Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 172/2003
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U 172/03

Urteil vom 30. Dezember 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Meyer, Ursprung und Kernen;
Gerichtsschreiber Jancar

Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft, Place de Milan, 1007
Lausanne, Beschwerdeführerin,

gegen

Krankenkasse Visp und Umgebung, Balfrinstrasse 15, 3930 Visp,
Beschwerdegegnerin,

betreffend B.________, 1963

und

Kantonales Versicherungsgericht Wallis, Sitten

(Entscheid vom 23. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene B.________ war seit 3. Dezember 2001 bei der Ski- &
Snowboardschule X.________ als Skilehrer angestellt und damit bei der
Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend Vaudoise)
unfallversichert. Am 26. Dezember 2001 prallte er beim Eishockeyspiel wegen
eines Bodychecks an die Bande und zog sich dabei eine Bänderverletzung an der
linken Schulter zu (Bericht des Dr. med. K.________ vom 6. Februar 2002). Mit
Verfügung vom 1. März 2002 eröffnete die Vaudoise dem Versicherten, ein Check
und ein Aufprall an die Bande sprengten das für ein Eishockeyspiel übliche
Mass nicht. Solche Vorfälle stellten keine aussergewöhnliche äussere
Einwirkung dar. Es liege daher kein Unfall vor. Da auch keine unfallähnliche
Körperschädigung gegeben sei, bestehe kein Leistungsanspruch. Die dagegen vom
Versicherten sowie von der Krankenkasse Visp und Umgebung eingereichten
Einsprachen wies die Vaudoise mit Entscheid vom 22. April 2002 ab.

B.
Die hiegegen von der Krankenkasse Visp und Umgebung erhobene Beschwerde hiess
das Kantonale Versicherungsgericht Wallis gut; es hob den Einspracheentscheid
auf und wies die Sache an die Vaudoise zurück, damit sie die gemäss UVG
geschuldeten Leistungen festsetze (Entscheid vom 23. Juni 2003).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Vaudoise die Aufhebung des
kantonalen Entscheides.

Die Krankenkasse Visp und Umgebung schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während der als Mitbeteiligter beigeladene
B.________ und das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichten.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Unfallbegriff (Art. 6
Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 UVV) sowie die Rechtsprechung zum
Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors (BGE 122 V 233 Erw.
1, 121 V 38 Erw. 1a, RKUV 2000 Nr. U 368 S. 99 Erw. 2b, SVR 1999 UV Nr. 9 S.
28 Erw. 3, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Beizupflichten ist im
Weiteren den Erwägungen der Vorinstanz, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist (BGE
129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen.

2.
2.1 Nach Lehre und Rechtsprechung kann das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren
Faktors in einer unkoordinierten Bewegung (RKUV 2000 Nr. U 368 S. 100 Erw. 2d
mit Hinweisen; Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 176 f.)
bestehen. Bei Körperbewegungen gilt dabei der Grundsatz, dass das Erfordernis
der äusseren Einwirkung lediglich dann erfüllt ist, wenn ein in der
Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung
gleichsam "programmwidrig" beeinflusst hat. Bei einer solchen unkoordinierten
Bewegung ist der ungewöhnliche äussere Faktor zu bejahen; denn der äussere
Faktor - Veränderung zwischen Körper und Aussenwelt - ist wegen der erwähnten
Programmwidrigkeit zugleich ein ungewöhnlicher Faktor (RKUV 1996 Nr. U 253 S.
204 Erw. 4c, 1994 Nr. U 180 S. 38 Erw. 2 mit Hinweisen; Urteil Z. vom 7.
Oktober 2003 Erw. 2.2, U 322/02; vgl. auch Adrian von Kaenel, Unfall am
Arbeitsplatz, in: Peter Münch/Thomas Geiser [Hrsg.], Handbücher für die
Anwaltspraxis, Band V, Schaden - Haftung - Versicherung, Basel 1999, S. 584
f.).
2.2 Ohne besonderes Vorkommnis ist bei einer Sportverletzung das Merkmal der
Ungewöhnlichkeit und damit das Vorliegen eines Unfalls zu verneinen (Urteil
Z. vom 7. Oktober 2003 Erw. 4.3, U 322/02). Dies bestätigt ein Blick auf
andere von der Rechtsprechung beurteilte Sportverletzungen:
2.2.1Im Urteil M. vom 14. September 1992, U 43/92, (teilweise publiziert in
RKUV 1992 Nr. U 156 S. 258 ff.) ging es um eine Versicherte, die unmittelbar
nach einem Hechtsprung im Bereich des Knöchels Schmerzen verspürte. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht führte dabei aus, die erlittene
Verletzung deute darauf hin, dass die betreffende Übung nicht in korrekter
Weise abgeschlossen worden sei; auch habe die Versicherte plausibel
dargelegt, dass sie tatsächlich schlecht gelandet sei. Wesentlich für die
Annahme einer Programmwidrigkeit war für das Gericht in jenem Urteil, dass
die Versicherte eine geübte Turnerin war, sodass eine derart schlechte
Landung als ungewöhnlich erschien (kritisch dazu Ueli Kieser, ATSG-Kommentar,
Zürich 2003, N 17 zu Art. 4 ATSG mit weiteren Hinweisen; Alfred Bühler, Der
Unfallbegriff, in: Alfred Koller [Hrsg.], Haftpflicht- und
Versicherungstagung 1995, St. Gallen 1995, S. 244 f. mit Hinweisen).

2.2.2 Bejaht wurde das Vorliegen eines Unfalls bei einem Fussballer, dessen
Knie verdreht wurde, als ihm ein Gegenspieler in die Beine grätschte. Durch
diesen Angriff - einen in der Aussenwelt begründeten Umstand - sei der
Bewegungsablauf des Verletzten  "programmwidrig" gestört worden. Es sei von
einer unvorhersehbaren, unkoordinierten Bewegung auszugehen und insofern das
Vorliegen eines ungewöhnlichen äusseren Faktors zu bejahen. Nicht
entscheidend  sei, ob eine Massregelung des beteiligten Gegenspielers erfolgt
sei (RKUV 1993 Nr. U 165 S. 58).

2.2.3 Das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors wurde ferner bei einem
Skifahrer bejaht, der im buckligen Gelände auf einer vereisten Stelle
ausglitt, danach - ohne zu stürzen - unkontrolliert einen Buckel anfuhr,
abgehoben wurde und bei verdrehter Oberkörperhaltung auf den Boden aufschlug
(RKUV 1999 Nr. U 345 S. 420 ff.) Als Programmwidrigkeit wurden in jenem
Urteil das Ausgleiten auf der vereisten Stelle, das sich daraus ergebende
unkontrollierte Anfahren eines Buckels und das harte Aufschlagen gesehen
(RKUV 1999 Nr. U 345 S. 424 f. Erw. 4).

2.2.4 Bei einer Lehrerin, die in einer Turnstunde eine Rolle vorwärts
ausführte und in der Folge behandlungsbedürftige Beschwerden im Nackenbereich
verspürte, verneinten alle Instanzen das Vorliegen eines Unfalles im
Rechtssinne; letztinstanzlich wurde zudem eine unfallähnliche
Körperschädigung verneint (Urteil D. vom 28. Juni 2002, U 98/01).

2.2.5 Ein auf einem Ausbildungs-Kunstflug beim Wechsel der Fluglage
erlittenes Beschleunigungstrauma durch plötzliche Druckveränderung erfüllt
den Unfallbegriff mangels Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors nicht (Urteil
F. vom 28. Juni 2002 Erw. 2b, U 370/01).

2.2.6 Im Urteil F. vom 10. Januar 2003, U 385/01, war der Fall eines
Versicherten zu beurteilen, welcher beim Jiu-Jitsu Training eine
Halswirbeldistorsion erlitten hatte. Der Versicherte gab an, er sei beim
Bodenkampf unter seinen Trainingspartner geraten und habe versucht, diesen
nach oben zu drücken, um sich von ihm zu lösen. Durch diese Bewegung sei
grosser Druck auf sein Genick entstanden, sodass der Kopf nach vorne
eingeknickt sei, was zur Stauchung und Quetschung der Halswirbelsäule geführt
habe. Die Vorinstanz und das Eidgenössische Versicherungsgericht kamen zum
Schluss, das vom Versicherten ausgeübte Drücken nach oben stelle keine
unkoordinierte Bewegung dar, weil der äussere Bewegungsablauf nicht durch
etwas Programmwidriges gestört worden sei, woraus eine unphysiologische
Beanspruchung einzelner Körperteile hätte resultieren können.

2.2.7 Verneint wurde das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors im Sinne
einer den normalen üblichen Bewegungsablauf störenden Programmwidrigkeit
("unkoordinierte Bewegung") bei einer Versicherten, die - nach ihren Aussagen
der ersten Stunde - ohne besondere Vorkommnisse einen Rückwärtspurzelbaum
ausgeführt und sich dabei im Nacken-/Schulterbereich verletzt hatte (Urteil
Z. vom 7. Oktober 2003 Erw. 4.2 und 4.4, U 322/02).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob einer beim Eishockeyspiel durch einen
Bandencheck verursachten Verletzung ein ungewöhnlicher äusserer Faktor zu
Grunde liegt. Umstritten ist insbesondere das Element der Ungewöhnlichkeit.
Das Unfallmerkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors ist im vorliegenden
Fall zu bejahen. Zwar trifft es zu, dass Eishockey eine schnelle und mit viel
Einsatz geführte Kampfsportart ist. Mit harten Körperkontakten und
Körperangriffen ist zu rechnen. Diese sind in reglementarisch umschriebenen
Grenzen erlaubt. Es ist unbestritten, dass der Körper hiebei grossen Kräften
ausgesetzt ist. Die Körperattacken und das Fallen gehören somit zu den
üblichen Umständen dieser Sportart und es mag zutreffen, dass sie auch
trainiert werden. Indessen kann der ungewöhnliche äussere Faktor, der dem
Unfallbegriff inhärent ist, auch darin bestehen, dass eine Körperbewegung
"programmwidrig" beeinflusst worden ist. Der auf diese Weise unkoordinierte
Bewegungsablauf stellt dann den ungewöhnlichen äusseren Faktor dar.
Der Versicherte hat sich beim Check gegen eine Bande verletzt. Durch diesen
Vorgang ist der natürliche Ablauf der Körperbewegung programmwidrig
beeinflusst worden. Darin liegt die Ungewöhnlichkeit des Geschehens. Es mag
zwar zutreffen, dass derartige Körperattacken im Eishockey häufig vorkommen.
Das ändert indessen nichts daran, dass sie zu einer unvorhersehbaren
Beeinträchtigung des Bewegungsablaufs führen, welcher der betroffene Spieler
gleichsam ausgesetzt ist. Der vom Spieler vorgesehene Ablauf wird durch die
äussere Einwirkung des Gegenspielers gestört. Jeder Spieler muss zwar damit
rechnen, dass er gefoult wird, er kann indessen nicht voraussehen, wie sich
die Körperattacke auf den natürlichen Bewegungsablauf - und nicht etwa auf
den Körper, was unwesentlich ist (vgl. BGE 122 V 232 Erw. 1) - auswirken
wird. Darin liegt die Ungewöhnlichkeit dieser Einwirkung (vgl. auch RKUV 1993
Nr. U 165 S. 59 Erw. 3b; Bühler, a.a.O., S. 244).

Das Ereignis vom 26. Dezember 2001 stellt demnach einen Unfall im Rechtssinne
dar, weshalb der kantonale Entscheid nicht zu beanstanden ist.

4.
Der Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Verfahrens vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht gilt nicht für den Fall, dass sich zwei Versicherer im
Streit über die Leistungspflicht gegenüber stehen (BGE 126 V 192 Erw. 6 mit
Hinweisen). Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135
OG).

Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen, weil die obsiegende
Beschwerdegegnerin als Krankenversicherer eine öffentlich-rechtliche Aufgabe
im Sinne von Art. 159 Abs. 2 OG wahrnimmt und die Voraussetzungen für eine
ausnahmsweise Zusprechung einer Entschädigung nicht gegeben sind (BGE 128 V
133 Erw. 5b, 123 V 309 Erw. 10; SVR 2000 KV Nr. 39 S. 122 Erw. 3).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonalen Versicherungsgericht Wallis,
dem Bundesamt für Sozialversicherung und B.________ zugestellt.

Luzern, 30. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: