Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 252/2003
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U 252/03

Urteil vom 23. März 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Schön; Gerichtsschreiber Ackermann

M.________, 1976, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8003
Zürich, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 5. September 2003)

Sachverhalt:

A.
M.________, geboren 1976, arbeitete von Dezember 1996 bis zu seiner
Entlassung wegen Vertrauensbruchs per Ende Dezember 1997 in der Firma
X.________ und war bei der Helsana Versicherungen AG, Zürich,
unfallversichert. Am 12. Juni 1997 erlitt er einen Verkehrsunfall, worauf die
Helsana ihre Leistungspflicht anerkannte und, neben Heilbehandlung, Taggelder
in Höhe von Fr. 72.-- erbrachte, wobei sie sich auf einen versicherten Lohn
von Fr. 2'700.-- pro Monat (ohne 13. Monatslohn) stützte. Nachdem die
Invalidenversicherung mit Verfügung vom 24. Februar 2000 M.________ mit
Wirkung ab dem 1. Juli 1999 eine ganze Invalidenrente zugesprochen hatte,
nahm die Helsana mit Schreiben vom 11. Februar 2000 eine Berechnung der
Überentschädigung vor und richtete ab dem 1. Juli 1999 ein
Komplementärtaggeld von Fr. 4.86 aus. Mit Verfügung vom 18. Juni 2002
verweigerte die Helsana eine Erhöhung des Taggeldes aufgrund eines höheren
versicherten Verdienstes, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass im
Gesundheitsfall eine Lohnerhöhung um mindestens 10% erfolgt wäre; dies wurde
durch Einspracheentscheid vom 31. Oktober 2002 bestätigt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern mit Entscheid vom 5. September 2003 teilweise gut und wies die Sache
zu neuer Verfügung an die Helsana zurück, damit sie die Überentschädigung und
das Komplementärtaggeld unter Berücksichtigung der Kinderzulagen für die 1998
geborene Tochter des M.________ neu berechne.

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es sei
der vorinstanzliche Entscheid insoweit aufzuheben, als ab dem 8. Mai 2002
keine Einkommensverbesserung von 10% zuerkannt und nicht von einem Einkommen
von Fr. 50'000.-- ausgegangen werde; ferner lässt er die Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung beantragen.

Die Helsana und das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (ab dem 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit),
verzichten auf Vernehmlassungen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zu Recht festgehalten hat, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Einspracheentscheides (31. Oktober 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2). Die Vorinstanz hat im Weiteren
auch die Bestimmungen über den bei langdauernder Taggeldberechtigung
versicherten Verdienst (Art. 15 UVG, Art. 23 Abs. 7 UVV) sowie die dabei
geltenden Beweisgrundsätze (RKUV 1994 Nr. U 195 S. 211 Erw. 5b) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist in letzter Instanz allein die Höhe des massgebenden Lohnes für
das Taggeld.

2.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, dass der Beschwerdeführer den Nachweis
eines höheren Lohnes nicht erbracht habe: So sei ihm insbesondere keine
Lohnerhöhung in Aussicht gestellt worden und er habe auch nicht dargelegt,
weshalb er (ohne Eintritt des Unfalls) eine besser bezahlte Stelle hätte
annehmen können; nicht massgebend sei zudem das Argument, er hätte sich nach
der Geburt seiner Tochter nicht mehr mit dem bisherigen geringen Lohn
begnügt. Auch die Behauptung, dass heute ein Mindestlohn von Fr. 3'000.--
anerkannt sei, treffe in dieser absoluten Formulierung nicht für alle
unqualifizierten Arbeitnehmer im Gastgewerbe zu.

Der Versicherte ist demgegenüber der Ansicht, es sei die Kinderzulage für die
1998 geborene Tochter bei der Anpassung des massgebenden Lohnes für das
Taggeld zu berücksichtigen; zusammen mit dem ab Mai 2002 gemäss
Gesamtarbeitsvertrag gültigen Mindestverdienst von Fr. 3'000.-- sowie einem
dreizehnten Monatslohn ergebe sich eine Lohnerhöhung von über 10%.

2.2 Entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist die nach
der Geburt der Tochter nach Art. 22 Abs. 2 lit. b UVV dem versicherten
Verdienst zuzurechnende Kinderzulage nicht für den (mindestens zehn Prozent
betragenden) Umfang der Lohnerhöhung gemäss Art. 23 Abs. 7 UVV zu
berücksichtigen (vgl. auch BGE 127 V 173 Erw. 3b für den massgebenden Lohn
für Renten nach Art. 24 Abs. 2 UVV). Es handelt sich bei den Kinderzulagen
nämlich nicht um eine Lohnerhöhung im eigentlichen Sinn (welche eine Erhöhung
des Entgelts für die geleistete Arbeit darstellt; vgl. Art. 319 Abs. 1 OR),
sondern um einen vom Austauschverhältnis Arbeitsleistung-Lohn unabhängigen
Zuschlag zum bisherigen, in der Höhe unveränderten Lohn. So sind
Kinderzulagen denn auch für den Arbeitgeber wirtschaftlich keine Lohn-,
sondern Lohnnebenkosten, da damit eben nicht die geleistete Arbeit an sich
bezahlt wird.

2.3 Nicht gefolgt werden kann dem Versicherten auch dahin, dass ab dem 8. Mai
2002 der Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes einen Mindestlohn von
Fr. 3'000.-- pro Monat sowie einen dreizehnten Monatslohn vorsehe, weshalb
gegenüber dem 1997 erzielten Verdienst von Fr. 2'700.-- eine Steigerung von
über 10% eingetreten sei. Grundlage für die Bemessung des Taggeldes ist
nämlich der versicherte Verdienst gemäss Art. 22 Abs. 3 UVV, d.h. der letzte
vor dem Unfall bezogene Lohn einschliesslich noch nicht ausbezahlter
Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Massgebend ist dabei
der effektiv bezogene Lohn, der anhand der unbestritten gebliebenen Meldung
des Arbeitgebers Fr. 2'700.-- pro Monat ausmacht. Eine Erhöhung des
versicherten Verdienstes im Sinne des Art. 23 Abs. 7 UVV - und damit ein
Abweichen vom Regelfall des Art. 22 Abs. 3 UVV - ist indessen nicht allein
schon deswegen als überwiegend wahrscheinlich anzunehmen, wenn auf fiktive
Löhne verwiesen wird, die allenfalls in einer gerichtlichen
Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber hätten erwirkt werden können. Ein
gemäss Gesamtarbeitsvertrag vorgesehener Mindestlohn ist im Übrigen auch kein
in Art. 22 Abs. 3 UVV erwähnter, noch nicht ausbezahlter Lohnbestandteil, auf
den ein Rechtsanspruch besteht, denn einerseits sind in dieser Regelung
offensichtlich Bestandteile wie dreizehnter Monatslohn, Kinderzulagen oder
Gratifikationen gemeint, und andererseits ist nicht klar, ob dieser
Mindestlohn hier überhaupt geschuldet ist (und auch eingefordert worden
wäre), da die Anstellung des Versicherten als Auslieferer von Pizze (sowie
als Mitarbeiter im Betrieb) nicht zwingend unter den Gesamtarbeitsvertrag für
das Gastgewerbe fallen muss.

Da das kantonale Gericht die weiteren vom Versicherten geltend gemachten (und
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht mehr erwähnten) Gründe für eine
angebliche Lohnerhöhung zu Recht verworfen hat, ist die nach Art. 23 Abs. 7
UVV vorausgesetzte Einkommenssteigerung um mindestens 10% als nicht
überwiegend wahrscheinlich erstellt (RKUV 1994 Nr. U 195 S. 211 Erw. 5b), so
dass der versicherte Verdienst in dieser Hinsicht nicht zu ändern ist.

3.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben.

Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 OG in
Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten
war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Dr.
Bruno Häfliger, Luzern, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung
(einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 800.-- ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 23. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: