Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 275/2003
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U 275/03

Urteil vom 7. Juni 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Ackermann

X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dominik Zehntner,
Spalenberg 20, 4051 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 10. September 2003)

Sachverhalt:

A.
X. ________, geboren 1975, arbeitete als Gerüstarbeiter für die Firma
M.________ und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
unfallversichert. Am 3. November 2000 fuhr ein Auto von hinten auf seinen
Wagen auf, als er die Fahrt verlangsamte, um einem Bus den Vortritt zu
lassen. Das am folgenden Tag aufgesuchte Spital R.________ diagnostizierte
ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS). Die SUVA erbrachte die
gesetzlichen Leistungen und zog diverse Arztberichte bei (unter anderem je
einen Bericht des Spitals R.________ vom 25. Februar 1994 über den Vorzustand
des X.________ sowie der Klinik B.________ vom 29. Juni 2001 mit
psychosomatischem Konsilium vom 22. Mai 2001 und des SUVA-Arztes Dr. med.
W.________ vom 2. Oktober 2001). Mit Verfügung vom 30. Oktober 2001 stellte
die SUVA die Heilbehandlung per 2. Oktober 2001 und die Taggeldleistungen per
11. November 2001 ein, da die geklagten Beschwerden nicht mehr unfallbedingt
seien und sich der aktuelle Zustand infolge des krankhaften Vorzustandes des
Rückens auch ohne Unfall ergeben hätte. Auf Einsprache des X.________ hin
holte die SUVA je einen Bericht des Hausarztes Dr. med. G.________, Arzt für
Allgemeine Medizin FMH, vom 27. Januar 2002 sowie des SUVA-Arztes Dr. med.
E.________, Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie, vom 8. Mai 2002 ein und
bestätigte mit Einspracheentscheid vom 15. Mai 2002 ihre Verfügung.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 10. September 2003 ab, nachdem es je einen Bericht
des Spitals Y.________ vom 3. Juli 2002 und der Klinik Z.________ vom 30.
September 2002 zu den Akten genommen hatte.

C.
X.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides
seien ihm Versicherungsleistungen zuzusprechen, eventualiter sei die Sache
zur weiteren Abklärung an die SUVA zurückzuweisen. Ferner lässt er die
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung beantragen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit dem 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zu Recht festgehalten hat, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar, da nach
dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides
(15. Mai 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2;
RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101). Die Vorinstanz hat im Weiteren die
Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V
289 Erw. 1b, 117 V 376 Erw. 3a mit Hinweisen) zwischen dem Unfallereignis und
dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod), insbesondere auch
bei Vorliegen eines Schleudertraumas der HWS und eines für diese Verletzung
typischen Beschwerdebildes (BGE 117 V 360 Erw. 4b), zutreffend dargestellt.
Dasselbe gilt für die  Leistungseinstellung, wenn derjenige Zustand erreicht
ist, der sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften
Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (status
quo sine; RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b), und der dafür beim
Unfallversicherer liegenden Beweislast (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 329). Darauf
wird verwiesen.

2.
Streitig ist, ob die geklagten Beschwerden Folge des Unfalles von November
2001 sind oder ob ein status quo sine vorliegt. Unbestritten ist dagegen,
dass der Versicherte bereits vor dem Unfall eine erhebliche Haltungsstörung
der HWS bei schwerer Missbildung aufgewiesen hat.

2.1 Die Vorinstanz stellt auf die Einschätzungen der Klinik B.________ sowie
des SUVA-Arztes Dr. med. W.________ ab und geht davon aus, dass im Oktober
2001 der status quo sine eingetreten sei. Der Beschwerdeführer ist
demgegenüber der Auffassung, das Vorliegen des status quo sine sei nicht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, insbesondere sei weder dem
Bericht der Klinik B.________ noch den Berichten der SUVA-Ärzte Dres. med.
W.________ und E.________ eine diesbezügliche Begründung zu entnehmen.

2.2 Im Austrittsbericht vom 29. Juni 2001 stellt die Klinik B.________ fest,
dass keine Unfallfolgen mehr "nachweisbar" seien, und empfiehlt daher den
Fallabschluss mit Überprüfung der Rentenfrage, wobei "unfallbedingt" leichte
bis mittelschwere Tätigkeiten ganztags zumutbar seien. Da die Klinik
B.________ zwar einerseits davon ausgeht, dass keine Unfallfolgen mehr
vorliegen, andererseits aber eine unfallbedingte Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit annimmt, liegt ein innerer Widerspruch in der ärztlichen
Beurteilung vor, so dass mangels Schlüssigkeit nicht entscheidwesentlich
darauf abgestellt werden kann (vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a). Damit kann aber
auch nicht die Einschätzung des SUVA-Arztes Dr. med. W.________ vom 2.
Oktober 2001 massgebend sein; denn dieser Arzt stützt sich für die Verneinung
der Unfallfolgen auf die Ausführungen der Klinik B.________ und führt keine
eigene Begründung für das Erreichen des status quo sine an.

Ebenso wenig kann entscheidwesentlich auf die Einschätzung des Aktenberichts
des SUVA-Arztes Dr. med. E.________ vom 8. Mai 2002 abgestellt werden: Denn
dieser Arzt erklärt nicht, weshalb keine relevanten unfallbedingten
Auswirkungen mehr vorliegen oder weshalb sich der krankhafte Vorzustand
nunmehr dahin auswirke, dass die von der Klinik B.________ angeführte
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (nur leichte bis mittelschwere
Tätigkeiten) auch ohne Unfall bestehen würde.

Im Bericht vom 27. Januar 2002 verneint der Hausarzt Dr. med. G.________ zwar
das Erreichen eines status quo sine, wobei er aber letztlich nur die
unzulässige Begründung "post hoc ergo propter hoc" anführt, so dass dieser
Meinung ebenfalls nicht entscheidende Bedeutung zukommen kann.

Schliesslich kann der Entscheid über das Erreichen des status quo sine auch
nicht mit dem Bericht der Rehaklinik Rheinfelden vom 30. September 2002
begründet werden, denn es ist - wie die Vorinstanz zu Recht festhält - nicht
klar, ob dieser Bericht in Kenntnis der Vorakten (vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a)
abgegeben worden ist. Weiter wird in diesem Bericht auf der einen Seite zwar
- primär gestützt auf die Angaben des Beschwerdeführers über seine bisherigen
Tätigkeiten - das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen den geklagten
Beschwerden und dem Unfall von November 2001 bejaht, während auf der anderen
Seite ein erneuter Rehabilitationsaufenthalt gerade auch deshalb empfohlen
wird, damit zur Unfallkausalität Stellung genommen werden kann.

2.3 Da für die Beantwortung der Frage des Erreichens des status quo sine
nicht entscheidend auf die in den Akten liegenden Arztberichte abgestellt
werden kann, ist der Sachverhalt nicht genügend abgeklärt worden
(Untersuchungsgrundsatz; BGE 125 V 195 Erw. 2), so dass die Beweislastregeln
(RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 f. Erw. 3b) vorerst nicht zum Tragen kommen. Die
SUVA wird deshalb die notwendigen  Abklärungen vorzunehmen (z.B. Nachfrage
bei der Klinik B.________) und anschliessend neu zu verfügen haben, im Falle
der Bejahung der Unfallursächlichkeit auch unter Berücksichtigung der
adäquaten Kausalität (BGE 117 V 359).

3.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne
der Befreiung von den Gerichtskosten ist deshalb gegenstandslos.

Infolge Obsiegens hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG). Das
Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist somit ebenfalls gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 10. September 2003
und der Einspracheentscheid der SUVA vom 15. Mai 2002 aufgehoben, und es wird
die Sache an die SUVA zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im
Sinne der Erwägungen, neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 7. Juni 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: