Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 103/2003
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U 103/03

Urteil vom 2. September 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Widmer

B.________, 1963, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Paul von
Moos, Kasernenplatz 2, 6003 Luzern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 18. März 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Schreiben vom 29. September 1995 teilte die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) dem 1963 geborenen B.________ mit, dass sie
die Taggeldleistungen für die Folgen eines Unfalls vom 7. März 1995 ab 2.
Oktober 1995 einstelle und auch für die Heilbehandlung nicht mehr aufkomme,
da es sich bei den geklagten Rückenbeschwerden um ein unfallfremdes Leiden
handle.
Am 30. Oktober 1998 erlitt B.________ einen weiteren Unfall. Mit Schreiben
vom 15. Dezember 1998 gelangte sein Rechtsvertreter an die SUVA und machte
geltend, der Versicherte habe entgegen der Mitteilung vom 29. September 1995
rückwirkend Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung, da seine zur Zeit
bestehende Arbeitsunfähigkeit u.a. auch auf das Ereignis vom 7. März 1995
zurückzuführen sei. Nachdem die SUVA verschiedene medizinische Abklärungen
getroffen hatte, stellte sie die für die Folgen des zweiten Unfalls gewährten
Leistungen auf den 31. Dezember 1999 ein, während sie in Bezug auf das erste
Unfallereignis vom 7. März 1995 festhielt, dass der Abschluss auf den 2.
Oktober 1995 zu Recht erfolgt sei (Verfügung vom 18. Januar 2000). Die
hiegegen erhobene Einsprache, mit welcher B.________ die Zusprechung von
Leistungen rückwirkend ab 2. Oktober 1995 beantragt hatte, wies die SUVA nach
Beizug von Berichten der Klinik "Z.________", wo sich der Versicherte vom 20.
Juni bis 14. Juli 1995 zur Therapie aufgehalten hatte, mit Entscheid vom 24.
April 2001 ab.

B.
B.________ liess Beschwerde führen mit dem Begehren, der Einspracheentscheid
sei aufzuheben, soweit er sich auf den Unfall vom 7. März 1995 bezieht, und
es seien ihm rückwirkend ab 2. Oktober 1995 die gesetzlichen Leistungen
zuzusprechen. Nach Beizug der Akten der Invalidenversicherung, welche
B.________ ab 1. März 1996 eine ganze Rente ausrichtete, wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde mit Entscheid vom 18.
März 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________ das vorinstanzlich
gestellte Rechtsbegehren erneuern.

Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtsätze
massgebend sind, die bei Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes
Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides
(hier: 24. April 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw.
1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
Dem Schreiben der SUVA vom 29. September 1995, mit welchem sie ihre
Leistungen für die Folgen des Unfalles vom 7. März 1995 einstellte, kommt
materiell Verfügungscharakter zu, obwohl es weder als Verfügung
gekennzeichnet ist noch eine Rechtsmittelbelehrung enthält, weil damit
hoheitlich über den Anspruch des Beschwerdeführers auf weitere
Versicherungsleistungen befunden wurde (vergl. BGE 129 V 111 Erw. 1.2.1, 125
V 476 Erw. 1, 122 V 368 Erw. 2, 121 V 53 Erw. 1). Dabei gilt die
Rechtsbeständigkeit bei solchen formlosen Verfügungen als eingetreten, wenn
anzunehmen ist, ein Versicherter habe sich mit einer getroffenen Regelung
abgefunden, was dann der Fall ist, wenn die nach den Umständen zu bemessende
Überlegungs- und Prüfungsfrist abgelaufen ist, welche der versicherten Person
zusteht, um sich gegen das faktische Verwaltungshandeln zu verwahren (BGE 129
V 111 Erw. 1.2.2). Im Urteil N. vom 14. Juli 2003, C 7/02, hat das Gericht
entschieden, dass ein solcher formloser Verwaltungsakt in der Regel innerhalb
von 90 Tagen mittels Beschwerde anzufechten ist.

Der Beschwerdeführer hat sich erst am 15. Dezember 1998 und damit lange nach
Ablauf der ihm einzuräumenden Überlegungs- und Prüfungsfrist gegen die
faktische Verfügung der SUVA vom 29. September 1995 gewandt, weshalb diese
als rechtsbeständig zu betrachten ist.

3.
3.1 Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die
Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand
materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen,
wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung
ist (BGE 127 V 469 Erw. 2c  mit Hinweisen).

Von der Wiedererwägung ist die so genannte prozessuale Revision von
Verwaltungsverfügungen zu unterscheiden. Danach ist die Verwaltung
verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn
neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu
einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit
Hinweisen).

3.2 Mit Verfügung vom 18. Januar 2000, bestätigt mit Einspracheentscheid vom
24. April 2001, hat die SUVA nach Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen
für eine Wiedererwägung des formlosen Verwaltungsaktes vom 29. September 1995
erfüllt seien, einen erneut ablehnenden Sachentscheid getroffen, der
beschwerdeweise anfechtbar ist. Die gerichtliche Prüfung hat sich in einem
solchen Fall indessen auf die Frage zu beschränken, ob die Voraussetzungen
für eine Wiedererwägung der bestätigten Verfügung gegeben sind. Prozessthema
ist also diesfalls, ob die Verwaltung zu Recht die ursprüngliche, formell
rechtskräftige Verfügung nicht als zweifellos unrichtig und/oder ihre
Korrektur als von unerheblicher Bedeutung qualifizierte (BGE 117 V 12 Erw.
2a; Erw. 3 des in RKUV 2003 Nr. U 474 S. 52 auszugsweise publizierten Urteils
P. vom 20. November 2002, U 139/02).

3.3 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die am 29. September 1995 erfolgte
Einstellung der Leistungen für die Folgen des Unfalls vom 7. März 1995 auf
den 2. Oktober 1995 nicht als zweifellos unrichtig bezeichnet werden kann.
Dieser Beurteilung ist unter Hinweis auf die Darlegungen im angefochtenen
Entscheid, die sich auf die massgeblichen medizinischen Akten stützen,
beizupflichten. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht,
was auf eine für eine Wiedererwägung vorausgesetzte zweifellose Unrichtigkeit
der formlosen Verfügung schliessen lassen könnte. Dass während der Behandlung
des Versicherten in der Klinik "Z.________" vom 20. Juni bis 14. Juli 1995
ein therapieinduziertes lumbo-spondylogenes Syndrom rechts aufgetreten ist,
wie der Beschwerdeführer unter Berufung auf die Angaben seines Hausarztes Dr.
S.________ geltend macht, erscheint wenig wahrscheinlich, hielt doch Dr. med.
X.________, Oberarzt mit leitender Funktion an der Klinik "Z.________", in
einen im Verlaufe des Einspracheverfahrens an die SUVA gerichteten Schreiben
(vom 14. Mai 2000) fest, die angeblich durch eine physiotherapeutische
Mobilisation ausgelösten lumbalen Rückenschmerzen seien weder in den
ärztlichen Verlaufsnotizen noch im Physiotherapierapport oder im
Austrittsbericht beschrieben worden. Sodann wird in dem zuhanden der
Invalidenversicherung erstatteten Gutachten der medizinischen
Abklärungsstelle Y.________ vom 22. April 1998 die diagnostizierte
chronifizierte Lumboischialgie rechts ausschliesslich statischen und
degenerativen Erscheinungen und nicht einer Fehlmanipulation zugeschrieben,
worauf Dr. X.________ in seiner zweiten Stellungnahme (vom 25. Juli 2000) mit
Nachdruck hingewiesen hat.

3.4 Im Rahmen der Wiedererwägung kann weder die Vorinstanz noch die
Verwaltung zu zusätzlichen Abklärungen verhalten werden. Fehler in der
ursprünglichen Sachverhaltsfeststellung liessen sich nur auf dem Wege der
prozessualen Revision (vergl. Erw. 3.1 hievor) korrigieren (SVR 1997 EL Nr.
36 S. 108 Erw. 3c). Die entsprechenden Voraussetzungen sind jedoch
offensichtlich nicht erfüllt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 2. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: