Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 337/2003
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U 337/03

Urteil vom 30. Juli 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Schön; Gerichtsschreiber Grünvogel

O.________, 1950, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Elda
Bugada Aebli, Bahnhofplatz 9, 8001 Zürich,

gegen

SWICA Versicherungen AG, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 22. Oktober 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene O.________ zog sich am 19. November 1996 während der Arbeit
eine Schnittwunde an der linken Innenhand zu. Rund ein Jahr später
kollidierte er am 24. Oktober 1997, auf dem Trottoir mit dem Velo fahrend,
mit einem langsam abbiegenden Personenwagen und fiel dabei auf die linke
Schulter. Für beide Unfälle war O.________ bei der SWICA
Gesundheitsorganisation (nachfolgend SWICA) versichert. Sie kam für die
Heilbehandlung auf und erbrachte Taggeldleistungen. Am 14. Juli 1998 verfügte
sie den Behandlungsabschluss auf Ende Juli 1998. Das Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen bestätigte dies bezüglich der aus dem Unfall vom 19.
November 1996 herrührenden Handbeschwerden mit Entscheid vom 14. September
2000 rechtskräftig. Gleichzeitig wies das kantonale Gericht den
Unfallversicherer an, zu den möglichen Folgen des Fahrradunfalls weitere
Abklärungen zu tätigen.

Die SWICA zog die Akten der Invalidenversicherung bei, worunter sich je ein
Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Zentralschweiz vom 6.
September 1999 und eine Expertise der MEDAS Ostschweiz vom 6. Juni 2002
befanden. Gestützt darauf lehnte die SWICA mit Verfügung vom 26. Juli 2002
die Übernahme weiterer Heilbehandlungen und das Ausrichten von Taggeldern wie
auch einer Invalidenrente ab. Gleichzeitig sprach sie O.________ wegen den
verbliebenen Schulterbeschwerden eine Integritätsentschädigung von 10 % zu.
Mit Einspracheentscheid vom 27. September 2002 hielt die SWICA an ihrer
Auffassung fest.

B.
Dagegen erhob O.________ beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
insoweit Beschwerde, als es um das Zusprechen einer Invalidenrente ging. Mit
Entscheid vom 22. Oktober 2003 wies das kantonale Gericht die Beschwerde ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt O.________ beantragen, die SWICA sei
zu weiteren Abklärungen hinsichtlich der körperlichen Beeinträchtigungen und
anschliessendem neuem Rentenentscheid zu verpflichten; eventuell sei dem
Versicherten eine Rente auf der Basis eines Invaliditätsgrads von 33 1/3 %
zuzusprechen. Weiter wird um unentgeltliche Verbeiständung ersucht.
Die SWICA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), auf
eine Stellungnahme verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im kantonalen Entscheid werden die für den Rentenanspruch und die
Invaliditätsbemessung bis Ende 2002 geltenden, hier anwendbaren  Bestimmungen
(Art. 18 Abs. 1 und 2 UVG; vgl. BGE 129 V 4 Erw. 1.2), und Grundsätze (BGE
126 V 75 ff.; Alexandra Rumo-Jungo, Bundesgesetz über die Unfallversicherung,
in: Murer/Stauffer (Hrsg.), Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 130-134; siehe auch BGE
129 V 481 Erw. 4.2.3) wie auch die nach der Rechtsprechung für den Beweiswert
von Arztberichten und medizinischen Gutachten massgebenden Anforderungen (BGE
125 V 352 Erw. 3) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Das
Gleiche gilt für die vorinstanzlichen Ausführungen zur Nichtanwendbarkeit des
ATSG auf den vorliegenden Fall (vgl. BGE 129 V 4 Erw. 1.2).

2.
Der Streit dreht sich einzig um die für die Invaliditätsbemessung
massgebenden erwerblichen Auswirkungen der beim Unfall vom 24. Oktober 1997
erlittenen Schulterluxation links. Die vom weiteren, zwischenzeitlich
rechtskräftig abgeschlossenen Unfall (vom 19. November 1996) herrührende
Handverletzung steht dagegen nicht (mehr) zur Beurteilung an. Soweit
psychische Probleme vorhanden sind, können diese in Anwendung der in BGE 115
V 138 Erw. 6 genannten Kriterien mit dem maximal zu den mittelschweren, im
Grenzbereich zu den leichten Unfällen zu zählenden Ereignis vom 24. Oktober
1997 offenkundig in keinen adäquat-kausalen Zusammenhang gebracht werden,
wovon Verwaltung und Vorinstanz denn auch ausgegangen sind: Es fehlt an den
rechtsprechungsgemäss geforderten Kriterien, die in gehäufter oder in
besonders auffallender und ausgeprägter Weise erfüllt sein müssten. Die
leistungsablehnende Haltung des Versicherers ist in diesem Zusammenhang ohne
Belang.

3.
Die Vorinstanz kam in ihren Erwägungen zum Schluss, die verbliebenen
Schulterbeschwerden seien ohne Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit
geblieben. Denn gemäss den Gutachten der MEDAS Zentralschweiz und Ostschweiz
vom 6. September 1999 und 6. Juni 2002 könnte der Versicherte aus somatischer
Sicht immer noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne
Überkopfarbeiten und wiederholtes Heben von Lasten über 10 kg uneingeschränkt
ausüben; besondere Kraftanwendungen der adominanten linken Hand bzw. des Arms
seien ebenso zu vermeiden; dies entspreche dem Tätigkeitsprofil der zuletzt
vor Eintritt des Gesundheitsschadens ausgeübten Arbeit im Gastgewerbe, womit
keine Invalidität ausgewiesen sei, zumal für den Einkommensvergleich sowohl
für das Validen- wie auch das Invalideneinkommen auf den vom Bundesamt für
Statistik in den Schweizerischen Lohnstrukturerhebungen (LSE) 1998 in Tabelle
A1 ausgewiesenen Durchschnittslohn für einfache und repetitive Tätigkeiten
von Männern im privaten Sektor abzustellen sei.

Der Versicherte erachtet dagegen die Einschätzungen der MEDAS für ungenügend,
da diese nicht klar nach den Ursachen der Beschwerden unterscheiden würden;
sodann dürfe beim Einkommensvergleich für das Valideneinkommen nicht auf die
Verdienstmöglichkeiten in der letzten Tätigkeit als Office-Bursche in einem
Restaurant abgestellt werden; heranzuziehen sei der mutmassliche Verdienst im
Baugewerbe. Bezüglich des hypothetischen Verdienstes als Invalider wird in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiter ausgeführt, es dürfe zwar der
tabellarische Durchschnittslohn in einer einfachen, repetitiven Tätigkeit als
Grundlage dienen, indessen sei dieser angemessen zu reduzieren, weil der
Versicherte gegenüber Gesunden durch die eingeschränkten Einsatzmöglichkeiten
lohnmässig benachteiligt sei.

3.1  Die Ärzte der MEDAS Ostschweiz unterscheiden in ihrer Einschätzung der
Restarbeitsfähigkeit deutlich zwischen den körperlichen und psychiatrischen
Auswirkungen, indem sie zunächst die aus neurologischer und orthopädischer
Sicht behinderungsgerechte Arbeit näher im von der Vorinstanz zitierten Sinne
definieren, um anschliessend die psychisch bedingte weitere Einschränkung
näher zu umschreiben. Zum Zeitpunkt der Begutachtung durch die MEDAS
Zentralschweiz lag dagegen noch gar keine psychische Störung mit
Krankheitswert vor.

Was die körperlichen Beschwerden anbelangt, differenziert die MEDAS
Zentralschweiz zusammenfassend zwischen den auf die Schnittverletzung im
November 1996 zurückzuführenden Beeinträchtigungen der linken Hand, welche
kein festes Zupacken mehr zulassen würden, und den Schwerarbeit und
Überkopfarbeit ausschliessenden Problemen im Bereich des linken Armes.
Letztere seien einerseits auf die Verletzungen im Akromiklavikular(kurz:
AC)-Gelenk - und damit auf den hier streitigen Unfall - sowie auf seit 1995
bekannte, degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Ausstrahlungen
zurückzuführen. Die MEDAS Ostschweiz differenziert ebenfalls zwischen Hand-
und Armbeschwerden, führt dagegen die Unmöglichkeit, schwere Arbeiten mit dem
linken Arm auszuführen und über Kopf zu arbeiten, gänzlich auf die als stabil
bezeichnete AC-Subluxation links zurück.

Damit erweisen sich die Einschätzungen der MEDAS zur körperlichen
Restarbeitsfähigkeit als auch für die Unfallversicherung geeignet, ohne dass
Weiterungen erforderlich sind.

3.2  Zur Festlegung des mutmasslichen Verdienstes ohne Invalidität kann nicht
von einem Durchschnittslohn im Baugewerbe ausgegangen werden. Ebenso wenig
bildet die zuletzt ausgeübte Arbeit als Hilfskraft im Service alleinige
Grundlage: Ein Blick in den Auszug des die Jahre 1973 bis 1999 umfassenden
individuellen Kontos des Beschwerdeführers zeigt in masslicher Hinsicht
ausgesprochen unstetige Einkünfte bei wechselnden Arbeitgebern. Der
lohnmässigen Spitze von rund Fr. 45'000.- in den Jahren 1989 und 1990 folgten
wiederum geringere Einkünfte in unterschiedlichen Tätigkeiten sowie längere
Perioden von Arbeitslosigkeit, ehe der Versicherte in einem
Restaurationsbetrieb eine (körperlich leichtere) Arbeit als Office-Bursche
annahm, welche er aber nach nur einem Monat wegen der Schnittverletzung in
der linken Hand im November 1996 wieder aufgab. Angesichts dessen erscheint
ein im Durchschnitt sämtlicher Wirtschaftszweige liegendes Einkommen für
einfache und repetitive Tätigkeiten sachgerecht, wovon die Vorinstanz im
Ergebnis denn auch ausgegangen ist. Dies gilt umso mehr, als dass die
zuletzt, wenn auch nur für kurze Zeit ausgeübte Tätigkeit im Gastgewerbe ein
erheblich unter dem Gesamtdurchschnitt liegendes monatliches Einkommen hätte
erwarten lassen (Fr. 3012.- gegenüber Fr. 4268.-; LSE 1998 S. 25 TA1). Allein
die Möglichkeit einer Rückkehr ins Bauhauptgewerbe genügt nicht, um von einem
über dem Durchschnittslohn im privaten Sektor liegenden Verdienst auszugehen.

3.3  Das Invalideneinkommen kann ebenfalls anhand der Tabellenlöhne bestimmt
werden, wobei auch hier der durchschnittliche Verdienst in einer einfachen
und repetitiven Tätigkeit Ausgangslage bildet. Ob davon Abzüge vorzunehmen
sind, beurteilt sich nach den persönlichen und beruflichen Umständen im
konkreten Einzelfall (BGE 129 V 481 Erw. 4.2.3 mit Hinweisen).

Wie von der Vorinstanz zutreffend erwogen, bietet der ausgeglichene
Arbeitsmarkt in genügend grosser Anzahl dem Arm- und Schulterleiden
angepasste Arbeiten. Zu denken sind etwa an die vom kantonalen Gericht
erwähnten Kontroll- und Sortierarbeiten sowie die Überwachung und Bedienung
von (halb-)automatischen Maschinen, leichtere industrielle Produktions- und
Montagetätigkeit, aber auch Portierdienste, Archiv- und Magazinerarbeiten
oder Botengänge, die allerdings keine Arbeiten über dem Kopf fordern dürfen.
Der Einwand, derartige Stellen seien nicht (mehr) existent, geht offenkundig
fehl. Ob auch Arbeiten hinter einem Buffet eines Restaurationsbetriebes, wie
zuletzt  ausgeübt, dem unfallbedingten Leiden regelmässig gänzlich
entsprechen, wie von der Vorinstanz behauptet und dem Versicherten
bestritten, ist nicht entscheidend. Bei den genannten Tätigkeiten handelt es
sich keineswegs durchwegs um Arbeiten, die einen im Vergleich zum gesamten
privaten Sektor unterdurchschnittlichen Lohn erwarten lassen. Der Versicherte
kann sodann seinen dominanten Arm mitsamt der Hand nach wie vor
uneingeschränkt einsetzen. Es ist einzig die linke obere Extremität, welche
gewisse Einschränkungen verlangt. Allerdings kann sie bei leichteren Arbeiten
(kein wiederholtes Heben von Lasten über 10 kg) nach wie vor intensiver als
nur im Sinne einer blossen Zuführhand eingesetzt werden. Auch kann nicht
gesagt werden, der Versicherte habe in der Vergangenheit ausschliesslich
grobmotorige Schwerarbeiten ausgeführt, sodass er gegenüber anderen Personen,
die  bereits (gewisse) Feinmotorik erheischende Tätigkeiten ausgeübt haben,
lohnmässig benachteiligt wäre (vgl. BGE 126 V 78 Erw. 5a/aa). Da weiter
Alter, Dienstjahre, Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad bereits beim
Valideneinkommen ohne Bedeutung waren, muss dies für das vom gleichen
tabellarischen Wert ausgehende Invalideneinkommen ebenso gelten. Nicht
unbeachtet bleiben darf endlich, dass der Versicherte als Gesunder zuletzt
ein unter dem Durchschnitt liegendes Einkommen erzielt hat und das
Valideneinkommen (u.a. wegen früherer Verdienste) dennoch auf dem höheren
Wert basierend festgelegt worden ist. Gesamthaft gesehen lässt sich der
vorinstanzliche Verzicht auf einen Abzug auf dem durchschnittlichen
Tabellenlohn und damit die Verneinung einer unfallbedingten Erwerbseinbusse
nicht beanstanden.

4.
Dem Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung kann entsprochen
werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG). Der Beschwerdeführer wird
ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG hingewiesen, wonach er der Gerichtskasse
rückerstattungspflichtig ist, wenn er dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwältin Elda
Bugada Aebli für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 30. Juli 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: