Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 223/2003
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U 223/03

Urteil vom 12. März 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Hochuli

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

T.________, 1973, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Barbara
Laur, Schifflände 22, 8001 Zürich

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 14. Juli 2003)

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 27. August 2001 lehnte die Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz oder Beschwerdeführerin)
eine Leistungspflicht hinsichtlich der am 17. April 2001 als Unfallfolgen
angemeldeten Beschwerden des 1973 geborenen, bei der Allianz gegen Unfälle
und Berufskrankheiten versicherten T.________ ab, da sich weder ein Unfall
ereignet habe noch eine unfallähnliche Körperschädigung vorliege. Daraufhin
bat der mit einer Orientierungskopie bediente behandelnde Arzt des
Versicherten, Dr. med. G.________,  mit Schreiben vom 30. August 2001 um eine
Stellungnahme zu seiner die Unfallkausalität bejahenden Auffassung. Die
Allianz antwortete auf das Ersuchen des Arztes nicht und trat mit
Einspracheentscheid vom 24. Mai 2002 darauf nicht ein, weil keine
rechtsgültige Einsprache erhoben worden sei.

Die hiegegen erhobene Beschwerde des T.________ hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 14. Juli 2003
insoweit teilweise gut, als es den Einspracheentscheid vom 24. Mai 2002
aufhob und die Sache an die Allianz zurück wies, damit diese auf die
Einsprache eintrete und sie materiell behandle.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Allianz die Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheids.

T. ________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
mit Vernehmlassung erhobene Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege zieht er mit Schreiben vom 20. November 2003 zurück. Das
Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und Unfallversicherung
(seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Einspracheverfahren gemäss Art. 105 Abs. 1 UVG gehört zum
Verwaltungsverfahren, welches mit dem Einspracheentscheid abgeschlossen wird.
Anfechtungsgegenstand des nachfolgenden gerichtlichen Beschwerdeverfahrens
bildet allein der Einspracheentscheid (BGE 119 V 350 Erw. 1b mit Hinweisen).
Soweit kein derartiger Verwaltungsakt ergangen ist, fehlt es an einem
Anfechtungsgegenstand und mithin an einer Sachurteilsvoraussetzung (BGE 125 V
414 Erw. 1a mit Hinweisen).

1.2 Sowohl der Einspracheentscheid vom 24. Mai 2002 als auch der angefochtene
Entscheid haben einzig die Frage zum Gegenstand, ob im Schreiben des Dr. med.
G.________ vom 30. August 2001 an die Allianz eine rechtsgültige Einsprache
zu erblicken sei. Streitig und zu prüfen ist demnach nur, ob die
Beschwerdeführerin zu Recht nicht auf die Eingabe des Dr. med. G.________
eingetreten ist.

1.3 Da es sich nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der
rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist
(Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Einsprachen im
Allgemeinen (Art. 105 Abs. 1 UVG) und die Form von Einsprachen (Art. 130 Abs.
1 UVV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Beizufügen bleibt, dass
das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar
ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen
Einspracheentscheids (hier: vom 24. Mai 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 127 V 467 Erw. 1).

2.2 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Unfallversicherer, der eine
Einsprachebegründung als ungenügend erachtet, der versicherten Person
praxisgemäss in analoger Anwendung von Art. 108 Abs. 1 lit. b UVG eine
angemessene Frist zur Verbesserung zu setzen hat (RKUV 1999 Nr. U 324 S. 100
f. mit Hinweisen). Er hat sie in jedem Fall darauf aufmerksam zu machen, dass
ihre Einsprache nicht genügend begründet oder unklar ist, bevor er deswegen
verfahrensabschliessende Massnahmen trifft. Gegenteiliges Verhalten würde
einem überspitzten Formalismus, nahe einer Rechtsverweigerung gleichkommen,
da die strikte Anwendung einer - nicht einmal schriftlich normierten -
Verfahrensregel nicht durch ein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt
werden kann (Pra 1998 Nr. 28 S. 186 Erw. 3b mit Hinweisen).

3.
Fest steht, dass der Versicherte zunächst mit Bagatellunfall-Meldung UVG vom
16. April 2001 eine während den Ferien in Kenya am 18. Februar 2001
zugezogene Rückenverletzung als Unfallfolge anmelden liess. Nachdem der den
Versicherten seit 18. Mai 2001 behandelnde Dr. med. G.________ gegenüber der
Beschwerdeführerin die Auffassung vertreten hatte, dass der
Gesundheitsschaden Folge des angemeldeten Unfalles sei, lehnte die Allianz
mit Verfügung vom 27. August 2001 eine Leistungspflicht hinsichtlich der
geklagten Beschwerden ab. Sie bediente den behandelnden Arzt mit einer
Orientierungskopie dieser Verfügung. Hiegegen wandte Dr. med. G.________ mit
Schreiben vom 30. August 2001 postwendend ein, bei der osteoporotisch
mitverursachten Fraktur habe der Versicherte einen Riss der paravertebralen
Muskulatur erlitten, was eindeutig durch das geltend gemachte Unfallgeschehen
verursacht worden sei. Der Arzt bat um eine Stellungnahme. Statt dessen
teilte die Beschwerdeführerin Dr. med. G.________ am 16. Oktober 2001 mit,
dass die Verfügung vom 27. August 2001 unangefochten in Rechtskraft erwachsen
sei, weshalb die Krankenkasse leistungspflichtig sei.

4.
Die Vorinstanz erkannte mit überzeugender Begründung, worauf verwiesen wird,
zutreffend, dass die Beschwerdeführerin zu Unrecht nicht auf die Einsprache
eingetreten ist. Denn die Allianz war nach Kenntnisnahme der Eingabe des Dr.
med. G.________ vom 30. August 2001 praxisgemäss im Rahmen des auch im
Verwaltungsverfahren anwendbaren Vertrauensprinzips verpflichtet (BGE 123 V
131 f. Erw. 3c), dieses Schreiben so zu verstehen, dass der offensichtlich im
Interesse des Versicherten handelnde Arzt seinen - ungenügend formulierten -
Willen, gegen die Verfügung der Allianz Einsprache zu erheben, zum Ausdruck
bringen wollte. Dementsprechend hätte die Beschwerdeführerin nach dem Empfang
des Schreibens des Dr. med. G.________, wenn sie sich über deren Bedeutung
nicht im Klaren war, bei ihm nachfragen oder ihn darauf aufmerksam machen
müssen (vgl. Erw. 2.2 hievor), dass er, falls er Einsprache erheben wolle,
seine Eingabe durch den Versicherten nachträglich mitunterzeichnen lassen
oder gegebenenfalls eine Vollmacht des Versicherten nachreichen müsse. Die
Allianz behauptet zu Recht nicht, Dr. med. G.________ hätte nur mit
schriftlicher Vollmacht des Versicherten gegen die den letzteren betreffende
Verfügung Einsprache erheben können (vgl. Art. 11 Abs. 2 VwVG). Soweit die
Beschwerdeführerin geltend macht, innert der 30tägigen, mindestens bis zum
26. September 2001 laufenden Frist sei keine gültige Einsprache eingereicht
worden, ist sie nicht zu hören. Durch das Stillschweigen auf die - allenfalls
als unklar zu qualifizierende - Einsprache des Dr. med. G.________ innert
laufender Einsprachefrist verstiess die Beschwerdeführerin jedenfalls gegen
das Vertrauensprinzip. Entgegen der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter
anderem vorgetragenen Argumentation vermag die Allianz auch aus ihrem
Schreiben an Dr. med. G.________ vom 16. Oktober 2001 nichts zu ihren Gunsten
abzuleiten. Ohne auf die Einsprache vom 30. August 2001 näher einzugehen,
behauptete die Beschwerdeführerin, ihre Verfügung sei unangefochten in
Rechtskraft erwachsen und der Arzt habe folglich nach dem Krankenkassen-Tarif
abzurechnen. Dass Dr. med. G.________ als Nichtjurist dieser Aufforderung
nachkam, ändert nichts daran, dass die Allianz überspitzt formalistisch
vorging und den Vertrauensgrundsatz verletzt hat (vgl. Erw. 2.2). Sie muss
daher auf die Einsprache materiell eintreten.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario; vgl. Erw. 1.3
hievor). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten von der
Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Diese hat dem Beschwerdegegner ausserdem eine Parteientschädigung für das
letztinstanzliche Verfahren zu bezahlen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159
Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft hat dem Beschwerdegegner für
das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 1'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 12. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: