Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 321/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


U 321/03

Urteil vom 27. Mai 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber
Ackermann

A.________, 1949, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland
Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 13. November 2003)

Sachverhalt:

A.
A. ________, geboren 1949, arbeitete ab dem 22. Juni 1999 als Hilfsarbeiter
für die Firma E.________ AG und war bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert; im November 1999 war ihm
auf Ende Dezember 1999 gekündigt worden. Als er am 16. Dezember 1999 beim
Abladen eines Lastwagens ein Seil am Kran befestigen wollte, rutschte er mit
dem rechten Fuss aus; A.________ stürzte zwar nicht, verspürte jedoch einen
Schlag im linken Knie. Der am folgenden Tag aufgesuchte Hausarzt Dr. med.
K.________, Innere Medizin FMH, diagnostizierte einen "Verdacht auf Läsion
Hinterhorn li. Meniskus" und überwies A.________ zur weiteren Behandlung an
einen Spezialarzt. Nachdem er sich längere Zeit geweigert hatte, stimmte
A.________ einer Operation des linken Knies zu, welche am 31. August 2000 von
Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für Orthopädische Chirurgie,
durchgeführt worden ist. Die SUVA zog diverse Arztberichte bei, veranlasste
einen Aufenthalt in der Klinik B.________ (Bericht vom 21. Dezember 2000 mit
psychosomatischem Konsilium vom 15. Dezember 2000) und liess A.________ durch
den SUVA-Arzt Dr. med. V.________, Facharzt FMH für Chirurgie,
spezialärztlich untersuchen (Bericht vom 11. September 2001). Mit Verfügung
vom 22. April 2002 sprach die SUVA A.________ bei einem Invaliditätsgrad von
12 % mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2001 eine Rente zu und erachtete ihn in
einer leidensangepassten Tätigkeit (kein längeres Verharren in kauernder oder
kniender Stellung, kein Besteigen von Leitern oder Treppen mit Tragen von
Gewichten von 15 bis 20 kg) als vollständig arbeitsfähig; die Ausrichtung
einer Integritätsentschädigung wurde abgelehnt. Dies wurde mit
Einspracheentscheid vom 22. August 2002 bestätigt, nachdem die SUVA ein
Zeugnis des Dr. med. K.________ vom 11. Februar 2002 zu den Akten genommen
hatte.

B.
Die dagegen - unter Beilage dreier Zeugnisse des Dr. med. K.________ vom 24.
Juli 2002, 2. September 2002 und 18. August 2003 - erhobene Beschwerde wies
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 13.
November 2003 ab und stellte im Rahmen einer reformatio in peius fest, dass
kein Rentenanspruch bestehe, da die SUVA von einem zu tiefen Einkommen nach
Eintritt des Gesundheitsschadens ausgegangen sei.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides
seien ihm "die ihm zustehenden gesetzlichen Versicherungsleistungen
zuzusprechen."

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit dem 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zu Recht festgehalten hat, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Einspracheentscheides (August 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101).

Im Einspracheentscheid vom 22. August 2002 hat die SUVA die Voraussetzungen
für den Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung (Art. 18 Abs.
1 UVG), den Begriff der Invalidität (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG) und die
Ermittlung des Invaliditätsgrads nach der Methode des Einkommensvergleichs
(Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
In Verfügung, Einspracheentscheid und vorinstanzlichem Entscheid standen
Invalidenrente und Integritätsentschädigung im Streit. In der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Rechtsbegehren zwar allgemein von
Versicherungsleistungen gesprochen, jedoch bezieht sich die Begründung allein
auf den Rentenanspruch; die Integritätsentschädigung - resp. deren Ablehnung
durch das kantonale Gericht und die SUVA - wird mit keinem Wort erwähnt.
Daher ist vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht allein der Anspruch
auf Invalidenrente Streitgegenstand.

2.1 Das kantonale Gericht stellt auf die Einschätzung des SUVA-Arztes Dr.
med. V.________ vom 11. September 2001 ab und geht von einer vollständigen
Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit aus. Für eine
allfällige Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aus psychischen Gründen sei die
Unfallversicherung nicht leistungspflichtig, da der Unfall von Dezember 1999
als leicht einzustufen und in der Folge der adäquate Kausalzusammenhang zu
den geklagten psychischen Störungen zu verneinen sei. Unter Herbeiziehung des
zuletzt verdienten Lohnes und der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung hat die Vorinstanz anschliessend das
Bestehen einer Invalidität und in der Folge auch den Rentenanspruch verneint.

2.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zunächst eingewendet, dass
gemäss Hausarzt Dr. med. K.________ Abklärungen im Heimatland des
Versicherten eine somatische Ursache der geklagten Beschwerden ergeben
hätten. Weiter lägen divergierende ärztliche Auffassungen vor, so dass sich
ein Obergutachten aufdränge.

Dieser Argumentation ist nicht zu folgen: Die Vorinstanz hat zu Recht auf den
überzeugenden Bericht des SUVA-Arztes Dr. med. V.________ vom 11. September
2001 abgestellt und eine vollständige Arbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten Tätigkeit - d.h. kein längeres Verharren in kauernder oder
kniender Stellung, kein Besteigen von Leitern oder Treppen mit Tragen von
Gewichten von 15 bis 20 kg - angenommen (vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a). Da eine
im Rahmen der Invaliditätsbemessung zu berücksichtigende Arbeitsfähigkeit
festgestellt worden ist, spielt es - entgegen der Auffassung in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde - keine Rolle, ob die SUVA-Ärzte Dres. med.
I.________ und V.________ einen vorbestandenen Schaden als bloss
wahrscheinlich oder als sicher festgestellt haben; Weiterungen sind in dieser
Hinsicht nicht nötig. Die diversen Zeugnisse des Hausarztes Dr. med.
K.________ sind weder geeignet, zu einer anderen Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit zu führen, noch vermögen sie Zweifel an der Zuverlässigkeit
der Ausführungen des SUVA-Arztes Dr. med. V.________ zu wecken (BGE 125 V 353
Erw. 3b/ee), denn es ist mangels Begründung nicht nachvollziehbar, weshalb
die Einschätzung des SUVA-Arztes nicht korrekt sein sollte. Im Weiteren fällt
auf, dass Dr. med. K.________ im - während des Einspracheverfahrens
eingereichten - Zeugnis vom 11. Februar 2002 die Arbeitsunfähigkeit teilweise
auf Krankheit und teilweise auf Unfall zurückgeführt hat, während er in den
nachfolgenden Zeugnissen jeweils nur noch eine Arbeitsunfähigkeit wegen
Unfall angenommen hat; damit kann - neben der fehlenden Begründung - auch
wegen dieses Widerspruches nicht auf die Einschätzung des Hausarztes
abgestellt werden. Schliesslich liegen weder Dokumente noch Hinweise dafür
vor, dass eine Abklärung im Heimatland des Versicherten eine somatische
Grundlage der Beschwerden ergeben hätte; im Rahmen der Mitwirkungspflicht
(vgl. Art. 55 UVV) hätte der Beschwerdeführer diese Unterlagen von sich aus
einreichen müssen. In dieser Hinsicht erübrigen sich weitere Abklärungen (BGE
110 V 53 Erw. 4a).

Damit ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in somatischer Hinsicht
in einer leidensangepassten Tätigkeit vollständig arbeitsfähig ist.

2.3 Der Versicherte macht weiter geltend, dass er an psychischen
Gesundheitsschäden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
leide. Ein adäquater Kausalzusammenhang zum Ereignis vom 16. Dezember 1999
sei gegeben, da es sich um einen mittleren Unfall gehandelt habe und die nach
der Rechtsprechung dabei notwendigen Kriterien gegeben seien.

Entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde liegt kein
mittlerer, sondern offensichtlich ein leichter Unfall vor, ordnet doch BGE
115 V 139 Erw. 6a Ereignisse wie Übertreten des Fusses, gewöhnliche Stürze
oder Ausrutschen den leichten resp. banalen Unfällen zu. Am 16. Dezember 1999
ist der Versicherte nicht gestürzt, sondern mit dem rechten Fuss
ausgerutscht, so dass sich sein Körpergewicht auf das linke Bein verlagerte
und er einen Schlag im Knie verspürte. Damit ist der adäquate
Kausalzusammenhang zwischen den geklagten psychischen Beschwerden und dem
Ereignis von Dezember 1999 ohne weiteres zu verneinen (BGE 115 V 139 Erw.
6a). Es liegen keine Umstände vor, die eine Abweichung vom Regelfall zulassen
würden.

2.4 Was das Einkommen ohne Gesundheitsschaden (Valideneinkommen) betrifft,
ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht vom zuletzt verdienten Lohn
auszugehen, da dem Versicherten bereits vor dem Ereignis vom 16. Dezember
1999 gekündigt worden ist, und er deshalb auch im Gesundheitsfall nicht mehr
am angestammten Arbeitsplatz tätig wäre. Es ist allerdings davon auszugehen,
dass der Beschwerdeführer ohne Eintritt des Ereignisses am 16. Dezember 1999
weiterhin als Hilfsarbeiter auf dem Bau arbeiten würde, so dass auf die
entsprechenden Zahlen der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2000 abgestellt werden kann: Gemäss
Tabelle A1, Zeile 45, verdient ein Mann im privaten Sektor auf
Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive Tätigkeiten) bei einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden monatlich Fr. 4544.- brutto. Dieser
Betrag ist der Lohnentwicklung bis zum Zeitpunkt des allfälligen
Rentenbeginns 2001 anzupassen (+ 2,8 %; Bundesamt für Statistik,
Lohnentwicklung 2002, S. 32 T1.1.93 Zeile F) und auf die in diesem Jahr
betriebsübliche Wochenarbeitszeit von 42 Stunden (Die Volkswirtschaft 1/2004
S. 94 Tabelle B9.2 Zeile F) umzurechnen, was ein massgebendes
Valideneinkommen von Fr. 4904.80 monatlich und Fr. 58'857.60 jährlich ergibt.

Für das hypothetische Einkommen nach Eintritt des Gesundheitsschadens
(Invalideneinkommen) ist - da der Versicherte keine Verweisungstätigkeit
aufgenommen hat - praxisgemäss auf die Tabellenlöhne der Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung abzustellen (BGE 126 V 76 f. Erw. 3b/bb mit Hinweisen).
Da dem Beschwerdeführer aufgrund seines Gesundheitszustandes eine Vielzahl
von Arbeiten auf dem hypothetischen ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 18 Abs.
2 Satz 2 UVG) offen steht, ist der Zentralwert massgebend. Dieser beträgt für
bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigte Männer mit
Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive Tätigkeiten) monatlich Fr.
4437.- brutto (Bundesamt für Statistik, Schweizerische Lohnstrukturerhebung
2000 S. 31 Tabelle A1). Umgerechnet auf die betriebsübliche Wochenarbeitszeit
von 41,7 Stunden im Jahr des möglichen Rentenbeginns 2001 (Die
Volkswirtschaft 1/2004, S. 94 Tabelle B9.2) und angepasst an die bis zu
diesem Zeitpunkt eingetretene Lohnentwicklung (+ 2.5 %; Bundesamt für
Statistik, Lohnentwicklung 2002, S. 32 T1.1.93 Zeile "Total") ergibt sich ein
Betrag von monatlich Fr. 4741.20 und jährlich Fr. 56'894.40. Aus - hier
allein massgebender - somatischer Sicht ist ein volles Pensum zumutbar,
jedoch ist kein längeres Verharren in kauernder oder kniender Stellung und
kein Besteigen von Leitern oder Treppen mit gleichzeitigem Tragen von
Gewichten von 15 bis 20 kg mehr möglich (vgl. Erw. 2.2 hievor). Wegen des dem
Versicherten zumutbaren breiten Tätigkeitsbereiches, welcher insbesondere
auch leichte Kontroll- und Überwachungstätigkeiten in der Industrie umfasst,
kann aufgrund der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen maximal ein
behinderungsbedingter Abzug von 5 % vorgenommen werden (BGE 126 V 78 Erw. 5),
so dass von einem Invalideneinkommen von Fr. 54'049.70 auszugehen ist. Bei
einem Valideneinkommen von 58'857.60 resultiert somit ein
rentenausschliessender (Art. 18 Abs. 1 UVG) Invaliditätsgrad von 8 % (zur
Rundung: zur Amtlichen Publikation vorgesehenes Urteil R. vom 19. Dezember
2003, U 27/02), so dass letztlich offen bleiben kann, ob hier überhaupt ein
behinderungsbedingter Abzug vorzunehmen ist. Dass die SUVA ursprünglich von
einem Invaliditätsgrad von 12 % ausgegangen ist, ändert daran nichts, da das
Recht von Amtes wegen anzuwenden ist und der Versicherte im vorinstanzlichen
Verfahren auf die Möglichkeit einer reformatio in peius hingewiesen worden
ist (vgl. BGE 122 V 167 Erw. 2).

3.
Die SUVA hat mit Verfügung vom 10. Oktober 2001 Heilbehandlung und Taggelder
per Ende September 2001 eingestellt. Über die dagegen erhobene Einsprache vom
8. November 2001 ist noch nicht entschieden worden. Da das kantonale Gericht
im Rahmen einer reformatio in peius entgegen der SUVA einen Rentenanspruch
verneint hat und deswegen die Regelung des Art. 16 Abs. 2 UVG keine Anwendung
findet, wird die SUVA über die Einsprache von November 2001 zu befinden
haben.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 27. Mai 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber:

i.V.