Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 220/2003
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U 220/03

Urteil vom 14. Januar 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Signorell

S.________, 1977, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Winterthur-Versicherungen, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 7. Juli 2003)

Sachverhalt:
Die 1977 geborene S.________ meldete den Winterthur Versicherungen
(nachfolgend: Winterthur) am 27. August 2001 einen Rückfall und liess am 18.
November 2002 eine Rechtsverzögerungsbeschwerde einreichen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern schrieb die Beschwerde mit
Verfügung vom 7. Juli 2003 zufolge Gegenstandslosigkeit ab; eine
Parteientschädigung sprach es nicht zu.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ die Aufhebung des
kantonalen Entscheides und die Feststellung der Rechtsverzögerung durch die
Winterthur, eventuell die Zusprechung einer Parteientschädigung für das
vorinstanzliche Verfahren, beantragen.
Die Winterthur schliesst auf Abschreibung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde;
das Bundesamt für Sozialversicherung und das Verwaltungsgericht verzichten
auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die massgeblichen Bestimmungen zutreffend dargestellt,
weshalb darauf verwiesen wird. Ergänzend ist beizufügen, dass nach der zur
Rechtslage vor Inkrafttreten des ATSG (Einreichung der
Rechtsverzögerungsbeschwerde bei der Vorinstanz am 18. November 2002)
ergangenen Rechtsprechung die materiellen Rechte und Pflichten bei
Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerden nicht
Streitgegenstand bilden (vgl. RKUV 2000 Nr. KV 131 S. 245 Erw. 2; nicht
veröffentlichtes Urteil B. vom 5. Juli 1999, I 54/99). An dieser
Rechtsprechung hielt das Gericht im Urteil K. vom 23. Oktober 2003 (I 328/03;
Erw. 4.2 mit Hinweisen) auch unter dem Geltungsbereich des ATSG - welches in
Art. 56 Abs. 2 eine allgemeine Regelung des Beschwerderechtes bei
Sachverhalten von Rechtsverzögerung oder -verweigerung vorsieht - fest.

2.
In verfahrensmässiger Hinsicht macht die Beschwerdeführerin geltend, das
kantonale Verwaltungsgericht sei zu Unrecht auf die Beschwerde nicht
eingetreten. Es treffe zwar zu, dass während des hängigen Verfahrens die
Winterthur materiell verfügt habe, so dass ein aktuelles Interesse entfalle.
Indessen könne nach der Rechtsprechung (BGE 111 Ib 59, 185; SVR 1998 UV Nr.
11 Erw. 5b/bb) auf ein aktuelles praktisches Interesse ausnahmsweise
verzichtet werden, wenn sich die aufgeworfene Frage jederzeit unter gleichen
oder ähnlichen Umständen wieder stellen könne, eine rechtzeitige Überprüfung
im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung der Frage wegen ihrer
grundsätzlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liege.

2.1 Eine Rechtsverzögerung und damit eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV
liegt nach der Rechtsprechung zu Art. 4 aBV unter anderem dann vor, wenn eine
Gerichts- oder Verwaltungsbehörde sich zwar bereit zeigt, einen Entscheid zu
treffen, diesen aber nicht binnen der Frist fasst, welche nach der Natur der
Sache und nach der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint
(BGE 117 Ia 197 Erw. 1c, 107 Ib 164 Erw. 3b mit Hinweisen).

Für die Rechtsuchenden ist es unerheblich, auf welche Gründe - beispielsweise
auf ein Fehlverhalten der Behörden oder auf andere Umstände - die
Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung zurückzuführen ist; entscheidend
ist ausschliesslich, dass die Behörde nicht oder nicht fristgerecht handelt
(BGE 108 V 20 Erw. 4c, 103 V 195 Erw. 3c). Bei der Feststellung einer
Rechtsverzögerung geht es deshalb um die Würdigung objektiver Gegebenheiten.
Eine unrechtmässige Verzögerung liegt dann vor, wenn die Umstände, welche zur
unangemessenen Verlängerung des Verfahrens führten, objektiv nicht
gerechtfertigt sind (BGE 103 V 195 Erw. 3c in fine).
Ob sich die gegebene Verfahrensdauer mit dem dargelegten Anspruch des Bürgers
und der Bürgerin auf Rechtsschutz innert angemessener Frist verträgt oder
nicht, ist am konkreten Einzelfall zu prüfen (BGE 119 Ib 325 Erw. 5b, 107 Ib
165, 103 V 195 Erw. 3c in fine). Massgeblich ist namentlich die Art des
Verfahrens, die Schwierigkeit der Materie und das Verhalten der Beteiligten
(in RKUV 1992 S. 194 nicht publizierte Erw. 4a).

2.2 Diese Rechtsprechung lässt nicht zu, dass das Gericht in abstrakter und
verbindlicher Form ein für allemal festlegen könnte und dürfte, innert
welcher Zeitspanne eine Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde einen Entscheid zu
fällen hat, ohne sich dem Vorwurf einer Rechtsverzögerung auszusetzen. Die
Beschwerdegegnerin hat Anspruch darauf, dass gegen sie erhobene Vorwürfe in
jedem einzelnen Fall anhand der konkreten Umstände geprüft werden. Entgegen
der Darstellung in der Beschwerdeschrift handelt es sich hier nicht um eine
Frage von grundsätzlicher Bedeutung, deren Beantwortung im öffentlichen
Interesse liegt und deren rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je
möglich wäre. Es verhält sich vielmehr so, dass nach Art. 56 Abs. 2 ATSG
Rechtsverzögerungs- oder Rechtsverweigerungsbeschwerden weiterhin jederzeit
erhoben werden können.

Nach dem Gesagten kann sich die Beschwerdeführerin nicht auf die
Rechtsprechung berufen, nach welcher ausnahmsweise bei Gegenstandslosigkeit
einer Beschwerde das Verfahren nicht abzuschreiben, sondern mit einem
materiellen Entscheid zu erledigen ist. Der vorinstanzliche
Abschreibungsentscheid ist nicht zu beanstanden.

3.
Die Beschwerdeführerin beantragt im Weiteren, es sei ihr für das
vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zuzusprechen.

Das kantonale Gericht hat einen Entschädigungsanspruch gemäss Art. 61 lit. g
ATSG abgewiesen. Die Erwägung, dass die Rechtsverzögerungsbeschwerde, wäre
sie nicht gegenstandslos geworden, hätte abgewiesen werden müssen, ist nicht
zu beanstanden: Eine Durchsicht der Akten zeigt, dass die Beschwerdegegnerin
nach Eingang des psychiatrischen Gutachtens vom 23. Mai 2002 dieses
unverzüglich zur Stellungnahme ihrem beratenden Psychiater Dr. R.________
(31. Mai 2002; Bericht vom 10. Juni 2002) und anschliessend ihrem beratenden
Arzt Dr. J.________ (31. Juli 2002; Bericht vom 2. August 2002)
unterbreitete. Am 14. August 2002 suchte die Winterthur nach Akten früherer
Unfallereignisse. Eine abschliessende Besprechung mit Dr. J.________ fand am
6. September 2002 statt. Der Schaden- und Rechtsdienst der Winterthur
orientierte die Beschwerdeführerin am 30. September 2002 dahingehend, dass
die zuständige Sachbearbeiterin ferienabwesend sei und nach ihrer Rückkehr
anfangs November 2002 sich sofort der Bearbeitung des Dossiers widmen werde.
Nachdem rechtliche Abklärungen getroffen worden waren (vgl. BGE-Ausdruck vom
18. November 2002), gewährte die Beschwerdegegnerin der Versicherten am 26.
November 2002 das rechtliche Gehör und erliess am 6. Dezember 2002 die
Verfügung. Die getroffenen Abklärungen waren notwendig und sachdienlich sowie
im Hinblick auf die Komplexität des Falles wegen früherer Ereignisse
vertretbar. Zu berücksichtigen ist im Weiteren, dass ein
vorleistungspflichtiger Krankenversicherer Leistungen erbrachte.

Die Beschwerdeführerin übersieht sodann, dass ihre Beschwerde jedenfalls nur
insoweit hätte gutgeheissen werden können, als darauf einzutreten gewesen
wäre. Im vorinstanzlichen Verfahren beantragte sie nämlich, dass einerseits
die Rechtsverzögerung festzustellen und andererseits die Winterthur "zur
unverzüglichen Leistungsaufnahme aus dem Unfallereignis vom 6. Juli 2000 zu
verpflichten" sei (Rechtsbegehren Ziff. 1). Auf diesen zweiten Teil des
Antrages hätte das Gericht nicht eintreten können (vgl. vorne Erw. 1). Es
hätte ihr damit lediglich eine reduzierte Parteientschädigung zugesprochen
werden können, die sich nach dem Mass des Obsiegens gerichtet hätte.

4.
Beschwerdeverfahren betreffend eine Rechtsverzögerung bzw. Rechtsverweigerung
sind praxisgemäss kostenlos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. Januar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: