Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 255/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


U 255/03

Urteil vom 29. März 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Schön; Gerichtsschreiber Ackermann

Z.________, 1979, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecherin Véronique
Bachmann, Poststrasse 8, 3400 Burgdorf,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 8. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Z. ________, geboren 1979, arbeitete ab November 1996 als Kondukteurin für
die Eisenbahn X.________. Am 11. Mai 2001 kündigte sie ihre Stelle auf den
31. August 2001, um Sprachaufenthalte durchzuführen und sich anschliessend
zur Reiseleiterin ausbilden zu lassen; am 9. August 2001 gab sie ihre
Dienstsachen ab. Mit Schreiben vom 5. September 2001 wies die Eisenbahn
X.________ Z.________ darauf hin, dass die Unfalldeckung durch den
Unfallversicherer der ehemaligen Arbeitgeberin einen Monat nach dem Austritt
enden werde.

Am 16. November 2001 wurde Z.________ in Spanien Opfer eines Verkehrsunfalls.
Nachdem sie sich zuerst an die ehemalige Arbeitgeberin gewandt hatte, reichte
sie am 17. April 2002 eine Unfallmeldung bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA), dem Unfallversicherer der Eisenbahn
X.________, ein. Mit Verfügung vom 11. Juli 2002 lehnte die SUVA ihre
Leistungspflicht ab, da Z.________ im Unfallzeitpunkt nicht mehr versichert
gewesen sei. Mit Einsprache vom 12. Juli 2002 liess Z.________ geltend
machen, sie sei von der ehemaligen Arbeitgeberin nicht auf die Möglichkeit
der Abredeversicherung hingewiesen worden; damit sei sie so zu stellen, wie
wenn eine solche abgeschlossen worden wäre. Mit Einspracheentscheid vom 20.
Dezember 2002 bestätigte die SUVA die leistungsverweigernde Verfügung von
Juli 2002, da Z.________ durch Aushänge in den Aufenthalts- und Reserveräumen
sowie durch das Schreiben der Eisenbahn X.________ vom 5. September 2001
genügend informiert worden sei.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 8. September 2003 ab, soweit es darauf eingetreten war.

C.
Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides
seien ihr Versicherungsleistungen zuzusprechen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit dem 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zu Recht festgehalten hat, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Einspracheentscheides (Dezember 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2). Die
Vorinstanz hat im Weiteren die Informationspflicht der Unfallversicherer und
Arbeitgeber korrekt dargelegt (Art. 72 UVV; BGE 121 V 28).

2.
Zu Recht nicht umstritten ist, dass die Beschwerdeführerin im November 2001
nicht mehr obligatorisch bei der SUVA versichert gewesen ist (Art. 3 Abs. 2
UVG) und dass sie keine Abredeversicherung nach Art. 3 Abs. 3 UVG
abgeschlossen hat. Streitig ist dagegen, ob die ehemalige Arbeitgeberin über
die Möglichkeit der Abredeversicherung genügend informiert hat und sich die
SUVA diese Unterlassung in der Weise anrechnen lassen muss, dass sie aus
Vertrauensschutz (BGE 121 V 66 Erw. 2a) leistungspflichtig wird (vgl. BGE 121
V 34 Erw. 2c). Zu prüfen ist damit, ob und welche Informationspflichten die
SUVA und die ehemalige Arbeitgeberin (als Organ der
Versicherungsdurchführung; BGE 121 V 34 Erw. 2c) wahrzunehmen haben, ob diese
im vorliegenden Fall verletzt wurden und welche Folgen sich bejahendenfalls
daraus ergeben.

2.1  In einem Fall, in welchem es um die Tragweite der Informationspflichten
von Versicherer und Arbeitgeber hinsichtlich einer Abredeversicherung nach
Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ging, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht zunächst in Bestätigung der Auffassung des damaligen
kantonalen Gerichts erkannt, Art. 3 UVG umschliesse lediglich die
Obliegenheit des Versicherers, die Abredeversicherung zu führen und
anzubieten, nicht jedoch die Verpflichtung, jeden einzelnen Versicherten im
Rahmen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses rechtzeitig über die
Möglichkeit der Verlängerung des Versicherungsschutzes durch Abschluss einer
Abredeversicherung zu informieren (BGE 121 V 31 f. Erw. 1c). Hingegen ergebe
sich aus der allgemeinen Informationspflicht des Versicherers (Art. 72 UVV)
die Verpflichtung, nebst anderem über die Möglichkeit des Abschlusses einer
Abredeversicherung zu informieren. Der Versicherer und auch der Arbeitgeber
sind in diesem Regelungszusammenhang Organe der Versicherungsdurchführung und
die Erfüllung ihrer Informationspflicht muss manifestiert werden und
insbesondere im Hinblick auf die Weiterleitungspflicht des Arbeitgebers (Art.
72 Satz 2 UVV) vom Versicherten erkennbar sein. Damit wird von den
Durchführungsorganen organisatorisch nicht mehr verlangt, als nach
jahrzehntelanger Verwaltungspraxis in der von der SUVA betriebenen
obligatorischen Unfallversicherung schon unter der Geltung des KUVG beachtet
wurde, nämlich beispielsweise ein Aushang am ständigen Anschlag im
unterstellten Betrieb, Informationen an Betriebsversammlungen usw. Da sich
Versicherer und Arbeitgeber den Beweis der ihnen obliegenden Information mit
dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit durch
zumutbare Vorkehren ohne weiteres sichern können, rechtfertigt es sich, dem
Versicherer die Beweislast hiefür auch insoweit aufzuerlegen, als die
Erfüllung der Informationspflichten des Arbeitgebers in Frage steht (BGE 121
V 32 ff. Erw. 2a und b mit Hinweisen). Bei Verletzung der
Informationspflichten hat der Versicherer für seine sowie die Unterlassungen
des Arbeitgebers einzustehen, wobei dies unter dem Vorbehalt steht, dass die
weiteren Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufung auf den
Vertrauensschutz, insbesondere die kausal verursachte Disposition seitens des
Arbeitnehmers aus unterbliebener Information, erfüllt sind (BGE 121 V 34 Erw.
2c mit Hinweisen; RKUV 2000 Nr. U 387 S. 274 f. Erw. 3b).

2.2  Wie die Abklärung der SUVA ergeben hat, sind in den vom Personal der
Eisenbahn X.________ benutzten Räumen Informationen der SUVA über die
Abredeversicherung angeschlagen; weiter haben Arbeitskollegen der
Beschwerdeführerin Abredeversicherungen abgeschlossen, was bedeutet, dass sie
über diese Möglichkeit informiert worden sind. Eine - hier erfolgte -
Information durch allgemeinen Anschlag ist für die Erfüllung der
Informationspflicht gemäss Art. 72 UVV ausreichend (vgl. BGE 121 V 33 Erw. 2b
mit Literaturhinweis), so wurde denn auch in RKUV 2000 Nr. U 387 S. 277 Erw.
4c implizit eine Information durch Broschüren als grundsätzlich genügend
vorausgesetzt (auch wenn dies im konkreten Fall nicht ausreichend gewesen und
nicht korrekt erfolgt ist). Das Genügen eines allgemein zugänglichen Aushangs
für die Erfüllung der Informationspflicht ist insbesondere auch im
Zusammenhang mit der Eigenverantwortung (Art. 6 BV) zu sehen: Von einer
mündigen Bürgerin wie der Beschwerdeführerin kann ohne weiteres verlangt
werden, dass sie sich zumindest Gedanken über den Versicherungsschutz macht
und in dieser Hinsicht minimalste Abklärungen unternimmt (und sei es auch nur
durch das Lesen der Anschläge in den Personalräumen), wenn sie ihre
Arbeitsstelle kündet, um - offenbar während längerer Zeit - Sprachaufenthalte
zu absolvieren und sich zur Reiseleiterin ausbilden zu lassen. Dies ist hier
um so mehr der Fall, als in den Lohnabrechnungen jeweils der vorgenommene
Abzug für die Nichtberufsunfallversicherung ausgewiesen und damit monatlich
die Problematik der Unfallversicherung in Erinnerung gerufen worden ist. Eine
Sensibilisierung für den Unfallversicherungsschutz wäre im Übrigen um so mehr
zu erwarten gewesen, als die Beschwerdeführerin bereits im Juni 2001 einen
Unfall erlitten hatte und in der Folge bis zum 8. August 2001 arbeitsunfähig
gewesen ist. Würde der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gefolgt, welche letztlich eine explizite Information in jedem Einzelfall
verlangt, liefe dies schlussendlich darauf hinaus, einem Arbeitnehmer bei der
Kündigung alles und jedes - nicht nur betreffend Abredeversicherung -
mitteilen zu müssen; ein dermassen umfangreicher Informationskatalog würde in
der Folge nicht mehr gelesen (vgl. das Beispiel bei Gunther Arzt,
Strafbarkeit juristischer Personen: Andersen, vom Märchen zum Alptraum,
Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, S. 233 Fn 23: Viele
Käufer eines Fernglases werden die voluminöse Bedienungsanleitung mit
absurden Warnungen nicht lesen, sodass ihnen auch der sinnvolle Hinweis
entgeht, mit dem Fernglas nicht in die Sonne zu schauen). Im Übrigen kann die
Beschwerdeführerin auch nichts zu ihren Gunsten daraus ableiten, dass ein vom
Inspektor der SUVA im Juni 2002 befragter Angestellter der Eisenbahn
X.________ den Aushang über die Abredeversicherung nicht gekannt hat, da
dieser Mitarbeiter - anders als die Beschwerdeführerin - allenfalls gar keine
Veranlassung hatte, sich über die Versicherungsdeckung nach einer Kündigung
Gedanken zu machen.

2.3  An der Erfüllung der Informationspflicht (Erw. 2.2 hievor) ändert die
Tatsache nichts, dass der Inspektor der SUVA am 20. Juni 2002 festgestellt
hat, die Informationen der SUVA seien am Bahnhof in Y.________ - Arbeitsort
der Beschwerdeführerin - nicht angeschlagen gewesen; dies war offenbar nach
einem erfolgten Umbau des Gebäudes unterlassen worden. Die Beschwerdeführerin
hatte einerseits während ihrer Anstellung seit 1996 Gelegenheit, die
angeschlagenen Informationen in den diversen von ihr benutzten Räumen in
unterschiedlichen Bahnstationen zur Kenntnis zu nehmen. Diese Informationen
waren andererseits auch ab dem Zeitpunkt des Umbaus in Y.________ in den für
das Personal vorgesehenen Räumen in anderen Bahnhöfen angeschlagen, wobei
ausser Zweifel steht, dass sich die Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft
als Kondukteurin an solchen Orten aufgehalten hat. Damit ist die
Informationspflicht im Sinne des Art. 72 UVV jedoch auch während der Zeit
erfüllt worden, in der in Y.________ keine Informationen ausgehängt gewesen
sind.

2.4  Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass die ehemalige
Arbeitgeberin mit Schreiben vom 5. September 2001 nicht auf die
Abredeversicherung hingewiesen habe, und dass ihr dieser Brief zu spät
geschickt worden sei, da sie sich zu dieser Zeit bereits im Ausland
aufgehalten habe, was der Eisenbahn X.________ bekannt gewesen sei. Es trifft
zwar zu, dass die ehemalige Arbeitgeberin mit Schreiben vom 5. September 2001
nicht auf die Möglichkeit der Abredeversicherung (jedoch auf das Ende des
Unfallversicherungsschutzes) hingewiesen hat. Da jedoch eine Information
mittels Aushang am Anschlagbrett ausreichend ist (vgl. Erw. 2.2 hievor),
ändert die Nichterwähnung der Abredeversicherung im Schreiben nichts an der
Rechtslage.

Damit haben die SUVA und die ehemalige Arbeitgeberin die Informationspflicht
gemäss Art. 72 UVV mittels Aushang korrekt erfüllt; eine Verletzung der
Informationspflicht ist nicht erstellt und eine Leistungspflicht der SUVA in
der Folge zu verneinen (vgl. BGE 121 V 34 Erw. 2b in fine).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 29. März 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: