Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 120/2003
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U 120/03

Urteil vom 28. Mai 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Jancar

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

M.________, 1943, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Lukas Denger,
Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 22. April 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1943 geborene M.________ arbeitete seit 1. Februar 1967 als
Spengler-Installateur bei der Firma Z.________ AG,
Heizung-Sanitär-Spenglerei, und war damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Im April 1996 wurde bei
ihm Hämochromatose festgestellt. Am 4. April 2000 diagnostizierte das Spital
B.________ eine Kalziumpyrophosphat-Ablagerungserkrankung (CPPD) mit
Sekundärarthrosen im Bereich des Knies rechts mehr als links, OSG beidseits;
ein chronisches lumbovertebrales Syndrom; statische Veränderungen:
rechtsförmige Skoliose der BWS, linkskonvexe Skoliose der LWS; degenerative
Veränderungen: Osteochondrose auf Höhe L4/5 und L5/S1; eine diffuse
idiopathische skelettale Hyperostose (DISH).

Am 14. August 2000 musste der Versicherte während der Arbeit mit einem
Arbeitskollegen einen 50 kg schweren Schachtdeckel anheben. Auf einer Höhe
von ca. 20 cm fiel dieser auf der Seite des Arbeitskollegen zu Boden, wodurch
M.________ einen Schlag ins rechte Handgelenk verbunden mit einem stichartig
einschiessenden Schmerz erlitt. Wegen andauernder Schmerzen begab er sich am
15. August 2000 zu Dr. med. B.________ (damaliger Vertreter des Hausarztes),
Allgemeine Medizin FMH. Dr. med. G.________, Röntgeninstitut MR-Zentrum
R.________, stellte am 25. August 2000 auf Grund einer
Magnetresonanz-Untersuchung des rechten Handgelenks eine scapholunäre
Dissoziation mit deutlich verdickter und signalgestörter dorsaler
Gelenkkapsel im Rahmen einer Bandruptur fest; es könne jedoch nicht sicher
zwischen einer traumatischen oder degenerativen Genese unterschieden werden.
Zur Abklärung der Verhältnisse holte die SUVA weitere Arztberichte sowie eine
Stellungnahme des Chirurgen Dr. med. V.________, Ärzteteam Unfallmedizin der
SUVA, vom 4. Juli 2001 ein. Letzterer ging ebenfalls von einer scapholunären
Dissoziation am rechten Handgelenk aus. Mit Verfügung vom 12. Juli 2001
verneinte die SUVA ihre Leistungspflicht, da hinsichtlich der
Handgelenksbeschwerden rechts weder Folgen eines Unfalls noch einer
unfallähnlichen Körperschädigung vorlägen. Auf Einsprache des Versicherten
hin holte die SUVA nochmals eine Stellungnahme des Dr. med. V.________ vom
10. Juni 2002 ein. Mit Entscheid vom 13. Juni 2002 hiess sie die Einsprache
im Sinne der Erwägungen teilweise gut. An der Verfügung könne insoweit nicht
festgehalten werden, als jegliche Leistungspflicht verneint worden sei. Denn
durch das Ereignis vom 14. August 2000 sei ein krankhafter Vorzustand
symptomatisch geworden. Der status quo sine sei gemäss der Einschätzung des
Dr. med. V.________ erst drei Monate nach dem Unfall erreicht worden, weshalb
für diese Zeitspanne eine Leistungspflicht bestehe.

B.
Hiegegen erhob der Versicherte beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern
Beschwerde und reichte neu einen Bericht des Dr. med. B.________ vom 18.
August 2000 ein. Das kantonale Gericht hiess die Beschwerde gut, hob den
Einspracheentscheid und die Verfügung auf und wies die Sache zur weiteren
Abklärung im Sinne der Erwägungen und anschliessendem Erlass einer neuen
Verfügung an die SUVA zurück (Entscheid vom 22. April 2003).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die SUVA die Aufhebung des
kantonalen Entscheides.

Der Versicherte schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (ab dem 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit, BAG),
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf
Leistungen der Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1 UVG), auf
Heilbehandlung (Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggeld (Art. 16 Abs. 1 UVG) ebenso
zutreffend dargelegt wie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang
zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität,
Tod; BGE 123 V 45 Erw. 2b, 121 V 329 Erw. 2a, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289
Erw. 1b, je mit Hinweisen) und zur vorausgesetzten Adäquanz des
Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 127 V 102 Erw. 5b/aa mit Hinweisen).
Richtig sind sodann die Ausführungen zur Leistungspflicht des
Unfallversicherers, wenn der Unfall einen krankhaften Vorzustand
verschlimmert oder überhaupt erst zum Vorschein bringt (RKUV 1994 Nr. U 206
S. 328 Erw. 3b, 1992 Nr. U 142 S. 75 Erw. 4b, je mit Hinweisen). Gleiches
gilt hinsichtlich des im Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrades der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 153 Erw. 2.1 mit Hinweisen).
Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von
unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im
Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein muss. Die blosse Möglichkeit nunmehr
gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles genügt nicht. Da es
sich hiebei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt aber die
entsprechende Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein
leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim
Versicherten, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 2000 Nr. U 363 S. 46 Erw.
2, 1994 Nr. U 206 S. 328 f. Erw. 3b).

Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichts ist entscheidend, ob er für
die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht,
auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten
(Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen
Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die
Schlussfolgerungen des Experten begründet und nachvollziehbar sind.
Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft
eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag
gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a;
AHI 2001 S. 113 Erw. 3a).

Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ist nicht
anwendbar, da nach Erlass des streitigen Einspracheentscheides vom 13. Juni
2002 eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw.
1.2).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat in zutreffender Würdigung der ärztlichen
Unterlagen korrekt erwogen, dass bezüglich des rechten Handgelenks nicht
abschliessend beurteilt werden könne, ob der status quo sine (Zustand, wie er
sich auch ohne den Unfall vom 14. August 2000 früher oder später eingestellt
hätte) spätestens nach drei Monaten erreicht gewesen sei, so dass die danach
geklagten Beschwerden als unfallfremd zu qualifizieren und mithin die
Versicherungsleistungen einzustellen seien.

2.2 Die Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen hieran
nichts zu ändern.

Die SUVA beruft sich hinsichtlich der Frage nach dem Erreichen des status quo
sine einzig auf die Berichte des Dr. med. V.________ vom 4. Juli 2001 und 10.
Juni 2002. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass dieser den Versicherten
nicht selber untersucht hat. Die übrigen Ärzte haben sich zu dieser Frage
nicht geäussert.

Dr. med. G.________ stellte am 25. August 2000 auf Grund einer
Magnetresonanz-Untersuchung des rechten Handgelenks eine scapholunäre
Dissoziation mit deutlich verdickter und signalgestörter dorsaler
Gelenkkapsel im Rahmen einer Bandruptur fest. Er legte dar, es könne nicht
sicher zwischen einer traumatischen oder degenerativen Genese unterschieden
werden. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Versicherte auf Grund der
Akten vor dem Unfall vom 14. August 2000 wegen Handgelenksbeschwerden rechts
weder in ärztlicher Behandlung noch arbeitsunfähig war. Die Vorinstanz hat
unter diesen Umständen zu Recht ausgeführt, es stelle sich die Frage, ob der
Versicherte die bisweilen anstrengende Arbeit als Spengler-Installateur
überhaupt noch hätte verrichten können, wenn das Band am rechten Handgelenk
schon vor dem Unfall vom 14. August 2000 gerissen gewesen wäre.

Der Hausarzt Dr. med. K.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, ging im
Bericht vom 13. Februar 2001 weiterhin von einer posttraumatischen
scapholunären Dissoziation der rechten Handwurzel aus, an der die
vorbestehende Arthrose vermutlich lediglich mitbeteiligt sei. Der Verlauf sei
schwierig mit weiterhin erheblichen, vor allem belastungsabhängigen Schmerzen
im rechten Handwurzelbereich. Die Behandlungsdauer sei noch offen.

Bei dieser Sachlage rechtfertigt sich in Übereinstimmung mit der Vorinstanz
die Einholung eines zusätzlichen Gutachtens.

3.
3.1 Die SUVA macht geltend, die Würdigung der Beweise sei elementare Aufgabe
des Gerichts. Wenn es sich keine abschliessende Meinung über einen umfassend
abgeklärten Sachverhalt bilden könne, müsse es selber eine Expertise
anordnen, ansonsten eine Verletzung des gerichtlichen Rechtsschutzes
vorliege.

3.2 Bei festgestellter Abklärungsbedürftigkeit verletzt die Rückweisung der
Sache an die Verwaltung als solche weder den Untersuchungsgrundsatz noch das
Gebot eines einfachen und raschen Verfahrens (Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG).
Anders verhält es sich nur dann, wenn die Rückweisung an die Verwaltung einer
Verweigerung des gerichtlichen Rechtsschutzes gleichkäme (beispielsweise
dann, wenn auf Grund besonderer Gegebenheiten nur ein Gerichtsgutachten oder
andere gerichtliche Beweismassnahmen geeignet wären, zur Abklärung des
Sachverhaltes beizutragen) oder wenn die Rückweisung nach den Umständen als
unverhältnismässig bezeichnet werden müsste (BGE 122 V 163 Erw. 1d mit
Hinweisen). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat überdies entschieden,
dass eine Rückweisung an die Verwaltung gerechtfertigt ist, wenn eine
medizinische Expertise notwendig erscheint, weil der Grundsatz der
Kostenlosigkeit des versicherungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens (Art. 108
Abs. 1 lit. a UVG) nicht dazu missbraucht werden darf, dass die
Unfallversicherer sich von den oftmals beträchtlichen Kosten derartiger
Gutachten zu Lasten der kantonalen Staatskasse befreien (RKUV 1999 Nr. U 342
S. 410 f.).
3.3 Vorliegend kommt die Rückweisung an die SUVA weder einer Verweigerung des
gerichtlichen Rechtsschutzes gleich noch erweist sie sich als
unverhältnismässig, zumal diese keine Expertise durchführen liess. Die
Vorinstanz hat die Sache demnach zu Recht an die SUVA zurückgewiesen, damit
diese nach Einholung eines medizinischen Gutachtens bezüglich der
Handgelenksbeschwerden rechts über den Leistungsanspruch des Versicherten neu
befinde.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
steht dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die SUVA hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Entschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 28. Mai 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: