Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 349/2003
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U 349/03

Urteil vom 11. März 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Jancar

A.________, Beschwerdeführer,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, als Versicherungsgericht,
Frauenfelderstrasse 16, 8570 Weinfelden, Beschwerdegegner

(Entscheid vom 5. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Rechtsanwalt A.________ wurde im Beschwerdeverfahren des R.________ gegen den
Einspracheentscheid der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend Allianz) vom 25. Februar 2003 durch das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau als Versicherungsgericht als unentgeltlicher Rechtsbeistand
ernannt. Mit Entscheid vom 5. November 2003 trat das kantonale Gericht auf
die Beschwerde nicht ein und überwies sie zuständigkeitshalber an das
Obergericht des Kantons Schaffhausen. Es setzte das Honorar von Rechtsanwalt
A.________ als unentgeltlicher Rechtsbeistand auf Fr. 500.- zuzüglich 7,6 %
Mehrwertsteuer fest (Dispositiv Ziff. 4).

B.
Rechtsanwalt A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
in Aufhebung von Ziff. 4 des Dispositivs des kantonalen Entscheides sei die
Vorinstanz zu verpflichten, eine angemessene Prozessentschädigung
festzusetzen.

Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Art. 29 Abs. 3 BV räumt jeder Person, die nicht über die erforderlichen
Mittel verfügt, unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ein.

Gemäss Art. 61 Ingress Satz 1 des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
vom 6. Oktober 2000 bestimmt sich das Verfahren vor dem kantonalen
Versicherungsgericht unter Vorbehalt von Art. 1 Abs. 3 VwVG nach kantonalem
Recht, das bestimmten bundesrechtlichen Anforderungen zu genügen hat. So
sieht lit. f dieser Bestimmung vor, dass das Recht, sich verbeiständen zu
lassen, gewährleistet sein muss (Satz 1). Wo die Verhältnisse es
rechtfertigen, wird der Beschwerde führenden Person ein unentgeltlicher
Rechtsbeistand bewilligt (Satz 2). Mit Inkraftsetzung des neuen Rechts ist
der materiell gleich lautende Art. 108 lit. f UVG aufgehoben worden. Nach dem
Willen des Gesetzgebers hat sich inhaltlich nichts geändert, so dass die
bisherige Rechtsprechung zur unentgeltlichen Verbeiständung und zur Bemessung
der Entschädigung weiterhin anwendbar ist (vgl. auch Urteil D. vom 21. August
2003 Erw. 2.1, H 106/03; BBl 1999 V 4627; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich
2003, Art. 61 Rz 86 ff.; Ulrich Meyer-Blaser, La LPGA - les règles de
procédure judiciaire, in: Kahil-Wolff (Ed.), La partie générale du droit des
assurances sociales, Institut de recherches sur le droit de la responsabilité
civile et des assurances, Colloque de Lausanne 2002, S. 32 und 34; derselbe,
Die Rechtspflegebestimmungen des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts, in: Haftung und Versicherung HAVE, Heft 5/2002, S.
333 f.).

2.
Die bundesrechtliche Verfügungsgrundlage (vgl. Art. 5 VwVG in Verbindung mit
Art. 97 Abs. 1 und Art. 128 OG) ist gegeben. Sodann ist der unentgeltliche
Rechtsbeistand legitimiert, gegen die Festsetzung seines Honorars durch die
kantonale Rekursbehörde Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen (BGE 110 V
363 Erw. 2; SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 5 Erw. 1; Kieser, a.a.O., Art. 61 Rz 92).
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach einzutreten.

3.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

4.
4.1 Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid ausgeführt, auf Grund des
Aufwandes - beschränkt auf das vorliegende Verfahren - scheine eine
Entschädigung von Fr. 500.- angemessen. Letztinstanzlich bringt sie vor, sie
habe die Entschädigung ausdrücklich "beschränkt auf das vorliegende
(Nichteintretens)-Verfahren" mit Fr. 500.- bemessen. Sie sei sich bewusst
gewesen, dass die Entschädigung bei materieller Beurteilung viel höher
anzusetzen wäre. Diese Beurteilung sei jedoch dem zuständigen Obergericht des
Kantons Schaffhausen vorbehalten. Die Beschwerde sowie die Replik bzw. die
Beschwerdeantwort und Duplik könnten praktisch vollumfänglich im
nachfolgenden Verfahren verwendet werden, so dass hiefür kein neuer Aufwand
entstehe. Es wäre nicht angemessen, dem Beschwerdeführer für die praktisch
gleiche Arbeit eine zweifache Entschädigung im Rahmen der unentgeltlichen
Verbeiständung zuzusprechen.

4.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die Frage der
Zuständigkeit nicht sofort nach Einreichung der Beschwerde überprüft, sondern
einen doppelten Schriftenwechsel durchgeführt, in dem die Parteien ihre
Standpunkte ausführlich dargelegt hätten. Unter diesen Umständen sei die ihm
zugesprochene Entschädigung geradezu minimalistisch.

5.
5.1 Unbestritten ist, dass die Vorinstanz die Sache zu Recht an das
Obergericht des Kantons Schaffhausen überwiesen hat, da der Versicherte zur
Zeit der Beschwerdeeinreichung durch die Vormundschaftsbehörde X.________ im
Kanton Q.________ bevormundet war und somit daselbst seinen Wohnsitz hatte.
Sein Aufenthalt im Wohnheim Y.________ begründete keinen Wohnsitz (Art. 58
Abs. 1 und 3 ATSG; Art. 25 Abs. 2, Art. 26 und Art. 377 Abs. 1 ZGB).

5.2 Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass es - vorbehältlich des in
Erwägung 6 Gesagten - Aufgabe des zuständigen Obergerichts des Kantons
Schaffhausen ist, mit dem Entscheid in der Hauptsache auch über die
Verfahrens- und Parteikosten zu befinden. Denn Art. 58 Abs. 3 ATSG, der die
Überweisung vom unzuständigen an das zuständige Versicherungsgericht
vorschreibt, sieht keine Zweiteilung des Verfahrens in dem Sinne vor, dass
das unzuständige Gericht separat über die Kosten der bei ihm zu Unrecht
eingereichten Beschwerde entscheidet. Dies ergibt sich auch daraus, dass die
Kostenverlegung vom Entscheid in der Hauptsache abhängt. Falls der
Beschwerdeführer materiell obsiegen sollte, wird ihm eine Parteientschädigung
zu Lasten der Allianz zugesprochen. Bei materiellem Unterliegen des
Beschwerdeführers kann das Obergericht des Kantons Schaffhausen unabhängig
vom Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau über den Anspruch
auf unentgeltliche Verbeiständung befinden. Im Falle der Bestimmung der Höhe
des Anwaltshonorars, sei es im Rahmen der Parteientschädigung oder der
unentgeltlichen Verbeiständung, wird das Obergericht des Kantons Schaffhausen
die Bemühungen des Anwalts für die Erstellung der (fälschlicherweise) bei der
Vorinstanz eingereichten Rechtsschriften zu berücksichtigen haben.

6.
6.1 Nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz die Bemühungen des
Beschwerdeführers im Rahmen des Nichteintretensverfahrens separat entschädigt
hat. Zu prüfen ist, wie es sich mit der Höhe der hiefür zugesprochenen
Entschädigung von Fr. 500.- verhält.

6.2 Die Bemessung der Entschädigung an den unentgeltlichen Rechtsbeistand ist
mangels bundesrechtlicher Bestimmung dem kantonalen Recht überlassen (Kieser,
a.a.O., Art. 61 Rz 92), mit welchem sich das Eidgenössische
Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen hat (Art. 128 OG in
Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 Abs. 1 VwVG). Es darf die Höhe
der Entschädigung nur daraufhin überprüfen, ob die Anwendung der für ihre
Bemessung einschlägigen kantonalen Bestimmungen, sei es bereits auf Grund
ihrer Ausgestaltung oder aber auf Grund des Ergebnisses im konkreten Fall
(RKUV 1993 Nr. U 172 S. 144), zu einer Verletzung von Bundesrecht geführt hat
(Art. 104 lit. a OG). Dabei fällt praktisch nur das früher aus Art. 4 Abs. 1
aBV abgeleitete, nunmehr in Art. 9 BV verankerte Willkürverbot in Betracht
(BGE 125 V 408 Erw. 3a mit zahlreichen Hinweisen; SVR 2001 AHV Nr. 4 S. 11
Erw. 2). Nach der Rechtsprechung, die auch unter der Herrschaft des Art. 9 BV
gilt (SVR 2001 AHV Nr. 4 S. 12 Erw. 2 am Ende), ist eine Entschädigung dann
willkürlich, wenn sie eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen
Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt, sich mit sachlichen Gründen
schlechthin nicht vertreten lässt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 125 V 409 Erw. 3a mit Hinweisen; SVR
2002 ALV Nr. 3 S. 6 Erw. 4a).

Praxisgemäss ist dem erstinstanzlichen Gericht bei der Bemessung der
Entschädigung ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen. Ermessensmissbrauch
(Art. 104 lit. a OG) liegt vor, wenn die Behörde zwar im Rahmen des ihr
eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der
massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder allgemeine
Rechtsprinzipien, wie das Verbot der Willkür oder rechtsungleicher
Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit verletzt. Im Rahmen seines Ermessens hat das
erstinstanzliche Gericht für die Bestimmung der Höhe des Anwaltshonorars die
Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache, den Umfang der Arbeitsleistung
und den Zeitaufwand des Anwalts zu berücksichtigen. Dabei kann das
durchschnittliche Anwaltshonorar je nach der kantonalen
Anwaltsgebühren-Regelung willkürfrei innerhalb einer relativ weiten
Bandbreite von Fr. 160.- bis Fr. 320.- pro Stunde (eingeschlossen die
Mehrwertsteuer; vgl. dazu auch BGE 125 V 201) festgesetzt werden (SVR 2002
ALV Nr. 3 S. 6 Erw. 4b und c).

Bei Erlass des angefochtenen Entscheides gab es im Kanton Thurgau keinen auf
Gesetzes- oder Verordnungsstufe festgelegten Tarif für die Bemessung der
Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes.

6.3 Hinsichtlich der Zuständigkeit der Vorinstanz stellte sich einzig die
Rechtsfrage nach dem Wohnsitz des im Kanton Q.________ bevormundeten, in
einem Wohnheim im Kanton Thurgau sich aufhaltenden Versicherten.
Diesbezüglich besteht eine klare gesetzliche Regelung (Erwägung 5.1 hievor).
Der Aufwand des Anwalts zu diesem Punkt beschränkte sich auf eineinhalb
Seiten der vorinstanzlichen Beschwerde. Unter diesen Umständen erweist sich
die Entschädigung von Fr. 500.- keineswegs als willkürlich.

7.
Streitigkeiten im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Rechtspflege
unterliegen grundsätzlich nicht der Kostenpflicht, weshalb keine
Gerichtskosten zu erheben sind (SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 7 Erw. 5).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesamt für Gesundheit (BAG),
R.________, und der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft  zugestellt.

Luzern, 11. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: