Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 239/2003
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U 239/03

Urteil vom 25. Februar 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Schön; Gerichtsschreiber Flückiger

H.________, 1974, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel
Vischer, Lintheschergasse 21, 8023 Zürich,

gegen

Axa Assurances, Avenue de Cour 26, 1000 Lausanne, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Baur, Bahnhofstrasse 55, 8600 Dübendorf

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 25. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1974 geborene H.________ war seit 1. November 1997 als Sachbearbeiterin
bei der M.________, angestellt und auf Grund dieses Arbeitsverhältnisses bei
der Northern Assurance, Genf (nunmehr AXA Assurances, nachfolgend: AXA)
obligatorisch gegen die Folgen von Unfall und Berufskrankheit versichert. Am
8. November 1997 kollidierte sie mit der Front ihres geradeaus fahrenden
Personenwagens mit einem von rechts aus einer Stopstrasse kommenden, nach
links abbiegenden Auto. Dabei zog sich die Versicherte gemäss Arztzeugnis UVG
des Dr. med. B.________, prakt. Arzt, vom 25. November 1997 eine
HWS-Distorsion zu. Am 29. Dezember 1997 konnte sie ihre Arbeit wieder zu 100
% aufnehmen, und die ärztliche Behandlung konnte gemäss Zwischenbericht des
Dr. med. B.________ vom 15. Januar 1998 abgeschlossen werden.

Am 17. Januar 1998 war H.________ erneut von einem Verkehrsunfall betroffen,
als sie mit einem von rechts kommenden Fahrzeug kollidierte, dessen Lenkerin
ein Rotlicht missachtet hatte. PD Dr. med. L.________, Orthopädische
Chirurgie FMH, diagnostizierte in einem Zwischenbericht vom 6. April 1998
einen Status nach einem weiteren Distorsionstrauma der HWS mit protrahiertem
Heilungsverlauf bei Schleudertrauma-Symptomatik und attestierte der
Versicherten weiterhin volle Arbeitsunfähigkeit. Das Arbeitsverhältnis wurde
durch die Arbeitgeberin per 30. Juni 1998 gekündigt.

Die AXA holte bei Prof. Dr. med. U.________, Neurologie FMH, ein Gutachten
ein, welches am 20. Oktober 1999 erstattet und am 31. Dezember 1999
präzisiert wurde. Anschliessend erliess sie am 12. April 2000 - nachdem die
Versicherte eine Stellungnahme des Dr. med. C.________, Orthopädische
Chirurgie FMH, vom 5. Januar 2000 eingereicht hatte - eine Verfügung, in
welcher sie festhielt, der erste Unfall vom 8. November 1997 zeitige keine
Folgen mehr, während für den zweiten Unfall vom 17. Januar 1998 für die Zeit
vom 1. November 1999 bis 31. März 2000 von einer Arbeitsfähigkeit von 50 %,
ab 1. April 2000 von 75 % und ab 1. Juli 2000 von 100 % auszugehen sei. Die
Taggelder würden dementsprechend bemessen; die Übernahme der Heilbehandlung
werde per 30. Juni 2000 eingestellt. Die dagegen erhobene Einsprache wies der
Versicherer mit Entscheid vom 4. Juli 2000 ab. Der Einspracheentscheid blieb
unangefochten.

Im Rahmen einer Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung absolvierte
die Versicherte vom 7. August bis 29. September 2000 eine
Status-quo-Abklärung in der ESPAS, Stiftung für wirtschaftliche und soziale
Integration Erwerbsbeeinträchtigter in R.________, welche eine Integration im
Bürobereich in der Privatwirtschaft als unrealistisch erachtete und der
Versicherten in der Folge einen geschützten Arbeitplatz im Rahmen von 20
Wochenstunden zur Verfügung stellte. In der Folge lehnte es der Versicherer
mit Schreiben vom 7. Februar 2001 und - nach Beizug eines der
Invalidenversicherung erstatteten Gutachtens des neuropsychologischen
Instituts in R.________, vom 12. Februar 2001, eines Beschlusses der
IV-Stelle des Kantons Zürich vom 30. März 2001 (Zusprechung einer ganzen
Rente der Invalidenversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 100 % ab 1.
Januar 1999) sowie einer Stellungnahme des Prof. Dr. med. U.________ vom 28.
April 2001 - 23. Mai 2001 ab, auf den Einspracheentscheid vom 4. Juli 2000
zurückzukommen. Am 25. Juni 2001 erliess die AXA eine Verfügung, mit der sie
es weiterhin ablehnte, eine Wiedererwägung des Einspracheentscheides vom 4.
Juli 2000 zu prüfen und ausserdem festhielt, es seien weder die
Voraussetzungen für eine prozessuale Revision dieses Entscheids erfüllt noch
sei zwischenzeitlich ein Rückfall eingetreten. An diesem Standpunkt hielt der
Versicherer mit Einspracheentscheid vom 21. September 2001 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 25. August 2003).

C.
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
es sei "das vorinstanzliche Urteil im Sinne der Erwägungen aufzuheben".

Die AXA lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Das
Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Unfallversicherung (heute im
Bundesamt für Gesundheit), verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben, und weil ferner das Sozialversicherungsgericht
bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des
Erlasses des streitigen Einspracheentscheids eingetretenen Sachverhalt
abstellt, sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1).

2.
Über den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin für die Zeit bis 4. Juli
2000 wurde durch den an diesem Tag gefällten, unangefochten gebliebenen
Einspracheentscheid rechtskräftig entschieden. Darauf zurückzukommen, ist nur
unter dem Titel der Wiedererwägung oder der prozessualen Revision möglich.

2.1 Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die
Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand
materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen,
wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung
ist (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung kann die
Verwaltung jedoch weder durch die Betroffenen noch vom Gericht zu einer
Wiedererwägung verhalten werden. Es besteht demnach kein gerichtlich
durchsetzbarer Anspruch auf Wiedererwägung. Verfügungen, mit denen das
Eintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch abgelehnt wird, sind grundsätzlich
nicht anfechtbar (BGE 117 V 12 Erw. 2a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 119 V 479
Erw. 1b/cc).

Die AXA ist mit der Verfügung vom 25. Juni 2001 und dem Einspracheentscheid
vom 21. September 2001 auf den Antrag der Beschwerdeführerin, es sei der
Einspracheentscheid vom 4. Juli 2000 in Wiedererwägung zu ziehen, nicht
eingetreten. Dieser Entscheid ist, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat,
einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich.

2.2 Von der Wiedererwägung ist die so genannte prozessuale Revision von
Verwaltungsverfügungen zu unterscheiden. Danach ist die Verwaltung
verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn
neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu
einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit
Hinweisen).

Das kantonale Gericht hat mit ausführlicher und sorgfältiger Begründung, auf
welche verwiesen werden kann, dargelegt, dass sich aus dem Bericht der ESPAS
vom 18. Oktober 2000 sowie dem neuropsychologischen Gutachten vom 12. Februar
2001 keine neuen Elemente tatsächlicher Natur ergeben, welche eine
prozessuale Revision begründen könnten. Insbesondere geht aus dem
neuropsychologischen Gutachten nicht hervor, dass ein Beschwerdebild gegeben
wäre, welches eine Folge der Unfälle vom 8. November 1997 und 17. Januar 1998
bildet (zur Aussagekraft neuropsychologischer Feststellungen bezüglich der
Unfallkausalität vgl. BGE 119 V 341) und nicht Gegenstand der vor dem 4. Juli
2000 durchgeführten Abklärungen gebildet hätte. Der Befund, die zeitliche
Belastbarkeit sei wegen der Folgen der bei der Beschwerdegegnerin
versicherten Unfälle eingeschränkt, stellt, wie die Vorinstanz mit Recht
erwogen hat, eine abweichende Beurteilung des Sachverhaltes dar, welche nicht
geeignet ist, eine prozessuale Revision zu begründen. Die nachträgliche
rückwirkende Zusprechung einer ganzen Rente durch die Invalidenversicherung
bildet schon deshalb keinen Revisionsgrund, weil für deren Entscheid die
vorliegend (auch) umstrittene Frage, ob und inwieweit das Beschwerdebild eine
Unfallfolge darstellt, nicht relevant ist.

2.3 Mangels eines Rückkommenstitels besteht keine Grundlage für die
nachträgliche Abänderung des Einspracheentscheids vom 4. Juli 2000. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist insoweit unbegründet.

3.
Da für die Zeit bis 4. Juli 2000 ein rechtskräftiger Entscheid vorliegt,
bleibt zu prüfen, ob in der Folge bezüglich der bei der Beschwerdegegnerin
versicherten Unfälle vom 8. November 1997 und 17. Januar 1998 ein Rückfall
oder Spätfolgen (Art. 11 UVV) aufgetreten sind. Die gerichtliche Prüfung hat
sich dabei auf den Zeitraum bis zum vorliegend streitigen, vorinstanzlich
bestätigten Einspracheentscheid vom 21. September 2001 zu beschränken (vgl.
Erw. 1 hievor). Für diesen zeitlichen Rahmen wird jedoch das Auftreten neuer
oder das Wiederaufleben früherer, zwischenzeitlich abgeheilter Beschwerden,
wie die Vorinstanz ebenfalls zu Recht festhielt, nicht geltend gemacht.
Ebenso wenig ergeben sich aus den Akten diesbezügliche Anhaltspunkte. Nicht
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bilden Ansprüche auf
Versicherungsleistungen im Zusammenhang mit dem inzwischen erlittenen
neuerlichen Unfall.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 25. Februar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: