Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 246/2003
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U 246/03

Urteil vom 11. Februar 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Scartazzini

K.________, 1979, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Volker
Pribnow, Stadtturmstrasse 10, 5401 Baden,

gegen

"Zürich" Versicherungs-Gesellschaft, Alfred-Escher-Strasse 50, 8022 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 13. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1979 geborene K.________ war seit dem 1. Januar 2001 bei der Apotheke
X.________ als Pharmaassistentin angestellt und dadurch bei der "Zürich"
Versicherungs-Gesellschaft ("Zürich") gegen die Folgen von Unfällen und
Berufskrankheiten versichert. Am 2. April 2001 erlitt sie anlässlich eines
Auffahrunfalles ein posttraumatisches tendomyotisches Zervikalsyndrom nach
einer Halswirbelsäulen-Distorsion (Schleudertrauma) und klagte anschliessend
insbesondere über Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen. Die Versicherte nahm
am 16. April 2001 ihre Tätigkeit wieder vollumfänglich auf und wurde mittels
Physiotherapie und Craniosacraltherapie behandelt.
Nachdem die "Zürich" für die Heilbehandlungskosten aufgekommen war, verfügte
sie am 12. Juli 2002 die Einstellung ihrer Leistungen ab 31. Mai 2002 und
bestätigte dies mit Einspracheentscheid vom 18. Oktober 2002.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde, womit beantragt wurde, die "Zürich" sei zu
verpflichten, der Versicherten über den 31. Mai 2002 hinaus die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen, insbesondere seien ihr die Heilbehandlungskosten zu
vergüten, wies das Versicherungs-gericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom
13. August 2003 ab.

C.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die
vorinstanzlichen Rechtsbegehren erneuern.
Die "Zürich" schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Leistungspflicht des Unfallversicherers nach UVG setzt voraus, dass
zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit,
Invalidität, Tod) ein natürlicher (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 119 V 337 Erw. 1,
118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen) und ein adäquater Kausalzusammenhang
(BGE 129 V 181 Erw. 3.2, 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) besteht. Hat der
Versicherte beim Unfall ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS), eine
diesem äquivalente Verletzung (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 Erw. 2) oder ein
Schädel-Hirntrauma erlitten, ohne dass organisch nachweisbare
Funktionsausfälle vorliegen, so wird im Gegensatz zu der bei psychischen
Unfallfolgen geltenden Praxis (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa) bei der Beurteilung
der Adäquanz auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen
Komponenten verzichtet, da nicht entscheidend ist, ob die Beschwerden
medizinisch eher als organischer oder psychischer Natur zu bezeichnen sind
(BGE 117 V 366 f. Ew. 6a; ferner RKUV 2002 Nr. U 465 S. 438 f. Erw. 3a und b,
2000 Nr. U 395 S. 318 Erw. 3). Im Rahmen der Prüfung der Adäquanz kommt den
in Betracht fallenden Leistungsarten (Heilbehandlung, Taggeld,
Invalidenrente, Integritätsentschädigung) keine Massgeblichkeit zu (BGE 127 V
104 f. Erw. 5d). Das kantonale Gericht hat diese Rechtsprechung zutreffend
dargelegt, weshalb darauf verwiesen wird. Richtig wurde schliesslich
festgehalten, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über
den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) nach den von der
Rechtsprechung entwickelten intertemporalrechtlichen Regeln (BGE 127 V 467
Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) in materiellrechtlicher Hinsicht auf den
vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist.

2.
Streitig ist einzig, ob die Beschwerdeführerin ab 31. Mai 2002 weiterhin
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung hat.

2.1 Beim Abschluss des Falles konnte anhand zahlreicher medizinischer Akten
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die
Beschwerdeführerin am 2. April 2001 ein Schleudertrauma (Distorsion der HWS)
erlitten hatte und die  vorhandenen typischen Beschwerden mit dem fraglichen
Verkehrsunfall in einem natürlichen Kausalzusammenhang stehen. Psychische
Beeinträchtigungen wurden keine geltend gemacht, sodass die Beurteilung der
Adäquanz gemäss den Grundsätzen in BGE 117 V 367 Erw. 6a zu erfolgen hatte.
Bei dem als mittelschwer zu beurteilenden und dort im Grenzbereich zu den
leichten Unfällen einzureihenden Unfall wurde jedoch festgestellt, dass auf
Grund einer Gesamtwürdigung die Adäquanzkriterien weder in gehäufter Form
gegeben waren noch eines in besonders ausgeprägter Weise zu bejahen war.
Demzufolge hat das kantonale Gericht die Adäquanz des Kausalzusammenhanges
und damit die Leistungspflicht der "Zürich" nach dem 31. Mai 2002 in
Bestätigung der angefochtenen Verfügung verneint.

2.2 Wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren, vertritt die
Beschwerdeführerin in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Meinung, eine
Adäquanzprüfung während der Heilbehandlung sei nicht zulässig, da in jener
Phase das Vorliegen eines natürlichen Kausalzusammenhangs ausreiche. Nachdem
das Leistungsrecht grundlegend zwischen den Phasen der medizinischen
Heilbehandlung und der Zeit nach Abschluss derselben unterscheide, stelle es
eine sinnvolle Eingrenzung dar, wenn der soziale Unfallversicherer die
vorübergehenden Leistungen jedenfalls bis zum Abschluss der Heilbehandlung zu
erbringen und eine Prüfung der Adäquanz zu verschieben habe, bis
Dauerleistungen zur Diskussion stehen. Weiter bringt die Beschwerdeführerin
vor, sollte die Adäquanz dennoch geprüft werden, wäre das Vorliegen dieses
Kausalzusammenhangs zu bejahen, da das Kriterium der besonderen Art der
erlittenen Verletzungen jedenfalls erfüllt sei, wenn sich eine versicherte
Person ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule zuziehe. Zudem seien
vorliegend auch die Adäquanzkriterien der ungewöhnlich langen Dauer der
ärztlichen Behandlung, der Dauerbeschwerden und eines schwierigen
Heilungsverlaufs gegeben.

2.3 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Zunächst ist
festzuhalten, dass die zur Adäquanz entwickelte Praxis einerseits nach der
Art des eingetretenen Schadens und anderseits nach der Art des schädigenden
Ereignisses differenziert. Der im Einzelfall in Betracht zu ziehenden
Leistung kommt im Rahmen der Prüfung der Adäquanz keine Massgeblichkeit zu.
Denn die Frage nach der Leistungsart stellt sich erst, wenn ein
leistungsbegründender adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall oder
der Berufskrankheit einerseits und der Gesundheitsschädigung anderseits zu
bejahen ist. Bei der Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs kann somit
weder ein "milderer Massstab" zur Anwendung kommen, wenn die Frage im Raum
steht, ob vorübergehende Leistungen zu gewähren seien (BGE 127 V 104 f. Erw.
5d und e), noch kann auf die Adäquanzprüfung verzichtet werden.

Es trifft zwar zu, dass die differenzierende Praxis zur Adäquanz auf Fälle
ausgerichtet ist, in denen die Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs
einige Zeit nach dem Unfallereignis stattfindet. Wie sich aus dem Folgenden
ergibt, muss allerdings auch im vorliegenden Fall die Frage, ob sich deshalb
eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung rechtfertigt, welche es erlaubt,
dem Zeitpunkt Rechnung zu tragen, in welchem die Adäquanzprüfung stattfindet,
nicht beantwortet werden (BGE 127 V 104 f. Erw. 5d und e).

2.4 Das kantonale Gericht hat erwogen, sobald organisch nicht hinreichend
nachgewiesene Unfallfolgen zur Diskussion stünden, sei der Versicherer
berechtigt, unabhängig von der begehrten Leistungsart die Adäquanzprüfung
dann vorzunehmen, wenn sie ihm geboten erscheine. Im vorliegenden Fall sei
der Zeitpunkt, in welchem die Adäquanzprüfung vorgenommen wurde, nicht
willkürlich, sondern nach pflichtgemässem Ermessen festgelegt worden.
Diese Betrachtungsweise widerspricht der den Zeitpunkt der Adäquanzprüfung
betreffenden Rechtsprechung. Vielmehr ist die Adäquanz erst nach Abschluss
des normalen, unfallbedingt erforderlichen Heilungsprozesses zu prüfen, und
nicht solange von einer Fortsetzung der ärztlichen Behandlung noch immer eine
Besserung erwartet werden kann (Urteile K. vom 6. Mai 2003, U 6/03; R. vom 9.
September 2002, U 412/01; A. vom 6. November 2001, U 8/00; D. vom 16. März
2000, U 127/99, H. vom 29. März 2001, U 114/00). Nachdem sich der versicherte
Unfall am 2. April 2001 ereignet hatte, verfügte die "Zürich" am 12. Juli
2002, also nach rund 14 Monaten, die Einstellung ihrer Leistungen ab 31. Mai
2002 mit der Begründung, es liege zwischen den noch geklagten Beschwerden und
dem Unfallereignis kein adäquater Kausalzusammenhang mehr vor. Die Vorinstanz
befand, dieses Vorgehen sei rechtens, da die Adäquanzprüfung nach einer
vollständigen Arbeitsfähigkeit von mehr als einem Jahr (RKUV 2001 Nr. U 442
S. 544 ff.; in SZS 2001 S. 433 f. veröffentlichtes Urteil A. vom 29. Dezember
1998, U 100/97) rund 14 Monate nach dem Unfallereignis vorgenommen wurde. In
den erwähnten Urteilen wurde jedoch nicht von einer für alle Schleudertraumen
gleiche Heilungsdauer ausgegangen, sondern es wurde auf Grund der Umstände
des Einzelfalles entschieden.

2.5 Als die Beschwerdegegnerin vorliegend die Leistungen einstellte, empfahl
Dr. med. M.________, behandelnder Arzt und Gutachter des Medizinischen
Zentrums Y.________, die Fortführung der Physiotherapie, das Erlernen einer
Entspannungstherapie sowie Medikation. Die von der Beschwerdegegnerin
empfohlene Craniosakraltherapeutin empfahl  ebenfalls weitere Behandlungen.
Den erwähnten ärztlichen Berichten lässt sich somit nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit entnehmen, dass die Beschwerdeführerin im massgebenden
Zeitpunkt nicht mehr an Unfallfolgen litt. Daraus ergibt sich vielmehr, dass
14 Monate nach dem Unfall der Endzustand noch nicht erreicht war und mit den
genannten somatischen Behandlungen mit einer Besserung zu rechnen war. Die
Adäquanzbeurteilung erfolgte unter den gegebenen Umständen verfrüht. Da somit
ein Dahinfallen der Unfallkausalität bis zum massgebenden Zeitpunkt des
Einspracheentscheids (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen) nicht erstellt
ist, hat die Beschwerdegegnerin über den 31. Mai 2002 hinaus und jedenfalls
bis zum Zeitpunkt des Einspracheentscheids (vom 18. Oktober 2002) die Kosten
für die Heilbehandlung zu übernehmen, deren Umfang sie im Einzelnen noch
festzulegen haben wird.

3.
Da es im vorliegenden Verfahren um die Bewilligung oder Verweige-rung von
Versicherungsleistungen geht, ist von der Auferlegung von Gerichtskosten
abzusehen (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist der
Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 13. August 2003 und der
Einspracheentscheid vom 18. Oktober 2002 aufgehoben, und es wird die Sache an
die "Zürich" zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch der
Beschwerdeführerin auf Heilbehandlung im Sinne der Erwägungen neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die "Zürich" hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
Luzern, 11. Februar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: