Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 344/2003
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U 344/03

Urteil vom 9. Dezember 2004
III. Kammer

Bundesrichter Rüedi, Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Traub

M.________, 1977, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Helsana-advocare,
Birmensdorferstrasse 94, 8003 Zürich,

gegen

Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft, Bundesgasse 35, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher René W. Schleifer,
Stampfenbachstrasse 42, 8006 Zürich

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 13. November 2003)

Sachverhalt:

A.
M.________, geb. 1977, stürzte am 24. Mai 1999 beim Inline-Skaten und zog
sich dabei ein Überstreckungstrauma der Halswirbelsäule zu. Zwei Tage danach
begab sie sich in ärztliche Behandlung (chiropraktische Massnahmen, aktive
Physiotherapie), welche zunächst bis zum 5. August 1999 dauerte. Nach einem
rund neunmonatigen Unterbruch nahm M.________ ab dem 8. Mai 2000 wegen
gleichartiger Beschwerden erneut ärztliche Hilfe in Anspruch.

Die Schweizerische Mobiliar-Versicherungsgesellschaft als obligatorischer
Unfallversicherer übernahm die Kosten der Heilbehandlung bis zum 5. Dezember
2000. Mit - durch Einspracheentscheid vom 3. Oktober 2002 bestätigter -
Verfügung vom 9. August 2001 lehnte der Unfallversicherer weitere Leistungen
ab, weil der Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den ab Mai 2000
aufgetretenen Beschwerden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu verneinen
sei.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 13. November 2003).

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
die Beschwerdegegnerin sei, unter Aufhebung von Einsprache- und
vorinstanzlichem Entscheid, zu verpflichten, ihr (weiterhin) die gesetzlichen
Leistungen auszurichten; eventuell sei die Sache zur weiteren Abklärung
(Gerichtsgutachten) an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Schweizerische Mobiliar-Versicherungsgesellschaft schliesst auf Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet
auf Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig ist, ob zwischen dem Unfall vom 24. Mai 1999 und gesundheitlichen
Beeinträchtigungen im Bereich von Schulter, Nacken und Halswirbelsäule,
soweit sie über den 5. Dezember 2000 hinausreichen, noch ein natürlicher
Kausalzusammenhang besteht.

2.
Das kantonale Gericht hat die Grundsätze zum natürlichen Kausalzusammenhang
zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden, für welchen Leistungen
beansprucht werden (Art. 6 UVG; BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1 mit
Hinweisen), zum Leistungsanspruch bei Rückfällen und Spätfolgen (Art. 11 UVV;
BGE 118 V 296 Erw. 2c) sowie zum Beweismass der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b, 125 V 195 Erw. 2) zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Nachdem die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 26. Mai 1999 bis zum 5.
August 1999 wegen eingeschränkter Beweglichkeit und anderer Beschwerden im
Bereich der Halswirbelsäule in chiropraktischer Behandlung gewesen war, nahm
sie erst ab dem 8. Mai 2000 wieder ärztliche Hilfe in Anspruch. Die
Unfallkausalität der Beschwerden, wie sie nach dem neun Monate dauernden
behandlungsfreien Intervall verzeichnet wurden, wird in den medizinischen
Stellungnahmen kontrovers beurteilt: Der behandelnde Chiropraktor Dr.
U.________ geht - im Wesentlichen unter Verweis auf die grosse Ähnlichkeit
mit den unmittelbar nach dem Unfall erhobenen Befunden - davon aus, die ab
Mai 2000 auftretenden Beschwerden stünden noch in einem kausalen Zusammenhang
mit den Einwirkungen des Unfallereignisses vom 24. Mai 1999 (Bericht vom 10.
September 2003). Gemäss neurologischer Fachmeinung besteht eine myofasziale,
also die Muskulatur und deren bindegewebige Hüllen betreffende Symptomatik
(Bericht des Dr. H.________ vom 16. Oktober 2001), nachdem im November 2000
durchgeführte Computertomographien keine Hinweise auf eine Nervenquetschung
oder einen Bandscheibenvorfall lieferten und sich am zerviko-kranialen
Übergang normale anatomische Verhältnisse fanden. Im Untersuchungsbericht
wird die Hypomobilität (eingeschränkte Beweglichkeit) gewisser Segmente der
Halswirbelsäule einer muskulären Dysbalance zugeschrieben (so im Übrigen auch
die aktengestützte Auffassung des Vertrauensarztes der Beschwerdegegnerin,
des Neurologen Dr. E.________ [Bericht vom 13. Juni 2001]).

3.2
3.2.1Die muskuläre Dysbalance im Bereich von Nacken und Schulter und ihre
typischen Folgen (wie Instabilität und Hypomobilität der Halswirbelsäule,
Spannungskopfschmerzen) sind - auch unter jüngeren Personen - überaus
weitverbreitet, dies speziell als Folge sitzender Tätigkeiten ohne
Wechselbelastung (vgl. zur muskulären Dysbalance  als vermuteter Ursache die
in Erw. 3.1 hievor zitierten Arztberichte; dazu auch Reto Agosti, Zervikales
Kopfweh - Science oder Fiction?, in: Schweizerische Ärztezeitung 2000 S.
1176; Bernd Hartmann, Rückenschmerzen am Arbeitsplatz - Ursachen und
Konsequenzen für den Betriebsarzt, in: Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 2003
S. 572). Die latente Gegenwart einer solchen alternativen Ätiologie des
Zervikalsyndroms stellt - in Verbindung mit der im Einzelfall fehlenden
Objektivierbarkeit unfallspezifischer Verletzungen - den Kausalzusammenhang
mit einem Unfall, welcher den Zervikalbereich in Mitleidenschaft zieht,
zunehmend in Frage, sobald dieser infolge wachsender zeitlicher Distanz nicht
mehr als dominanter Grund - oder zumindest als auslösender Faktor -
erscheint.

Bei Symptomen, die gleich oder ähnlich geartet sind wie ein früheres,
zwischenzeitlich weitgehend abgeklungenes oder verschwundenes Beschwerdebild,
erhält sich die kausale Signifikanz des Unfallereignisses beim Fehlen einer
erkennbaren unfallspezifischen Schädigung nur solange, als potentiell
konkurrierenden Ursachen vernünftigerweise keine vorrangige Bedeutung
zugewiesen werden kann. Nachdem eine längerdauernde Beschwerdefreiheit
eingetreten ist, entfällt die Massgeblichkeit des Unfalls mit Bezug auf das
Vorhandensein der gesundheitlichen Beeinträchtigung regelmässig.
Beschwerdefreiheit allein ist freilich nicht grundsätzlich mit dem Erreichen
des Status quo sine gleichzusetzen, ansonsten Rückfälle schon rein
begrifflich ausgeschlossen wären.

3.2.2 Sofern ein Zervikalsyndrom im Rahmen der Kausalitätsprüfung keinen
unfallspezifischen Verletzungen zugeordnet werden kann und kein
Schleudertrauma der Halswirbelsäule oder "äquivalenter" Mechanismus (RKUV
2000 Nr. U 395 S. 317 Erw. 3) vorliegt, gilt das Unfallereignis im Hinblick
auf die zeitlich unmittelbar folgenden Beschwerdesymptome nicht als
eigentliche Ursache, aufgrund welcher der Unfallversicherer grundsätzlich
auch für Rezidive (d.h. - medizinisch gesprochen - das Neuauftreten einer
Krankheit nach deren Abheilung) aufzukommen hätte, sondern als (blosser)
auslösender Faktor. Die Unfallversicherung übernimmt alsdann den durch das
Ereignis ausgelösten Beschwerdeschub, spätere Rezidive dagegen nur, wenn
eindeutige Brückensymptome gegeben sind (vgl. in RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101
nicht veröffentlichte Erw. 3b des Urteils S. vom 29. Dezember 2000, U 170/00,
mit zahlreichen Hinweisen). Würde auf dieses Erfordernis verzichtet, so wäre
die Abgrenzung zum alternativ verursachten Leiden kaum je zu bewerkstelligen,
sobald einmal ein entsprechendes Unfallereignis eingetreten ist.

3.3 Die Frage, ob die Beschwerdeführerin in der Zeit, während der sie keine
Behandlung in Anspruch genommen hat, weiterhin unter den nach dem Unfall
aufgetretenen Beschwerden litt oder nicht, ob der im Streit liegende Zeitraum
mithin unter dem Blickwinkel des Grundfalls oder eines Rückfalls (mit oder
ohne Brückensymptome) zu betrachten ist, hat hier keine entscheidwesentliche
Bedeutung. Denn so, wie neue - unfallfremde - Gründe für ein
Beschwerderezidiv verantwortlich sein können, ist es auch bei ununterbrochen
anhaltenden Symptomen möglich, dass nach und nach eine andere Ursache an die
Stelle des Unfalls tritt und diesen als massgebenden kausalen Faktor ablöst.

Selbst wenn die Beschwerdeführerin in der mehrmonatigen Phase, während der
keine medizinische Behandlung erforderlich war, gelegentlich unter
einschlägigen Beschwerden litt, kommt diesen nicht die Eigenschaft
eindeutiger Brückensymptome zu; jedenfalls waren sie im Zeitraum von August
1999 bis April 2000 nicht so erheblich, dass eine Behandlung erforderlich
war. Zu keinem anderen Schluss führen eine bis zum Unfall gegebene generelle
Beschwerdefreiheit und fehlende Anzeichen einer Vorschädigung (vgl. das
Arztzeugnis des Dr. U.________ vom 22. September 2000), denn eine organische
Schädigung liess sich auch nach dem Unfall nicht objektivieren. Ebensowenig
kann im vorliegenden Kontext anhand der Übereinstimmung des Beschwerdebildes
eine überwiegend wahrscheinliche Kausalität hergeleitet werden: Gemäss
Bericht des Dr. U.________ vom 10. September 2003 waren die Befunde und
Symptome (im Wesentlichen eine segmentale Dysfunktion des
Halswirbelsäulengelenks C2/3) ab Mai 2000 zwar ähnlich beschaffen wie
diejenigen nach dem Unfall vom 24. Mai 1999. Indes ist der Zusammenhang mit
dem versicherten Ereignis durch das beschriebene Intervall in Verbindung mit
der Unmassgeblichkeit allfälliger Brückensymptome soweit gelockert, dass zu
allen übrigen Fällen mit gleichem Beschwerdebild kein signifikanter
Unterschied der ätiologischen Ausgangslage mehr besteht. Ein solcher könnte
allenfalls bei ungewöhnlicher Therapieresistenz angenommen werden. Die
Versicherte sprach indes jeweils ausgesprochen gut und rasch auf die
chiropraktische Behandlung an. Der vom behandelnden Arzt geäusserte
Erfahrungssatz, dass Patienten, die nach Verletzungen der Halswirbelsäule
schnell beschwerdefrei würden, in der Folge hin und wieder leichte Rückfälle
erlitten, die mit jeweils wenig therapeutischem Aufwand gut besserten, vermag
die erforderliche Evidenz einer natürlichen Unfallkausalität nicht zu
begründen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 9. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: