Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 140/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


U 140/03

Urteil vom 5. Dezember 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Schmutz

K.________, 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Sven Marguth,
Genfergasse 3, 3011 Bern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 9. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborene K.________, gelernter Spengler und Sanitätsinstallateur mit
eigener Firma und sechs Angestellten, litt nach den Angaben in der der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) am 2. April 2000
erstatteten Unfallmeldung nach einem Zeckenbiss im Herbst 1988 an Störungen
am ganzen Körper, die ab dem 23. Februar 2000 zur Arbeitsunfähigkeit führten.
Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten,
Hals- und Gesichtschirurgie, bei dem K.________ wegen einer progredienten
Hörstörung links in Behandlung war, äusserte 1999 den Verdacht auf Vorliegen
einer Borreliose und überwies den Versicherten an Frau Dr. med. M.________,
Fachärztin für Allgemeinmedizin. Die Ärztin diagnostizierte in ihrem Bericht
vom 17. Mai 2000 eine auf zahlreiche Zeckenbisse zurückzuführende
Borreliose/Neuroborreliose im Stadium III. Die SUVA holte Berichte der
behandelnden Ärzte Dres. med. T.________ und S.________ ein. Zudem liess sie
den Versicherten in der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Spitals
X.________ beurteilen. In dem betreffenden Gutachten vom 19. Dezember 2000
wurde es als sehr unwahrscheinlich bezeichnet, dass die beim Versicherten zur
Arbeitsunfähigkeit führenden Symptome mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
auf einen Zeckenbiss zurückzuführen seien. Nachdem auch Dr. med. C.________,
Facharzt FMH für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, SUVA Abteilung
Arbeitsmedizin, in seiner ärztlichen Beurteilung vom 5. Januar 2001 dem
Gutachten des Spitals X.________ in vollem Umfang folgte, verneinte die SUVA
den Anspruch auf Versicherungsleistungen mit Verfügung vom 22. Januar 2001,
weil es sich bei den vom Versicherten beschriebenen multiplen Beschwerden
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um eine Zeckenbiss-Folgeerkrankung
handle und weder ein Unfall noch eine unfallähnliche Körperschädigung
vorliege. An ihrem Standpunkt hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4.
Dezember 2001 fest.

B.
K.________ liess dagegen Beschwerde erheben und beantragen, in Aufhebung des
Entscheids sei festzustellen, dass die bestehenden gesundheitlichen
Beeinträchtigungen auf eine Lyme-Borreliose zurückzuführen seien; die SUVA
sei zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Mit Entscheid
vom 9. Mai 2003 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde
ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ das vor der Vorinstanz
gestellte Begehren erneuern.
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im angefochtenen Entscheid werden die für die Leistungspflicht des
Unfallversicherers geltenden Voraussetzungen, insbesondere die für die
Beurteilung der zunächst erforderlichen natürlichen Unfallkausalität von
Gesundheitsschädigungen geltenden Regeln zutreffend dargelegt. Das Gleiche
gilt für die Ausführungen der Vorinstanz zur Rechtsprechung, wonach der
Zeckenbiss sämtliche Merkmale des Unfallbegriffs (Art. 9 Abs. 1 UVV) erfüllt
(BGE 122 V 230 ff.). Darauf wird verwiesen. Korrekt ist auch, dass das am 1.
Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist, da
nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides (hier:
4. Dezember 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das
Gesetz nichts Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten
Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Das Gericht hat vielmehr
jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die es von allen möglichen
Geschehensabläufen als die Wahrscheinlichste würdigt (BGE 121 V 47 Erw. 2a
mit Hinweis). Für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs einer
möglichen Ursache genügt es jedoch nicht, dass die andern in Betracht
fallenden Ursachen als weniger wahrscheinlich erscheinen, sondern es ist auch
bezüglich der am ehesten möglichen Ursache näher abzuklären, welche konkreten
Gründe für die Kausalität zwischen dieser Ursache und dem Krankheitsbild
sprechen. Die Beweisfrage ist für die Beurteilung des vorliegenden Falles
entscheidend, weil von Seiten der Gutachter des Spitals X.________
unbestritten ist, dass der Beschwerdegegner Kontakt mit Borrelien hatte, da
positive Serologien im Blut dies belegen. Es handelt sich dabei um einen
konkreten Anhaltspunkt für eine mögliche ursächliche Beteiligung von
Zeckenbissen an den gesundheitlichen Störungen.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die beim Beschwerdeführer aufgetretenen
gesundheitlichen Beschwerden, welche im Jahr 2000 zu einer Arbeitsunfähigkeit
führten, auf Zeckenbisse zurückzuführen sind. Massgebend hiefür ist die
Rechtsprechung gemäss BGE 122 V 239 f. Danach ist der geforderte Beweis der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass die Leiden auf einen Zeckenbiss
zurückzuführen sind, erbracht, wenn nach einem Zeckenbiss eine Infektion in
Erscheinung tritt, welche den von den Zecken der Gattung Ixodes übertragenen
Erregern zugeschrieben werden kann (BGE, a.a.O., S. 240 Erw. 5c).

4.
Während Frau Dr. med. M.________ beim Beschwerdeführer eine
Borreliose/Neuroborreliose im Stadium III, eine 1988 durchgemachte
Lymphadenosis cutis benigna, einen Befall des VIII. Hirnnervs links,
Encephalopathie im Rahmen der Borreliose sowie eine positive
Babesienserologie diagnostizierte, lautete die Diagnose der Gutachter des
Spitals X.________ auf ein diffuses generalisiertes Schmerzsyndrom unklarer
Ätiologie (am ehesten im Rahmen degenerativer Gelenkveränderungen), diskrete
unspezifische Gedächtnis- und Konzentrationsstörung (wahrscheinlich schmerz-
und fähigkeitsbedingt) sowie Perzeptions-Hörstörung links unklarer Ätiologie.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, es sei den
Gutachtern des Spitals X.________ sowie der Vorinstanz nicht gelungen, in
überzeugender Weise alternative Ursachen für das Krankheitsbild des
Beschwerdeführers aufzuzeigen. Daraus wird gefolgert, die fehlende Erklärung
alternativer Ursachen liefere ein zusätzliches Indiz für die Richtigkeit der
Ausführungen von Frau Dr. med. M.________, da es bei einer Lyme-Borreliose
gerade typisch sei, dass oft eine Vielzahl nicht genau definierbarer oder
erklärbarer Schmerzen vorliege. Sollte aber auf die Ausführungen der Ärztin
nicht abgestellt werden, müsste zumindest anerkannt werden, dass in
medizinischer Hinsicht noch Abklärungsbedarf bestehe, weshalb ein
Obergutachten einzuholen sei.

5.
Frau Dr. med. M.________ in ihrem Bericht vom 17. Mai 2000 und PD Dr. med.
U.________ im Gutachten des Spitals X.________ vom 19. Dezember 2000 haben
sich ausführlich damit auseinandergesetzt, ob die beim Beschwerdeführer
aufgetretenen gesundheitlichen Beschwerden, welche im Jahr 2000 zu einer
Arbeitsunfähigkeit führten, auf einen Zeckenbiss zurückzuführen sind. Die
Vorinstanz hat die beiden Berichte umfassend gewürdigt und es kann hier
darauf verwiesen werden. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden keine
Einwendungen gegen diese Beweiswürdigung erhoben, die nicht bereits vor der
Vorinstanz vorgebracht worden sind. Dies betrifft insbesondere auch den
zusätzlichen Bericht von Frau Dr. med. M.________ vom 9. Juni 2003.

5.1 Darin wird neu angemerkt, das Lymphadenoma cutis benignum sei beim
Beschwerdeführer 1988, kurz bevor der Tinnitus eingesetzt habe,  aufgetreten,
was ein absolut spezifisches Symptom der Borreliose nach einem Zeckenbiss
sei. Im ersten Bericht von Frau Dr. med. M.________ vom 17. Mai 2000 war der
zeitliche Ablauf noch weniger präzise gefasst. Die Ärztin rapportierte -
immer gestützt auf die Aussagen des Beschwerdeführers - zunächst eine
vorübergehende livid-rötliche Schwellung und Verhärtung am rechten
Ohrläppchen 1988/89, die mehrere Wochen persistierte. In den Jahren 1988 bis
1991 trat links eine signifikante Hörverschlechterung, begleitet von
Tinnitus, ein. Dr. med. S.________ bestätigte am 10. Januar 2000 gegenüber
der Ärztin, dass ihm der Beschwerdeführer bereits 1989 wegen eines Tinnitus
zugewiesen worden sei. Den Gutachtern des Spitals X.________ gab der
Beschwerdeführer an, dass "ca. 1992" über ein paar Wochen eine schmerzhafte
Rötung am rechten Ohrläppchen aufgetreten sei. Auf Grund dieser Abweichungen
ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das von
Frau Dr. med. M.________ diagnostizierte Lymphadenoma cutis benignum bereits
vor dem 1989 von Dr. med. S.________ festgestellten Tinnitus aufgetreten ist.
Dies kann jedoch aus den nachstehenden Gründen offen bleiben.

5.2 Für die Einschätzung der Gutachter des Spitals X.________ war wesentlich,
dass sich in einer detaillierten Liquoranalyse keine pathologischen Befunde
zeigten und insbesondere auch keine intrathekale Antikörper gegen Borrelia
burgdorferi nachweisbar waren. Es ergaben sich für sie somit keine
Anhaltspunkte für einen Befall des intrathekalen Kompartiments durch
Borrelien. Sie stützten sich dabei auf die Ergebnisse der Liquoranalysen im
Spital Y.________ (Liquorpunktion im Labor Z.________ vom 21. Februar 2000)
und der Diagnostique Parasitaire des Zoologischen Instituts Q.________ vom
Februar 2000. Frau Dr. med. M.________ erwähnte in ihrem ersten Bericht vom
17. Mai 2000, dass im Liquor keine spezifischen Borrelienantikörper
nachgewiesen worden seien. Im zweiten Bericht vom 9. Juni 2003 äussert sie
sich dazu nicht.

5.3 Nach Satz, Klinik der Lyme-Borreliose, 2. Auflage, Bern 2002, S. 184-186
gelingt der Nachweis von spezifischen Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi
im Liquor nicht in jedem Fall. Er hängt von verschiedenen Faktoren ab, so
unter anderem von der Lokalisation der Läsion im Nervensystem (peripheres -
zentrales Nervensystem), von der Dauer der Erkrankung, von der Ausdehnung und
Intensität der Entzündung und wahrscheinlich auch von der Anzahl und der
Aggressivität der Erreger selbst. Der Autor bezeichnet es als wahrscheinlich,
dass ein nicht unerheblicher Teil der Antikörper in Immunkomplexen
sequestriert ist und der Messung entgeht. Immerhin geht aus seinen Hinweisen
hervor, dass der IgG-Antikörpertiter bei sämtlichen Patienten mit einer
Krankheitsdauer von mehr als 6 Monaten, welche nach den "case definitions"
der CDC (Centers for desease control) die Kriterien einer Neuroborreliose
erfüllten, erhöht war. Auch beim Messverfahren durch den
Borrelia-Antikörperindex gemäss der Formel von Reiber wurde bei allen 10
Patienten mit über sechsmonatiger Krankheitsdauer eine intrathekale
Antikörperproduktion nachgewiesen. Der Autor führt weiter an, dass der
direkte Nachweis von spezifischen Antikörpern sich neu auch mit dem
Immunoblot-/Western-Blot-Verfahren erbringen lasse, wobei die diagnostische
Auswertung dieser Befunde bisher in der Wissenschaft wenig Eingang gefunden
habe. Aus seinen Ausführungen ist aber zu schliessen, dass er diese Methode
als feiner einstuft als die bisherigen Methoden, was seines Erachtens auch
für die ELISA-Capture-Methode für den Nachweis einer intrathekalen
Antikörpersynthese gegen borrelia burgdorferi gilt.

5.4 Diese Hinweise bieten keinen Anlass zu Zweifeln daran, dass die
Einschätzung der Gutachter des Spitals X.________, die wesentlich darauf
abstützte, dass sich in einer detaillierten Liquoranalyse keine
pathologischen Befunde zeigten und insbesondere auch keine intrathekale
Antikörper gegen Borrelia burgdorferi nachweisbar waren, richtig ist. Nach
den Ausführungen von Frau Dr. med. M.________ soll der von ihr rapportierte
zweite Schub der Lyme-Borreliose beim Beschwerdeführer im Sommer 1999
ausgebrochen sein, womit bei der Liquorpunktion im Februar 2000 die
6-Monats-Frist, nach der bei den bisherigen Verfahren bei einer Borreliose
regelmässig intrathekale Antikörper nachgewiesen wurden, bereits erreicht
war. Sogar bei der von Satz als feiner bezeichneten, beim Beschwerdeführer
angewandten Methoden fanden sich beim Liquoruntersuch keine positiven
Ergebnisse. Das Zoologische Institut Q.________ fand im Liquor nach den
Methoden Western-Blot und ELISA nur negative Ergebnisse und stellte keine
Evidenz für den Kontakt mit Erregern der Lyme-Borreliose fest.

5.5 Dem Gutachten des Spitals X.________ ist nicht nur - aber auch - der
Vorzug zu geben, weil es auf Grund interdisziplinärer Untersuchungen auf
universitärer Ebene erarbeitet worden ist und somit die Meinungen
verschiedener Fachärzte in die Beurteilung einfliessen konnten. Demgegenüber
basiert der Bericht von Frau Dr. med. M.________ vom 17. Mai 2000 einzig auf
ihren eigenen Untersuchungen. Das Gutachten des Spitals X.________ setzt sich
mit diesem Bericht auseinander und begründet nachvollziehbar, weshalb die vom
Beschwerdeführer geklagten Leiden nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
auf eine Borreliose-Erkrankung zurückzuführen sind, und es bietet
Erklärungsansätze für unfallfremde Ursachen an, deren Klärung jedoch nicht
Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist. Unter den gegebenen
Umständen ist keine zusätzliche medizinische Abklärung vorzunehmen. In
Würdigung der gesamten Umstände ist ein natürlicher Kausalzusammenhang
zwischen den gesundheitlichen Störungen des Beschwerdeführers und dem
gemeldeten Unfallereignis nicht als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 5. Dezember 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: