Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 186/2003
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U 186/03

Urteil vom 7. Juni 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Fessler

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

D.________, 1954, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Bibiane
Egg, Langstrasse 4, 8004 Zürich

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 10. Juli 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1954 geborene D.________ arbeitete seit 1. Februar 1995 in der Firma
R.________ AG. Er war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen
sowie Berufskrankheiten versichert. Am 23. März 1996 stürzte D.________
während der Arbeit von einer Gerüstleiter. Dabei verletzte er sich am
Handgelenk rechts (schwerste intraartikuläre Trümmerfraktur des distalen
Radius). D.________ wurde noch am Unfalltag operiert. Am 12. Dezember 1996
erfolgte ein weiterer Eingriff, unter anderem zur partiellen Entfernung des
Osteosynthesematerials. Es blieben belastungsabhängige dorsale Schmerzen über
dem Handgelenk. Am 26. März 1998 wurde D.________ ein drittes Mal operiert.
Am 14. August 1998 fand die kreisärztliche Abschlussuntersuchung statt. Mit
Verfügung vom 8. Februar 1999 sprach die SUVA D.________ ab 1. März 1999 auf
Grund einer Erwerbsunfähigkeit von 25 % eine Invalidenrente von monatlich Fr.
517.- sowie eine Integritätsentschädigung von Fr. 9720.-
(Integritätseinbusse: 10 %) zu. Dagegen liess der Versicherte Einsprache
erheben.
Mit Verfügung vom 15. Juni 1999 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich
D.________ ab 1. Mai 1997 eine halbe Rente der Invalidenversicherung samt
Zusatzrente für die Ehefrau sowie eine Kinderrente zu. Der Invaliditätsgrad
betrug 57 %. Das blieb unangefochten.

Mit Einspracheentscheid vom 23. Januar 2001 änderte die SUVA die Verfügung
vom 8. Februar 1999 dahingehend ab, dass sie den Invaliditätsgrad neu auf
33,33 % festsetzte. Im Weitern erhöhte sie den versicherten Verdienst auf Fr.
38'551.-. Im Übrigen wies die Anstalt die Einsprache ab.

B.
D.________ liess bei Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde
einreichen und beantragen, der Einspracheentscheid sei aufzuheben und es sei
ihm eine Rente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 70 % zuzusprechen; im
Weitern sei der versicherte Verdienst auf Fr. 39'783.- festzusetzen.
Die SUVA schloss in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung des Rechtsmittels.
Das Gericht führte einen zweiten Schriftenwechsel durch. Sodann zog es die
IV-Akten bei und gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Entscheid vom 10. Juli 2003 hiess das kantonale
Sozialversicherungsgericht die Beschwerde teilweise gut. Es änderte den
Einspracheentscheid vom 23. Januar 2001 dahingehend ab, dass es feststellte,
es bestehe Anspruch auf eine auf einem Invaliditätsgrad von 57 % basierende
Invalidenrente. Im Übrigen wies es das Rechtsmittel ab.

C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

D. ________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen.
Das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), reicht
keine Vernehmlassung ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Einspracheentscheid vom 23. Januar 2001 blieb in Bezug auf die
Integritätsentschädigung unangefochten. Die Vorinstanz hat diesen Punkt
zufolge Teilrechtskraft richtigerweise nicht in die Prüfung miteinbezogen
(BGE 125 V 413 und 119 V 347 sowie RKUV 1999 Nr. U 323 S. 98).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner ab 1. März 1999 Anspruch
auf eine Invalidenrente nach Unfallversicherungsgesetz auf der Grundlage
eines Invaliditätsgrades von 57 % hat. Leistungsbeginn (1. März 1999) sowie
versicherter Verdienst (Fr. 38'551.-) stehen nicht zur Diskussion. Es besteht
auf Grund der Akten kein Anlass, auf diese Teilaspekte der Streitgegenstand
bildenden Invalidenrente näher einzugehen (BGE 125 V 415 Erw. 1b und 417
oben).

Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ist nicht
anwendbar, wie auch das kantonale Gericht richtig erkannt hat (BGE 129 V 4
Erw. 1.2).

3.
3.1 Im angefochtenen Entscheid wird die Gesetzesbestimmung über den Begriff
der Invalidität und die Invaliditätsbemessung (alt Art. 18 Abs. 2 UVG) sowie
die Grundsätze zur Bindungswirkung rechtskräftiger Invaliditätsschätzungen
der Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung für den jeweils anderen
Sozialversicherungsbereich (vgl. BGE 126 V 292 ff. Erw. 2b und d) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Diese Rechtsgrundlagen sind zu ergänzen. In BGE 126 V 294 Erw. 2d wird
ausgeführt, fechte ein Sozialversicherer einen ihm ordnungsgemäss eröffneten
Entscheid eines anderen Versicherers nicht an, habe er diesen grundsätzlich
gegen sich gelten zu lassen. Im Urteil T. vom 13. Januar 2004 (I 564/02) hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht präzisiert, die Regel komme - mangels
Berechtigung zur Beschwerde - gegenüber Unfallversicherern bei
Rentenverfügungen von IV-Stellen nicht zum Zuge. Das Gericht hat offen
gelassen, wie es sich unter der Herrschaft des am 1. Januar 2003 in Kraft
getretenen Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts verhält (vgl. Art.
49 Abs. 4 ATSG sowie Art. 129 UVV und Art. 75 und Art. 76 Abs. 1 lit. e IVV
in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002).

Im Weitern hat sowohl in der Invalidenversicherung als auch
Unfallversicherung die Invaliditätsbemessung bezogen auf den frühest
möglichen Leistungsbeginn zu erfolgen. Die für den Einkommensvergleich nach
alt Art. 28 Abs. 2 IVG und alt Art. 18 Abs. 2 UVG massgebenden Validen- und
Invalideneinkommen sind auf zeitidentischer Grundlage zu ermitteln.
Allfällige rentenwirksame Änderungen der Vergleichseinkommen bis zum Erlass
der Verfügung resp. des Einspracheentscheides sind zu berücksichtigen (BGE
129 V 222 und BGE 128 V 174).

3.2 In Bezug auf die Invaliditätsbemessung im Besonderen ist auf BGE 129 V
472 hinzuweisen. In diesem Grundsatzurteil hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Voraussetzungen umschrieben, falls für die
Ermittlung des Invalideneinkommens DAP-Löhne (DAP= Dokumentation von
Arbeitsplätzen der SUVA) herangezogen werden (vgl. RKUV 1999 Nr. U 343 S.
412). Verlangt werden die Auflage von mindestens fünf DAP-Blättern, Angaben
über die Gesamtzahl der aufgrund der gegebenen Behinderung in Frage kommenden
dokumentierten Arbeitsplätze, über den Höchst- und den Tiefstlohn sowie über
den Durchschnittslohn der entsprechenden Gruppe. Sind diese
verfahrensmässigen Anforderungen nicht erfüllt, kann nicht auf den
DAP-Lohnvergleich abgestellt werden. Schliesslich sind bei der Ermittlung des
Invalideneinkommens gestützt auf DAP-Profile Abzüge im Sinne von BGE 126 V 75
nicht sachgerecht und nicht zulässig (vgl. BGE 129 V 475 ff. Erw. 4.2.1-3).

4.
Das kantonale Gericht hat erwogen, dem Beschwerdeführer sei mit unangefochten
in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 15. Juni 1999 ab 1. Mai 1997 eine
auf einem Invaliditätsgrad von 57 % basierende halbe Invalidenrente
zugesprochen worden. Gemäss den IV-Akten seien bei der Prüfung der
Rentenfrage nur Folgen des Unfalles vom 23. Mai 1996 in Betracht gezogen
worden. Die Invaliditätsschätzung habe somit nach den Kriterien von BGE 126 V
288 zu erfolgen. Danach bestehe im unfallversicherungsrechtlichen Verfahren
in Bezug auf den Invaliditätsgrad grundsätzlich eine Bindungswirkung.
Entgegen der SUVA bestünden weder in tatsächlicher noch in rechtlicher
Hinsicht triftige Gründe für ein Abweichen von dem von der kantonalen
IV-Stelle ermittelten Invaliditätsgrad von 57 %. Die gesundheitsbedingt noch
zumutbare Arbeitsfähigkeit habe die IV-Stelle in erster Linie gestützt auf
das von ihr eingeholte Gutachten des Dr. med. M.________ vom 25. Februar 1998
festgelegt. Danach fielen lediglich mittelschwere Tätigkeiten im zeitlichen
Umfang von 50 % in Betracht. Angesichts dieser Einschätzung sowie der übrigen
medizinischen Akten könne der IV-Stelle keine nicht vertretbare
Ermessensausübung vorgehalten werden. Ebenfalls sei die eigentliche
Ermittlung des Invaliditätsgrades regelkonform. Insbesondere habe die
IV-Stelle das Invalideneinkommen gestützt auf die DAP vorgenommen. Diese
Unterlagen seien im Übrigen von der SUVA selbst erstellt worden. Ein Verstoss
gegen sozialversicherungsrechtliche Grundsätze oder sogar ein Rechtsfehler im
Sinne der höchstrichterlichen Praxis sei nicht erkennbar. Dass auch eine
andere Invaliditätsschätzung, namentlich diejenige der SUVA, zu einem
vertretbaren Resultat geführt hätte, reiche nach der Rechtsprechung nicht
aus, um dem von der IV-Stelle ermittelten Invaliditätsgrad von 57 %
(ausnahmsweise) eine präjudizierende Wirkung zu versagen.

5.
5.1 Aus den IV-Akten ergibt sich, dass die IV-Stelle die gesundheitlich noch
zumutbare Arbeitsfähigkeit im Sinne der Einschätzung des Dr. med. M.________
vom 25. Februar 1998 festlegte. Der IV-Arzt Dr. med. B.________ bestätigte in
seiner internen Stellungnahme vom 3. Februar 1999 diese Beurteilung und
bezeichnete die Einschätzung des Dr. med. U.________ im Bericht vom 27.
September 1998, in einer der Behinderung angepassten Tätigkeit bestehe eine
Arbeitsfähigkeit von 75 % bis 100 %, als «nicht ganz zuverlässig und deshalb
kaum verbindlich».

Die SUVA weist zu Recht darauf hin, dass nach der Untersuchung und
Begutachtung durch Dr. med. M.________ im Februar 1998 der Versicherte am 26.
März 1998 ein zweites Mal am Handgelenk rechts operiert wurde. Dieser
Eingriff wird weder in der Expertise vom 25. Februar 1998 noch im Bericht des
Operateurs Dr. med. U.________ vom 25./27. September 1998 erwähnt. Bei der
Handgelenksrevision rechts dorsal vom 26. März 1998 handelt es sich fraglos
um ein für die Invaliditätsbemessung für die Zeit ab 1. März 1999 bedeutsames
Ereignis. Ob ihm der Charakter eines Revisionsgrundes im Sinne von alt Art.
41 IVG zukommt, kann offen bleiben. Es genügt festzustellen, dass die
unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht allein aufgrund der Einschätzung des
Dr. med. M.________ festgesetzt werden kann. Vielmehr sind die nach dem
Eingriff erstellten Berichte des Dr. med. U.________ vom 25./27. September
1998 sowie des SUVA-Kreisarztes Dr. med. O.________ vom 14. August 1998 in
die Würdigung des medizinischen Sachverhaltes miteinzubeziehen und ihnen
mindestens die selbe Beweiskraft zuzuerkennen wie dem Gutachten vom 25.
Februar 1998.

Entgegen dem kantonalen Gericht kann somit in Bezug auf die Festlegung der
Arbeitsfähigkeit als wesentliche Grundlage für die Ermittlung des
Invaliditätsgrades nicht von einer vertretbaren Ermessensausübung durch die
IV-Stelle gesprochen werden.

5.2 Die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle kann sodann auch deshalb für die
Belange der Unfallversicherung nicht präjudizierend sein, weil für die
Bestimmung des Invalideneinkommens auf die Lohnangaben aus lediglich drei
DAP-Blättern abgestellt wurde. Darüber hinaus fehlen Angaben über die
Gesamtzahl der auf Grund der gegebenen Behinderung in Frage kommenden
dokumentierten Arbeitsplätze über den Höchst- und den Tiefstlohn sowie über
den Durchschnittslohn der entsprechenden Gruppe (vgl. Erw. 3.2).

6.
6.1 Die SUVA ermittelte einen Invaliditätsgrad von 33,33 %. Das
Valideneinkommen setzte sie auf Fr. 60'115.- für das Jahr 2000 fest. Beim
Invalideneinkommen stellte der Unfallversicherer für die Festlegung der
gesundheitlich noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit auf die Einschätzung des
Kreisarztes vom 14. August 1998 ab. Danach kann bei einer geeigneten
Tätigkeit ein Ganztageseinsatz realisiert werden. In Frage kommen
Überwachungsaufgaben in Produktionsanlagen und leichte Montagetätigkeiten.
Gestützt darauf errechnete die SUVA anhand von fünf DAP-Blättern ein
Invalideneinkommen von rund Fr. 43'500.- für das Jahr 2000. Aus der
Gegenüberstellung von Validen- und Invalideneinkommen resultiert ein
Invaliditätsgrad von 27,6 %. Diesen Prozentsatz hat die SUVA auf Grund der
gesamten Umstände und im Rahmen des Ermessens auf 33,33 % ab 1. März 1999
erhöht.

Die Invaliditätsbemessung der SUVA ist insofern nicht bundesrechtskonform,
als die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen für einen
DAP-Lohnvergleich nicht gegeben sind. Es fehlen Angaben über die Gesamtzahl
der auf Grund der gegebenen Behinderung in Frage kommenden dokumentierten
Arbeitsplätze, über den Höchst- und den Tiefstlohn sowie über den
Durchschnittslohn der entsprechenden Gruppe (Erw. 3.2). Sodann ist auf Grund
der gesamten medizinischen Akten von einer Arbeitsfähigkeit von lediglich 75
% in der Behinderung angepassten mittelschweren Tätigkeiten auszugehen.

6.2 Im Ergebnis ist der von der SUVA ermittelte Invaliditätsgrad von 33,33 %
zu bestätigen. Auf der Grundlage der Lohnstrukturerhebungen 1998 des
Bundesamtes für Statistik ergibt sich ausgehend vom durchschnittlichen
Bruttolohn von Männern im privaten Sektor Total für einfache und repetitive
Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4) von Fr. 4268.- ein trotz gesundheitlicher
Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbares Einkommen von Fr. 40'421.- (Fr.
4268.- x 12 x [41,8/40] x 1.007) für 1999. Darin berücksichtigt sind eine
betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit von 41,8 Stunden, die
Nominallohnentwicklung 1998/99 von 0,7 % (Die Volkswirtschaft 10-2001
Aktuelle Wirtschaftsdaten S. 100 f. Tabellen B9.2 und B10.2; vgl. BGE 124 V
323 Erw. 3b/aa). Eine Kürzung des Tabellenlohnes im Sinne von BGE 126 V 75
rechtfertigt sich mit Blick auf das verglichen mit dem versicherten Verdienst
von Fr. 38'551.- hohe Valideneinkommen von Fr. 60'115.- nicht. Daraus
resultiert ein Invaliditätsgrad von rund 33 %.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Juli 2003 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 7. Juni 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: