Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 341/2003
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U 341/03

Urteil vom 17. September 2004

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Meyer,
Lustenberger und Ursprung; Gerichtsschreiber Grünvogel

Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Talackerstrasse 1, 8152 Opfikon,
Beschwerdeführerin,

gegen

R.________, 1955, Beschwerdegegnerin,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 25. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1955 geborene R.________ arbeitet seit 1975 als Dentalhygienikerin. Auf
Grund ihrer Anstellung in der Zahnarztpraxis Dr. med. dent. S.________ ist
sie bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Zürich)
obligatorisch gegen Unfälle und Berufskrankheiten versichert. Durch ihren
Arbeitgeber liess sie am 30. April 2001 einen während der Zahnreinigung
aufgetretenen, vom Nacken und der Schulter bis zum Ellbogen verlaufenden
Schmerz melden. Die Zürich holte beim Schadensinspektor F.________ einen auf
der Grundlage eines Gesprächs mit R.________ beruhenden Bericht vom 26.
September 2001 ein. Am 21. Januar 2002 teilte ihr die Zürich mit:
"Das Krankheitsbild 'Epicondylitis' gab in den vergangenen Jahr (recte: -en)
mehrmals (...) Anlass, die genaue Ursache dieses Krankheitsbild (recte: -es)
zu analysieren. Bis heute konnte die Verursachung dieser Krankheit durch eine
mechanische Überlastung nicht bewiesen werden. Im Weiteren haben die Ärzte
bei ihren Forschungen festgestellt, dass das Alter sowie die Konstitution
(Veranlagung) des Patienten eine grosse Rolle spielen. Es handelt sich
vielmehr um einen milden degenerativen Prozess des fibrösen Bindegewebes, wo
mehrere Muskeln einem eng umschriebenen Knochenvorsprung entspringen. Die
berufliche Tätigkeit beeinflusst das Krankheitsbild, ist bis heute aber nicht
als Verursacher dieser Krankheit anzusehen. Aus diesem Grund fehlen bis heute
die Voraussetzungen für die Übernahme einer Berufskrankheit im Sinne der
UVG-Gesetzgebung."
In diesem Sinne verfügte die Zürich, nach Beizug der Krankengeschichte, am
24. April 2002 die Ablehnung der Leistungspflicht. Mit Einspracheentscheid
vom 12. Dezember 2002 hielt sie an dieser Auffassung fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich in dem Sinne gut, dass es, unter Aufhebung des
Einspracheentscheides, die Sache an die Zürich zurückwies, damit sie, nach
ergänzenden Abklärungen, über ihre Leistungspflicht im Zusammenhang mit der
bei R.________ aufgetretenen Epicondylitis neu verfüge. Dabei wies das
kantonale Gericht auf die Möglichkeit hin, im Rahmen der Amtshilfe die
Ergebnisse des arbeitsmedizinischen Gutachtens, das aufgrund von BGE 126 V
183 vom Verwaltungsgericht des Kantons Bern eingeholt wird, zu beschaffen
(Entscheid vom 25. November 2003).

C.
Die Zürich führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung
des kantonalen Entscheides.

R.  ________ schliesst sinngemäss auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Der beigeladene Krankenversicherer Sanitas
Grundversicherungen AG wie auch das Bundesamt für Gesundheit, Abteilung
Unfallversicherung, verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 126 V 183 dargelegt hat,
entsprach es langjähriger Praxis der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA), die Epicondylitis bei Vorhandensein
bestimmter umschriebener Voraussetzungen als Berufskrankheit im Rahmen des
Auffangtatbestandes nach Art. 9 Abs. 2 UVG anzuerkennen (BGE 126 V 187 mit
Hinweis auf die von der SUVA formulierten Kriterien, publiziert in
Unfallmedizin, Heft Nr. 3/1987, Epicondylitis, S. 22 ff.). Das Eidgenössische
Versicherungsgericht hatte sich in jener Sache mit der Praxisänderung der
SUVA auseinanderzusetzen, welche auf Grund der seit 1987 betriebenen
medizinischen Ursachenforschung zur Genese der Epicondylitis radialis zum
Schluss gekommen war, dass es sich bei diesem Leiden, entgegen der
lateinischen Bezeichnung,
"nicht um ein akutes entzündliches Geschehen, sondern um degenerative
Veränderungen wie Gefässvermehrung, Degeneration des Bindegewebes und
Vermehrung von Bindegewebszellen handelt(...). Nach heutigem Wissensstand
gibt es kaum Indizien, die das Postulat untermauern würden, eine
Epicondylitis radialis werde weit überwiegend durch schwere oder repetitive
physische Arbeit verursacht. Die hohe Inzidenzrate der Erkrankung in der
allgemeinen Bevölkerung zwischen dem 35. und 55. Altersjahr spricht dagegen.
In Fachkreisen herrscht die Ansicht vor, dass eine Epicondylitis spontan
auftritt, indem sich ein milder, degenerativer Prozess des fibrösen
Bindegewebes manifestiert. Auf Grund der eindeutigen multifaktoriellen Genese
des Leidens ist es kaum je vorstellbar, dass eine Epicondylitis als
Berufskrankheit nach Art. 9 Abs. 2 UVG anerkannt werden kann."
An dieser Verwaltungspraxis beanstandete das Eidgenössische
Versicherungsgericht zwei Dinge: Einerseits, dass diese Praxis, entgegen dem
Grundsatz der Parallelität der Formen, nicht wie die alte ordnungsgemäss
veröffentlicht worden war; anderseits hielt das Gericht in der Sache fest: Ob
indessen die Argumentation der SUVA tatsächlich dem neuesten Stand der
medizinischen Wissenschaften entspricht, ob also die Voraussetzungen für eine
Änderung der Verwaltungspraxis gegeben sind (BGE 111 V 170 Erw. 5b mit
zahlreichen Hinweisen), wie sie die SUVA hier vorzunehmen im Begriff ist,
vermag das Gericht auf Grund der vorgelegten Berichte mangels eigener
Fachkenntnisse nicht abschliessend zu beantworten (BGE 126 V 191 Erw. 5b).
Unter Berücksichtigung einer ausgewiesenen besonderen beruflichen Einwirkung
während der von der Rechtsprechung verlangten längeren Arbeitsdauer (im Sinne
der Exposition) wies das Eidgenössische Versicherungsgericht in jenem Fall
die Sache zur Aktenergänzung an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
zurück zur Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens, z.B. an einer der
schweizerischen Universitätskliniken (BGE 126 V 192 Erw. 5b).

2.
2.1 In der Folge hat die SUVA ihre neue Verwaltungspraxis, d.h. die
Überlegungen, welche zum Ausschluss der Epicondylitis radialis aus dem Kreis
der versicherten Berufskrankheiten führten, im Herbst 2000 veröffentlicht
(siehe Nr. 72 der Medizinischen Mitteilungen der SUVA, S. 69-79).

2.2  Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, an welches die Sache im Fall
BGE
126 V 183 zurückgewiesen wurde, hat einen entsprechenden Gutachtensauftrag
erteilt. Die Expertise steht derzeit noch aus.

3.
3.1 Wie von der Vorinstanz zu Recht festgestellt worden ist, hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil G. vom 16. April 2002, U 207/00
(recte: U 307/00) das Grundsatzurteil BGE 126 V 183 bestätigt und im Urteil
S. vom 16. Mai 2003, U 116/01 ( recte: U 115/01), zudem erklärt, dass die
SUVA mit der Publikation ihrer geänderten Verwaltungspraxis zwar dem in BGE
126 V 183 verlangten formellen Erfordernis Rechnung getragen hat, es sich
indessen dabei bloss um einen kumulativen, zum Materiellen hinzutretenden
Gesichtspunkt handelt. Weil die inhaltliche Frage, ob die neue
Verwaltungspraxis der SUVA tatsächlich dem neuesten und herrschenden Stand
der medizinischen Forschung zur Epicondylitis entspricht, nach wie vor offen
war, bestätigte das Eidgenössische Versicherungsgericht im besagtem Urteil
den kantonalen Rückweisungsentscheid, mit welchem die
Winterthur-Versicherungen zur Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens
und zu anschliessender neuen Verfügung verpflichtet wurde. Zusätzlich wies
das Eidgenössische Versicherungsgericht auf die Möglichkeit der
Winterthur-Versicherungen hin, im Rahmen der Amtshilfe unter den auf dem
Gebiet der Unfallversicherung tätigen Behörden (Art. 101 UVG in der bis Ende
2002 gültig gewesenen Fassung; seit 1. Januar 2003: Art. 32 Abs. 2 ATSG) sich
die Resultate der durch das Verwaltungsgericht des Kantons Bern angeordneten
arbeitsmedizinischen Begutachtung zu beschaffen, soweit deren Ergebnisse über
den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind.

3.2  Anderseits hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im Anschluss an
BGE 126 V 183 in einigen Fällen von Epicondylitis radialis die
Leistungspflicht der Unfallversicherer aus Berufskrankheit abschliessend
verneint, und zwar allein gestützt auf die medizinischen Lehrmeinungen,
welche für die Änderung der Versicherungspraxis durch die SUVA
ausschlaggebend waren (RKUV 2000 Nr. U 408 S. 407; Urteil V. vom 20. März
2003, U 381/01). Darauf verweist der Unfallversicherer in seiner
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

3.3  Es kann indessen nicht angehen, dass in Epicondylitis-Fällen, die sich
durch eine wesentliche Expositionsdauer auszeichnen, die Anerkennung als
Berufskrankheit und die daraus abgeleiteten Leistungsansprüche gestützt auf
die der geänderten SUVA-Verwaltungspraxis zu Grunde liegenden medizinischen
Anschauungen verneint wird, bevor deren gerichtliche Überprüfung durch die
vom Verwaltungsgericht Bern im Anschluss an das Rückweisungsurteil BGE 126 V
183 in die Wege geleitete Begutachtung erfolgt ist oder zumindest in einem
anderen Fall die entsprechenden Abklärungen getätigt worden sind. Dies
verträgt sich nicht mit dem in BGE 126 V 183 publizierten Grundsatzurteil wie
auch jenen Urteilen (Erw. 3.1 hiervor), in denen das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Aktenergänzung anordnete und die am Recht stehenden
Versicherer oder Vorinstanzen darauf hinwies, sie könnten sich im Rahmen der
Amtshilfe das im Rückweisungsverfahren nach BGE 126 V 183 zu erstattende
Grundsatzgutachten beschaffen. An den in Erw. 3.2 erwähnten Urteilen kann
daher, solange das fragliche arbeitsmedizinische Gutachten aussteht, nicht
festgehalten werden. Gründe, die ein Abweichen von der in BGE 126 V 183
festgelegten Rechtsprechung rechtfertigen würden (BGE 129 V 292 Erw. 3.2, 373
Erw. 3.3, 127 V 273 Erw. 4a, 355 Erw. 3a, 126 V 40 Erw. 5a; zu Art. 4 Abs. 1
aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 125 I 471 Erw. 4a, 124
V 124 Erw. 6a, 387 Erw. 4c, je mit Hinweisen), sind keine ersichtlich.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Weder die unterlegene Versicherung
(Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG) noch die im eigenen Namen
prozedierende Beschwerdegegnerin haben Anspruch auf Parteientschädigung (zu
den Voraussetzungen, unter welchen eine in eigenem Namen prozedierende,
obsiegende Partei ausnahmsweise Anspruch auf eine Entschädigung hat, siehe
BGE 110 V 134 f. Erw. 4d).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen
zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der SANITAS
Grundversicherungen AG, Zürich,zugestellt.

Luzern, 17. September 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: