Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 74/2003
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U 74/03

Urteil vom 18. Juli 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger und Ursprung;
Gerichtsschreiber Ackermann

M.________, 1949, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland
Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 20. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
M.________, geboren 1949, arbeitete ab Juli 1998 bis zu seiner Entlassung per
Ende Mai 2000 als Lastwagenchauffeur für die Firma G.________ AG und war bei
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Unfälle
versichert. Am 14. September 1999 stürzte er beim Aussteigen aus dem
Lastwagen und verletzte sich an der rechten Schulter. In der Folge wurde am
1. Dezember 1999 im Spital B.________ eine diagnostische Arthroskopie des
rechten Schultergelenkes sowie eine Rekonstruktion der Rotatorenmanschette
und eine Acromioplastik vorgenommen; nach anfänglich unauffälligem Verlauf
entstand ein Wundinfekt, weshalb am 18. Dezember 1999 erneut operiert werden
musste. Am 31. August 2000 wurde in der Klinik U.________ wegen einer frozen
shoulder sowie einer Reruptur der Rotatorenmanschette eine weitere Operation
an der rechten Schulter durchgeführt. Nachdem die Invalidenversicherung wegen
fehlender subjektiver Eingliederungsfähigkeit die Durchführung beruflicher
Eingliederungsmassnahmen verneint und die SUVA diverse Arztberichte
beigezogen hatte, stellte letztere mit Schreiben vom 9. Juli 2001 ihre
Versicherungsleistungen per Ende Juli 2001 ein. Mit Verfügung vom 5.
September 2001 sprach sie mit Wirkung ab dem 1. August 2001 M.________ bei
einem Invaliditätsgrad von 25 % eine Invalidenrente zu und erachtete ihn
aufgrund der Unfallfolgen in einer leidensangepassten Tätigkeit als ganztägig
arbeitsfähig; weiter wurde ihm eine Integritätsentschädigung für eine
Integritätseinbusse von 10 % gewährt. Mit Einspracheentscheid vom 25. Februar
2002 bestätigte die SUVA ihre Verfügung, nachdem sie ein Zeugnis des Dr. med.
K.________, Innere Medizin FMH, vom 8. Oktober 2001 zu den Akten genommen
hatte.

B.
Die dagegen - unter Beilage der von Dr. med. K.________ ausgefüllten
Unfallscheine - erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 20. Februar 2003 insoweit gut, als es den
Anspruch auf Integritätsentschädigung auf 15 % erhöhte; soweit weitergehend
wurde die Beschwerde abgewiesen.

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides sei
ihm eine angemessene Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung von 50
% zuzusprechen, eventualiter sei ihm bis zur beruflichen Eingliederung eine
Übergangsrente zu gewähren.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im Einspracheentscheid vom 25. Februar 2002 hat die SUVA den Begriff der
Invalidität (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG), die Ermittlung des Invaliditätsgrads
nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG) sowie
die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf Integritätsentschädigung
(Art. 24 UVG; Art. 36 Abs. 1 UVV), deren Abstufung nach der Schwere des
Integritätsschadens (Art. 25 Abs. 1 UVG und Anhang 3 zur UVV, gestützt auf
Art. 36 Abs. 2 UVV) und die Bedeutung der von der medizinischen Abteilung der
SUVA erarbeiteten weiteren Bemessungsgrundlagen in tabellarischer Form (sog.
Feinraster; vgl. dazu BGE 124 V 32 Erw. 1c) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

Zu ergänzen bleibt, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem
massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (RKUV 2001 Nr. U 419
S. 101 Erw. 2 ).

2.
Streitig ist zunächst der Invaliditätsgrad und in diesem Zusammenhang die
Frage der Arbeitsfähigkeit.

2.1 Das kantonale Gericht hat auf die Einschätzungen der Klinik U.________
sowie des SUVA-Arztes Dr. med. W.________ abgestellt und eine vollständige
Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit angenommen. Der
Beschwerdeführer ist demgegenüber der Auffassung, dass durch die Angabe einer
vollständigen Arbeitsunfähigkeit im Unfallschein abweichende ärztliche
Auffassungen vorlägen, die im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes weitere
Abklärungen nötig machten.

2.2 Die Klinik U.________ hat in ihrem letzten Bericht vom 18. April 2001
festgehalten, dass ein sehr gutes Operationsergebnis vorliege und der
Versicherte für leichte Arbeiten auf Bauchhöhe arbeitsfähig sei, während ihm
die bisherige Tätigkeit als Chauffeur mit Beladen des Lastwagens nicht mehr
zugemutet werden könne. Die Einschätzung des SUVA-Arztes Dr. med. W.________
vom 9. Mai 2001 geht übereinstimmend (und etwas detaillierter als die Klinik
U.________) davon aus, dass "leichte rumpfnahe manuelle Tätigkeiten ... ohne
Repetitivität oder Monotonie und mit einem Traglimit von max. 5 kg" sowie
ohne Überkopf- oder Leiterarbeit unter "günstigen Umständen" ganztags
durchgeführt werden könnten. Diese übereinstimmenden ärztlichen
Stellungnahmen sind für die streitigen Belange umfassend, beruhen auf
allseitigen Untersuchungen, berücksichtigen die geklagten Beschwerden und
sind in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden; zudem sind sie in der
Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation
einleuchtend und enthalten begründete Schlussfolgerungen (BGE 125 V 352 Erw.
3a). Damit ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in einer
leidensangepassten Tätigkeit vollständig arbeitsfähig ist; es ist im Übrigen
nicht ersichtlich, inwiefern die vom SUVA-Arzt vorausgesetzten "günstigen
Umstände" nicht gegeben sein sollten. Das im Einspracheverfahren eingereichte
Zeugnis des Hausarztes Dr. med. K.________ vom 8. Oktober 2001 mit der
Annahme einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit wegen direkter oder indirekter
Unfallfolgen wie auch die Unfallscheine, in denen der gleiche Arzt von einer
vollständigen Arbeitsunfähigkeit ausgeht, sprechen - auch unter
Berücksichtigung des in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwähnten und hier
anzuwendenden Untersuchungsgrundsatzes - nicht gegen die Zuverlässigkeit der
überzeugenden Angaben der Klinik U.________ und des SUVA-Arztes Dr. med.
W.________ (BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb und ee): Diese abweichende ärztliche
Auffassung ist in keiner Weise begründet, so dass nicht nachvollziehbar ist,
inwieweit die Äusserungen der Klinik U.________ und des Dr. med. W.________
auf falschen Tatsachen beruhen oder nicht korrekte Einschätzungen enthalten
sollten; es liegt vielmehr eine andere ärztliche Würdigung vor, die jedoch
mangels Begründung nicht überprüft werden und deshalb auch nicht zu weiteren
Abklärungen Anlass bieten kann (antizipierte Beweiswürdigung; SVR 2001 IV Nr.
10 S. 28 Erw. 4b; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende
Rechtsprechung: BGE 124 V 94 Erw. 4b).

2.3 Die Vorinstanz hat das Einkommen ohne Invalidität (Valideneinkommen) zu
Recht anhand des zuletzt verdienten Lohnes als Chauffeur festgesetzt; ebenso
hat das kantonale Gericht das Einkommen nach Eintritt des Gesundheitsschadens
(Invalideneinkommen) anhand der Zahlen der - auf die Einschränkungen des
Versicherten genügend Rücksicht nehmenden - Blätter dokumentierter
Arbeitsplätze (DAP) wie auch - im Sinne einer Plausibilitätskontrolle -
anhand der Tabellenlöhne der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung zutreffend bestimmt. Diese Einkommen
sind denn auch nicht bestritten. Allerdings geht der Beschwerdeführer davon
aus, dass vom anhand der Tabellenlöhne festgesetzten Invalideneinkommen ein
behinderungsbedingter Abzug von 25 % vorzunehmen sei, während die Vorinstanz
einen solchen von 10 % berücksichtigt hat.

Gemäss Rechtsprechung haben persönliche und berufliche Merkmale des
Versicherten wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder
Aufenthaltskategorie sowie Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Höhe des
Lohnes (BGE 126 V 78 Erw. 5a/cc mit Hinweis). Der deswegen vom Tabellenlohn
vorzunehmende behinderungsbedingte Abzug beträgt jedoch nicht generell und in
jedem Fall 25 %; es ist vielmehr anhand der gesamten Umstände des konkreten
Einzelfalles zu prüfen, ob und in welchem Masse das hypothetische
Invalideneinkommen gekürzt werden kann (BGE 126 V 79 f. Erw. 5b). Dieser
gesamthaft vorzunehmende Abzug stellt eine Schätzung dar. Bei deren
Überprüfung kann es nicht darum gehen, dass die kontrollierende richterliche
Behörde ihr Ermessen an die Stelle der Vorinstanz setzt. Bei der
Unangemessenheit gemäss Art. 132 lit. a OG geht es um die Frage, ob der zu
überprüfende Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden Ermessen im
Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall
getroffen hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen.
Allerdings darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne
triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich
somit auf Gegebenheiten abstützen können, welche seine abweichende
Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (BGE 126 V 81 Erw. 6
mit Hinweis). In Anbetracht der Umstände kann nicht davon gesprochen werden,
dass der Entscheid der Vorinstanz über die Höhe des behinderungsbedingten
Abzuges zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen: Denn die Vorinstanz
hat den Einschränkungen des Versicherten nicht nur im Rahmen des
behinderungsbedingten Abzuges Rechnung getragen, sondern hat schon bei der
Festlegung des Grundwertes des Invalideneinkommens auf die - betragsmässig
unter dem in der Regel anzuwendenden Zentralwert (BGE 126 V 77 Erw. 3b/bb)
liegenden - Zahlen spezifischer, dem Beschwerdeführer zumutbaren Tätigkeiten
abgestellt, nämlich auf die Angaben der Rubriken "Detailhandel und Reparatur"
sowie "persönliche Dienstleistungen" (Lohnstrukturerhebung 2000 Tabelle TA1
Zeilen 52 und 93).

2.4 Damit ist der von Vorinstanz und SUVA auf 25 % festgesetzte
Invaliditätsgrad nicht zu beanstanden. Die in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eventualiter beantragte Übergangsrente kann
nicht gewährt werden, da bereits ein negativer Entscheid der
Invalidenversicherung über die berufliche Eingliederung vorliegt (vgl. Art.
30 Abs. 1 UVV).

3.
Streitig ist im Weiteren die Höhe des Integritätsschadens. Das kantonale
Gericht hat in dieser Hinsicht auf den Bericht des SUVA-Arztes Dr. med.
W.________ vom 9. Mai 2001 abgestellt und - im Gegensatz zur SUVA - eine
Integritätseinbusse von 15 % angenommen, denn der vom Arzt beschriebene
"latente Vorzustand", der nach dessen Ansicht zu einer Kürzung des
Integritätsschadens auf 10 % führe, sei in den Akten nicht ausgewiesen. Der
Versicherte geht demgegenüber von einem vollständigen Funktionsausfall des
rechten Armes und einer erheblichen Möglichkeit der Verschlechterung aus, so
dass eine Integritätseinbusse von 50 % vorliege.

Der SUVA-Arzt Dr. med. W.________ geht in seinem Bericht vom 9. Mai 2001 von
einer relativ guten Schulterfunktion aus, hält aber zugleich fest, dass
"ziemlich ausgeprägte Beschwerden nach durchgemachtem Infekt" vorlägen; er
schätzt die Integritätseinbusse auf 15 %, kürzt sie aber wegen eines latenten
Vorzustandes auf 10 %. Wie die Vorinstanz zu Recht festgehalten hat, findet
sich in den Akten jedoch nirgends ein Anhaltspunkt für den vom Arzt
berücksichtigten latenten Vorzustand, weshalb eine Kürzung aus diesem Grund
nicht in Betracht fällt, was von der SUVA im letztinstanzlichen Verfahren
denn auch nicht bestritten wird. Auf der anderen Seite ist die vom
Versicherten geltend gemachte Integritätseinbusse in Höhe von 50 % nicht
gegeben, da dies dem Verlust des Arms im Ellbogen oder oberhalb desselben
(Anhang 3 zur UVV) resp. einer völligen Gebrauchsunfähigkeit des rechten
Armes (Tabelle 1 des Feinrasters der SUVA; vgl. Erw. 1 hievor) gleichkäme.
Dies trifft jedoch nicht zu, erwähnt doch keiner der diversen den
Beschwerdeführer untersuchenden Ärzte eine vollständige Einschränkung der
Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes, sondern es wird im Gegenteil von einer
guten Schulterfunktion (so der SUVA-Arzt im Bericht vom 9. Mai 2001) resp.
von einem sehr guten Operationsergebnis an der rechten Schulter (so die
Klinik U.________ im Bericht vom 18. April 2001) gesprochen und die Ärzte
sind für ihre Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit auch nicht von nur einarmig
auszuführenden Tätigkeiten ausgegangen (vgl. Erw. 2.2 hievor). Damit ist die
zugesprochene Integritätsentschädigung für eine Integritätseinbusse von 15 %
nicht zu beanstanden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 18. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: