Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 287/2003
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U 287/03

Urteil vom 1. März 2005
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber
Nussbaumer

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________, 1946, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Caroline
Busslinger Moos, Langstrasse 4, 8004 Zürich

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 18. September 2003)

Sachverhalt:

A.
B. ________ (geboren 1946) arbeitete seit dem 1. November 1978 als Reiniger
bei der Firma S.________ und war damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfall
und Berufskrankheit versichert. Am 8. September 2000 zog er sich während der
Arbeit bei einem Sturz auf den Schotter eine Kontusion und Distorsion der
rechten, dominanten Hand zu. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen.
Nach verschiedenen medizinischen Abklärungen forderte sie den Versicherten am
26. September 2001 zur Kooperation hinsichtlich der ärztlich empfohlenen
Handgelenksarthrodese-Operation auf, unter gleichzeitiger Androhung, dass bei
Verweigerung des als zumutbar erachteten operativen Eingriffs lediglich die
Leistungen gewährt würden, die beim erwarteten Erfolg dieser Massnahme
wahrscheinlich zu entrichten seien. Nachdem sich der Versicherte weigerte,
sich dem ärztlichen Eingriff zu unterziehen, verneinte sie mit Verfügung vom
19. Oktober 2001 einen Anspruch auf eine Invalidenrente und setzte die
Integritätsentschädigung auf 3,75 % fest. Daran hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 23. August 2002 fest.

B.
Die hiegegen von B.________ erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 18. September
2003 in dem Sinne gut, dass es in Aufhebung des Einspracheentscheides vom 23.
August 2002 B.________ eine Integritätsentschädigung nach Massgabe einer
Einbusse von 5 % zusprach und die Sache im Übrigen zur weiteren Abklärung im
Sinne der Erwägungen und zu neuem Entscheid über den Rentenanspruch an die
SUVA zurückwies.

C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei insoweit aufzuheben, als die Sache zur weiteren
Abklärung im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen werde. Eventuell sei die
Invalidenrente ab 1. November 2001 auf 18,36 % festzusetzen.

B. ________ lässt auf die Ausführungen im vorinstanzlichen Verfahren
verweisen. Kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung
Kranken- und Unfallversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für
Gesundheit) verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat, sind im vorliegenden Fall
die bis Ende 2002 gültig gewesenen Bestimmungen massgebend, wogegen das auf
den 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist
(BGE 127 V 467 Erw. 1, 129 V 4 Erw. 1.2, 130 V 445).

2.
Mit Blick auf den Anfechtungsgegenstand (vgl. BGE 125 V 414 Erw. 1) ist
einzig strittig und zu prüfen, ob im Rahmen von Art. 48 Abs. 2 UVG von der
fraglichen Operation (Handgelenksarthrodese rechts) eine wesentliche
Steigerung der Erwerbsfähigkeit erwartet werden kann.

2.1 Gemäss Art. 48 Abs. 2 UVG werden die Versicherungsleistungen ganz oder
teilweise verweigert, wenn sich der Versicherte trotz Aufforderung einer
zumutbaren Behandlung oder einer von der Invalidenversicherung angeordneten,
zumutbaren Eingliederungsmassnahme für eine wesentliche Verbesserung der
Erwerbsfähigkeit entzieht. Entzieht sich ein Versicherter einer zumutbaren
Behandlung oder Eingliederungsmassnahme, so wird er nach Art. 61 UVV
schriftlich auf die Rechtsfolgen der Weigerung unter Ansetzung einer
angemessenen Überlegungsfrist aufmerksam gemacht (Abs. 1). Dem Versicherten,
der sich ohne zureichenden Grund weigert, sich einer zumutbaren Behandlung
oder Eingliederungsmassnahme zu unterziehen, werden lediglich die Leistungen
gewährt, die beim erwarteten Erfolg dieser Massnahmen wahrscheinlich hätten
entrichtet werden müssen (Abs. 2). Behandlungen und Eingliederungsmassnahmen,
die eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen, sind nicht zumutbar
(Abs. 3). Die Zumutbarkeit einer Operation ist zu bejahen, wenn es sich um
einen erfahrungsgemäss unbedenklichen, nicht mit Lebensgefahr verbundenen
Eingriff handelt, der mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit völlige
Heilung oder doch erhebliche Besserung des Leidens und damit verbunden eine
wesentliche Erhöhung der Erwerbsfähigkeit erwarten lässt, der ferner nicht zu
einer normalerweise sichtbaren Entstellung führt und nicht übermässige
Schmerzen verursacht. Die Frage der Zumutbarkeit ist dabei aufgrund der
konkreten Umstände und mit Blick auf die betroffene Person zu beurteilen (BGE
105 V 179; RKUV 1996 Nr. U 244 S. 154 Erw. 7e/aa, 1995 Nr. U 213 S. 68 Erw.
2b).

2.2 Nach dem Bericht des Kreisarztes Dr. med. O.________ vom 15. August 2001
wurde dem Beschwerdegegner eine Arthrodese des rechten Handgelenkes
vorgeschlagen; angesichts der heute schon geringen Bewegungsamplitude wäre
der weitere Verlust an Beweglichkeit von geringer Bedeutung. Eine deutliche
Reduktion der Schmerzhaftigkeit des Handgelenkes dürfe erwartet werden, dies
bei einigermassen günstigem Verlauf. Die operativen Risiken seien bei
objektiver Betrachtung gering. Die hauptsächlichen Risiken des Eingriffes an
sich wären in erster Linie die Entstehung einer Pseudarthrose, am Rande das
Auftreten eines Infektes oder eines Morbus Sudeck. Nach erfolgreicher
Arthrodese würde die rechte Hand fix in Verlängerung des Vorderarmes stehen,
leicht nach dorsal ausgelenkt, die Umwendbewegung wäre gewahrt, auch die
Fingerbeweglichkeit bliebe frei, die Faustschlusskraft wäre vermindert. Einer
mässigen Belastung dürfte das arthrodesierte Gelenk aber wieder Stand halten
und wäre nach Einschätzung des Kreisarztes der Belastung im Reinigungsdienst
gewachsen. Werde der jetzige Zustand belassen, so sei die Belastbarkeit des
Handgelenkes geringer. Es könnten nur leichte Gewichte von maximal wenigen
Kilos gehandhabt werden, dies am Besten bei Zugbeanspruchung. Scherung und
vor allem Torquierung würden schlechter toleriert. Rasch sich wiederholende
Bewegungen im Handgelenk seien zu vermeiden, ebenso auf das Gelenk wirkende
Schläge oder Vibrationen. Bei einer geeigneten Aufgabe dürfe auch so ein
Ganztageseinsatz erwartet werden.
Dr. med. V.________, Ärzteteam Unfallmedizin der Beschwerdeführerin, hält im
Bericht vom 12. August 2002 eine vollständige Versteifung des Handgelenkes
insofern weniger invasiv, als der Beweglichkeitsumfang des Handgelenkes
arthrosebedingt bereits jetzt schon massiv eingeschränkt sei. Umso mehr
dürfte rein theoretisch mit einer deutlichen Schmerzreduktion und damit
indirekt mit einer Verbesserung der Faustschlusskraft gerechnet werden. In
Bezug auf die Frage der Zumutbarkeit einer Handgelenksarthrodese komme man zu
verschiedenen Antworten, je nachdem ob man die Unbedenklichkeit eines solchen
Eingriffes oder dessen Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit
beurteile. Eine Handgelenksarthrodese sei erfahrungsgemäss nicht mit
besonders grossen, ja lebensbedrohenden Gefahren behaftet. Das Risiko einer
Pseudarthrose oder eines Infektes nach einer Arthrodese durch die Hände eines
Erfahrenen sei vertretbar klein. Auch die Gefahr eines Morbus Sudeck sei
nicht grösser als bei anderen Eingriffen an der Hand. Das betreffe auch das
Thromboserisiko, sodass vom Blickwinkel des Operationsrisikos per se eine
Handgelenksarthrodese als unbedenklich bezeichnet werden könne. Anders sehe
es jedoch aus in Bezug auf die Chancen einer erfolgreichen
Wiedereingliederung. Die Erfahrung bei unfallversicherten Patienten zeige
nämlich immer wieder, dass ein von diesen antizipiertes schlechtes Resultat
tatsächlich eintrete, wenn ein vorgeschlagener Eingriff vorgenommen werde,
umso mehr, wenn die Betroffenen entgegen ihren Überzeugungen oder
Befürchtungen dazu überredet würden. Unter diesen Voraussetzungen müsse
demnach auch beim Versicherten, der aus diesen Gründen einen Eingriff
kategorisch ablehne, schon deswegen mit einem schlechten Resultat gerechnet
werden. Die Einschätzung, wonach der heute 56jährige Versicherte seine
angestammte Tätigkeit selbst nach einer erfolgreichen Handgelenksarthrodese
nicht mehr aufnehmen werde, dürfte sich deswegen mit grosser
Wahrscheinlichkeit bewahrheiten. Der Grund dafür liege jedoch in seiner
Motivation bzw. seiner ängstlichen Erwartungshaltung mit Befürchten eines
schlechten Resultates und nicht in einer objektivierbaren Funktionseinbusse,
mit welcher nach einem solchen Eingriff erfahrungsgemäss gerechnet werden
müsste. Im Gegenteil könne bei korrekt durchgeführter und ohne Komplikationen
durchgebauter Arthrodese theoretisch mit einem Funktionsgewinn gerechnet
werden, der sogar eine Reintegration als Reiniger erlauben dürfte. Dies setze
jedoch einen motivierten Patienten voraus, der von Anfang an von einem
positiven Operationsresultat überzeugt ist.
In der Stellungnahme vom 4. November 2003 führt Dr. med. V.________ aus, es
könne davon ausgegangen werden, dass das vom Kreisarzt vor über zwei Jahren
festgelegte Zumutbarkeitsprofil auch der heutigen aktuellen Situation
angepasst sein dürfte. Insbesondere sei nicht mit einer spontanen Besserung
der Handgelenkbeweglichkeit zu rechnen. Im Falle einer Versteifung des
rechten Handgelenkes sei dieses bezüglich Streckung/Beugung und
Ulnar-/Radialduktion blockiert, wobei der tatsächliche Beweglichkeitsverlust
im Vergleich zum Jetztzustand nur 40 Grad bzw. 30 Grad ausmachen würde. Die
Umwendbewegungen (Pro-/Supination) des Handgelenkes blieben jedoch voll
erhalten, ebenso wie die volle Beweglichkeit und die Feinmotorik der Finger.
Die Versteifung des Handgelenkes hätte eine Einbusse der Faustschlusskraft
zur Folge, wenn man dies in Relation zu einem gesunden, normal beweglichen
Handgelenk setze. Wenn man sie hingegen in Relation zu einem bereits in
seiner Beweglichkeit stark eingeschränkten und schmerzhaften Handgelenk
setze, sei sogar mit einer Verbesserung zu rechnen. Wenn man folglich beim
Versicherten das rechte Handgelenk versteifen würde, wäre seine
Faustschlusskraft in der rechten Hand zwar geringer als in der linken, in der
Gesamtbilanz aber dennoch besser als im Vergleich zum heutigen Zustand. Zwar
bedeute eine Versteifung eine Funktionseinbusse, die allein zu Lasten der
Beweglichkeit gehe, die ihrerseits aber zu einer deutlichen Schmerzreduktion
wenn nicht völligen Schmerzfreiheit führen würde, was letztlich einen
Kraftgewinn brächte. Provokationsmanöver wie Beanspruchung auf Zug, Druck,
Scherung und vor allem auf Torsion wären dann nicht mehr schmerzhaft. Auch
wenn der Versicherte dann weniger Kraft in seiner rechten Hand hätte als in
seiner linken, könnte er dennoch mehr als die derzeitigen zwei bis drei
Kilogramm heben und tragen. Infolge der besseren Belastbarkeit der rechten
Hand wäre dann eine Gewichtsbelastung von mindestens fünf bis maximal sieben
Kilogramm, bei hängendem Arm maximal 10 kg zumutbar. Auch eine
Vibrationsbelastung, die aufgrund des heutigen Zustandes nicht in Frage
komme, wäre dann wieder zuzumuten, damit auch Arbeiten mit vibrierenden
Geräten, falls diese bequem in Neutralstellung des rechten Handgelenkes
gehalten und geführt werden können. Nicht durchführbar wären hingegen
weiterhin Arbeiten, die eine Beweglichkeit des rechten Handgelenkes vor allem
für Streckung und Beugung oder unbequeme Stellungen abverlangen, insbesondere
solche repetitiver Natur. Zumutbar wären hingegen allgemein leichte Arbeiten
in der Industrie wie leichte Fliessbandarbeiten, Überwachungsfunktionen,
Reinigungsarbeiten, Botengänge etc., jedoch auch andere Verrichtungen, die in
Neutralstellung des rechten Handgelenkes unter Einhaltung der erwähnten
Gewichtslimiten eingehalten werden können, dies bei voller Leistung und
ganztags.

2.3 Aus den Beurteilungen der Dres. O.________ und V.________, auf welche
abgestellt werden kann, ist zu schliessen, dass mit grosser
Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass der Beschwerdegegner nach
Vornahme der Handgelenksarthrodese die angestammte Tätigkeit als Reiniger der
Firma S.________ wieder aufnehmen und damit ein rentenausschliessendes
Einkommen erzielen könnte. Unter diesen Umständen ist die fragliche Operation
als zumutbar zu betrachten. In diesem Zusammenhang weist die
Beschwerdeführerin zu Recht darauf hin, dass es entgegen der Auffassung der
Vorinstanz nicht angeht, bei der Verneinung einer wesentlichen Erhöhung der
Erwerbsfähigkeit auch die unfallfremden Knieprobleme einzubeziehen. Hiefür
hat die kausale Unfallversicherung nicht einzustehen. Ebenfalls kann dem
kantonalen Gericht auch darin nicht gefolgt werden, wenn es sich bezüglich
der Frage einer Verbesserung der Erwerbsfähigkeit im angestammten Beruf als
Reiniger der Firma S.________ auf die Dres. U.________, K.________ und
P.________ beruft. Die Auffassung von Dr. med. K.________, Orthopädische
Chirurgie FMH, im Bericht vom 5. Juli 2002 zu Handen der IV ist schon deshalb
für den vorliegenden Fall nicht brauchbar, weil er eine Gesamtbeurteilung
unter Einschluss von zwei weiteren unfallfremden Leiden (Gonarthrose links
und Meniskusläsion rechts) für die finale Invalidenversicherung vorgenommen
hat. Immerhin schliesst er eine Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht
aus. Dr. med. P.________ vom Ärztlichen Dienst der Firma S.________
unterscheidet in der Stellungnahme vom 13. Juni 2002 zwar zwischen Hand- und
Kniegelenk. Seine Beurteilung, wonach der Beschwerdegegner für die Reinigung
untauglich sei, erfolgt aber ebenfalls aufgrund beider Befunde. Dr. med.
U.________, FMH Handchirurgie und Orthopädische Chirurgie, schliesslich
äussert sich im Bericht vom 12. März 2001 etwas vage, wenn sie ausführt,
erfahrungsgemäss sei eine Wiederaufnahme der angestammten Tätigkeit nicht
ganz auszuschliessen.

2.4 Ist nach dem Gesagten davon auszugehen, dass die fragliche Operation
zumutbar ist und - allein bezogen auf die Unfallfolgen - die Wiederaufnahme
der angestammten Tätigkeit nach erfolgter Operation möglich wäre, so hat die
Beschwerdeführerin zu Recht einen Anspruch des Beschwerdegegners auf eine
Invalidenrente verneint.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. September 2003
insoweit aufgehoben, als er die Rentenfrage betrifft und die Sache zur
weiteren Abklärungen und zu neuem Entscheid über den Rentenanspruch an die
Beschwerdeführerin zurückweist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 1. März 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: