Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 66/2003
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U 66/03

Urteil vom 23. Januar 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Lanz

D.________, 1971, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Michel
Béguelin, Dufourstrasse 12, 2502 Biel

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 3. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1971 geborene D.________ ist gelernter Automechaniker. Ab Dezember 1995
war er als Betriebsangestellter bei der A.________ AG  tätig und dadurch bei
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 8. August 1997 fuhr
er mit dem Rennvelo auf einer leicht abfallenden Hauptstrasse. Für ihn
unverhofft bog die vortrittsbelastete Lenkerin eines Mountainbike in diese
Strasse ein. D.________ kollidierte ungebremst mit dem Hinterrad des
Mountainbikes und stürzte kopfüber auf die Strasse. Die medizinische
Erstversorgung der dabei erlittenen Verletzungen erfolgte ambulant im Spital
X.________, wo eine Rissquetschwunde in der Augenbrauenregion und eine
Handgelenks- und Fingerkontusion Dig. IV links diagnosiziert wurden. Der
anfängliche Verdacht auf eine frische Nasenbeinfraktur bestätigte sich in der
Folge nicht; es blieb bei der Feststellung einer beim Sturz erlittenen
Nasenkontusion. Die SUVA kam zunächst für die Heilbehandlung auf. Nach Beizug
verschiedener medizinischer Berichte sowie Stellungnahmen des Kreisarztes und
der eigenen Abteilung Arbeitsmedizin eröffnete sie dem Versicherten mit
Verfügung vom 23. September 1999 die Einstellung der Leistungen ab 16.
Dezember 1998, da seit diesem Zeitpunkt keine anspruchsberechtigenden Folgen
des Fahrradsturzes mehr gegeben seien. Daran hielt der Unfallversicherer mit
Einspracheentscheid vom 16. Mai 2000 fest.

B.
D.________ erhob hiegegen Beschwerde. Das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn sistierte das Verfahren bis zum Vorliegen des der
Invalidenversicherung erstatteten MEDAS-Gutachtens vom 6. Juni 2001, welches
es selber am 28. Dezember 2001 ergänzen liess. Die SUVA nahm hiezu unter
Beilage einer psychiatrischen Beurteilung ihres Ärzteteams Unfallmedizin vom
15. Februar 2002 Stellung.

Am 28. Juni 2002 sprach die IV-Stelle des Kantons Solothurn D.________
verfügungsweise mit Wirkung ab 1. September 1999 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung zu.

Mit Entscheid vom 3. Februar 2003 wies das kantonale Gericht die Beschwerde
gegen den Einspracheentscheid der SUVA vom 16. Mai 2000 ab.

C.
D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in
Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides seien ihm die gesetzlichen
Leistungen zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung an
den Unfallversicherer zurückzuweisen.

Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne
weiter zur Sache Stellung zu nehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat
sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig ist, ob die SUVA im Zusammenhang mit dem Unfall vom 8. August 1997
auch nach dem 16. Dezember 1998 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen hat.
Dabei ist in diesem Verfahren einzig zu prüfen, ob die geklagten Beschwerden
und die dadurch bewirkte Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit sowie
Behandlungsbedürftigkeit über den genannten Zeitpunkt hinaus natürlich und
adäquat kausale Folgen jenes Vorfalles sind. Die für die Beurteilung dieser
Frage massgeblichen Rechtsgrundlagen werden im angefochtenen Entscheid
zutreffend wiedergegeben. Zu erwähnen sind namentlich die von der
Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zur Adäquanzprüfung bei psychischen
Beeinträchtigungen sowie bei einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS)
ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle, einer dem Schleudertrauma der
HWS ähnlichen Verletzung und bei einem Schädel-Hirn-Trauma (vgl. BGE 115 V
133, 117 V 359 und 369). Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 16. Mai
2000) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw.
1.2).

2.
Nach Lage der medizinischen Akten, insbesondere auch dem insoweit nicht
umstrittenen MEDAS-Gutachten vom 6. Juni 2001, liegen aus somatischer Sicht
keine behandlungsbedürftigen und/oder die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des
Beschwerdeführers einschränkenden gesundheitlichen Folgen des Unfalles vom 8.
August 1997 mehr vor. Dies gilt auch in Bezug auf die zwar anerkanntermassen
unfallkausale, aber geringfügige Hörstörung und die im Einspracheverfahren
noch streitig gewesene Schädigung der Nase. Eine Beeinträchtigung besteht nur
insoweit, als wegen eines unfallfremden und daher für die streitige
Leistungspflicht des Unfallversicherers nicht relevanten Rückenleidens von
körperlich schweren Arbeiten abgeraten wird.

Gemäss dem angefochtenen Entscheid leidet der Beschwerdeführer indessen an
psychischen Beeinträchtigungen, für welche das Unfallereignis vom 8. August
1997 zumindest eine Teilursache darstellt. Diese Beurteilung kann aufgrund
der medizinischen Aktenlage bestätigt werden und wird vom Unfallversicherer
auch nicht beanstandet. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem
besagten Vorfall und der psychisch bedingten Beeinträchtigung ist damit zu
bejahen (vgl. BGE 119 V 338 Erw. 1).

Uneins sind sich die Verfahrensbeteiligten hingegen in der Beantwortung der
Frage, ob das festgestellte seelische Leidensbild einer psychischen
Fehlentwicklung nach Unfall entspricht oder aber, zumindest teilweise,
natürlich kausal durch eine beim Fahrradsturz erlittene organische Schädigung
- im Sinne eines Schädel-Hirn-Traumas - hervorgerufen wurde, was je nachdem
zu einer unterschiedlichen Adäquanzbeurteilung führen kann.

3.
3.1 Die vom Versicherten nach dem Unfallereignis geklagten Beschwerden
entsprechen, zumindest teilweise, dem auch nach einem Schleudertrauma der HWS
typischerweise auftretenden Leidensbild. Für die Gesundheitsstörungen konnte
mit bildgebenden Methoden kein auf den Unfall zurückzuführendes organisches
Substrat gefunden werden. Dass der Vorfall vom 8. August 1997 zu einem
Schädel-Hirn-Trauma im Sinne einer "Mild head injury" resp. commotio cerebri
geführt hat, ist aber auch ohne organischen Nachweis unter den beteiligten
Ärzten nicht umstritten (Bericht Dr. med. F.________, Spezialarzt für
Neurologie FMH, vom 21. April 1998; kreisärztlicher Untersuchungsbericht des
Dr. med. K.________ vom 21. Oktober 1998; Berichte des Spitals Y.________,
Medizinische Klinik, vom 18. und 26. November 1998 sowie des Dr. med.
L.________, Psychiatrie und Psychotherapie vom 13. Oktober 1999 und 25. Juni
2000; MEDAS-Gutachten vom 6. Juni 2001). Dies wird auch in der
kreisärztlichen Beurteilung des Dr. med. I.________ vom 3. November 1999 und
den Stellungnahmen der Frau Dr. med. H.________, Fachärztin für Psychiatrie
und Psychotherapie, vom Ärzteteam Unfallmedizin der SUVA, vom 11. Mai 2000
und 15. Februar 2002 nicht entschieden in Frage gestellt. Bei dieser
medizinischen Aktenlage kann dem kantonalen Gericht nicht gefolgt werden,
soweit es im angefochtenen Entscheid ein beim Unfall erlittenes
Schädel-Hirn-Trauma rundweg verneint.

3.2 Dr. med. F.________ erklärt das Leidensbild des Beschwerdeführers mit
einem postcommotionellen Syndrom nach sogenannter "Mild head injury" (Bericht
vom 21. April 1998). Zum selben Ergebnis gelangte der den Versicherten
behandelnde Dr. med. L.________, Psychiatrie und Psychotherapie (Berichte vom
13. Oktober 1999 und 25. Juni 2000). Die Beurteilung dieser Ärzte wird sodann
bestätigt im MEDAS-Gutachten vom 6. Juni 2001. Darin wird, ausgehend von
einer im August 1997 erlittenen commotio cerebri, ein organisches
Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma mit vorwiegender depressiver
Symptomatik (postcommotionelles Syndrom) als die Arbeitsfähigkeit des
Beschwerdeführers beeinträchtigendes Leiden diagnostiziert. An dieser
Einschätzung hielt der psychiatrische Konsiliararzt auf Ergänzungsfrage der
SUVA mit Zusatzbericht vom 28. Dezember 2001 fest.

Gestützt auf diese ärztlichen Stellungnahmen befürwortet der Beschwerdeführer
die Beurteilung der Adäquanz nach den bei Schleudertrauma der HWS ohne
organisch nachweisbare Funktionsausfälle geltenden, auch bei
Schädel-Hirn-Trauma mit vergleichbaren Folgen anwendbaren Grundsätzen. Danach
ist - anders als im Falle einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall (BGE
115 V 33) - bei der Prüfung der unfallbezogenen Kriterien auf eine
Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten zu
verzichten, weil es hier nicht entscheidend ist, ob Beschwerden eher als
organischer und/oder psychischer Natur bezeichnet werden (BGE 117 V 367 Erw.
6a und 382 f. Erw. 4b).

3.3 Das kantonale Gericht hat, der psychiatrische Beurteilung der Frau Dr.
med. H.________ vom Ärzteteam Unfall der SUVA vom 15. Februar 2002 folgend,
das Vorliegen eines organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma
verneint, den adäquaten Kausalzusammenhang gemäss BGE 115 V 33 geprüft und
für nicht gegeben erachtet.

4.
Ob hinsichtlich des Bestehens einer natürlich kausalen organischen
(Teil-)Ursache für die den Versicherten in seiner Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende psychische Gesundheitsschädigung der in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung oder aber derjenigen
von Unfallversicherer und Vorinstanz zu folgen ist, kann offen bleiben, wenn
der adäquate Kausalzusammenhang zum Unfallereignis auch nach der sogenannten
Schleudertrauma-Praxis zu verneinen ist.

4.1 Bei der Adäquanzbeurteilung nach Unfällen mit Schleudertrauma der HWS und
äquivalenten Unfallmechanismen sowie hinsichtlich der Folge vergleichbarem
Schädel-Hirn-Trauma wird, in analoger Anwendung der Rechtsprechung zu den
psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 33), unterschieden zwischen banalen bzw.
leichten Unfällen, schweren Unfällen anderseits und dem dazwischen liegenden
mittleren Bereich (BGE 117 V 366 Erw. 6a und 383 Erw. 4b).

Mit der Vorinstanz ist der Fahrradsturz vom 8. August 1997 aufgrund des
augenfälligen Geschehenablaufs und der Verletzungen, die sich der
Beschwerdeführer dabei zuzog, im mittleren Bereich einzureihen. Im mittleren
Bereich kann er den leichteren Unfällen zugerechnet werden. Entgegen dem
kantonalen Entscheid ist er aber doch zu gewichtig, um ihn im Grenzbereich zu
den leichten Unfällen anzusiedeln. Für die Bejahung der adäquaten Kausalität
wäre daher erforderlich, dass ein einzelnes unfallbezogenes Kriterium in
besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist oder dass die nach der
Rechtsprechung massgebenden Kriterien in gehäufter oder auffallender Weise
gegeben sind (BGE 117 V 367 f. Erw. 6b und 384 Erw. 4c).

4.2 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, kann von einer
besonderen Eindrücklichkeit oder besonders dramatischen Begleitumständen des
Ereignisses vom 8. Juli 1997 nicht gesprochen werden; der vom Versicherten
erlittene Schrecken hielt sich im Rahmen des bei Unfällen Üblichen. Sodann
ist das erlittene Schädel-Hirn-Trauma nicht als schwer zu bezeichnen, und
seine Auswirkungen waren nicht derart gravierend, dass das Kriterium der
Schwere oder der besonderen Art der erlittenen Verletzungen zu bejahen wäre.
Anzeichen für eine ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen
erheblich verschlechtert hätte, sind ebenfalls nicht vorhanden.

Der Versicherte nahm die Arbeit schon am 14. resp. 19. August 1997, mithin
rund zehn Tage nach dem Unfall, wieder voll auf. Von ärztlicher Seite wurde
eine Arbeitsunfähigkeit erst wieder ab September 1998 bescheinigt, wobei zur
Begründung hiefür anfänglich und auf Monate hinaus lediglich - unfallfremde -
Rückenbeschwerden angegeben wurden (Stellungnahmen Dr. med. Z.________,
Allgemeine Medizin FMH, vom 8. Oktober 1998, 9. Juni und 11. August 2000). In
Anbetracht der langen Periode mit im Wesentlichen uneingeschränkter
Leistungsfähigkeit kommt dem Grad und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit in
Bezug auf die Adäquanzbeurteilung ungeachtet des Verlaufs seit September 1998
kein erhebliche Bedeutung zu (vgl. SZS 2001 S. 439 f.).

Der Beschwerdeführer hat nach der am Unfalltag erfolgten medizinischen
Erstversorgung im Zusammenhang mit Nasen- und Gehörproblemen wiederholt Ärzte
aufgesucht, ohne dass diese Gesundheitsstörungen aber einer längeren
Heilbehandlung bedurft oder ihn in seiner Arbeitsfähigkeit wesentlich
beeinträchtigt hätten. Ab einem späteren Zeitpunkt war er, nebst
krankheitsbedingten Therapien wegen Rückenbeschwerden und einem
endokrinologischen Leiden, in psychiatrischer resp. psychotherapeutischer
Behandlung, allerdings mit teilweise erheblichen zeitlichen Unterbrüchen.
Gesamthaft rechtfertigt sich, auch in Anbetracht der gemäss Darstellung in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde weitergeführten Therapie beim Psychiater
Dr. med. L.________, der Schluss auf eine ungewöhnlich lange Behandlungsdauer
nicht, zumal eine Behandlungsbedürftigkeit während zwei bis drei Jahren nach
Schleudertrauma der HWS resp. äquivalenten Verletzungen und
Schädel-Hirn-Trauma mit vergleichbaren Folgen durchaus üblich ist (Urteile M.
vom 21. Oktober 2003 Erw. 4.3.3, U 282/00, und H. vom 30. Mai 2003 Erw. 3.3,
U 353/02; vgl. auch SZS 2001 S. 443).

Das Kriterium der Dauerbeschwerden ist aufgrund des anhaltenden Leidensbildes
erfüllt. Ob allenfalls auch von einem schwierigen Heilungsverlauf und
erheblichen Komplikationen auszugehen wäre, muss nicht weiter geprüft werden.
Denn auch bejahendenfalls reicht dies, da jedenfalls keines der für die
Adäquanzbeurteilung massgebenden Kriterien in besonders ausgeprägter Weise
erfüllt ist, nicht aus, um dem Unfall vom 8. August 1997 eine rechtlich
massgebende Bedeutung für die psychische Einschränkung der Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit ab dem 16. Dezember 1998 zuzuschreiben. Mangels eines
adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und den geklagten
Beschwerden haben Vorinstanz und SUVA somit eine ab jenem Zeitpunkt
bestehende Leistungspflicht des Unfallversicherers zu Recht verneint.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. Januar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: