Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 94/2003
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U 94/03

Urteil vom 31. Oktober 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin
Riedi Hunold

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8003
Zürich, Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin,

betreffend P.________, 1948

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 26. März 2003)

Sachverhalt:

A.
P. ________ (geboren 1948) ist seit 1. Oktober 1997 bei der S.________ AG als
Mitarbeiterin beschäftigt und in dieser Eigenschaft gegen Unfälle bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: SUVA) versichert. Am
22. Dezember 2000 erlitt sie bei der Arbeit einen Deckplatteneinbruch. Die
weiteren medizinischen Abklärungen ergaben als Differentialdiagnose eine
Osteoporose sowie andere Knochenrarifizierungen. Mit Verfügung vom 21. Juni
2001 lehnte die SUVA jegliche Leistungen ab. Die Helsana Versicherungen AG
(nachfolgend: Helsana), der Krankenversicherer von P.________, reichte eine
Einsprache ein. Die SUVA hielt an ihrer ablehnenden Haltung fest
(Einspracheentscheid vom 27. Mai 2002).

B.
Die von der Helsana hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 26. März 2003
ab.

C.
Die Helsana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es seien der
vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die SUVA zu verpflichten, die
gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Die SUVA schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
(nachfolgend: BSV) beantragt in seiner Stellungnahme eine Änderung der
Rechtsprechung. P.________ verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsrecht geändert worden.
Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend
sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes
Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids
eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im
vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

2.
2.1 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich in seinem in der
Amtlichen Sammlung noch nicht veröffentlichten Urteil H. vom 20. August 2003,
U 17/03, erneut zu den Leistungsvoraussetzungen bei unfallähnlichen
Körperschädigungen geäussert. Es hat dabei in Fortsetzung der Rechtsprechung
gemäss BGE 123 V 43 und RKUV 2001 Nr. U 435 S. 332 daran festgehalten, dass
mit Ausnahme der Ungewöhnlichkeit sämtliche Tatbestandsmerkmale des
Unfallbegriffs erfüllt sein müssen. Besondere Bedeutung kommt dabei der
Voraussetzung eines äusseren Ereignisses zu, d.h. eines ausserhalb des
Körpers liegenden, objektiv feststellbaren, sinnfälligen, eben
unfallähnlichen Vorfalles. Wo ein solches Ereignis mit Einwirkung auf den
Körper nicht stattgefunden hat, und sei es auch nur als Auslöser eines in
Art. 9 Abs. 2 lit. a-h UVV aufgezählten Gesundheitsschadens, liegt eine
eindeutig krankheits- oder degenerativ bedingte Gesundheitsschädigung vor.
Kein unfallähnliches Ereignis liegt in all jenen Fällen vor, in denen der
äussere Faktor mit dem (erstmaligen) Auftreten der für eine der in Art. 9
Abs. 2 lit. a-h UVV enthaltenen Gesundheitsschäden typischen Schmerzen
gleichgesetzt wird. Auch nicht erfüllt ist das Erfordernis des äusseren
schädigenden Faktors, wenn das (erstmalige) Auftreten von Schmerzen mit einer
blossen Lebensverrichtung einhergeht, welche die versicherte Person zu
beschreiben in der Lage ist; denn für die Bejahung eines äusseren auf den
menschlichen Körper schädigend einwirkenden Faktors ist stets ein Geschehen
verlangt, dem ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt. Das
ist zu bejahen, wenn die zum einschiessenden Schmerz führende Tätigkeit im
Rahmen einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird, wie dies
etwa für viele sportliche Betätigungen zutreffen kann. Wer hingegen beim
Aufstehen, Absitzen, Abliegen, der Bewegung im Raum, Handreichungen usw.
einen einschiessenden Schmerz erleidet, welcher sich als Symptom einer
Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV herausstellt, kann sich nicht auf das
Vorliegen einer unfallähnlichen Körperschädigung berufen. Erfüllt ist
demgegenüber das Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors bei Änderungen
der Körperlage, die nach unfallmedizinischer Erfahrung häufig zu
körpereigenen Traumen führen können, also im Sinne der bisherigen
Rechtsprechung das plötzliche Aufstehen aus der Hocke, die heftige und/oder
belastende Bewegung und die durch äussere Einflüsse unkontrollierbare
Änderung der Körperlage im Sinne der von der Rechtsprechung positiv
beurteilten Sachverhalte, woran festzuhalten ist.

2.2 Bei sich widersprechenden Angaben der versicherten Person über den
Hergang der Geschehnisse ist auf die Beweismaxime hinzuweisen, wonach die so
genannten spontanen "Aussagen der ersten Stunde" in der Regel unbefangener
und zuverlässiger sind als spätere Darstellungen, welche bewusst oder
unbewusst von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher oder
anderer Art beeinflusst sein können. Wenn die versicherte Person ihre
Darstellung im Laufe der Zeit wechselt, kommt den Angaben, die sie kurz nach
dem massgeblichen Geschehen gemacht hat, meistens grösseres Gewicht zu als
jenen nach Kenntnis einer Ablehnungsverfügung des Versicherers (BGE 121 V 47
Erw. 2a mit Hinweisen).

2.3 Im Sozialversicherungsrecht gibt es keinen Grundsatz, gemäss welchem im
Zweifelsfall zu Gunsten der versicherten Person zu entscheiden wäre ("in
dubio pro assicurato"; Erw. 4.2.1 des in der Amtlichen Sammlung noch nicht
publizierten Urteils C. vom 28. August 2003, U 35/00 und U 47/00, mit
Hinweisen).

2.4 Bei der Unangemessenheit (Art. 132 lit. a OG) geht es um die Frage, ob
der zu überprüfende Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden
Ermessen im Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten
Fall getroffen hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen.
Allerdings darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne
triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich
somit auf Gegebenheiten abstützen können, welche seine abweichende
Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen. Auch ist den
Bestrebungen der Verwaltung bzw. der Versicherer Rechnung zu tragen, die
darauf abzielen, durch interne Weisungen, Richtlinien, Tabellen, Skalen usw.
eine rechtsgleiche Behandlung der Versicherten zu gewährleisten.
Ermessensmissbrauch (Art. 104 lit. a OG) ist gegeben, wenn die Behörde zwar
im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen,
dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder
allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot von Willkür und von
rechtsungleicher Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den
Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt (BGE 123 V 152 Erw. 2 mit
Hinweisen).

3.
Streitig ist, ob der Vorfall vom 22. Dezember 2000 ein unfallähnliches
Ereignis im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV darstellt.

3.1
Was die vom BSV beantragte Änderung der Rechtsprechung zu den unfallähnlichen
Körperschädigungen betrifft, wird auf die in Erw. 2.1 aufgeführten Urteile
verwiesen, in welchen sich das Eidgenössische Versicherungsgericht eingehend
mit den vom BSV vorgetragenen Argumenten auseinandersetzte und diese verwarf.

3.2 Die 156 cm grosse und ca. 75 kg schwere Versicherte musste nach den
unbestrittenen Sachverhaltsabklärungen der SUVA am 22. Dezember 2000 rund
zehn 14 kg schwere Bausätze 840/3 aus den Kartons nehmen und für die
Verdrahtungsarbeiten bereitstellen. Beim letzten Karton hat sie die
Verpackungseinlagen aus dem Karton genommen, den Bausatz in vornübergebeugter
Stellung in beiden Händen gehalten und diesen geschüttelt, damit der Karton
zu Boden falle. Dabei hat es in ihrem Rücken geknackt. Sie hat sofort einen
Schmerz verspürt, aber dennoch bis zum Mittag weitergearbeitet. Danach ist
sie nach Italien in die Ferien gefahren, wo sie mit Medikamenten und Spritzen
ärztlich behandelt wurde. Nach ihrer Rückkehr arbeitete sie wieder. Ab dem
16. Januar 2001 setzte sie mit der Arbeit aus. Die am 22. Dezember 2000
vorgenommene Tätigkeit übte sie nach eigenen Angaben seit 10 Jahren aus und
hat dabei nie Probleme gehabt. Im Spital X.________ hat man ihr mitgeteilt,
dass der Lendenwirbelbruch wegen der Osteoporose erfolgt sei.
Gemäss Beurteilung des Instituts für Nuklearmedizin, Spital Z.________ sind
die erhobenen Befunde mit einer bandförmigen vermehrten Knochenaktivität und
Hyperämie im Bereich der oberen Anteile des Lendenwirbelkörpers 2 gut
vereinbar mit einem frischen, ca. 3 Wochen alten, Deckplatteneinbruch bei
Differentialdiagnose Osteoporose und andere Knochenrarifizierung (Bericht vom
15. Januar 2001). Das Institut Y.________ hielt eine Osteoporose in der
Wirbelsäule mit Normwerten im Femur fest (Bericht vom 26. Februar 2001).

3.3 Vorliegend handelt es sich um einen Grenzfall: Zwar könnte auf Grund der
vornübergebeugten Stellung und dem im Vergleich zur Konstitution der
Versicherten nicht unbeachtlichen Gewicht des Bausatzes von einer
unfallähnlichen Körperschädigung ausgegangen werden. Doch hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht in seinem in der Amtlichen Sammlung noch
nicht publizierten Urteil H. vom 20. August 2003, U 17/03, explizit
festgehalten, dass Bewegungsabläufe im üblichen Rahmen der beruflichen
Tätigkeit als alltägliche Verrichtungen nicht als unfallähnliche Ereignisse
gelten, weil es ihnen an der gesteigerten Gefahrenlage mangelt. Zudem fehlt
es infolge der repetitiven Vornahme auch am Erfordernis der Plötzlichkeit.
Hinzu kommt, dass nach der medizinischen Aktenlage die krankhafte Schädigung
des Rückens durch die Osteoporose klar ausgewiesen ist. Im Übrigen handelt es
sich bei der Qualifizierung des Geschehens im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 UVV
zwar nicht um eine Ermessensfrage im juristischen Sinne; sie weist jedoch
Ermessenszüge auf, da sie im Hinblick auf die erforderliche Konkretisierung
einen gewissen Beurteilungsspielraum offen lässt, sodass sich unter analoger
Berücksichtigung der Grundsätze zur Überprüfung der Angemessenheit (oben Erw.
2.4) eine Korrektur des vorinstanzlichen Entscheids umso weniger aufdrängt.

4.
4.1 Streitigkeiten zwischen Versicherungsträgern über Leistungen aus
Unfallfolgen für einen gemeinsamen Versicherten sind kostenpflichtig (BGE 126
V 192 Erw. 6 mit Hinweisen). Die Helsana hat deshalb als unterliegende Partei
die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

4.2 Nach Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG darf im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen werden. In Anwendung dieser Bestimmung hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht der SUVA und privaten
UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine
Parteientschädigung zugesprochen, weil sie als Organisationen mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind (BGE 123 V 309 Erw. 10
mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Helsana Versicherungen AG
auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherung und P.________ zugestellt.

Luzern, 31. Oktober 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: