Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 265/2003
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U 265/03

Urteil vom 14. Februar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Frésard; Gerichtsschreiber Fessler

M.________, 1947, Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 24. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1947 geborene M.________ arbeitete seit vielen Jahren saisonal, zuletzt
vom 9. Februar bis 14. Mai 1999 als Elektromonteur bei der Firma X.________
AG, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten
Betrieb. Er ist Schweizer Bürger. Am 7. Juni 1999 erlitt M.________ in
Spanien einen Unfall. Gemäss Meldung der Firma vom 15. Juni 1999 war er beim
Bäume Schneiden von der Leiter gefallen. Die SUVA kam für die Heilbehandlung
auf und richtete Taggelder aus.

Mit Verfügung vom 15. Dezember 1999 verneinte die SUVA eine Leistungspflicht
mit der Begründung, der Unfall vom 7. Juni 1999 habe sich während der Arbeit
ereignet. Dafür habe M.________ Lohn bezogen, weshalb die obligatorische
Unfallversicherung geruht habe. Es könnten daher keine
Versicherungsleistungen erbracht werden. Daran hielt die SUVA mit
Einspracheentscheid vom 9. März 2000 fest.

B.
Die von M.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Luzern mit Entscheid vom 24. September 2003 ab.

C.
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, die
SUVA sei zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 1. Oktober 1999 bis 31. Dezember
2003 monatlich Fr. 2700.- zu bezahlen.

Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung, Kranken- und Unfallversicherung (seit 1.
Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), reicht keine Vernehmlassung ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Vorliegend sind weder das am 1. Juni 2002 in Kraft getretene Abkommen vom 12.
Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der
Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten andererseits über die
Freizügigkeit (FZA) noch das seit 1. Januar 2003 in Kraft stehende
Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) anwendbar (BGE 128 V 315 sowie BGE 129 V 4
Erw. 1.2).

2.
Streitgegenstand bildet die Leistungspflicht der SUVA an sich für die
gesundheitlichen und erwerblichen Folgen des am 7. Juni 1999 in Spanien
erlittenen Unfalles (Sturz von einer Leiter). Soweit die Begehren in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Zusprechung von Geldleistungen) über dieses
Prozessthema hinausgehen, ist darauf nicht einzutreten (BGE 125 V 414 Erw. 1a
und 416 Erw. 2c).

3.
3.1
3.1.1Obligatorisch versichert nach dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über
die Unfallversicherung (UVG) sind die in der Schweiz beschäftigten
Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter, Lehrlinge, Praktikanten,
Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten tätigen Personen (Art.
1 Abs. 1 UVG in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung).

Personen, die einen Nebenerwerb oder ein Nebenamt ausüben, können auf die
Versicherung speziell für diese Tätigkeit verzichten, sofern das Entgelt den
in Artikel 8bis der Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und
Hinterlassenversicherung erwähnten Betrag nicht übersteigt. Der Verzicht muss
beim zuständigen Versicherer im voraus schriftlich und mit Zustimmung des
Arbeitgebers erfolgen (Art. 2 Abs. 2 UVV, erlassen durch den Bundesrat
gestützt auf Art. 1 [seit 1. Januar 2003: Art. 1a] Abs. 2 UVG).

3.1.2 In der Schweiz wohnhafte Selbständigerwerbende und ihre nicht
obligatorisch versicherten mitarbeitenden Familienglieder können sich
freiwillig versichern (Art. 4 Abs. 1 UVG).

Die Bestimmungen über die obligatorische Versicherung gelten sinngemäss für
die freiwillige Versicherung (Art. 5 Abs. 1 UVG).

3.2 Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, werden die
Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und
Berufskrankheiten gewährt (Art. 6 Abs. 1 UVG). Als Berufsunfälle gelten
Unfälle, die den Versicherten zustossen u.a. bei Arbeiten, die er auf
Anordnung des Arbeitgebers oder in dessen Interesse ausführt. Als
Nichtberufsunfälle gelten alle Unfälle, die nicht zu den Berufsunfällen
zählen (Art. 7 Abs. 1 Ingress und lit. a und Art. 8 Abs. 1 UVG, je in der bis
31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung).

3.3 Die Versicherung beginnt an dem Tag, an dem der Arbeitnehmer aufgrund der
Anstellung die Arbeit antritt oder hätte antreten sollen, in jedem Fall aber
im Zeitpunkt, da er sich auf den Weg zur Arbeit begibt (Art. 3 Abs. 1 UVG).
Sie endet mit dem 30. Tag nach dem Tage, an dem der Anspruch auf mindestens
den halben Lohn aufhört (Art. 3 Abs. 2 UVG). Die Versicherung ruht, wenn der
Versicherte der Militärversicherung oder einer ausländischen obligatorischen
Unfallversicherung untersteht (Art. 3 Abs. 4 UVG).

3.3.1 Die Nachdeckungsfrist von 30 Tagen gemäss Art. 3 Abs. 2 UVG gilt
lediglich für Nichtberufsunfälle (Alfred Maurer, Schweizerisches
Unfallversicherungsrecht, S. 141; vgl. auch Botschaft vom 18. August 1976 zum
Bundesgesetz über die Unfallversicherung [BBl 1976 III 141 ff.] S. 144 und
185). Die Fortdauer des Versicherungsschutzes gilt räumlich auch für im
Ausland erlittene Nichtberufsunfälle. Hingegen kommt Art. 3 Abs. 2 UVG nach
seinem Sinn und Zweck nicht zum Zuge bei Selbstständigerwerbenden ohne
freiwillige Versicherung und bei Arbeitnehmern, die unter Art. 2 Abs. 2 UVV
fallen.

Das hier zu beachtende Abkommen vom 13. Oktober 1969 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft und Spanien über Soziale Sicherheit dehnt
den sachlichen Geltungsbereich der innerstaatlichen Ordnung über die
Fortdauer des Unfallversicherungsschutzes nach Art. 3 Abs. 2 UVG nicht auf
Berufsunfälle nach Art. 7 Abs. 1 lit. a UVG resp. Arbeitsunfälle im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 A.a.(i) und Art. 16 des Staatsvertrages aus.

3.3.2 Obligatorisch unfallversichert im Sinne von Art. 3 Abs. 4 UVG setzt
eine Versicherungspflicht von Gesetzes wegen voraus. Wenn und solange die
Bedingungen für eine Unterstellung gegeben sind, besteht Versicherungsschutz.
Das bedeutet insbesondere, dass eine allenfalls fehlende Anmeldung
grundsätzlich nicht zu einem Verlust von Ansprüchen führen darf.

4.
Das kantonale Gericht hat erwogen, der Beschwerdeführer sei wie schon die
Jahre zuvor nach einem temporären Einsatz in der Firma X.________ AG nach
A.________ abgereist. Dort betreibe er gemäss seinen Angaben eine kleine
Landwirtschaft (Obstbau, Kräuteranbau, Viehhaltung) und helfe anderen
Landwirten. Der Unfall vom 7. Juni 1999 habe sich ereignet, als er gegen
Entlöhnung für B.________ dessen Bäume geschnitten habe. Gemäss Auskunft des
Ministeriums für Arbeit und Soziale Angelegenheiten vom 8. April 2002 seien
alle Personen, die einer beruflichen Tätigkeit in Spanien nachgingen, für
welche aufgrund des allgemeinen Sozialversicherungsrechts
Versicherungspflicht bestehe, verpflichtet, sich bei der jeweiligen Anstalt
an- und abzumelden. Durch eine solche Versicherung seien die infolge eines
Unfalles nötigen Leistungen gedeckt. Somit sei davon auszugehen, dass der
Beschwerdeführer im Unfallzeitpunkt der spanischen Unfallversicherung
unterstanden habe. Die schweizerische Unfallversicherung habe daher geruht.
Das Versicherungsobligatorium in der spanischen Sozialversicherung ergebe
sich zudem unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer den Unfall als
selbstständigerwerbender Landwirt oder als Angestellter eines Dritten
erlitten habe. Dass er offenbar bei der spanischen Unfallversicherung nicht
angemeldet gewesen sei, habe er im Übrigen selber zu vertreten. Für eine
Belangung der SUVA bestehe somit kein Raum.

5.
5.1 Aufgrund der Akten ist offen, ob der Beschwerdeführer in Bezug auf den
Unfall vom 7. Juni 1999 (Sturz von einer Leiter) nach spanischem Recht
obligatorisch versichert war. Vorab ist unklar, ob die offenbar gesetzlich
vorgeschriebene Anmeldung als Arbeitnehmer oder Selbstständigerwerbender in
dem Sinne zwingend ist, dass im Unterlassungsfalle kein Versicherungsschutz
besteht. Verhält es sich so, ist Art. 3 Abs. 4 UVG nicht anwendbar. Gemäss
Botschaft vom 12. November 1969 über die Genehmigung der von der Schweiz mit
Spanien und mit der Türkei abgeschlossenen Abkommen über Soziale Sicherheit
(BBl 1969 II 1417 ff.) sodann werden Nichtbetriebsunfälle nach spanischem
Recht durch die Krankenversicherung gedeckt. Diese Versicherung ist für
bestimmte Staatsangehörige obligatorisch. Schweizer Bürger gehören nicht
dazu. Für sie gilt das einschlägige Sozialversicherungsabkommen mit Spanien.
Dessen Rechtsvorschriften des allgemeinen Systems der Sozialen Sicherheit
über die Krankenversicherung sind indessen nicht ins Abkommen einbezogen
worden (BBl 1969 II 1420 und 1434).

5.2 Im Weitern kann entgegen der offenbaren Auffassung des kantonalen
Gerichts nicht ohne weiteres von einem Berufsunfall resp. Arbeitsunfall
ausgegangen werden.

5.2.1 Vorinstanz und auch SUVA stellen für die Beurteilung der Frage, ob das
Ereignis vom 7. Juni 1999 als Berufsunfall oder Nichtberufsunfall zu
betrachten sei, auf die Aussagen ab, die der Beschwerdeführer am 25. November
1999 gegenüber dem Sachbearbeiter der Kreisagentur Zentralschweiz der Anstalt
machte. Damals gab er folgenden Sachverhalt zu Protokoll: «Am Montag 7. Juni
1999 war ich in Spanien mit dem Fällen von Bäumen bei einem Nachbarn
beschäftigt. Dieser Mann hat mich zu einem Stundenlohn von 500 Peseten
beschäftigt. Es handelt sich um einen Liegenschaftsbesitzer, dessen Bäume zu
nahe an sein Haus reichten, weshalb er mich anstellte, diese Arbeiten
auszuführen. Die Arbeit dauerte rund eine Woche. Name des Auftraggebers:
B.________, (A.________). (...). Der Unfall ist auf die defekte Leiter
zurückzuführen, die von Herrn B.________ zur Verfügung gestellt wurde.»

Der Beschwerdeführer bestritt weder in der Einsprache noch in der
vorinstanzlichen Beschwerde oder Replik ausdrücklich die Richtigkeit der
Sachverhaltsdarstellung laut Protokoll vom 25. November 1999. Erst in seiner
letzten Eingabe vom 8. September 2003 an das kantonale Gericht gab er an, er
habe für seinen Freund einen Baum gefällt. Dabei habe es sich um einen
Freundschaftsdienst gehandelt. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bringt er
vor, der Unfall habe sich ereignet, als er für seinen Freund, B.________,
einen Gummibaum gefällt habe. Da der Baum zu nahe am Haus gestanden sei, habe
er eine Leiter benutzt, um ihn von oben nach unten in kleine Stücke zu
zersägen. Dabei habe es sich um einen Freundschaftsdienst gehandelt. Ohne
auch nur einen Beweis behaupte die SUVA, er habe für Lohn gearbeitet. Dass er
gemäss vorinstanzlicher Vernehmlassung des Unfallversicherers für seinen
Nachbarn Bäume gefällt und eine Woche lang seine Bäume geschnitten habe für
500 Pesetas pro Stunde, sei Unsinn. Anfang Juni würden in Spanien die Bäume
nicht geschnitten. Falsch sei auch die Behauptung, er sei seit 1985 Besitzer
eines kleinen Landwirtschaftsbetriebes. Er besitze nichts in Spanien.

5.2.2 Der Beschwerdeführer hatte sich indessen bereits früher in dem Sinne
geäussert, bei der Arbeit für B.________ am 7. Juni 1999 habe es sich um
einen Freundschaftsdienst gehandelt. Auf der Unfallmeldung UVG vom 15. Juni
1999 steht folgender Vermerk: «Bespr. mit Vers. am Schalter: Hat einem
Kollegen geholfen. Keine Entlöhnung.» Nach der Beweismaxime der Aussage der
ersten Stunde (BGE 121 V 47 Erw. 2a mit Hinweisen) kommt dieser ersten
Äusserung des Beschwerdeführers nach dem Vorfall vom 7. Juni 1999 besonderes
Gewicht zu für die hier entscheidrelevante Frage, ob in jenem Zeitpunkt noch
Versicherungsschutz nach UVG bestand. Die nachträglichen abweichenden Angaben
vermögen nicht im Sinne überwiegender Wahrscheinlichkeit den Gegenbeweis zu
erbringen, dass der Beschwerdeführer seinerzeit tatsächlich entlöhnt wurde.
Dabei kann offen bleiben, ob er am 25. November 1999 deswegen angab, gegen
Entlöhnung gearbeitet zu haben, weil er davon ausging, das sei entscheidend
für die Leistungspflicht der SUVA.

5.3 Die Sache ist somit nicht spruchreif. Durch die SUVA abzuklären ist, ob
der Beschwerdeführer in Bezug auf den Unfall vom 7. Juni 1999 nach spanischem
Recht obligatorisch versichert war und allenfalls weiter, ob der Sturz von
der Leiter einen Berufsunfall oder einen Nichtberufsunfall darstellt. Zu
letzterem Punkt erscheint eine Beweisauskunft von besagtem B.________
unerlässlich. Dabei kann der Unfallversicherer die Amtshilfe der spanischen
Behörden in Anspruch nehmen. Danach wird die SUVA über ihre Leistungspflicht
neu verfügen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf einzutreten ist, wird in dem
Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Luzern vom 24. September 2003 und der Einspracheentscheid vom 9. März 2000
aufgehoben werden und die Sache an die SUVA zurückgewiesen wird, damit sie,
nach ergänzenden Abklärungen im Sinne der Erwägungen, über ihre
Leistungspflicht aus dem Unfall vom 7. Juni 1999 neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 14. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: