Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 53/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


P 53/03

Urteil vom 2. März 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Meyer;
Gerichtsschreiber Hadorn

Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, Ausgleichskasse, EL-Stelle, St.
Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld, Beschwerdeführer,

gegen

R.________, 1956, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Claudia
Giusto, Sonneggstrasse 55, 8006 Zürich

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 1. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 31. Januar 2003 sprach die EL-Stelle des Kantons Thurgau
R.________ (geb. 1956) Ergänzungsleistungen zur IV-Rente in der Höhe von Fr.
606.-- im Monat zu. Diese Verfügung bestätigte die EL-Stelle mit
Einspracheentscheid vom 23. April 2003.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess die AHV/IV-Rekurskommission des
Kantons Thurgau mit Entscheid vom 1. September 2003 in dem Sinne gut, dass
sie die Ergänzungsleistung auf Fr. 835.-- im Monat erhöhte.

C.
Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid der
Rekurskommission sei aufzuheben.

R. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die kantonale Rekurskommission hat die gesetzlichen Voraussetzungen zum
Anspruch auf Ergänzungsleistungen (Art. 2 Abs. 1 ELG), namentlich bei
Bezügern einer IV-Rente (Art. 2c ELG), sowie die Bestimmungen zu Berechnung
und Höhe der Ergänzungsleistung (Art. 3a ELG), zu den dabei anerkannten
Ausgaben (Art. 3b ELG), wozu unter anderem geleistete familienrechtliche
Unterhaltsbeiträge gehören (Art. 3b Abs. 3 lit. e ELG), und zu den
anrechenbaren Einnahmen (Art. 3c ELG) richtig dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

2.
Der Beschwerdegegner bezieht zu seiner IV-Rente Ergänzungsleistungen.
Unbestrittenermassen ist er verpflichtet, monatliche Unterhaltsbeiträge für
seinen Sohn zu bezahlen. Dem ist der Versicherte zunächst vollumfänglich
nachgekommen. Seit Juli 2000 hat er jedoch nur noch die ihm ausgerichteten
Zusatzrenten der IV für sein Kind weitergeleitet. Den Restbetrag von
monatlich Fr. 229.-- (Stand 2003) hat er indessen nicht mehr abgeliefert,
sondern von der Gemeinde X.________ bevorschussen lassen. Der Streit dreht
sich einzig um die Frage, ob dieser Anteil an Unterhaltsbeiträgen als
anerkannte Ausgabe bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen zu
berücksichtigen sei, obwohl sie nicht vom Versicherten bezahlt wurden.
Während die Verwaltung diese Frage verneint, hat die Vorinstanz sie bejaht.
Die EL-Stelle stützt sich auf die einschlägigen Verwaltungsweisungen und auf
die Lehre, wonach familienrechtliche Unterhaltsbeiträge zuerst tatsächlich
bezahlt worden sein müssen, ehe sie als Ausgaben für die Berechnung der
Ergänzungsleistungen anerkannt werden können. Dies ist der Vorinstanz nicht
entgangen; sie vertritt jedoch in ihrer Rechtsprechung die Auffassung, dass
eine versicherte Person, welche familienrechtliche Unterhaltsbeiträge vor
ihrer effektiven Bezahlung nicht abziehen könne, nicht genügend
Ergänzungsleistungen erhalte, um davon die Alimente zu begleichen. Es sei
daher nicht sinnvoll, von ihr zu verlangen, dass sie die Unterhaltsbeiträge
vorab überweise, ehe sie diese Zahlungen beim Bezug der Ergänzungsleistungen
geltend machen dürfe. Soweit nichts darauf hindeute, dass die versicherte
Person die Ergänzungsleistungen zweckwidrig nicht an die Berechtigten
weiterleiten werde, bestehe kein Grund, die Alimente nicht schon vor der
effektiven Zahlung als anerkannte Ausgaben zuzulassen. Der Beschwerdegegner
habe die Zusatzrente der IV für seinen Sohn stets weitergeleitet. Den
Differenzbetrag habe er mangels Geld nicht zahlen können. Hätte er die
Alimente als Ausgabe abziehen dürfen und mehr Ergänzungsleistungen erhalten,
hätte er diese aller Voraussicht nach ebenfalls seinem Sohn ausbezahlt; eine
Missbrauchsgefahr sei nicht gegeben.

3.
Nach Art. 3b Abs. 3 lit. e ELG sind geleistete familienrechtliche
Unterhaltsbeiträge als Ausgaben anzuerkennen. Wie das Bundesgericht in der in
Pra 2002 Nr. 168 S. 911 nicht veröffentlichten Erw. 4b des Urteils S. vom 29.
Mai 2002 (5P.173/2002) mit Hinweisen auf die Lehre erkannt hat, setzt der
klare Wortlaut dieser Bestimmung sowohl nach früherer wie nach aktueller
Fassung des ELG (3. ELG-Revision, in Kraft seit 1. Januar 1998) voraus, dass
festgesetzte Unterhaltsbeiträge bezahlt worden sind. Die Lehre (Carigiet,
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, Zürich 1995, S. 139; Carigiet/Koch,
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, Supplement, Zürich 2000 S. 89) vertritt die
selbe Meinung. Rz 3016 der vom Bundesamt für Sozialversicherung erlassenen
Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) bestimmt
sodann, dass familienrechtliche Unterhaltsleistungen als Ausgabe
berücksichtigt werden, soweit sie nachweisbar erbracht worden sind. Diese
Randziffer ist mit Wortlaut und Rechtssinn von Art. 3b Abs. 3 lit. e ELG
vereinbar und somit gesetzmässig. Nachdem der Beschwerdegegner die streitigen
Fr. 229.-- pro Monat in der hier zu überprüfenden Zeitspanne ab Januar 2003
unbestrittenermassen nicht selber erbracht hat, kann der genannte Betrag
nicht als Ausgabe bei der Berechnung der ihm zustehenden Ergänzungsleistungen
berücksichtigt werden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 1. September 2003 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 2. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: