Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 55/2003
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U 55/03

Urteil vom 26. Juli 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Lanz

A.________, 1958, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokatin Stefanie
Mathys-Währer, Kasernenstrasse 22a, 4410 Liestal, Witwer und Erbe von
B.________, geboren am 17. Mai 1964, gestorben am 23. August 2003,

gegen

Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft, Steinengraben 41, 4003
Basel, Beschwerdegegnerin,

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 23. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1964 geborene B.________ arbeitete seit August 1996 als
Krankenschwester/Nachtwache bei der Klinik X.________ und war dadurch bei der
"Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft" (nachfolgend: National)
obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 26. August 1997
meldete die Arbeitgeberin der National, B.________ habe sich am 16. August
1997 ein "Verhebetrauma beim Verhindern des Sturzes einer Patientin" mit
daraus resultierender akuter Lumboischialgie und einer Arbeitsunfähigkeit
zugezogen. Der Unfallversicherer verneinte seine Leistungspflicht mit der
Begründung, das gemeldete Geschehen weise nicht Unfallcharakter auf
(Verfügung vom 23. Januar 1998 und Einspracheentscheid vom 9. Juni 1998). Auf
Beschwerde von B.________ hin hob das Versicherungsgericht des Kantons
Basel-Landschaft (heute: Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht) den Einspracheentscheid auf. Es bejahte das
Vorliegen eines Unfalles und wies die Sache an den Unfallversicherer zurück
zur Prüfung des kausalen Zusammenhangs zwischen dem versicherten Ereignis und
den bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zum neuen Entscheid
über den Leistungsanspruch der Versicherten (Entscheid vom 1. März 2000). Die
National holte ein Gutachten des Zentrums für Medizinische Begutachtung (ZMB)
vom 8. Februar 2001 (mit Ergänzung vom 21. März 2001) ein. Gestützt darauf
eröffnete sie der Versicherten mit Verfügung vom 30. Mai 2001 sinngemäss die
Einstellung ihrer Leistungen mit Wirkung ab 1. September 1998, da das
versicherte Ereignis für die ab dem 16. August 1998 - ein Jahr nach dem
Unfallgeschehen - noch vorhandene Gesundheitsproblematik nicht mehr
verantwortlich gemacht werden könne. Ab dem 1. September 1998 habe daher für
die Heilbehandlung die Krankenkasse und für Taggeld die bestehende
Kollektiv-Krankentaggeldversicherung aufzukommen. Daran hielt die National
mit Einspracheentscheid vom 13. Februar 2002 fest.

Zwischenzeitlich hatte die IV-Stelle Basel-Landschaft B.________ mit
Verfügung vom 1. November 2001 eine ganze Rente der Invalidenversicherung ab

1. September 1998 zugesprochen.

B.
Die von der Versicherten gegen den Einspracheentscheid der National vom 13.
Februar 2002 erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit
Entscheid vom 23. Oktober 2002 unter gleichzeitiger Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde liess B.________ beantragen, es sei der
kausale Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 16. August 1997 und den
gesundheitlichen Beeinträchtigungen festzustellen und die National zu
verpflichten, die Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung zu
erbringen; eventuell sei die Vorinstanz anzuweisen, den rechtserheblichen
Sachverhalt mittels eines Obergutachtens korrekt festzustellen und über die
Anspruchsberechtigung neu zu entscheiden. Sodann wurde um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege für dieses Verfahren ersucht.

Die National und Vorinstanz schliessen in ihren Vernehmlassungen auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und Unfallversicherung (seit 1. Januar
2004 im Bundesamt für Gesundheit), hat nicht Stellung genommen.

Am 23. August 2003 ist B.________ verstorben. An ihrer Stelle trat ihr
Ehemann und einziger Erbe A.________ in den Prozess ein. Er ersucht
seinerseits um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob der obligatorische Unfallversicherer aus dem
versicherten Ereignis vom 16. August 1997 auch über den 31. August 1998
hinaus leistungspflichtig ist.

Die Vorinstanz hat die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung dieser Frage
zutreffend dargelegt. Dies gilt zunächst für die Grundsätze über den für eine
Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen und
adäquaten Kausalzusammenhang zwischen versichertem Ereignis und eingetretenem
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; vgl. BGE 129 V 181 Erw. 3.1 und 3.2 mit
Hinweisen), namentlich auch bei geistigen Gesundheitsschäden (BGE 115 V 133).
Im Wesentlichen zutreffend sind auch die Erwägungen über die das
Sozialversicherungsverfahren beherrschende Untersuchungsmaxime (BGE 122 V 158
Erw. 1a; ferner BGE 125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen) und den in Bezug auf
tatsächliche Gesichtspunkte mindestens erforderlichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BGE 129 V 181 Erw. 3.1 mit Hinweisen).
Darauf wird verwiesen mit der Ergänzung, dass bei nachgewiesener
Unfallkausalität die deswegen anerkannte oder festgestellte Leistungspflicht
des Unfallversicherers erst entfällt, wenn der noch bestehende
Gesundheitsschaden nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen
beruht. Der Nachweis - in dem vom Untersuchungsgrundsatz gesetzten Rahmen -
für das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen
eines Gesundheitsschadens obliegt dem Unfallversicherer (RKUV 1994 Nr. U 206
S. 328 f. Erw. 3b mit Hinweis; vgl. auch RKUV 2000 Nr. U 363 S. 46 Erw. 2).

Anzufügen bleibt, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Einspracheentscheids (hier: 13. Februar 2002) eingetretene Rechts-
und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).

2.
Das kantonale Gericht ist in Bestätigung des Einspracheentscheides vom 13.
Februar 2002 zum Ergebnis gelangt, dass der Unfall vom 16. August 1997 ein
Jahr danach keine objektivierbaren somatischen Folgen mehr gezeitigt hat und
die noch vorhandenen Beschwerden einzig im Sinne einer psychischen
Fehlverarbeitung natürlich kausal auf das versicherte Ereignis zurückgeführt
werden können.

Die vorinstanzliche Beurteilung stützt sich namentlich auf die überzeugenden
fachärztlichen Stellungnahmen im ZMB-Gutachten vom 8. Februar 2001 (ergänzt
am 21. März 2001) und ist nicht zu beanstanden. Was in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, rechtfertigt keine andere
Betrachtungsweise. Soweit in den weiteren ärztlichen Berichten überhaupt von
einem Fortbestehen einer unfallkausalen körperlichen Gesundheitsschädigung
ausgegangen wird, mangelt es an einer Begründung hiefür, welche die auf
polydisziplinären Untersuchungen beruhende, eingehend erläuterte und auch in
den fachübergreifenden Zusammenhängen schlüssige Beurteilung der ZMB-Experten
in Frage stellen könnte.

In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird weiter vorgebracht, das kantonale
Gericht habe zwei ihm unmittelbar vor der parteiöffentlichen Urteilsberatung
vom 23. Oktober 2002 noch vorgelegte Arztberichte nicht berücksichtigt, was
zutrifft. Da sich die beiden ärztlichen Stellungnahmen indessen nicht zu der
streitigen Frage der (Unfall-)Kausalität einer physischen Leidenskomponente
äussern, erübrigen sich Weiterungen dazu, ob sie im vorinstanzlichen
Verfahren noch rechtzeitig eingereicht wurden und daher hätten beachtet
werden müssen. Soweit überhaupt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der
Versicherten durch das kantonale Gericht gesehen werden könnte, wäre sie
jedenfalls geringfügig und als vor dem über volle Kognition verfügenden
Eidgenössischen Versicherungsgericht (Art. 132 OG) geheilt zu betrachten
(vgl. BGE 127 V 437 f. Erw. 3d/aa mit Hinweis).

Die weiteren Einwendungen der Versicherten gegen die Abklärung und Würdigung
des medizinischen Sachverhaltes durch die Vorinstanz sind ebenfalls
unbegründet. Namentlich hat das kantonale Gericht zulässigerweise auf weitere
Abklärungen verzichtet, da hievon keine entscheidrelevanten neuen
Erkenntnisse erwartet werden könnten (antizipierte Beweiswürdigung; RKUV 2002
Nr. U 469 S. 527 Erw. 2c mit Hinweis).

3.
3.1 Bleibt es nach dem Gesagten dabei, dass ab dem 1. September 1998 eine
natürlich kausal auf das versicherte Ereignis zurückzuführende
gesundheitliche Beeinträchtigung nurmehr in psychischer Hinsicht vorlag, ist
zu prüfen, ob hinsichtlich dieses Gesundheitsschadens der kumulativ zum
natürlichen erforderliche adäquate Kausalzusammenhang ebenfalls erfüllt ist.

Hiefür wird bei psychischen Unfallfolgen unterschieden zwischen leichten
Unfällen, bei welchen der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel ohne
weiteres verneint werden kann, schweren Unfällen, bei welchen die Adäquanz in
der Regel zu bejahen ist, und den Unfällen im dazwischen liegenden mittleren
Bereich, bei welchen für die Adäquanzbeurteilung zusätzliche Kriterien zu
prüfen sind (BGE 115 V 139 f. Erw. 6a - c/aa und seitherige Entscheide).

3.2  Was den Ablauf des Unfalles vom 16. August 1997 betrifft, steht fest,
dass die Versicherte zusammen mit einer weiteren Pflegeperson eine
schwergewichtige Patientin vom Rollstuhl ins Bett transferieren wollte. Es
wurde versucht, die Patientin hiefür zum Stehen zu bringen. Die Patientin
fiel dann nach vorne gegen die Versicherte, welche sie aufzufangen versuchte
und dabei das Gewicht der Patientin auf sich nahm. Bei diesem Vorgang
verletzte sich die Versicherte an der Lendenwirbelsäule.
Dieses Geschehen ist mit Unfallversicherer und Vorinstanz als lediglich
leichter Unfall zu betrachten, welcher nicht geeignet ist, eine wesentliche
psychische Gesundheitsschädigung auszulösen.

In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, der Vorgang sei
damit noch nicht beendet gewesen. Die Patientin habe sich an der Versicherten
festgehalten, sie zum Stürzen gebracht und sei schliesslich auf ihr gelegen.
Im Wesentlichen die gleiche Darstellung findet sich im ZMB-Gutachten vom 8.
Februar 2001 und in der Einsprache vom 30. Juni 2001. Dem steht indessen
gegenüber, dass das Spital Y.________, welches die Versicherte unmittelbar
nach dem Unfall am 16. August 1997 aufgesucht hatte, zwar von einem
Verhebetrauma beim Transferieren einer Patientin spricht, aber weder einen
Sturz der Versicherten erwähnt, noch dass die Patientin auf dieser zu liegen
gekommen sei (Eintrittsbericht vom 18. August 1997). Hinweise auf derartige
Geschehensmomente finden sich auch nicht in der Unfallmeldung vom 26. August
1997 und den späteren Akten. Von besonderer Bedeutung sind sodann die
Aussagen der Versicherten und der zweiten Pflegeperson anlässlich der
Parteiverhandlung vom 1. März 2000 vor dem kantonalen Gericht. Danach liess
die Versicherte die Patientin nach dem vergeblichen Versuch, sie aufzufangen,
zu Boden gleiten resp. legte sie mit Hilfe der Mitarbeiterin auf den Boden.
Davon, dass die Versicherte selber stürzte oder dass die Patientin auf ihr zu
liegen gekommen wäre, war auch hier keine Rede. Dass sich Entsprechendes
ereignet hat, lässt sich bei der dargelegten Aktenlage nicht mit dem im
Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit Hinweisen) bejahen. Es kann
daher auch offen bleiben, ob sich andernfalls eine andere Beurteilung der
Unfallschwere rechtfertigen würde.

Bleibt es demnach bei der Qualifizierung des Unfalles als leicht, ist der
adäquate Kausalzusammenhang zur psychischen Beeinträchtigung, und damit die
Leistungspflicht des Unfallversicherers hiefür, zu verneinen.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung
kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die
Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu
bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw.
5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG
aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu
leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Frau Advokatin
Stefanie Mathys-Währer, Liestal, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit,
Abteilung Kranken- und Unfallversicherung, zugestellt.

Luzern, 26. Juli 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: