Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 6/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


U 6/03

Urteil vom 6. Mai 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Jancar

K.________, 1960, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Balmer,
Glockengasse 18, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug

(Entscheid vom 14. November 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1960 geborene K.________ war seit 1. Januar 1994 als Monteur bei der
X.________ AG angestellt und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Am 1. April 1996 erlitt
er einen Unfall, als der von ihm gelenkte PW mit einem in seine Fahrbahn
geratenen Auto kollidierte. Am 2. April 1996 begab sich der Versicherte zu
Dr. med. A.________, Facharzt FMH für Innere Medizin, spez. Rheumatologie, in
Behandlung, der folgende Diagnose stellte: posttraumatisches akutes
Cervicovertebralsyndrom mit leichter Hirnerschütterung; der Versicherte sei
ab 2. April 1996 zu 100 % arbeitsunfähig. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen
Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Am 1. August 1996 erlitt der
Versicherte bei einem Unfall eine Schulterluxation rechts, die im Oktober
1996 operiert wurde. In der Folge verletzte sich der Versicherte bei der
Arbeit am 26. März 1997 den rechten Kleinfinger, am 22. April 1997 den linken
Mittelfinger und am 9. Mai 1997 wiederum den rechten Kleinfinger. Am 28. Mai
1997 wurde ihm die Fingerkuppe des linken Mittelfingers teilamputiert. Nach
Beizug verschiedener Arztberichte stellte die SUVA bezüglich des Unfalls vom
1. April 1996 die Heilbehandlung per sofort sowie die Taggeldleistungen per
31. August 1999 ein und verneinte den Anspruch auf eine Invalidenrente. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dem Versicherten seien grundsätzlich die
gleichen Tätigkeiten wie vor dem Unfall zumutbar. Es liege keine
unfallbedingte Erwerbseinbusse vor. Zwischen dem Unfall und allfälligen
psychischen Beschwerden fehle der adäquate Kausalzusammenhang (Verfügung vom
25. August 1999). Die hiegegen erhobene Einsprache, in deren Rahmen der
Versicherte weitere Arztberichte einreichte, wies die SUVA mit Entscheid vom
9. November 2000 ab.

B.
Hiegegen erhob der Versicherte beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug
Beschwerde und reichte in der Folge unter anderem ein Privatgutachten des Dr.
med. B.________, Spezialarzt für Neurologie FMH, vom 2. März 2001 sowie eine
Expertise der Medizinischen Abklärungsstelle C.________ vom 17. Juli 2001
ein. Die SUVA legte einen Bericht des Dr. med. D.________, Facharzt FMH für
Chirurgie, SUVA-Ärzteteam Unfallmedizin, vom 7. Mai 2001 auf. Das kantonale
Gericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 14. November 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung der
Verfügung, des Einspracheentscheides und des kantonalen Entscheides sei die
SUVA zu verpflichten, ihm eine hälftige Invalidenrente und eine
Integritätsentschädigung von 35 % auszurichten; eventuell sei die Sache zur
Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Er legt einen Bericht
des Dr. med. E.________, Facharzt FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 20.
Dezember 2002 auf.

Das kantonale Gericht und die SUVA schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Entscheides (hier: 9.
November 2000) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die neuen Bestimmungen nicht anwendbar.

2.
Das kantonale Gericht hat die Grundsätze zu dem für die Leistungspflicht des
Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen
dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE
123 V 45 Erw. 2b, 121 V 329 Erw. 2a, 117 V 360 Erw. 4, je mit Hinweisen; SVR
2000 UV Nr. 8 S. 26 Erw. 2), zur vorausgesetzten Adäquanz des
Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 127 V 102 Erw. 5b/aa, 125 V 461 Erw.
5a, je mit Hinweisen) sowie bei organisch nicht (hinreichend) nachweisbaren
Unfallfolgeschäden (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb, 117 V 380 Erw. 3f, 382 ff. Erw.
4b und 4c, 115 V 133 ff.; RKUV 2001 Nr. U 412 S. 80) im Besonderen zutreffend
dargelegt. Ebenso verhält es sich mit den Ausführungen über den im
Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit Hinweisen) sowie den Beweiswert
und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352
Erw. 3a; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a; RKUV 2001 Nr. KV 189 S. 492 Erw. 5b).
Darauf wird verwiesen.

3.
Zu beurteilen ist, ob im Zeitpunkt, in welchem die SUVA ihre Leistungen
eingestellt hat (31. August 1999), noch entschädigungspflichtige Unfallfolgen
gegeben waren. Das ist, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt, zu
verneinen.

3.1 Medizinisch erstellt und nicht streitig ist, dass die Schulterverletzung
rechts vom 1. August 1996 und die 1997 erlittenen Fingerverletzungen im
massgebenden Zeitpunkt keine invalidisierenden Gesundheitsschäden mehr zur
Folge hatten.

3.2 Hinsichtlich des Unfalls vom 1. April 1996 bestand nach der gesamten
Aktenlage kein klar organisch fassbarer unfallbedingter Gesundheitsschaden
mit entsprechendem Korrelat. Ebensowenig lassen die Akten den Schluss zu,
dass der Beschwerdeführer ein Schädel-Hirntrauma erlitten hat, das zur
entsprechenden Anwendung der Schleudertrauma-Praxis führen würde. Eine
leichte Hirnerschütterung, wie sie Dr. med. A.________ unmittelbar nach dem
Unfall festgestellt hat, reicht hierfür nicht aus. Der Fall müsste mindestens
im Grenzbereich zwischen Commotio und Contusio cerebri liegen. Indes ist dies
für den Ausgang des Verfahrens ohne Belang, weil ohnehin die
Schleudertrauma-Praxis greifen muss, welcher der gleiche Kriterienkatalog
zugrunde liegt.

4.
4.1 Es ist nicht über alle Zweifel erhaben, ob der Beschwerdeführer im
Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides vom 9. November 2000 (noch)
an einem für ein Schleudertrauma typischen Beschwerdebild litt und die
geklagten Beschwerden medizinisch einer fassbaren gesundheitlichen
Beeinträchtigung zugeschrieben werden konnten. Wird dies unterstellt, kann
der ursächliche natürliche (mindestens Teil-) Zusammenhang dieses
Gesundheitsschadens mit dem Unfall vom 1. April 1996 als überwiegend
wahrscheinlich angesehen werden. Soweit sich der mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgelegte neue Bericht des Dr. med. E.________
vom 20. Dezember 2002 mit der schizoiden Persönlichkeitsstruktur befasst, hat
das kantonale Gericht diese Diagnose des Psychiaters, die er nun als blosse,
sich nicht bewahrheitete Arbeitshypothese in der Kennenlernphase des
Versicherten bezeichnet, zutreffend eingeordnet. Eine psychische
Prädisposition von einem Grad, der die natürliche Kausalkette zum
Unfallereignis zu durchtrennen vermöchte, ist nicht auszumachen.

4.2 Die Adäquanz zwischen Unfall und Gesundheitsschaden, der beim
Beschwerdeführer für die (weitere) Leistungspflicht des Unfallversicherers in
Betracht fällt, beurteilt sich für eine Schleudertrauma-äquivalente
Verletzung nach Massgabe der in BGE 117 V 366 Erw. 6 entwickelten Kriterien,
wie die Vorinstanz zu Recht verfahren ist.

4.2.1 In grundsätzlicher Hinsicht verfängt der auf den Artikel von Max Sidler
in AJP 7/2002 S. 791 ff., insbes. S. 792 f. gestützte Einwand des
Versicherten, die vorliegend während mehr als drei Jahren erbrachten
"kurzfristigen" Leistungen (Heilungskosten und Taggelder) bedeuteten, dass
die einmal gegebene Adäquanz nicht unterbrochen werde, nicht. Denn zum einen
hat das Gericht (nur) zu entscheiden, ob u.a. der adäquate Kausalzusammenhang
im Zeitpunkt der Einstellung der erwähnten Leistungen gegeben war. Über das
Bestehen der Adäquanz in einem früheren Zeitpunkt bei Beginn der
Leistungsausrichtung und verneinendenfalls über die allfällige Rückerstattung
von Leistungen hat es sich nicht auszusprechen. Diese würde wohl regelmässig
an der Voraussetzung der zweifellosen Unrichtigkeit scheitern. Zum anderen
ist erst nach Abschluss des normalen, unfallbedingt erforderlichen
Heilungsprozesses zu prüfen, ob die geklagten Beschwerden zum Unfallereignis
adäquat kausal sind (Urteile R. vom 9. September 2002 Erw. 3.4, U 412/01, und
A. vom 6. November 2001 Erw. 3, U 8/00, je mit Hinweisen).

4.2.2 Im Ergebnis hat das kantonale Gericht auf Grund der medizinischen
Unterlagen einlässlich und zutreffend dargelegt, dass die adäquate Kausalität
zwischen dem Unfall vom 1. April 1996 und den geklagten Beschwerden zu
verneinen ist. Der Versicherte selber pflichtet übrigens in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde über weite Strecken den vorinstanzlichen
Schlussfolgerungen bei. Mit Blick auf das Gutachten der Medizinischen
Abklärungsstelle C.________ und die Berichte des Dr. med. E.________ ist zu
betonen, dass die objektivierte Beurteilung der Adäquanz anhand der von der
Rechtsprechung entwickelten Kriterien gerade dazu führt, dass die
Notwendigkeit entfällt, nach anderen Ursachen zu forschen, welche die nach
einem Schleudertrauma der HWS - oder einer äquivalenten Verletzung -
aufgetretenen Beschwerden möglicherweise begünstigt haben könnten (BGE 117 V
366 Erw. 6).
Vom Ablauf und den erlittenen Verletzungen her ist der Unfall höchstens im
mittleren Bereich an der Grenze zu den leichten anzusiedeln. Entgegen dem
Vorbringen des Versicherten hat die Vorinstanz eine ungewöhnlich lange Dauer
der ärztlichen Behandlung bezogen auf den Unfall vom 1. April 1996 nicht
bestätigt, sondern zu Recht ausdrücklich verneint; wenn sie von einer recht
langen Behandlungsdauer sprach, führte sie dies letztlich auch auf die später
erlittenen Schulter- und Fingerverletzungen zurück, die aber im massgebenden
Zeitpunkt keine invalidisierenden Beschwerden mehr verursachten. Die
Kriterien der Dauerbeschwerden sowie des Grades und der Dauer der
Arbeitsunfähigkeit erachtete die Vorinstanz zwar als teilweise erfüllt, wobei
sie auch hier eine Mitbeteiligung der späteren Schulter- und Fingerunfälle
als gegeben ansah. Letztendlich ist jedoch festzuhalten, dass die
hinsichtlich des Unfalls vom 1. April 1996 zu berücksichtigenden
unfallbezogenen Kriterien nicht gehäuft oder auffallend vorhanden sind und
keines von ihnen in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 6. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: