Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 158/2003
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U 158/03

Urteil vom 26. November 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Ackermann

J.________, 1970, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Carlo Köhl,
Bahnhofstrasse 8, 7000 Chur,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

(Entscheid vom 6. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
J. ________, geboren 1970, arbeitete ab Mai 1992 auf seinem gelernten Beruf
als Maler für die Firma X.________ AG und war bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfall und
Berufskrankheit versichert. Die auf eine Meldung des Arbeitgebers von
Dezember 1996 hin vorgenommenen medizinischen Abklärungen ergaben eine
toxisch-irritative Schleimhautentzündung durch Arbeitsplatzsubstanzen. Darauf
erliess die SUVA am 13. März 1997 eine Nichteignungsverfügung für Arbeiten
mit Exposition gegenüber Spritzlacken, was zur Kündigung durch den
Arbeitgeber führte. Da die zunächst zugesprochene Umschulung zum
Bäcker/Konditor wegen Schlafrhythmusstörungen hatte abgebrochen werden
müssen, wurde J.________ von der Invalidenversicherung zum medizinischen
Masseur umgeschult; anschliessend fand er eine Anstellung in seinem neuen
Beruf. Nachdem die SUVA die Ausrichtung von Übergangsentschädigungen
abgelehnt hatte, verneinte sie mit Verfügung vom 10. Oktober 2002 auch den
Anspruch auf eine Invalidenrente, da der berufskrankheitsbedingte
Gesundheitsschaden seit langem geheilt sei und sich auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht mehr auswirke. Mit Einspracheentscheid vom
7. Februar 2003 wurde die Verfügung von Oktober 2002 bestätigt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 6. Mai 2003 ab.

C.
J.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides sei
ihm mit Wirkung ab dem 1. Mai 2002 eine unbefristete Invalidenrente in Höhe
von 30 % zuzusprechen, eventualiter sei die Sache an die SUVA zur
Neubestimmung des Invaliditätsgrades und zum Erlass einer neuen Verfügung
zurückzuweisen. Ferner lässt er die Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung beantragen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert
worden. In zeitlicher Hinsicht sind jedoch grundsätzlich diejenigen
Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1); dies ist vorliegend vor
dem 1. Januar 2003 geschehen, da die berufliche Eingliederung durch die
Invalidenversicherung und der Antritt der Stelle als medizinischer Masseur im
Jahr 2002 erfolgt sind und auch ab diesem Zeitpunkt eine Rente verlangt wird.
Daran ändert nichts, dass der Einspracheentscheid der SUVA - der an die
Stelle der Verfügung tritt (BGE 119 V 350 Erw. 1b mit Hinweisen) - erst im
Februar 2003 ergangen ist.

1.2 Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine
Invalidenrente der Unfallversicherung (Art. 18 Abs. 1 UVG), den Begriff der
Invalidität (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG) und die Ermittlung des
Invaliditätsgrads nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 18 Abs. 2
Satz 2 UVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung. Die
Vorinstanz lehnt die Ausrichtung einer Rente ab, da der Minderverdienst nicht
auf die Berufskrankheit, sondern auf die (während der Umschulung durch die
Invalidenversicherung) getroffene Berufswahl oder die aktuelle Anstellung
zurückzuführen sei. Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Auffassung,
dass er trotz der erfolgreichen Eingliederung durch die Invalidenversicherung
eine berufskrankheitsbedingte Erwerbseinbusse erleide und damit Anspruch auf
eine Rente habe.

2.1 Nach Art. 18 Abs. 1 UVG setzt der Rentenanspruch der Unfallversicherung
eine Invalidität von mindestens 10 % voraus, wobei nach Art. 18 Abs. 2 Satz 1
UVG invalid ist, wer voraussichtlich bleibend oder für längere Zeit in seiner
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist. Aufgrund des grundsätzlich einheitlichen
Invaliditätsbegriffs in der Invaliden- und obligatorischen Unfallversicherung
(BGE 126 V 291 Erw. 2a), muss die Erwerbsunfähigkeit nicht nur in der
Invalidenversicherung (Art. 4 Abs. 1 IG), sondern auch in der obligatorischen
Unfallversicherung durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden
verursacht worden sein. Damit setzt die Invalidität eine Erwerbseinbusse
infolge eines Gesundheitsschadens voraus, der seinerseits Folge eines Unfalls
oder einer Berufskrankheit ist (vgl. Art. 6 Abs. 1 UVG). Daher muss zunächst
geprüft werden, ob ein Gesundheitsschaden infolge einer Berufskrankheit
besteht und ob sich dieser erwerblich auswirkt.

2.2 Die medizinische Abklärung durch die SUVA hat ergeben, dass eine
toxisch-irritative Schleimhautentzündung durch Arbeitsplatzsubstanzen
vorliegt, sodass der Versicherte in der angestammten Tätigkeit als Maler
vollständig arbeitsunfähig ist, während für andere Arbeiten eine
uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit besteht. Da keine Exposition gegenüber
Spritzlacken mehr stattfindet, ist die Schleimhautentzündung mittlerweile
geheilt; in den Akten finden sich denn auch keinerlei gegenteilige Hinweise.
Damit liegt aber auch kein - für den Rentenanspruch jedoch vorausgesetzter -
eigentlicher Gesundheitsschaden infolge einer Berufskrankheit mehr vor; es
besteht vielmehr nur (aber immerhin) eine Überempfindlichkeit gegenüber
gewissen Stoffen.
Die Frage, ob diese Überempfindlichkeit als Disposition (d.h. Anfälligkeit)
zu einer Krankheit bezeichnet werden muss und somit nicht als Berufskrankheit
gelten kann (vgl. Alexandra Rumo-Jungo, Bundesgesetz über die
Unfallversicherung, 3. Auflage, Zürich 2003, S. 84), oder ob die
Sensibilisierung selber eine Berufskrankheit ist, weil die Antikörper eine
zurückbleibende gesundheitliche Veränderung nach einem Antigenkontakt
darstellen (so Peter Omlin, Die Invalidität in der obligatorischen
Unfallversicherung, Freiburg 1995, S. 54), kann hier jedoch offen gelassen
werden (vgl. Urteil B. vom 29. Januar 1999, U 145/97, teilweise publiziert in
plädoyer 1/2000, S. 54 Erw. 5 in fine); auch bei Annahme eines
Gesundheitsschadens ist der Versicherte nämlich nicht gezwungen, seine
bisherige Berufstätigkeit aufzugeben und zu einer andern Tätigkeit
überzugehen, in der er geringere Erwerbsaussichten hat (vgl. EVGE 1967 S. 203
Erw. 2).
Der Beschwerdeführer ist unbestrittenermassen in allen Tätigkeiten, die keine
Exposition zu Spritzlacken erfordern, ohne Einschränkungen arbeitsfähig;
somit sind auf dem für die Bemessung der Erwerbsunfähigkeit gemäss Art. 18
Abs. 2 Satz 2 UVG in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt (vgl.
dazu BGE 110 V 276 Erw. 4b) genügend Tätigkeiten vorhanden, die nicht
geringere Erwerbsaussichten als die bisher ausgeübte Arbeit als Maler bieten.
Damit ist davon auszugehen, dass der Versicherte, trotz seiner leichten
Einschränkung in der Auswahl möglicher Arbeitsplätze und Berufe, in
absehbarer Zeit zumutbarerweise eine Tätigkeit hätte finden können, in
welcher er gleich viel wie am angestammten Arbeitsplatz verdient hätte (vgl.
EVGE 1967 S. 206 Erw. 3). In dieser Hinsicht ist der Beschwerdeführer seiner
Schadenminderungspflicht (BGE 117 V 400 mit Hinweisen) somit nur teilweise
nachgekommen: Er hat sich zwar mit Hilfe der Invalidenversicherung einer
Umschulung unterzogen, jedoch für ein Tätigkeitsgebiet, in dem offensichtlich
wesentlich geringere Löhne als in der bisherigen Arbeit auf dem Bau bezahlt
werden; dies hätte ihm bewusst sein müssen. Auch wenn positiv zu werten ist,
dass der Versicherte die Umschulung zum medizinischen Masseur erfolgreich
bestanden hat und nun in diesem Beruf arbeitet, kann die Eingliederung im
Sinne der Unfallversicherung nicht als optimal bezeichnet werden: Zwar konnte
in der Invalidenversicherung - infolge des mindestens erforderlichen
Invaliditätsgrades von 40 % (Art. 28 Abs. 1 IVG) - eine rentenausschliessende
Eingliederung erfolgen, durch eine andere zumutbare Umschulung hätte dieses
Ziel jedoch in der Unfallversicherung ebenfalls erreicht werden können. Auch
wenn auf die Aussage in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgestellt wird,
wonach die Organe der Invalidenversicherung eine Umschulung zum
Physiotherapeuten mangels Gleichwertigkeit zum bisherigen Beruf als Maler
abgelehnt haben, muss für das Erreichen eines annähernd gleichen Lohnes wie
des bisher erzielten nicht von einem höher qualifizierten Beruf ausgegangen
werden, da dafür gleich qualifizierte Tätigkeiten wie die bisherige als Maler
ausreichen; insbesondere ist daran zu erinnern, dass der Versicherte für alle
Arbeiten ohne Exposition zu Spritzlacken vollständig arbeitsfähig ist,
weshalb ihm z.B. auch eine Tätigkeit auf dem Bau oder in einem Büro zumutbar
gewesen wäre, wo er - auch unter Berücksichtigung eines allfällig etwas
geringeren Lohnes wegen fehlender Berufserfahrung - ein
rentenausschliessendes Einkommen hätte erzielen können. Wenn sich der
Beschwerdeführer jedoch zur Umschulung in eine schlechter bezahlte Tätigkeit
entschlossen hat, obwohl ihm besser entlöhnte Arbeiten gesundheitlich nicht
verwehrt gewesen wären, hat er die entsprechenden finanziellen Einbussen
selber zu tragen; es trifft ihn insoweit auch wegen der in Frage stehenden
Dauerleistung und seines jungen Alters eine weit gehende
Schadenminderungspflicht (vgl. BGE 113 V 32 f.). Im Übrigen kann auch aus dem
Urteil B. vom 29. Januar 1999, U 145/97, teilweise publiziert in plädoyer
1/2000, S. 54 Erw. 6, nichts zu Gunsten des Versicherten abgeleitet werden,
da dort explizit festgehalten ist, dass das zur Invaliditätsbemessung
notwendige Einkommen nach Eintritt des Gesundheitsschadens vom effektiv
erzielten Einkommen abweichen könne, wenn dieses nicht demjenigen entspreche,
welches auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt erzielbar sei.
Entgegen der Meinung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird ein
Versicherter durch die hier vertretene Auffassung nicht von einer Umschulung
abgehalten; dies trifft schon deswegen nicht zu, weil bei ungerechtfertigter
Verweigerung der Eingliederung kein Anspruch auf eine Rente besteht (Art. 10
Abs. 2 IVG bzw. Art. 31 IVG sowie ab dem 1. Januar 2003 Art. 21 Abs. 4 ATSG).

3.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben.
Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 Verbindung
mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht
als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202
Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf
Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande
ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Carlo
Köhl, Chur, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 26. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: