

1A.131/2004
Y.________, Beschwerdeführer 2, vertreten durch Advokat Dr. Heinz Lüscher,

gegen

Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion
Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern.

Auslieferung an Albanien
B 145022 und B 104205-BUG,

Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen die Auslieferungsentscheide des
Bundesamts für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion
Auslieferung, vom 23. April 2004.

Sachverhalt:

A.
Die albanischen Staatsangehörigen Y.________, geboren am ________1976, und
X.________, geboren am ________1974, beantragten am 5. Februar 2004 Asyl in
der Schweiz. Aufgrund eines Fahndungsersuchens von Interpol Tirana wurden sie
am 6. Februar 2004 in provisorische Auslieferungshaft versetzt.

B.
Am 16. Februar 2004 reichte die albanische Botschaft in Bern beim Bundesamt
für Justiz ein Auslieferungsersuchen gegen Y.________ und X.________ ein.

Y. ________ wird verdächtigt, zusammen mit seinem Cousin A.________, eine
bewaffnete Bande geleitet zu haben. Zusammen mit anderen Bandenmitgliedern
habe Y.________ im Zeitraum zwischen dem 2. Juni 1992 und dem 16. April 1996
in Tirana und Vlora insgesamt 15 Überfälle auf Banken, Tankstellen,
Fluggesellschaften, Geschäfte und Privatpersonen begangen. Bei den Überfällen
vom 15. Dezember 1993 und vom 12. April 1995 sei je eine Person getötet
worden. Am 30. Juni 1993 soll er einen Polizisten in Tirana angegriffen
haben, um diesem seine Dienstpistole zu entwenden; dabei sei der Polizist
durch 5 Messerstiche schwer verletzt worden. Am 31. Oktober 1995 hätten er
und andere Bandenmitglieder das Kind B.________ in Tirana entführt, um von
den Eltern USD 200'000.-- Lösegeld zu erlangen; das Kind sei am 2. November
1995 freigelassen worden, als die Täter zur Überzeugung gelangt seien, dass
die Eltern den geforderten Betrag nicht zahlen könnten. Am 26. Februar 1996
habe er neben dem Supermarkt "VEFA" Sprengstoff in einem Auto deponiert; bei
der Explosion der Autobombe seien 4 Personen getötet und 11 Personen verletzt
worden. Schliesslich soll er am 26. Juli 1996 in Tirana den Generaldirektor
der Gefängnisse Albaniens, C.________, mit einer Schusswaffe getötet haben.

X. ________ wird verdächtigt, als Mitglied der Bande an fünf Raubüberfällen
in Tirana beteiligt gewesen zu sein, begangen zwischen dem 2. Juni 1992 und
dem 21. Februar 1995.

C.
Am 17. Februar 2004 wurde die Albanische Botschaft in Bern zur Ergänzung des
formellen Auslieferungsersuchens aufgefordert. Die Ergänzungen wurden mit
Note vom 25. Februar 2004 eingereicht.

D.
Am 12. März 2004 wies das Bundesamt für Flüchtlinge die Asylanträge
Y.________s und X.________s ab. Diese erhoben dagegen Beschwerde an die
Asylrekurskommission.

E.
Y.________ und X.________ widersetzen sich einer Auslieferung nach Albanien.
Ihr gemeinsamer Rechtsvertreter reichte mehrere Stellungnahmen und zahlreiche
Unterlagen ein und beantragte mit Schreiben vom 17. März und vom 13. April
2004 die Einholung ergänzender Unterlagen.

F.
Am 23. April 2004 bewilligte das Bundesamt für Justiz in zwei getrennten
Verfügungen die Auslieferung von Y.________ und von X.________ für die dem
Auslieferungsersuchen der Albanischen Botschaft vom 16. Februar 2004 zugrunde
liegenden Straftaten unter Vorbehalt eines rechtskräftigen ablehnenden
Asylentscheids.

G.
Dagegen erhoben Y.________ und X.________ am 25. Mai 2004
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragen, sie seien
nicht nach Albanien auszuliefern. In verfahrensrechtlicher Hinsicht
beantragen sie, ihnen Gelegenheit und Frist zu gewähren, um gewisse
ergänzende Unterlagen einzureichen und zur Antwort des Bundesamtes auf ihre
ergänzenden Anfragen Stellung zu nehmen; die Akten der Asylrekurskommission
seien beizuziehen. Sodann ersuchen sie um die gemeinsame Behandlung ihrer
Beschwerden.

Das Bundesamt für Justiz beantragt, die Beschwerden seien abzuweisen.

H.
Mit Eingabe vom 11. Juni 2004 beantragten die Beschwerdeführer, es sei das
Bundesamt zu ersuchen, Stellung zu nehmen zur Frage, wie die schweizerische
Vertretung in Albanien sich konkret für ein korrektes Verfahren nach den
Grundsätzen des albanischen Rechts und unter Wahrung der Menschenrechte der
Inhaftierten verwenden und einsetzen könne, und es sei ihrem Rechtsvertreter
danach die Möglichkeit zur Stellungnahme zu gewähren.

Am 15. Juni 2004 reichten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme von Prof.
D.________, Präsident des albanischen Anwaltsverbands und Mitglied des
europäischen Anwaltsverbands, ein.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Da beide Beschwerden im Wesentlichen denselben Sachverhalt betreffen,
beide Beschwerdeführer vom selben Rechtsanwalt vertreten werden und mit der
gemeinsamen Behandlung ihrer Beschwerden einverstanden sind, rechtfertigt es
sich, beide Verfahren zu vereinigen.

1.2 Angefochten sind zwei Auslieferungsentscheide des Bundesamts. Diese
können mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten
werden (Art. 55 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 IRSG). Da auch alle übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist auf die Beschwerden einzutreten.

1.3 Die Auslieferung an Albanien richtet sich nach dem Europäischen
Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe, SR 0.353.1) sowie dem
ersten und zweiten Zusatzprotokoll zum EAUe vom 15. Oktober 1975 (ZP, SR
0.353.11) bzw. dem 17. März 1978 (2. ZP; SR 0.353.12). Soweit diese
Staatsverträge bestimmte Fragen nicht abschliessend regeln, ist das
schweizerische Landesrecht anwendbar, namentlich das Bundesgesetz vom 20.
März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) und
die dazugehörende Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV; SR 351.11).

2.
Es ist unstreitig, dass die allgemeinen Voraussetzungen für die Auslieferung
erfüllt sind. Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Straftaten
sind auch nach schweizerischem Recht strafbar. Streitig ist einzig, ob ein
Auslieferungshindernis gemäss Art. 3 Ziff. 2 EAUe vorliegt bzw. der
internationale Ordre public der Auslieferung entgegensteht.

2.1 Nach Art. 3 Ziff. 2 EAUe wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn der
ersuchte Staat ernstliche Gründe hat anzunehmen, dass das
Auslieferungsersuchen wegen einer nach gemeinem Recht strafbaren Handlung
gestellt worden ist, um eine Person aus rassischen, religiösen, nationalen
oder auf politischen Anschauungen beruhenden Erwägungen zu verfolgen oder zu
bestrafen, oder dass die verfolgte Person der Gefahr einer Erschwerung ihrer
Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäre.

Die Schweiz prüft die Auslieferungsvoraussetzungen des EAUe auch im Lichte
ihrer grundrechtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Nach
internationalem Völkerrecht sind Folter und jede andere Art grausamer,
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung verboten (Art.
3 EMRK, Art. 7 und Art. 10 Ziff. 1 UNO-Pakt II [SR 0.103.2]). Niemand darf in
einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art
grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 3 Ziff. 1
des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
[Folterschutzkonvention; SR 0.105]). In Strafprozessen sind ausserdem die
minimalen prozessualen Verfahrensrechte des Angeschuldigten zu gewährleisten
(vgl. Art. 6 EMRK, Art. 14 UNO-Pakt II). Jeder Vertragsstaat der
UNO-Folterschutzkonvention hat sodann dafür Sorge zu tragen, dass Aussagen,
die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in
einem Verfahren verwendet werden (Art. 15 UNO-Folterschutzkonvention). Liegen
ernstliche Gründe vor anzunehmen, der Verfolgte könne im ersuchenden Staat in
einer gegen den internationalen Ordre public verstossenden Weise behandelt
werden, so ist die Auslieferung zu verweigern (BGE 123 II 161 E. 6a S. 167,
511 E. 5a S. 517; 122 II 373 E. 2d S. 379 f.).
2.2 Die Beschwerdeführer machen im Wesentlichen Folgendes geltend:

Kurz vor den Wahlen 1996 habe die Regierung von Sali Berisha eine
"phantastische Politshow" inszeniert und eine Terrorgruppe "Hakmarrja par
Drejtesi" ("Rache für Gerechtigkeit") erfunden, deren Ziel es sei, die
Regierung zu stürzen, Sali Berisha zu töten, den Staat zu destabilisieren und
der Opposition zur Macht zu verhelfen. Unmittelbar vor den Wahlen habe die
Regierung die angebliche Terrorgruppe entdecken können, eine angeblich
konspirative Wohnung gesprengt und darin Waffen, 1 Mio. Dollar und zahlreiche
Unterlagen beschlagnahmt. Dieser "Erfolg" habe massgeblich zum Wahlerfolg der
Partei Sali Berishas beigetragen.

Die Beschwerdeführer machen geltend, sie und weitere Mitglieder und Freunde
der Familie von Y.________ seien aus politischen Gründen beschuldigt worden,
Mitglieder der angeblichen Terrororganisation zu sein. Der Vater Y.________s,
der frühere Innenminister Albaniens E.________, sei beim damaligen
Staatspräsidenten Berisha in Ungnade gefallen, da er sich diesem gegenüber
kritisch geäussert habe. E.________ sei 1992 zu einer Gefängnisstrafe von 17
Jahren verurteilt worden.

Das Verfahren gegen die Beschwerdeführer sei von der Staatsanwaltschaft immer
wieder verschleppt worden. Im Jahre 2003, nach einem viereinhalbjährigen
Prozess, der Einvernahme von rund 250 Zeugen und zahlreichen Gutachten, seien
jedoch alle elf Angeklagten vom Gericht erster Instanz freigesprochen worden.
Im Gerichtsverfahren sei erstellt worden, dass die Strafverfolgungsorgane
selbst die Waffen in der Wohnung deponiert hätten; die angeblich entdeckten
Unterlagen über die "Hakmarrja" und die angeblich beschlagnahmten 1 Mio. US
Dollar seien dem Gericht nie vorgelegt worden. Die Staatsanwaltschaft habe
Unterschriften auf Protokollen gefälscht, Zeugen bedroht bzw. bestochen und
inhaftierte Angeklagte gefoltert, um Geständnisse zu erpressen.

Der Freispruch sei von der Demokratischen Partei Sali Berishas, die zurzeit
in der Opposition sei, im Hinblick auf die im Herbst 2004 stattfindenden
Wahlen ausgeschlachtet worden. Der erstinstanzliche Entscheid sei auf Rekurs
der Staatsanwaltschaft vom Appellationsgericht aufgehoben worden. Auf die
zuständige Richterin des Appellationsgerichts sei politischer Druck ausgeübt
worden: Diese habe nach einem nur vier- bis fünfminütigem Verfahren über die
Sache entschieden und sei seither mit der Stimme Sali Berishas zur
Vorsitzenden des Ausschusses für die Kontrolle des Vermögens für Politiker
und Beamte befördert worden.

Mit Entscheid vom 4. September 2003 habe das Strafgericht die Akten zur
Ergänzung der Untersuchungen an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Die
gesetzliche Frist hierfür betrage drei Monate. Diese Frist sei jedoch seither
immer wieder verlängert worden, ohne dass die Staatsanwaltschaft auch nur
eine neue Tatsache vorgelegt habe.

Generalstaatsanwalt F.________, der die Auslieferung der Beschwerdeführer
verlange, sei ein enger Vertrauter von Sali Berisha, dessen persönlicher
juristischer Berater er 1996 gewesen sei. Die Beschwerdeführer befürchten,
dass sie nach einer Auslieferung inhaftiert würden, ohne dass es je zum
Prozess komme. Vielmehr würden sie in der Haft "vergessen" oder sogar
umgebracht werden. Zudem drohe ihnen die Folter. Sie verweisen auf den
Mitangeklagten G.________, der Ende 1998 im Gefängnis des Geheimdienstes im
Berg Dajti in Haft genommen und später tot aufgefunden worden sei. Der
Beschwerdeführer 1 und H.________, der Bruder des Beschwerdeführers 2, seien
in Haft gefoltert worden, um Geständnisse zu erwirken.

2.3 Das Bundesamt für Justiz ist der Auffassung, es seien keine Gründe für
eine Verfolgung der Beschwerdeführer aufgrund politischer Anschauungen bzw.
für eine Erschwerung ihrer Lage aus politischen Gründen i.S.v. Art. 3 Ziff. 2
EAUe ersichtlich. Die Beschwerdeführer seien weder Mitglied einer politischen
Partei noch anderweitig politisch tätig gewesen. Selbst wenn zwischen dem
Vater des Beschwerdeführers 2 und Sali Berisha eine Feindschaft bestehen
sollte, sei es nicht plausibel, dass der politisch nicht aktive Sohn und sein
Freund deshalb Zielscheibe eines jahrelangen, politisch motivierten Prozesses
sein sollten.

Auf das erstinstanzliche Urteil vom 12. Februar 2003 könne nicht mehr
abgestellt werden, nachdem dieses am 30. April 2003 vom Appellationsgericht
aufgehoben worden sei. Der Rekurs der Angeklagten gegen das Berufungsurteil
sei vom Obersten Gericht am 12. Juni 2003 abgewiesen worden. Diese Urteile
wie auch die anschliessende Rückweisung der Akten an die Staatsanwaltschaft
zeigten, dass der Instanzenzug in Albanien funktioniere und eingehalten werde
und dass die albanischen Behörden differenziert ermittelten.

Die Beschwerdeführer hätten auch keine konkreten auf ihre Person bezogenen
Gefahren einer schwerwiegenden Verletzung der Menschenrechte aufgezeigt.
Albanien habe die EMRK ratifiziert. Von einer Vorverurteilung in den Medien
könne nicht gesprochen werden. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die
Medienpräsenz des Falles zusätzliche Sicherheit betreffend die Einhaltung von
grundlegenden Verfahrensgrundsätzen schaffen werde. Auch die schweizerische
Vertretung in Albanien, die bereits über das vorliegende Verfahren informiert
sei, werde die Möglichkeit haben, den Prozess zu beobachten. Ein Verschwinden
der Beschwerdeführer, wie dies befürchtet werde, erscheine deshalb nicht als
glaubhaft. Die albanischen Behörden hätten den Verfolgten im
Auslieferungsersuchen ein gesetzliches Verfahren unter Beachtung der
Menschenrechte und der Verteidigungsrechte zugesichert. Unter diesen
Umständen erübrige sich auch das Einholen weiterer Garantien.

3.
3.1 Zunächst ist mit dem Bundesamt festzuhalten, dass im
Auslieferungsverfahren grundsätzlich auf die Sachverhaltsdarstellung des
ersuchenden Staates abzustellen ist, sofern diese keine offensichtlichen
Fehler, Lücken oder Widersprüche enthält. Schuld- und Tatfragen sind vom
zuständigen ausländischen Strafrichter und nicht von den schweizerischen
Auslieferungsbehörden zu prüfen. Der ersuchende Staat ist deshalb auch nicht
verpflichtet, Beweise für die Täterschaft der Auszuliefernden vorzulegen.

Dagegen prüfen die Auslieferungsbehörden frei, ob "ernstliche Gründe"
vorliegen, die für eine politische Verfolgung i.S.v. Art. 3 Ziff. 2 EAUe
sprechen bzw. ob der internationale Ordre public der Auslieferung
entgegensteht. Dabei trifft den Verfolgten eine Mitwirkungspflicht: Nach der
Rechtsprechung muss er glaubhaft machen, dass er Opfer einer politischen
Verfolgung ist oder dass objektiv und ernsthaft eine schwerwiegende
Verletzung der Menschenrechte im ersuchenden Staat zu befürchten ist, die ihn
unmittelbar berührt (BGE 123 II 511 E. 5b S. 517, 161 E. 6b S. 167; 122 II
373 E. 2a S. 377 mit Hinweisen). Kann er konkrete Umstände oder Unterlagen
benennen, aus denen sich ein solcher Verdacht ergibt, ist das Bundesamt
verpflichtet, diesen Hinweisen nachzugehen und, wenn nötig, ergänzende
Unterlagen einzuholen.

3.2 Im vorliegenden Fall belegen die Beschwerdeführer ihre Darstellung vor
allem mit dem erstinstanzlichen Urteil vom 12. Februar 2003 und den im
erstinstanzliche Gerichtsverfahren gemachten Zeugenaussagen. Diese sind, wie
das Bundesamt zutreffend dargelegt hat, nicht Grundlage des
Auslieferungsersuchens, nachdem das erstinstanzliche Urteil im
Berufungsverfahren aufgehoben worden ist. Sie sind jedoch zu berücksichtigen,
soweit sich daraus Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung bzw. für
schwerwiegende Verletzungen der Menschen- und Verfahrensrechte der
Beschwerdeführer ergeben.

3.2.1 Die Beschwerdeführer haben eine Kopie des erstinstanzlichen Urteils mit
auszugsweiser Übersetzung eingereicht. Daraus ergibt sich Folgendes:

Die Staatsanwaltschaft habe ihre Vorwürfe gegen die Angeklagten massgeblich
auf die in der Wohnung von G.________ am 11. Oktober 1996 gefundenen Waffen
gestützt, unter denen sich laut ballistischem Gutachten die Tatwaffen
mehrerer Raubüberfälle befunden hätten. In der Gerichtsverhandlung hätten
jedoch alle Polizeibeamten bestritten, bei der Sicherstellung der Waffen
anwesend gewesen zu sein. Hinsichtlich anders lautender Protokollaufnahmen
seien graphologische Expertisen angeordnet worden. Diese hätten ergeben, dass
zwei der Unterschriften gefälscht worden seien. Die anderen Unterzeichnenden
hätten ausgesagt, dass sie das Protokoll zu einem späteren Zeitpunkt im Büro
der Polizeidirektion unterschrieben hätten, nachdem ihnen das beschlagnahmte
Material gezeigt worden sei.

Hinsichtlich des Raubes zu Lasten der "Shkumbini Petrol" liege als
Beweismittel nur das verbrannte Auto der Täterschaft vor. Am Tatort seien
zwar Blutspuren der Blutgruppe 1 (O) sichergestellt worden, die
Staatsanwaltschaft habe aber nie versucht, das Blut individuell einem der
Angeklagten zuzuordnen.

Zur Entführung des Kindes B.________ hält das Urteil fest, dass die
Beschreibung des Kindes über den Ort, an dem es vier Tage lang festgehalten
worden sei, nicht mit dem Aussehen der Wohnung übereinstimme, in der das Kind
laut Staatsanwaltschaft von den Angeklagten festgehalten worden sei.

Im Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag beim Supermarkt "VEFA" habe der
Belastungszeuge I.________ vor Gericht seine Aussage im Zusammenhang mit dem
Täterfahrzeug widerrufen; er habe seine falsche Aussage nur unter Druck der
Polizeibeamten gemacht.

Zu allen anderen Anklagepunkten hält das Gericht fest, dass die
Staatsanwaltschaft keinerlei Beweismittel vorgebracht habe, um die
Täterschaft der Angeklagten zu belegen. Keiner der vom Gericht befragten
Zeugen der verschiedenen Raubüberfälle habe die Angeklagten als Täter
identifizieren oder präzise Angaben über Aussehen oder Eigenschaften der
Täter machen können, die deren Identifizierung erlaubt hätten.

Die Ermordung des Generaldirektors der Gefängnisse, C.________, am 26. Juli
1996 sei von mehreren Zeugen aus kurzer Entfernung und bei guten
Lichtverhältnissen beobachtet worden; keiner der Zeugen hätte jedoch die
Angeklagten als Täter identifiziert. Die Staatsanwaltschaft hätte denn auch
nicht einmal versucht, die Täterschaft der Angeklagten zu beweisen, sondern
lediglich Mutmassungen zu einem möglichen Motiv vorgelegt.

3.2.2 Der Verteidiger des Beschwerdeführers 2 im albanischen Strafverfahren,
Rechtsanwalt J.________, hat dem Bundesamt Kopien mehrerer
Einvernahmeprotokolle des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens übermittelt.

Danach sagte der Zeuge K.________ vor dem Strafgericht aus, er habe Anfang
Oktober 1996, als Mitarbeiter des albanischen Geheimdienstes, zusammen mit
einem Kollegen Waffen in der von G.________ gemieteten Wohnung deponiert.

Dies wurde vom Zeugen L.________ bestätigt. Er schilderte dem Gericht, dass
er am 10. Oktober 1996 von der Terrasse eines Cafés aus beobachtet habe, wie
zwei Personen mehrere Taschen in die gegenüberliegende Wohnung getragen
hätten. Einige Tage nach der Fernsehnachricht über die Entdeckung von Waffen
in dieser Wohnung sei er von Polizeibeamten bedroht worden, damit er keine
Aussage mache.
Der Zeuge M.________ sagte sodann aus, er habe 1996 als Polizist in den
Isolationszimmern des Polizeikommissariats von Durres gearbeitet und dort
Angeklagte des Prozesses, darunter auch H.________ und X.________, kennen
gelernt. Diese seien Tag und Nacht in Handschellen gewesen. Sie seien spät in
der Nacht, zwischen ein und drei Uhr morgens, verhört worden. Er habe die
Verhafteten in den Untersuchungsbüros vor Schmerzen schreien hören. Als er
sie zur Toilette begleitet habe, habe er blaue Flecken von Gummistäben auf
ihrem Gesicht und am Körper gesehen. Die Verhöre seien von N.________ und
O.________ geleitet worden, d.h. von hochrangigen Polizeioffizieren.

3.2.3 Die Beschwerdeführer haben sodann zahlreiche albanische Zeitungsartikel
eingereicht. Diese differieren - je nach parteipolitischer Couleur - in der
Beurteilung des Prozesses und des erstinstanzlichen Entscheids:

Die der Opposition (Demokratische Partei Sali Berishas) zuzurechnenden
Zeitungen bewerten den erstinstanzlichen Freispruch als Skandal, bezeichnen
die Richter als "Angsthasen" und werfen dem Regierungschef Fatos Nano vor,
Terroristen zu protegieren; Sali Berisha wird in der Zeitung "Koha Jone" vom
20. Februar 2003 mit der Aussage zitiert, für ihn seien die Richter selbst
Mitglieder der terroristischen Organisation.

Andere Zeitungen berichten dagegen zustimmend vom Prozessausgang, bezeichnen
das Untersuchungsverfahren als "politisches Fiasko", weisen auf die vom
Geheimdienst und der Staatsanwaltschaft manipulierten Beweismittel und die
durch Folter erpressten Aussagen hin und bringen Interviews mit den
Angeklagten bzw. deren Verteidigern und Angehörigen über die angebliche
politische Verfolgung der Familie von Y.________.

Unabhängig von der Richtigkeit der einen oder der anderen Beurteilung,
bestätigen diese Artikel, dass der Prozess gegen die Mitglieder der
angeblichen "Hakmarrja" ein Politikum im Wahlkampf zwischen der
Demokratischen Partei Sali Berishas und der Sozialistischen Partei ist.

3.3 Insgesamt enthalten die von den Beschwerdeführern eingereichten
Unterlagen Anhaltspunkte für den Verdacht, dass Beweismittel zu Lasten der
Angeklagten vom albanischen Geheimdienst fabriziert, Zeugen von der Polizei
unter Druck gesetzt und Angeklagte gefoltert worden sind, um Geständnisse zu
erwirken. Damit wird nicht nur die Fairness des albanischen Strafverfahrens
in Zweifel gezogen, sondern auch der Verdacht begründet, die Strafverfolgung
könne einen politischen Hintergrund haben. Skeptisch stimmt auch der Umstand,
dass der Beschwerdeführer 2 zurzeit des ersten Raubüberfalls erst 15 Jahre
alt war und in diesem jugendlichen Alter bereits eine bewaffnete Bande mit
zahlreichen, durchwegs älteren Mitgliedern geleitet haben soll. Zu
berücksichtigen ist schliesslich, dass nach der Einschätzung des US-State
Department vom 24. Februar 2004 (Country Reports on Human Rights Practices,
Albania 2003, S. 4 Abschnitt 1e) die Unabhängigkeit der albanischen Gerichte
in vielen Fällen nicht gewährleistet sei; als Grund dafür wird an erster
Stelle politischer Druck und Einschüchterung der Richter genannt (vor
endemischer Korruption, Bestechung und mangelnden Ressourcen).

Unter diesen Umständen wäre das Bundesamt verpflichtet gewesen, den von den
Beschwerdeführern geschilderten Sachverhalt näher abzuklären. Insbesondere
wäre es verpflichtet gewesen, dem Beweisantrag der Beschwerdeführer vom 17.
März 2004 statt zu geben, wonach Albanien zu ersuchen sei, dem Bundesamt das
Urteil des erstinstanzlichen Strafgerichts, die angeblichen Appellationen der
Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer, die Urteile der oberen Gerichte
sowie eine Darstellung der Ergebnisse der ergänzenden Ermittlungen
zuzustellen. Durch diese Unterlagen hätte die Richtigkeit und Vollständigkeit
der von den Beschwerdeführern eingereichten Dokumente und deren Übersetzung
überprüft werden können. Zum anderen hätte damit abgeklärt werden können,
weshalb und unter welchen Umständen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben
und die Akten an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen worden sind.

3.4 Sollte das Bundesamt für Justiz nach weiteren Abklärungen zum Ergebnis
gelangen, dass keine ernstlichen Gründe für die Annahme einer politischen
Verfolgung vorliegen, müsste es sich näher mit den Rügen der Beschwerdeführer
auseinandersetzen, wonach ihnen in Albanien Folter drohe.

Aus den Berichten des US State Department (Albania 2003, S. 2), von Amnesty
International (2004) und Human Rights Watch (2003), ergibt sich, dass Folter
und Misshandlungen in Polizeigewahrsam auch heute noch häufig sind und die
verantwortlichen Polizisten in aller Regel ungestraft bleiben.

Die Beschwerdeführer haben dargelegt und durch die Zeugenaussage M.________s
sowie diverse Zeitungsartikel glaubhaft gemacht, dass der Beschwerdeführer 1
und andere Angeklagte des "Hakmarrja"-Prozesses, darunter der Bruder des
Beschwerdeführers 2, im Untersuchungsverfahren gefoltert worden sind.

Nach Auffassung des Bundesamts genügt dies nicht für die Annahme einer
unmittelbaren, künftigen Gefahr. Damit stellt das Bundesamt überzogene
Anforderungen an die Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführer: Macht der
Verfolgte glaubhaft, er oder seine nächsten Angehörigen seien im Rahmen des
Untersuchungsverfahren, für das die Auslieferung begehrt wird, bereits
gefoltert worden, so begründet dies auch eine konkrete, auf seine Person
bezogene Gefahr künftiger Folter, es sei denn, die Verhältnisse im
ersuchenden Staat hätten sich seither wesentlich verändert.

Das Bundesamt wäre deshalb verpflichtet gewesen, auch zur Frage der drohenden
Folter weitere Abklärungen zu treffen und gegebenenfalls zu prüfen, ob die
Auslieferung gegen Zusicherungen des ersuchenden Staates gewährt werden kann
(vgl. z.B. die in BGE 122 II 373 Disp.-Ziff. 3 S. 38 verlangten Garantien).
Der blosse Hinweis auf die Möglichkeit der schweizerischen Botschaft, den
Prozess zu beobachten, bietet dagegen keinen genügenden Schutz gegen
allfällig drohende Folter in der Untersuchungshaft.

4.
Nach dem Gesagten sind die angefochtenen Entscheide aufzuheben und die Sache
zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Beurteilung an das Bundesamt für
Justiz zurückzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben und die
Beschwerdeführer sind für die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu
entschädigen (Art. 156 und 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden gutgeheissen und die
Auslieferungsentscheide des Bundesamtes der Justiz vom 23. April 2004
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Beurteilung an das Bundesamt für Justiz,
Abteilung internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Die Eidgenossenschaft hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit insgesamt Fr. 4'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Bundesamt für Justiz,
Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. Juli 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: