Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 182/2003
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U 182/03

Urteil vom 16. August 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und nebenamtlicher Richter
Maeschi; Gerichtsschreiber Hochuli

S.________, 1958, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt
Fricker, Sorenbühlweg 13, 5610 Wohlen,

gegen

AXA Versicherungen, Regionaldirektion
Deutsche Schweiz, Goethestrasse 18, 8024 Zürich, Beschwerdegegner, vertreten
durch Rechtsanwalt
Dr. Jürg Baur, Bahnhofstrasse 55, 8600 Dübendorf

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 11. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1958 geborene S.________ führte seit August 1990 das Restaurant
Q.________ und ab 1991 einen weiteren Gastwirtschaftbetrieb. Er war als
Selbstständigerwerbender freiwillig bei der Northern Assurance, Zürich, gegen
die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 16. Dezember
1991 erlitt er als Mitfahrer in einem Personenwagen einen Unfall, bei dem er
sich einen Milzriss, ein Thoraxtrauma links mit Hämatothorax und
Rippenserienfrakturen, eine mediale Claviculafraktur links, eine Commotio
cerebri, eine Augenbulbus-Kontusion links sowie Schnittwunden zuzog. Nach
komplikationsloser Unfallbehandlung im Spital X.________ konnte er am 25.
Dezember 1991 zur Nachbehandlung durch den Hausarzt entlassen werden. Am 24.
Februar 1992 nahm er die Arbeit als Wirt zu 50 % und am 18. Mai 1992 wieder
zu 100 % auf. Wegen andauernder Kopf- und Rückenbeschwerden, verminderter
Sehkraft des linken Auges und einer depressiven Entwicklung wurden in den
Jahren 1993 bis 1995 weitere Abklärungen und Behandlungen durchgeführt. Im
Januar 1996 beauftragte die Northern Assurance die Rehaklinik Y.________ mit
einer gutachtlichen Beurteilung der Unfallfolgen. In dem am 16. Juli 1997
erstatteten Bericht gelangten die untersuchenden Ärzte zum Schluss, dass im
Vordergrund des aktuellen Beschwerdebildes Kopfschmerzen und depressive
Beschwerden stünden. Während bezüglich der Kopfschmerzen eine
(post)traumatische Genese als wahrscheinlich erachtet wurde, bezeichneten die
Gutachter eine Unfallkausalität der depressiven Entwicklung, welche am
ehesten als psychische Anpassungsstörung zu betrachten sei, als lediglich
möglich. Die Arbeitsunfähigkeit bemassen sie mit 50 %, wovon die Hälfte
unfallbedingt sei. Gestützt hierauf sprach die Northern Assurance dem
Versicherten mit Verfügung vom 25. August 1999 eine Rente auf Grund eines
Invaliditätsgrades von 25 % zu, woran sie mit Einspracheentscheid vom 26.
Januar 2000 festhielt. Auf die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher
S.________ die Zusprechung einer Rente von 50 % beantragte, verneinte das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Unfallkausalität der psychischen
Beeinträchtigungen und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit sie auf
der Basis einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von 25 % einen
Einkommensvergleich vornehme und über den Rentenanspruch neu verfüge
(Entscheid vom 20. September 2000). In der Folge kam es zwischen den Parteien
zu Vergleichsverhandlungen, welche am 6. März 2001 zu einer Verfügung
führten, mit der die Northern Assurance S.________ mit Wirkung ab 1. Februar
1998 eine monatliche Rente von Fr. 1700.- zusprach; ferner gewährte sie wegen
einer posttraumatischen Hirnfunktionsstörung (POS) eine zusätzliche
Integritätsentschädigung von 15 %. Am 9. April 2001 ersuchte der Versicherte
um Rentenrevision wegen erheblicher Verschlechterung des
Gesundheitszustandes. Dr. med. M.________, Spezialarzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, bestätigte eine volle Arbeitsunfähigkeit ab 22. Februar 2001.
Dementsprechend erhöhte die Invalidenversicherung die bisher ausgerichtete
halbe Invalidenrente mit Wirkung ab 1. Mai 2001 auf eine ganze Rente. Die
Northern Assurance lehnte am 7. Juni 2002 eine Rentenrevision mit der
Begründung ab, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands
krankheitsbedingt sei, die Unfallkausalität der psychischen Beschwerden
rechtskräftig verneint worden sei und die Voraussetzungen für eine
Wiedererwägung oder prozessuale Revision der Verfügung vom 6. März 2001 nicht
erfüllt seien. Mit Einspracheentscheid vom 31. Juli 2002 bestätigte die AXA
Versicherungen, Zürich, als Rechtsnachfolgerin der Northern Assurance diese
Verfügung.

B.
Hiegegen beantragte S.________ beschwerdeweise, es sei ihm ab 1. Mai 2001
eine Komplementärrente zur Rente der Invalidenversicherung von Fr. 2872.- im
Monat zuzusprechen. Dabei sei davon auszugehen, dass der unfallbedingte
Anteil an der nunmehr bestehenden vollen Arbeitsunfähigkeit deutlich über 25
% liege, was durch eine medizinische Expertise näher abzuklären sei.
Einstweilen sei davon auszugehen, dass der nicht unfallkausale Anteil
weiterhin 25 % betrage. Mit Entscheid vom 11. Juni 2003 wies das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Beschwerde ab.

C.
S. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren,
der angefochtene Entscheid und der Einspracheentscheid vom 31. Juli 2002
seien aufzuheben und es sei die Sache an die AXA Versicherungen
zurückzuweisen, damit sie nach erfolgter medizinischer Abklärungen neu
verfüge.
Die AXA Versicherungen beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit),
verzichtet auf Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Mit Urteil vom 20. September 2000 hat die Vorinstanz auf Grund der
medizinischen Akten und insbesondere des Gutachtens der Rehaklinik Y.________
vom 16. Juli 1997 entschieden, dass wohl die vorhandenen Kopfschmerzen, nicht
aber die psychischen Beeinträchtigungen (Anpassungsstörung und depressive
Entwicklung) mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit unfallkausal sind. Dieser Entscheid ist unangefochten in
Rechtskraft erwachsen und es könnte hierauf nur auf dem Wege der prozessualen
Revision (Art. 108 Abs. 1 lit. i UVG, gültig gewesen bis 31. Dezember 2002;
Art. 61 lit. i ATSG, in Kraft getreten am 1. Januar 2003) zurückgekommen
werden. Prozessuale Revisionsgründe hat der Beschwerdeführer nicht geltend
gemacht.

1.2  Im Anschluss an den vorinstanzlichen Entscheid vom 20. September 2000
haben sich die Parteien vergleichsweise darauf geeinigt, dass dem
Versicherten ab 1. Februar 1998 eine Invalidenrente von Fr. 1700.- im Monat
sowie eine zusätzliche Integritätsentschädigung von 15 % auszurichten sind.
Der Beschwerdeführer hat auch gegen die entsprechende Verfügung vom 6. März
2001 keine Einwendungen erhoben und macht diesbezüglich weder
Wiedererwägungs- noch prozessuale Revisionsgründe geltend. Stattdessen hat er
ein Begehren um revisionsweise Überprüfung des Rentenanspruchs zufolge
Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingereicht. Zu prüfen ist daher,
ob nach dem 6. März 2001 eine für den Rentenanspruch relevante Änderung in
den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist.

2.
2.1 Im vorinstanzlichen Entscheid werden die für die Revision laufender
Renten
der obligatorischen Unfallversicherung nach Art. 22 Abs. 1 UVG und der
Rechtsprechung (BGE 119 V 478; RKUV 1989 Nr. U 65 S. 71) geltenden Regeln
zutreffend dargelegt. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Nichtanwendbarkeit
der materiellrechtlichen Bestimmungen des am 1. Januar 2003 in Kraft
getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 und der zugehörigen
Verordnung (ATSV) vom 11. September 2002. Darauf kann verwiesen werden.

2.2  Der Beschwerdeführer begründet das Rentenrevisionsbegehren mit einer
Zunahme der (unfallbedingten) Kopfschmerzen, welche in der ersten Hälfte des
Jahres 2001 zu einer psychischen Dekompensation und damit zu einer vollen
Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Er stützt sich dabei auf Berichte des Dr.
med. K.________, Spezialarzt für Innere Medizin, und des Psychiaters Dr. med.
M.________. Während Dr. med. K.________ eine volle Arbeitsunfähigkeit ab 26.
Januar 2001 zufolge einer depressiven Episode bei Belastungsstörung und
chronischen Kopfschmerzen angibt, bestätigt Dr. med. M.________ eine volle
Arbeitsunfähigkeit ab 22. Februar 2001 wegen einer posttraumatischen
Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) mit Hinweisen auf eine organische affektive
Störung (ICD-10 F06.3) mit schweren depressiven Episoden und Verdacht auf
dissoziative Zustände. Zur Arbeitsfähigkeit führt Dr. med. M.________ aus,
auf Grund der bestehenden Beschwerden, des zunehmend depressiven sowie mental
eingeschränkten Zustandes könne der Versicherte im Gastgewerbe auch
stundenweise nicht mehr arbeiten. Er habe Schmerzen bei körperlichen
Anstrengungen, könne nicht lange stehen und gehen, psychisch sei er
blockiert, gehemmt und kontaktscheu, mental vergesslich, unkonzentriert und
nicht belastbar; dazu kämen Situationen mit Kontrollverlust und ungeklärten
Synkopen sowie Stürzen. Zufolge des multiplen und schweren Störungsbildes sei
er auch anderweitig nicht einsetzbar.
Aus den Arztberichten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Zunahme der psychischen Störungen Folge vermehrter Kopfschmerzen war. Die im
Bericht des Dr. med. M.________ vom 1. September 2001 erwähnte
Geschäftsaufgabe per Ende Juni 2001 und die angegebene Therapieempfehlung
(stützende Gespräche, sozialpsychiatrische Beratung) lassen vielmehr darauf
schliessen, dass persönliche und psychosoziale Gründe im Vordergrund standen.
Im Übrigen weisen die ärztlichen Angaben zwar auf eine Verschlimmerung des
Gesundheitszustandes und eine Zunahme der damit verbundenen Arbeitsfähigkeit
hin. Zu beachten ist indessen, dass der Versicherte seit Jahren an
chronischen Kopfschmerzen litt, welche schon 1997 als sehr stark beschrieben
wurden. Das Gleiche gilt bezüglich der Depressionen, welche nach dem
neurologischen Konsiliarbericht der Rehaklinik vom 4. März 1997 bereits im
Herbst 1994 ausgeprägt waren. Es fragt sich daher, ob effektiv eine
Verschlimmerung eingetreten ist, oder ob es sich lediglich um eine
unterschiedliche Beurteilung eines an sich im Wesentlichen unverändert
gebliebenen Sachverhalts handelt, was keine revisionsbegründende
Tatsachenänderung im Sinne von Art. 22 Abs. 1 UVG und Art. 41 IVG darstellt
(vgl. BGE 112 V 372 Erw. 2b; SVR 1996 IV Nr. 70 S. 203 Erw. 3a). Wie es sich
damit verhält, lässt sich auf Grund der Akten nicht zuverlässig beurteilen.
Weitere Abklärungen erübrigen sich indessen, weil eine allfällige
Verschlimmerung der Kopfschmerzen und psychischen Beeinträchtigungen
jedenfalls nicht als unfallbedingt gelten kann. Zwar können die für ein
Schädel-Hirntrauma typischen Beschwerden auch längere Zeit nach dem Unfall
auftreten oder sich verstärken. Da jedoch die zur Diskussion stehende
Verschlimmerung der Kopfschmerzen und des psychischen Beschwerdebildes hier
erst mehr als neun Jahre nach dem Unfall eintrat und diese Beschwerden schon
zuvor in erheblichem Mass durch persönliche und psychosoziale Faktoren
beeinflusst waren, kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen
werden, dass die Verschlimmerung in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem
Unfall steht (vgl. SVR 2003 Nr. UV 12 S. 35). Die Unfallkausalität ist daher
zu verneinen, ohne dass es ergänzender Abklärungen einschliesslich der
beantragten medizinischen Expertise bedarf.

2.3  Der Beschwerdeführer macht des Weiteren geltend, gemäss Bericht des Dr.
med. B.________, Spezialarzt für Chirurgie FMH, vom 22. Dezember 2000 leide
er an einem leichten organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirntrauma
(ICD-10 F07.2), welches als Teilursache der bestehenden Beschwerden zu gelten
habe. Abweichend vom angefochtenen Entscheid sei daher anzunehmen, dass die
heutigen psychischen Probleme teilweise auf den Unfall vom 16. Dezember 1991
zurückzuführen seien. Hiezu ist vorab festzustellen, dass die
Beschwerdegegnerin dem Versicherten gestützt auf den Bericht des Dr. med.

B. ________ eine zusätzliche Integritätsentschädigung von 15 % wegen
psychischen Folgen einer Hirnverletzung zugesprochen und diesen Befund sowie
dessen Auswirkungen auf die Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit insofern
berücksichtigt hat, als die Rente vergleichsweise auf Fr. 1700.- im Monat
festgesetzt wurde, was einer Erhöhung des Invaliditätsgrades von 25 % auf
31,88 % entspricht. Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass
der Vergleich in diesem Punkt auf einem Willensmangel beruht, hat er im
Akzeptschreiben vom 25. Januar 2001 doch selber auf den Bericht von Dr. med.

B. ________ Bezug genommen. Dass sich das organische Psychosyndrom in der
Folge erheblich verschlimmert hat, ist nicht ausgewiesen und wird auch nicht
behauptet.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
Luzern, 16. August 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: