Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 45/2003
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U 45/03

Urteil vom 21. Oktober 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger und Ursprung;
Gerichtsschreiber Lanz

H.________, 1967, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecherin Daniela
Mathys, Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern,

gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft Laupenstrasse 27, 3001 Bern,
Beschwerdegegnerin,

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 21. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1967 geborene H.________ war ab 1. November 1996 als Fitnessinstruktorin
in einem Trainingscenter angestellt und damit bei der Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft (vormals Berner Allgemeine
Versicherungs-Gesellschaft, nachstehend Allianz) obligatorisch gegen die
Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 14. Februar 1998
rutschte sie beim Befahren einer Skipiste mit dem Snowboard auf einer
vereisten Stelle aus. Sie stürzte, fiel auf die linke Schulter und erhielt
einen Schlag an den Kopf. Am darauf folgenden Tag fuhr die Versicherte erneut
Snowboard und wurde von einem Skiliftbügel am Hinterkopf getroffen. In der
Folge war sie in variierendem Masse arbeitsunfähig. Der am 17. Februar 1998
aufgesuchte erstbehandelnde Arzt diagnostizierte nach Einholen eines
neurologischen Konsiliums vom 31. März 1998 mit Bericht vom 5. Mai 1998 ein
traumatisches Cervicalsyndrom "i.S. Schleudertrauma". Die Allianz kam für die
Heilbehandlung auf und erbrachte Taggelder. Nach Beizug weiterer Arztberichte
(worunter Gutachten des Dr. med. M.________, Spezialarzt für Orthopädische
Chirurgie FMH, vom 3. November 1999 und des Dr. med. F.________, Spezialarzt
für Neurologie FMH, vom 4. Dezember 2000) stellte sie mit Verfügung vom 23.
Oktober 2001 die Leistungen rückwirkend ab 1. August 2001 ein, weil keine
adäquat kausalen Folgen des Unfallereignisses vom 14. Februar 1998 mehr
vorlägen. Die Versicherte und deren Krankenkasse erhoben Einsprache, wobei
letztere die Einsprache wieder zurückzog. Mit Einspracheentscheid vom 28.
Februar 2002 hielt der Unfallversicherer an der Verfügung fest.

B.
Die von H.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 21.
Januar 2003 ab.

C.
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei der Unfallversicherer zu
verpflichten, ihr auch nach dem 1. August 2001 die gesetzlichen Leistungen,
worunter Rentenleistungen und eine Integritätsentschädigung, auszurichten.
Die Allianz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden
(Krankheit, Invalidität, Tod) im Allgemeinen (BGE 112 V 32, 107 V 176 f. Erw.
4b; ferner BGE 125 V 461 f. Erw. 5a, 119 V 337 f. Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b,
je mit Hinweisen) sowie bei Unfallfolgen nach Schleudertrauma der
Halswirbelsäule (HWS) und schleudertraumaähnlichen Verletzungen (BGE 117 V
359; RKUV 2000 Nr. U 395 S. 317 Erw. 3 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 103
Erw. 5b/bb mit Hinweisen) im Besonderen zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 28. Februar
2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
Es steht nach Lage der medizinischen Akten fest und ist unbestritten, dass
die Versicherte an den Folgen eines natürlich kausal auf die Unfallereignisse
vom 14. und 15. Februar 1998 zurückzuführenden Schleudertraumas der HWS resp.
einer vergleichbaren Verletzung leidet.

Uneins sind sich die Verfahrensbeteiligten zunächst darüber, ob eine durch
den Unfall verursachte Gesundheitsschädigung organisch nachweisbar ist oder
nicht. Diese Frage kann indessen offen bleiben, wenn der adäquate
Kausalzusammenhang nach der nicht zwischen physischen und psychischen
Unfallfolgen unterscheidenden Adäquanzprüfung bei Schleudertrauma und
schleudertraumaähnlichen Verletzungen (BGE 117 V 359, auch zum Folgenden)
ohnehin zu bejahen ist. Denn in diesem Fall kommt einem organischen
Gesundheitsschaden im Bereich der HWS, falls er wirklich bestehen sollte,
keine eigenständige Bedeutung zu, solange er nicht zu Beschwerden führt, die
ausserhalb des typischen bunten Beschwerdebildes nach Schleudertraumen der
HWS oder ihnen gleichgestellten Verletzungen liegen und ihnen daher nicht
zuzurechnen sind. Dass die von der Versicherten behauptete organische
Gesundheitsschädigung mit einer solchen, nicht zum typischen Beschwerdebild
gehörenden Symptomatik verbunden sei, wird in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht geltend gemacht und findet auch in den
Akten keine Stütze. Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin im
Übrigen in ihrer offenbaren Auffassung, wonach bei Vorliegen eines organisch
nachweisbaren Gesundheitsschadens und gegebenem natürlichem
Kausalzusammenhang zum Unfallereignis die Adäquanz nicht gesondert zu prüfen,
sondern ohne weiteres mit zu bejahen sei. Der hiezu von ihr angeführte BGE
122 V 415 besagt im Gegenteil, dass auch in diesem Falle eine Adäquanzprüfung
vorzunehmen ist.

3.
Das kantonale Gericht hat die beiden Ereignisse vom 14. und 15. Februar 1998
als einen Unfall behandelt und auf den adäquaten Kausalzusammenhang hin
untersucht. Nachdem die Vorfälle zeitlich dicht aneinander folgten und beide
den Kopf und die Halswirbelsäule betrafen, ist dies nicht zu beanstanden. Die
Parteien haben hiegegen auch nichts eingewendet.

3.1 Bei der Adäquanzbeurteilung nach Unfällen mit Schleudertrauma der HWS und
schleudertraumaähnlichen Verletzungen wird, in analoger Anwendung der
Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133), unterschieden
zwischen banalen bzw. leichten Unfällen einerseits, schweren Unfällen
anderseits und dem dazwischen liegenden mittleren Bereich (BGE 117 V 366 Erw.
6a).

Mit der Vorinstanz ist der Unfall vom 14./15. Februar 1998 aufgrund des
Geschehensablaufes und der Verletzungen, die sich die Beschwerdeführerin
dabei zuzog, im mittleren Bereich einzureihen. Im mittleren Bereich kann er
den leichteren Unfällen zugerechnet werden. Entgegen dem kantonalen Entscheid
ist er aber doch zu gewichtig, um ihn im Grenzbereich zu den leichten
Unfällen anzusiedeln.

Die Allianz war im Einspracheverfahren derselben Meinung. Letztinstanzlich
qualifiziert sie den Unfall hingegen nur noch als leicht. Anders als bei den
von ihr zum Vergleich erwähnten Präjudizien, in welchen das Eidgenössische
Versicherungsgericht einen Treppensturz (Urteil S. vom 18. Januar 2000, U
51/99; unveröffentlichtes Urteil H. vom 17. September 1996, U 154/95) und ein
Ausrutschen beim Arbeiten auf dem Eis (Urteil J. vom 27. August 2001, U
155/01) als leichte Unfälle qualifizierte, gilt es vorliegend aber zu
beachten, dass beim Sturz der Beschwerdeführerin mit dem Snowboard auf
vereister Piste eine nicht zu unterschätzende kinetische Energie im Spiele
war. Dr. med. M.________ geht im Gutachten vom 3. November 1999 von einem
Sturz "mit grosser Fahrt" aus. Sodann hat die Allianz in der vorinstanzlichen
Vernehmlassung von einem Unfall bei "rassiger Snowboard-Traverse auf einer
eisigen Partie" gesprochen und der Darstellung der Versicherten, wonach der
Unfall "bei schneller Fahrt" erfolgt sei, nicht opponiert. Eine vergleichbare
Bewegungsenergie lag den von der Beschwerdegegnerin zu ihrer Argumentation
eines leichten Unfalles genannten Fällen nicht zu Grunde.

3.2 Von den weiteren, objektiv erfassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in
Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche
als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 117
V 367 Erw. 6a, 115 V 140 Erw. 6c/aa), müssten demnach für eine Bejahung des
adäquaten Kausalzusammenhangs entweder ein einzelner in besonders
ausgeprägter Weise oder aber mehrere gegeben sein (BGE 117 V 367 f. Erw. 6b,
115 V 140 f. Erw. 6c/aa und bb). Die Vorinstanz führt in diesem Zusammenhang
mit Hinweis auf RKUV 1998 Nr. U 297 S. 243 aus, es sei in der Regel das
Vorliegen von vier Kriterien zu verlangen. Dies trifft zwar für einen
leichten Fall, wie er dort zu beurteilen war, zu. Hingegen ist nicht
ausgeschlossen, dass bei einem mittleren Unfall, wie er hier gegeben ist, je
nach Gewicht der erfüllten Kriterien ausnahmsweise nur drei für die Bejahung
der Adäquanz genügen können.

3.2.1 Das Kriterium der Dauerbeschwerden erachten beide Parteien zu Recht als
gegeben. Ebenfalls zu bejahen ist das Kriterium der besonderen Art und
Schwere der erlittenen Verletzungen. Denn zum einen wurden Kopf und Hals
nicht nur am 14./15. Februar 1998, sondern ein weiteres Mal anlässlich eines
Auffahrunfalles am 31. August 1998 in Mitleidenschaft gezogen. Der letzte
Unfall hatte zwar keine bleibenden Folgen, warf aber nach ärztlicher
Einschätzung die Versicherte in ihrem ohnehin protrahierten Heilungsvorgang
um drei Monate zurück. Zum anderen wurde die Beschwerdeführerin als sehr
aktive Sportlerin (nicht nur freizeitlich, sondern auch beruflich) durch den
Unfall besonders hart getroffen, da sie die Tätigkeit der Fitnessinstruktorin
nicht mehr aktiv, d.h. mit eigenem Vorturnen, ausüben kann (Gutachten Dr.
med. F.________ vom 4. Dezember 2000). Erfüllt ist sodann auch das Kriterium
der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung. Die Versicherte war
bei mehreren Ärzten in - teils längerer, teils kürzerer - Behandlung, welche
nach Lage der Akten bis 17. April 2001 ausgewiesen ist. Dies entspricht einer
Dauer von mehr als zwei Jahren nach dem Unfall. Daneben wurde die
Beschwerdeführerin physiotherapeutisch, atlaslogistisch, kineologisch und
kinesiologisch behandelt. Schliesslich war die Versicherte in
unterschiedlichem Ausmass (100 %, 50 %, 25 %, dann wieder zu 100%) und ab 25.
Juni 1999 auf unbestimmte Zeit zu 25 % arbeitsunfähig. Angesichts der
unbestimmten Dauer dieser teilweisen Arbeitsunfähigkeit muss das Kriterium
der langen Dauer der Arbeitsunfähigkeit ebenfalls als erfüllt betrachtet
werden (vgl. die Zusammenfassung der Rechtsprechung in RKUV 2001 Nr. U 442 S.
544).

3.2.2 Aufgrund dieser Tatsachen ist die Adäquanz des Kausalzusammenhangs
entgegen der Vorinstanz und dem Unfallversicherer zu bejahen. Denn eine
Gesamtwürdigung des Unfallgeschehens und der unfallbezogenen Kriterien
ergibt, dass den Unfällen vom 14./15. Februar 1998 für die über den 1. August
2001 hinaus anhaltende gesundheitliche Beeinträchtigung mit Einschränkung der
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit eine massgebende Bedeutung zukommt. Es wird
Aufgabe der Allianz sein, an welche die Sache zurückzuweisen ist, die daraus
resultierenden Leistungen festzusetzen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 21. Januar 2003
und der Einspracheentscheid vom 28. Februar 2002 aufgehoben werden und die
Sache an die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft zur Festsetzung der
Leistungen zurückgewiesen wird.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft hat der Beschwerdeführerin für
das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 21. Oktober 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: