Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 146/2003
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U 146/03

Urteil vom 2. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Lanz

H.________, 1941, Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 16. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1941 geborene H.________ arbeitete von 1979 bis zu seiner
Frühpensionierung im Jahr 2002 als Kreisforstmeister beim Kanton X.________
und war dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert.
Ab etwa Anfang August 2000 stellte er eine verschlechterte Kondition sowie
Schmerzen in Rücken, Schultergürtelbereich, Oberschenkeln und Beckengegend
fest. Er suchte deswegen am 15. August 2000 den Hausarzt auf, der eine
hälftige Arbeitsunfähigkeit bestätigte, bei dringendem Verdacht auf eine
Borreliose mit Gelenkbeteiligung Stadium II nach bei beruflicher Exposition
immer wieder aufgetretenen Zeckenbissen. Am 20. September 2000 wurde die
bestehende Symptomatik als Zeckenbissfolge an die SUVA gemeldet. Es folgten
durch den Hausarzt veranlasste Untersuchungen des Versicherten am Spital
Y.________ (Bericht vom 11. Oktober 2000) sowie durch Dr. med. S.________,
Facharzt für Innere Medizin FMH (Berichte vom 19. Dezember 2000 und 16. März
2001). Sodann beantwortete das Spital Y.________ am 9. Januar und 31. Mai
2001 Ergänzungsfragen der SUVA. Mit Verfügung vom 4. Juli 2001 verneinte der
Unfallversicherer seine Leistungspflicht mit der Begründung, es liege weder
ein Unfall noch eine unfallähnliche Körperschädigung vor. Daran wurde mit
Einspracheentscheid vom 14. September 2001 festgehalten.

B.
Hiegegen erhob der Versicherte Beschwerde. Das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich holte ein Gutachten des Spitals A.________ vom 5. März 2003
ein. Gestützt auf die Stellungnahme der Experten, wonach eine Lyme-Erkrankung
unwahrscheinlich sei, wies das kantonale Gericht die Beschwerde ab (Entscheid
vom 16. Mai 2003).

C.
H.________ beantragt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde, es sei festzustellen,
dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Lyme-Borreliose vorliege und
damit eine Leistungspflicht der SUVA gegeben sei.
Der Unfallversicherer beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne sich weiter zur Sache zu äussern. Das
Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und Unfallversicherung
(seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), hat sich nicht vernehmen
lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, werden nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides (hier: 14.
September 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt, womit im vorliegenden Fall
auch die Anwendbarkeit des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
und der Verordnung hiezu (ATSV) entfällt (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit
Hinweisen).

Im Einspracheentscheid und im kantonalen Entscheid werden sodann die
Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht des Unfallversicherers,
namentlich bei Zeckenbissen, und die sich in diesem Zusammenhang stellenden
Kausalitäts- und Beweisfragen richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
Hervorzuheben ist, dass nach der Rechtsprechung der Biss der Zecke der
Gattung Ixodes sämtliche Merkmale des Unfallbegriffs (Art. 9 Abs. 1 UVV)
erfüllt, weshalb der obligatorische Unfallversicherer für die damit
verbundenen Infektionskrankheiten (Lyme-Krankheit, Enzephalitis) und deren
Folgen aufzukommen hat (BGE 122 V 239 ff. Erw. 5).

2.
2.1 Es steht nach Lage der Akten fest und ist nicht umstritten, dass der
Beschwerdeführer von Zecken gebissen wurde. Sodann konnte mittels
serologischer Labortests zweifelsfrei ein Kontakt mit Borrelia burgdorferi
nachgewiesen werden. Streitig und zu prüfen ist, ob dies nach dem im
Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b) zu einer Lyme-Borreliose, in der
Ausprägung einer Lyme-Arthritis, als für die ab August 2000 aufgetretenen
Beschwerden verantwortliche Erkrankung geführt hat.
Die Vorinstanz verneint dies und stützt sich dabei namentlich auf das
Gutachten des Spitals A.________ vom 5. März 2003. Danach ist das Leidensbild
mit einer Polyarthritis zu erklären. Differentialdiagnostisch kommen eine
rheumatoide Arthritis oder eine parvovirus-assoziierte Polyarthritis resp.
Psoriasis-Arthritis in Frage. Eine Lyme-Erkrankung ist aufgrund der Anamnese,
der klinischen Symptomatik und des Verlaufes unwahrscheinlich, wenn auch
nicht mit letzter Sicherheit auszuschliessen.

2.2 Bei Gerichtsgutachten weicht das Gericht nach der Praxis nicht ohne
zwingende Gründe von der Einschätzung der medizinischen Fachleute ab, deren
Aufgabe es ist, ihre Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur Verfügung zu
stellen, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch zu erfassen. Ein Grund
zum Abweichen kann vorliegen, wenn die Gerichtsexpertise widersprüchlich ist
oder wenn ein vom Gericht eingeholtes Obergutachten in überzeugender Weise zu
andern Schlussfolgerungen gelangt. Abweichende Beurteilung kann ferner
gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche Meinungsäusserungen anderer
Fachleute dem Gericht als triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des
Gerichtsgutachtens in Frage zu stellen, sei es, dass es die Überprüfung durch
eine weitere Fachperson im Rahmen einer Oberexpertise für angezeigt hält, sei
es, dass es ohne eine solche vom Ergebnis des Gerichtsgutachtens abweichende
Schlussfolgerungen zieht (BGE 125 V 352 Erw. 3b/aa mit Hinweisen).
Mit dem kantonalen Gericht ist festzustellen, dass das Gutachten des Spitals
A.________ vom 5. März 2003 sämtliche Anforderungen an den Beweiswert eines
Arztberichtes erfüllt (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Es beruht auf umfassenden
Untersuchungen und überzeugt in seinen eingehend begründeten
Schlussfolgerungen. Diese stimmen auch vollumfänglich überein mit der
Beurteilung durch die Ärzte am Spital Y.________. Sie beschreiben eine
Polyarthritis unklarer Aetiologie bei Differentialdiagnosen auf seronegative
rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Polyarthritis resp. Polyarthritis anderer
(z.B. viraler) Aetiologie. Eine Lyme-Arthritis wird, bei positiver
Borrelienserologie, mangels entsprechender klinischer Hinweise für wenig
wahrscheinlich erachtet (Bericht an den Hausarzt vom 11. Oktober 2000 und
Stellungnahmen an die SUVA vom 9. Januar 2001 und 31. Mai 2001).

2.3 Gemäss Norbert Satz (in: Klinik der Lyme-Borreliose, 2. Auflage, Bern
2002, S. 70) setzt die Diagnose einer Lyme-Borreliose - gleich welchen
Stadiums - ein entsprechendes klinisches Beschwerdebild und den Ausschluss
von Differentialdiagnosen voraus, wobei je nach Krankheitsstadium ein
pathologischer laborchemischer Test die Wahrscheinlichkeit der Diagnose
erhöhen kann. Die Diagnose der Lyme-Borreliose ist aber trotz aller zur
Verfügung stehenden Labortests ausschliesslich klinisch im
Ausschlussverfahren zu stellen (Satz, a.a.O.).

Vorliegendenfalls lässt sich die zur Diskussion stehende Symptomatik gemäss
der überzeugenden, mit den am Spital Y.________ erhobenen Befunden
übereinstimmenden Einschätzung der Gutachter des Spitals A.________ zwanglos
mit einer Polyarthritis erklären, wobei es an der für eine
Lyme-Borreliose/Arthritis typischen klinischen Präsentation fehlt. Damit kann
eine Lyme-Erkrankung, trotz der unbestrittenermassen erfolgten
Borrelieninfektion, nicht als natürlich kausale Ursache für das ab August
2000 aufgetretene Beschwerdebild betrachtet werden, weshalb der
Unfallversicherer zu Recht seine Leistungspflicht hiefür verneint hat.

Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen zu keiner anderen
Betrachtungsweise. Selbst wenn von einer noch aktiven Borrelieninfektion
auszugehen wäre, änderte dies nichts an der entscheidenden Tatsache, dass das
für die Diagnose einer Lyme-Erkrankung zwingend erforderliche klinische
Beschwerdebild nicht gegeben ist. Sodann können zwar Fingergelenke von einer
Lyme-Arthritis mit betroffen sein. Statistisch gesehen manifestiert sich
diese Erkrankung aber eher in grossen Gelenken (vgl. Satz, a.a.O., S. 142).
Daher lässt sich nicht beanstanden, wenn Gutachter des Spitals A.________ und
Ärzte des Spitals Y.________ bei der klinischen Beurteilung davon ausgegangen
sind, der - hier gegebene - Befall der Fingergelenke sei für eine
Lyme-Borreliose nicht typisch. Zutreffend ist auch, dass sich eine
Lyme-Arthritis häufiger in einer Mono- oder Oligoarthritis äussert, als in
einer Polyarthritis wie der hier bestehenden (Satz, a.a.O., S. 142). Es kann
im Übrigen auf die einlässlichen, die Einwände des Beschwerdeführers
angemessen mit berücksichtigenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden.
Darin wird auch zutreffend dargelegt, weshalb nicht auf die abweichenden
diagnostischen Meinungsäusserungen des Dr. med. S.________ abzustellen ist.
Einpracheentscheid und kantonaler Gerichtsentscheid sind somit rechtens.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Krankenkasse KPT, Direktion, Bern, und dem Bundesamt für
Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 2. April 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: