Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 299/2003
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U 299/03

Urteil vom 20. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Jancar

M.________, 1951, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecherin Daniela
Mathys, Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern,

gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Direktion, Laupenstrasse 27, 3001
Bern, Beschwerdegegnerin,

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 15. Oktober 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1951 geborene M.________ war seit 1978 als Lehrer bei der Schule
X.________ angestellt und damit bei der Berner Allgemeinen
Versicherungs-Gesellschaft (nunmehr Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft; im Folgenden: Allianz) obligatorisch gegen
Unfälle versichert. Am 9. Februar 1998 stürzte er während des Turnunterrichts
beim Eislaufen rückwärts auf den Hinterkopf. Die Erstbehandlung erfolgte bei
Dr. med. H.________, Allgemeine Medizin FMH, der occipito-frontale
Kopfschmerzen und ein Cervicalsyndrom diagnostizierte. Nach dem Unfall war
der Versicherte vorerst zu 100 % arbeitsunfähig. Nach einer kurzen Phase
voller Arbeitsfähigkeit ist er seit 20. April 1998 zu 50 % arbeitsunfähig.
Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld).
Vom 14. Juli bis 11. August 1999 war der Versicherte in der Klinik Y.________
hospitalisiert. Mit Verfügung vom 18. August 2000 verneinte die Allianz ihre
Leistungspflicht ab 1. Januar 2000, da die seit diesem Zeitpunkt bestehenden
Beschwerden nicht mehr in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfall
vom 9. Februar 1998 stünden. Dagegen erhoben der Versicherte und die
mitbetroffene EGK-Gesundheitskasse, Einsprache. In der Folge holte die
Allianz bei Dr. med. K.________, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie,
Chefarzt der Klinik Z.________, ein Gutachten ein, das am 22. November 2001
erstattet wurde. Zu diesem Zweck hielt sich der Versicherte vom 24. September
bis 4. Oktober 2001 in der Klinik auf. Mit Entscheid vom 2. September 2002
wies die Allianz die Einsprachen gegen die Verfügung vom 18. August 2000 ab.

B.
Die hiegegen vom Versicherten und von der EGK-Gesundheitskasse erhobenen
Beschwerden wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom
15. Oktober 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des
kantonalen Entscheides sei die Allianz zu verpflichten, ihm auch nach dem 1.
Januar 2000 die gesetzlichen Leistungen nach UVG auszurichten, wie
Rentenleistungen und eine Integritätsentschädigung.
Die Allianz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), und die
als Mitbeteiligte beigeladene EGKBGesundheitskasse auf eine Vernehmlassung
verzichten.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze zu
dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 123 V 45 Erw. 2b, 119 V 337 Erw. 1,
117 V 360 Erw. 4, je mit Hinweisen), zur vorausgesetzten Adäquanz des
Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 127 V 102 Erw. 5b/aa, 125 V 461 Erw.
5a, je mit Hinweisen) sowie bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133 ff.),
Folgen eines Unfalls mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS; BGE 117 V
359 ff.) oder einer diesem äquivalenten Verletzung (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67
Erw. 2) oder mit Schädel-Hirntrauma (BGE 117 V 369 ff.) ohne organisch
nachweisbare Funktionsausfälle im Besonderen zutreffend dargelegt. Gleiches
gilt hinsichtlich der Rechtsprechung zu den Fällen, in welchen die zum
typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS (bzw. einer
äquivalenten Verletzung) oder eines Schädel-Hirntraumas gehörenden
Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur psychischen
Problematik aber ganz in den Hintergrund treten (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb,
123 V 99 Erw. 2a). Richtig sind auch die Ausführungen zu dem im
Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 153 Erw. 2.1 mit Hinweisen) und zum Beweiswert
eines Arztberichts (BGE 125 V 352 Erw. 3a; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a).
Beizupflichten ist im Weiteren den Erwägungen der Vorinstanz, dass das am 1.
Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist (BGE
129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist die Frage des adäquaten Kausalzusammenhanges
zwischen dem Unfall des Versicherten vom 9. Februar 1998 (Sturz beim
Eislaufen auf den Hinterkopf) und den geklagten Leiden.

2.1 Aufgrund des Gutachtens des Dr. med. K.________ vom 22. November 2001 ist
davon auszugehen, dass der Versicherte beim genannten Unfall ein
leichtgradiges Schädel-Hirntrauma mit Verdacht auf HWS-Distorsion erlitten
hat. Demnach erfolgt die Beurteilung der Adäquanz nach den in BGE 117 V 366
Erw. 6a und 382 Erw. 4b festgelegten Kriterien (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb).

Es gibt keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Insbesondere ist die Frage der Kausalität nicht nach der allgemeinen
Adäquanzformel zu prüfen. Zwar trifft es zu, dass das Eidgenössische
Versicherungsgericht im Urteil D. vom 27. März 2003, U 71/02, festgehalten
hat, bei der psychischen Fehlverarbeitung eines durch Unfall verursachten
Tinnitus sei der adäquate Kausalzusammenhang nach der normalen Adäquanzformel
zu beurteilen. Diese Rechtsprechung bezieht sich indessen nur auf die
Dekompensation eines unfallbedingten Tinnitus und nicht auf
Schädel-Hirntraumata oder dem Schleudertrauma äquivalente Verletzungen.

2.2 Der Beschwerdeführer behauptet, die Beschwerdegegnerin habe die adäquate
Kausalität durch Ausrichtung von Taggeldern anerkannt. Da dem UVG ein
einheitlicher Kausalitätsbegriff zu Grunde liege, sei die Einstellung der
Leistungen unzulässig.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in BGE 127 V 102 entschieden,
dass den UVG-Leistungen ein einheitlicher Adäquanzbegriff zu Grunde zu legen
ist. Das besagt aber noch nicht, dass mit der Gewährung von Taggeldzahlungen
der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und den
Unfallfolgen ein für allemal anerkannt wird. Vielmehr bedarf die Beantwortung
dieser Rechtsfrage unter Umständen eines längeren Zeitraumes. So setzt die
adäquate Kausalität bei Unfällen im mittelschweren Bereich u.a. voraus, dass
Dauerbeschwerden vorliegen und dass ein schwieriger Heilungsverlauf gegeben
ist. Sie richtet sich auch nach der Art und Dauer der Arbeitsunfähigkeit
sowie nach der Dauer der Behandlung. Die Prüfung der Adäquanzfrage kann
demnach nicht stets unmittelbar nach dem Unfall erfolgen, und dem
Unfallversicherer muss es möglich sein, die Adäquanz namentlich im Hinblick
auf einen allfälligen Rentenanspruch erst nach Abschluss des normalen,
unfallbedingt erforderlichen Heilungsprozesses zu prüfen. Im Weiteren hat das
Gericht (nur) zu entscheiden, ob u.a. der adäquate Kausalzusammenhang im
Zeitpunkt der Einstellung der erwähnten Leistungen gegeben war. Über das
Bestehen der Adäquanz in einem früheren Zeitpunkt bei Beginn der
Leistungsausrichtung und verneinendenfalls über die allfällige Rückerstattung
von Leistungen hat es sich nicht auszusprechen. Diese würde wohl regelmässig
an der Voraussetzung der zweifellosen Unrichtigkeit scheitern (Urteil K. vom
6. Mai 2003 Erw. 4.2.1, U 6/03).

3.
Mit der Vorinstanz ist von einem Unfall im mittelschweren Bereich an der
Grenze zu den leichten Unfällen auszugehen. Unbestritten und aufgrund der
Akten ist erstellt, dass einerseits keine dramatischen Begleitumstände
vorlagen, andererseits die Kriterien der Dauerbeschwerden und der langen
Arbeitsunfähigkeit (100 % vom 10. bis 16. Februar 1998; 50 % seit 20. April
1998; RKUV 2001 Nr. U 442 S. 544) erfüllt sind.
Die übrigen Adäquanzkriterien hat die Vorinstanz zu Recht verneint. Es ergibt
sich Folgendes:
3.1 Der Versicherte hat bei seinem Sturz ein leichtgradiges Schädel-Hirntrauma
mit Verdacht auf HWS-Distorsion erlitten. Von einer weitergehenden, schweren
Verletzung oder von einer Verletzung besonderer Art kann nicht gesprochen
werden, liegen doch diesbezüglich keine medizinischen Akten vor. Die in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter diesem Kriterium geltend gemachten Kopf-
und Nackenschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Licht- und
Lärmempfindlichkeit, Sehbeschwerden, Müdigkeit sowie verminderte
Belastbarkeit, welche den Versicherten einschränken, sind bereits unter dem
Kriterium der Dauerbeschwerden berücksichtigt.

3.2 Eine ungewöhnlich lange Dauer der Behandlung kann ebenso wenig bejaht
werden. Aus den Akten ergibt sich, dass zwischen dem zweiten Halbjahr 1999
und dem ersten Halbjahr 2000 keine ärztliche Behandlung mehr stattgefunden
hat. Ab Sommer 2000 wurde die Behandlung wieder aufgenommen. Ab dem Zeitpunkt
der Untersuchungen von Dr. med. K.________ (24. September bis 4. Oktober
2001) stand fest, dass keine regelmässigen therapeutischen Massnahmen mehr
erforderlich waren. Insgesamt dauerte demnach die Behandlung etwas weniger
als zwei Jahre. Diese Behandlungsbedürftigkeit ist für ein Schädel-Hirntrauma
nicht unüblich lang, weshalb das Kriterium zu verneinen ist.

3.3 Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, es liege eine ärztliche
Fehlbehandlung vor, da er während eines Monats ärztlich verordnet einen
Halskragen habe tragen müssen.
Aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass das einmonatige Tragen eines
weichen Halskragens zur Verschlimmerung oder gar zur Chronifizierung der
Beschwerden geführt hat. Die vom Versicherten mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten Unterlagen belegen überdies nur,
dass auch in Fachkreisen von längerem Gebrauch von Halskragen eher abgeraten
wird. Die Frage ist indessen in medizinischen Fachkreisen umstritten.
Jedenfalls kann nicht als erstellt gelten, dass das einmonatige Tragen eines
weichen Halskragens als medizinische Fehlbehandlung, die zur Verschlimmerung
des Gesundheitszustandes führt, gezählt werden muss.

3.4 Schliesslich fehlt es auch am Kriterium des schwierigen
Heilungsverlaufes. Der Gesundheitszustand des Versicherten ist aufgrund der
ärztlichen Zeugnisse als stationär zu bezeichnen, wobei sich der
Gesamtzustand eher verbessert hat. Erhebliche Komplikationen sind keine
eingetreten. Insbesondere ergeben die medizinischen Akten keine Hinweise
dafür, dass die Magen-Darmprobleme des Versicherten von erheblicher Bedeutung
gewesen wären. Sie waren überdies nur von vorübergehender Natur.

3.5 Mithin sind lediglich zwei von sieben Adäquanzkriterien erfüllt. Da kein
Kriterium in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist, reicht diese
Ausgangslage für die Bejahung der Adäquanz nicht aus (vgl. Urteil H. vom 21.
Oktober 2003, U 45/03). Die vorinstanzlich bestätigte Leistungseinstellung ab
1. Januar 2000 ist daher rechtens.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der EGK-Gesundheitskasse, Laufen, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 20. April 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: