Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 164/2003
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U 164/03

Urteil vom 17. Juni 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Lanz

J.________, 1951, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas
Brender, Bahnhofstrasse 61, 8023 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin,

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 21. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1951 geborene J.________ war seit 1981 als Wagenführer im Postautodienst
tätig und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen
versichert. Im Februar 1998 nahm er wegen Beschwerden am ganzen Körper
(Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und Schwindel) ärztliche Behandlung durch Dr.
med. S.________, Innere Medizin FMH, in Anspruch. Dieser diagnostizierte eine
Lyme-Borreliose Stadium II mit Beteiligung des Nervensystems (Radikulitis)
als Folge eines unbemerkt gebliebenen Zeckenbisses und bestätigte ab 31. März
1998 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit. Am 3. Juni 1998 wurde die
Symptomatik von der Arbeitgeberin als Unfallfolge an die SUVA gemeldet. Der
Unfallversicherer anerkannte seine Leistungspflicht formlos, kam für die
Heilbehandlung auf und richtete Taggeld aus. Eine Arbeitsfähigkeit des
Versicherten im bisherigen Beruf liess sich in der Folge nicht wieder
erreichen. Aus einem Einsatzversuch in einer einfachen Bürotätigkeit beim
bisherigen Arbeitgeber resultierte keine erwerbliche Wiedereingliederung. Die
SUVA zog im Rahmen der Sachverhaltsabklärungen diverse Arztberichte bei und
liess J.________ neurologisch-neuropsychologisch, pneumologisch und
rheumatologisch begutachten. Gestützt auf die fachärztlichen
Meinungsäusserungen und Stellungnahmen der eigenen Abteilung Arbeitsmedizin
eröffnete sie dem Versicherten mit Verfügung vom 4. März 2002 die Einstellung
ihrer Leistungen per 18. März 2003. Daran hielt sie auf Einsprachen des
J.________ und der CSS Versicherung (nachstehend: CSS) als dessen
obligatorischem Krankenversicherer hin fest (Einspracheentscheid vom 30.
April 2002).

B.
Hiegegen führten J.________ und die CSS je Beschwerde. Mit Entscheid vom 21.
Mai 2003 vereinigte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Aargau die bis
dahin separat geführten Rechtsmittelverfahren, und es wies die Beschwerden
ab.

C.
J.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
in Aufhebung von Einsprache- und kantonalem Entscheid sei, eventuell nach
vorgängiger Einholung einer fachärztlichen Expertise, die SUVA zur
Ausrichtung der Leistungen aus UVG (Heilbehandlung, Taggeld, Rente,
Integritätsentschädigung) zu verhalten. Eventualiter sei die Sache an die
Vorinstanz resp. den Unfallversicherer zurückzuweisen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die CSS
verzichtet auf Teilnahme am Verfahren. Das Bundesamt für Sozialversicherung,
Abteilung Kranken- und Unfallversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt
für Gesundheit), hat sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, Unfallversicherer
und Vorinstanz hätten Verfahrensrechte des Beschwerdeführers verletzt. Darauf
ist vorab einzugehen.

1.1 In Bezug auf das Abklärungsverfahren des Leistungsträgers erneuert der
Versicherte seinen vorinstanzlichen Einwand, wonach im Zusammenhang mit der
Erteilung der Gutachteraufträge und der Möglichkeit, zu den erstatteten
Expertisen Stellung zu nehmen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
worden sei.
Was die gehörige Eröffnung der begutachtenden Fachärzte betrifft, hat es mit
der Feststellung sein Bewenden, dass der Versicherte von deren Namen,
Fachrichtung und beruflichen Stellung spätestens bei der Begutachtung
Kenntnis erhielt. Einwendungen formellrechtlicher Art hätte er umgehend
anbringen müssen. Dies hat er nicht getan, sondern damit bis zum
Beschwerdeverfahren zugewartet. Einen Verfahrensfehler, welcher
gegebenenfalls die formelle Zulässigkeit der Gutachten in Frage stellen
könnte, hat das kantonale Gericht unter diesen Umständen zu Recht verneint.
Dasselbe gilt in Bezug auf das Vorgehen des Unfallversicherers nach Eingang
der Expertisen. Es kann hiezu auf die im Wesentlichen zutreffende Begründung
im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Auch wenn schliesslich im
Vorgehen des Unfallversicherers eine - geringfügige - Gehörsverletzung
gesehen werden könnte, ist diese als im kantonalen Verfahren geheilt zu
betrachten.

1.2 Der Beschwerdeführer beanstandet weiter, das kantonale Gericht habe ihn
über das vom obligatorischen Krankenversicherer eingeleitete, parallel
durchgeführte kantonale Rechtsmittelverfahren erst mit dem vorinstanzlichen
Endentscheid, in welchem beide Verfahren vereinigt und die Beschwerden
abgewiesen wurden, in Kenntnis gesetzt. Dies trifft nach Lage der Akten zu.
Der Einwand ist berechtigt. Beide Beschwerden richteten sich gegen ein und
denselben Einspracheentscheid der SUVA, welcher die Frage der
Leistungsberechtigung des Versicherten beschlägt. Dessen rechtliche und
tatsächliche Betroffenheit durch das andere Rechtsmittelverfahren und den
darin zu treffenden Gerichtsentscheid ist evident. Dem Beschwerdeführer hätte
daher durch Beiladung die Möglichkeit gegeben werden müssen, in diesem
anderen kantonalen Verfahren Parteirechte (insbesondere durch Einblick in die
Rechtsschriften und aufgelegten Akten) auszuüben.
Auf eine Rückweisung kann indessen verzichtet werden. Der Beschwerdeführer
macht einzig geltend, die im kantonalen Verfahren von der CSS erhobenen
Einwendungen seien bei der Beurteilung mit zu berücksichtigen. Dies geschieht
im Rahmen des hier geltenden Untersuchungsgrundsatzes (BGE 125 V 195 Erw. 2)
ohnehin.

1.3 Zur Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels besteht aufgrund des
vernehmlassungsweise Vorgebrachten kein Anlass (Art. 110 Abs. 4 OG; BGE 119 V
323 Erw. 1).

2.
Nach der Rechtsprechung erfüllt der Biss der Zecke der Gattung Ixodes
sämtliche Merkmale des Unfallbegriffs, weshalb der obligatorische
Unfallversicherer für die damit verbundenen Infektionskrankheiten
(Lyme-Krankheit, Enzephalitis) und deren Folgen aufzukommen hat (BGE 122 V
239 ff. Erw. 5).

2.1 Die SUVA hat ihre Leistungspflicht für die am 3. Juni 1998 gemeldete,
durch Dr. med. S.________ auf eine Lyme-Borreliose als Folge von Zeckenbiss
zurückgeführte, mit Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit
verbundene Symptomatik anerkannt und die gesetzlichen Leistungen
ausgerichtet. Sie hat den leistungsbegründenden Sachverhalt auch in der Folge
nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

2.2 Streitig und zu prüfen ist, ob der Unfallversicherer seine Leistungen zu
Recht auf den 18. März 2002 eingestellt hat. Dies setzt, wie das kantonale
Gericht zutreffend erkannt hat und nicht umstritten ist, voraus, dass der
Zeckenbiss und die dadurch hervorgerufene Lyme-Erkrankung für die ab dem
genannten Zeitpunkt noch bestehenden, Heilbehandlung erfordernden und/oder
die funktionelle Leistungsfähigkeit des Versicherten einschränkenden
Beschwerden nicht mehr verantwortlich gemacht werden können.
Die für die Beurteilung der Streitsache massgebenden Rechtsgrundlagen werden
im angefochtenen Entscheid weitgehend korrekt dargestellt. Es betrifft dies
insbesondere die beweisrechtlichen Grundsätze, wonach der Unfallversicherer
das Wegfallen jeder kausalen Bedeutung des von ihm anerkannten
Unfallereignisses (in casu Zeckenbiss) für die noch bestehende Symptomatik
nachzuweisen hat (RKUV 2000 Nr. U 363 S. 46 Erw. 2 mit Hinweis), den hiefür
mindestens erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
(BGE 126 V 360 Erw. 5b) und das Prinzip der freien Beweiswürdigung,
namentlich in Bezug auf Arztberichte (BGE 125 V 352 ff. Erw. 3 mit
Hinweisen). Richtig sind auch die vorinstanzlichen Erwägungen über die
Anwendbarkeit des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über
den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000
(ATSG). Darauf wird verwiesen.

3.
Der Unfallversicherer erachtet die Leistungseinstellung gestützt auf die von
ihm eingeholten medizinischen Gutachten und die Stellungnahmen der eigenen
Abteilung Arbeitsmedizin für gerechtfertigt und wird darin vom kantonalen
Gericht bestätigt. Der Beschwerdeführer opponiert dieser Betrachtungsweise,
wobei er sich namentlich auf die Berichte des behandelnden Arztes Dr. med.
S.________ und der Frau Dr. med. M.________, Arztpraxis, beruft.

3.1 Grundsätzlich einig sind sich alle verfahrensbeteiligten Ärzte in der
Feststellung, dass eine aktive Lyme-Borreliose nicht mehr besteht. Hingegen
divergieren die Stellungnahmen zur Frage, ob es sich bei den noch gegebenen
Beschwerden um Folgesymptome dieser 1998 diagnostizierten Erkrankung handelt.
Gemäss dem auf neurologischen und neuropsychologischen Untersuchungen
beruhenden Gutachten des Spitals Z.________, Neurologische Klinik, vom 19.
Juni 2000 lassen sich aufgrund der Anamnese (fehlende Hinweise auf eine
durchgemachte Neuroborreliose) und dem normalen neurologischen Befund die
jetzigen Beschwerden nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, sondern
höchstens noch (wenn überhaupt) möglicherweise auf eine Borreliose
zurückführen. Zur Beurteilung der Beschwerden im Bewegungsapparat und der
retrosternalen Schmerzen mit anschliessender Atemnot werden weitere -
rheumatologische resp. internistische - Abklärungen empfohlen.
Rheumatologisch wurde der Versicherte am Kantonsspital Aarau, Rheumaklinik
Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation, begutachtet. Die
medizinischen Sachverständigen gelangten zum Ergebnis, dass "die aktuellen
Beschwerden des Versicherten höchstens als möglich wahrscheinlich in
Zusammenhang mit der im Jahr 1998 diagnostizierten Borreliose gebracht
werden" können (Expertise vom 19. März 2001). In einer ergänzenden
Stellungnahme vom 21. Dezember 2001 bezeichneten die Gutachter eine
Ursächlichkeit der damaligen Erkrankung für das bestehende Leidensbild erneut
als - lediglich - möglich.
Die weiter durchgeführten pneumologischen Untersuchungen ergaben keinen
pathologischen Befund (Expertise des Spitals Y.________, Pneumologische
Abteilung, vom 27. Februar 2001). Gleiches gilt aus kardiologischer Sicht
(Bericht des Dr. med. C.________, Facharzt Kardiologie FMH, an Frau Dr. med.
M.________ vom 16. August 2001).

3.2 Entscheidend für die Frage der Rechtmässigkeit der Leistungseinstellung
durch den Unfallversicherer ist, ob das Wegfallen jeder kausalen Bedeutung
der besagten Erkrankung für die noch bestehenden Beschwerden mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit dargetan ist (Erw. 2.2 hievor). Das ist mit
der Vorinstanz aufgrund der zitierten fachärztlichen Berichte zu bejahen.
Diese beruhen auf der Kenntnis der medizinischen Vorakten und eingehenden
Untersuchungen des Versicherten durch die medizinischen Sachverständigen. Die
getroffenen Folgerungen werden einlässlich und überzeugend erläutert. Es
findet sich jeweils namentlich auch eine differenzierte, medizinische
Lehrmeinungen  berücksichtigende Auseinandersetzung mit der Frage nach den
Auswirkungen der 1998 diagnostizierten Lyme-Borreliose auf den aktuellen
Gesundheitszustand des Beschwerdeführers.

3.3 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Einwand erhoben, die
Fragestellung an die Experten zur Kausalität sei unklar gewesen resp. von
diesen falsch verstanden worden. Aus den gutachterlichen Stellungnahmen
ergibt sich indessen bei gesamthafter Betrachtung schlüssig, dass die
medizinischen Sachverständigen zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
davon ausgehen, dass die noch bestehenden Beschwerden nicht auf die 1998 als
Zeckenbissfolge diagnostizierte Erkrankung zurückzuführen sind.
Fachliches Ungenügen kann den Experten nach Lage der Akten entgegen der vom
Versicherten vertretenen Auffassung nicht vorgeworfen werden. Die weiteren
Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde rechtfertigen ebenfalls kein
anderes Ergebnis. Dies gilt in gleicher Weise für die Berichte der vom
Beschwerdeführer beigezogenen Ärzte. Die Allgemeinpraktikerin Frau Dr. med.
M.________ geht in ihrer Stellungnahme vom 16. September 2000 von einer
zumindest möglichen Encephalopathie als Stadium III einer Neuroborreliose
aus, mithin einer Diagnose, welche bei der fachärztlichen neurologischen
Begutachtung überzeugend ausgeschlossen wurde. Dr. med. S.________ sodann hat
sich wiederholt mit den gutachtlichen Folgerungen nicht einverstanden
erklärt, ohne diese aber mit überzeugenden Argumenten zu entkräften. Es ist
ferner zu berücksichtigen, dass Berichte des Hausarztes - wie auch eines die
versicherte Person behandelnden Spezialarztes (Urteil R. vom 26. Juni 2003
Erw. 2.2.3, I 460/02) - mit Blick auf deren auftragsrechtliche
Vertrauensstellung mit Zurückhaltung zu würdigen sind (vgl. BGE 125 V 353
Erw. 3b/cc mit Hinweisen).

4.
Von weiteren Abklärungen sind keine entscheidrelevanten neuen Ergebnisse zu
erwarten, weshalb darauf zu verzichten ist (antizipierte Beweiswürdigung;
RKUV 2003 Nr. U 473 S. 50 Erw. 3.4 mit Hinweisen, 2002 Nr. U 469 S. 527 Erw.
2c mit Hinweis).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der CSS Versicherung zugestellt.
Luzern, 17. Juni 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: