Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 51/2003
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P 51/03

Urteil vom 22. März 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Jancar

Z.________, 1956, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Herbert
Bracher, Hauptgasse 35, 4500 Solothurn,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn,     Solothurn

(Entscheid vom 30. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 15. Mai 2000 sprach die IV-Stelle des Kantons Solothurn
dem 1956 geborenen Z.________ ab 1. September 1998 bei einem Invaliditätsgrad
von 76 % eine ganze Invalidenrente zu. Am 19. Juni 2000 meldete er sich zum
Bezug von Ergänzungsleistungen an. Mit zwei Verfügungen vom 6. März 2001 wies
die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn das Gesuch für die Zeit vom 1. Juni
bis 31. Dezember 2000 sowie mit Wirkung ab 1. Januar 2001 bei einem
Einnahmenüberschuss von Fr. 14'104.- (2000) bzw. Fr. 14'109.- (2001) ab. Bei
den Einnahmen rechnete sie ein Einkommen der 1956 geborenen Ehefrau des
Versicherten von jährlich Fr. 30'960.- an.

B.
Der Versicherte erhob beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
Beschwerde und beantragte die Aufhebung der Verfügung vom 6. März 2001
betreffend die Ablehnung um EL-Leistungen ab 1. Januar 2001. Die
psychiatrischen Dienste des Kantons X.________ teilten dem kantonalen Gericht
am 13. Mai 2002 mit, der Versicherte werde seit 27. September 2001 wegen
einer psychischen Erkrankung behandelt. Seine sehr schwierige finanzielle
Situation führe zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit der
Gefahr von selbstgefährdendem Verhalten bei ihm oder seiner Frau. Am 4. Juni
2002 erstattete Dr. med. H.________, Psychiatrie Psychotherapie FMH, im
Auftrag der IV-Stelle des Kantons Solothurn ein Gutachten betreffend die
Ehefrau des Versicherten. Am 30. Juli 2002 sistierte das kantonale Gericht
das Verfahren bis zum Vorliegen des IV-Rentenentscheides betreffend die
Ehefrau des Versicherten, längstens jedoch bis zum 1. Oktober 2002. Am 20.
Januar 2003 zog das kantonale Gericht bei der IV-Stelle die Akten betreffend
die Ehefrau des Versicherten bei. Mit Verfügung vom 4. April 2003 sprach die
IV-Stelle der Ehefrau des Versicherten ab 1. August 2002 eine halbe
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 50 % zu. Mit Entscheid vom 30.
Juni 2003 wies das kantonale Gericht die Beschwerde des Versicherten gegen
die Verfügung vom 6. März 2001 betreffend die Ablehnung von
Ergänzungsleistungen seit 1. Januar 2001 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte die Aufhebung des
kantonalen Entscheides und die Zusprechung von Ergänzungsleistungen mit
Wirkung ab 1. Januar 2001. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung.
Die Ausgleichskasse und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist nicht
anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: 6. März 2001) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
2.1 Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben Schweizer Bürger mit Wohnsitz und
gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie eine der Voraussetzungen
nach den Art. 2a-2d des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) erfüllen und die gesetzlich
anerkannten Ausgaben (Art. 3b ELG) die anrechenbaren Einnahmen (Art. 3c ELG)
übersteigen (Art. 2 Abs. 1 ELG). Ausländern mit Wohnsitz und gewöhnlichem
Aufenthalt in der Schweiz ist wie Schweizer Bürgern ein Anspruch auf
Ergänzungsleistungen einzuräumen, wenn sie sich u.a. unmittelbar vor dem
Zeitpunkt, von welchem an die Ergänzungsleistung verlangt wird,
ununterbrochen zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten und Anspruch auf eine
Rente, eine Hilflosenentschädigung oder ein Taggeld der Invalidenversicherung
haben (Art. 2 Abs. 2 lit. a ELG). Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht
dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen
übersteigen (Art. 3a Abs. 1 ELG).

2.2 Die anrechenbaren Einnahmen werden nach Art. 3c ELG ermittelt. Als
Einkommen anzurechnen sind danach u.a. Einkünfte und Vermögenswerte, auf die
verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG). Eine Verzichtshandlung
liegt vor, wenn die versicherte Person ohne rechtliche Verpflichtung und ohne
adäquate Gegenleistung auf Vermögen verzichtet hat, wenn sie einen
Rechtsanspruch auf bestimmte Einkünfte und Vermögenswerte hat, davon aber
faktisch nicht Gebrauch macht bzw. ihre Rechte nicht durchsetzt oder wenn sie
aus von ihr zu verantwortenden Gründen von der Ausübung einer möglichen und
zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht (nicht publ. Erw. 3e des Urteils BGE 128
V 39; BGE 121 V 205 Erw. 4a; AHI 2001 S. 133 Erw. 1b, je mit Hinweisen).
Unter dem Titel des Verzichtseinkommens ist gemäss Rechtsprechung auch ein
hypothetisches Einkommen der Ehefrau eines EL-Ansprechers anzurechnen, sofern
diese auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder auf deren zumutbare Ausdehnung
verzichtet. Bei der Ermittlung einer allfälligen zumutbaren Erwerbstätigkeit
ist der konkrete Einzelfall unter Anwendung familienrechtlicher Grundsätze zu
berücksichtigen. Dementsprechend ist auf das Alter, den Gesundheitszustand,
die Sprachkenntnisse, die Ausbildung, die bisherige Tätigkeit, die konkrete
Arbeitsmarktlage sowie gegebenenfalls auf die Dauer der Abwesenheit vom
Berufsleben abzustellen. Ferner ist bei der Festlegung eines hypothetischen
Einkommens zu berücksichtigen, dass für die Aufnahme und Ausdehnung der
Erwerbstätigkeit eine gewisse Anpassungsperiode erforderlich und nach einer
langen Abwesenheit vom Berufsleben die volle Integration in den Arbeitsmarkt
in einem gewissen Alter nicht mehr möglich ist. Dies geschieht einerseits in
Anlehnung an die Festsetzung von nachehelichen Unterhaltsansprüchen durch
Einräumung einer gewissen realistischen Übergangsfrist für die Aufnahme oder
Erhöhung des Arbeitspensums, bevor ein hypothetisches Einkommen angerechnet
wird. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass nach neuem Scheidungsrecht
bezüglich der durch die Rechtsprechung festgelegten bisherigen Altersgrenze
von 45 Jahren für einen vollständigen und dauerhaften (Wieder-)Einstieg ins
Erwerbsleben eine Erhöhung in Betracht zu ziehen ist und auch Art. 14b lit. c
der Verordnung über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung (ELV) von der Hypothese ausgeht, dass noch über
50-jährigen Frauen ohne minderjährige Kinder der Wiedereinstieg ins
Berufsleben zumutbar ist, dass dort aber von einem Minimaleinkommen
ausgegangen wird. Diese zivil- und EL-rechtlichen Leitlinien sind zu
berücksichtigen, wenn in einem konkreten Fall zu entscheiden ist, ob und in
welchem Umfang der Ehefrau eines EL-Ansprechers die (Wieder-)Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit in einem bestimmten Alter überhaupt noch zugemutet werden
kann (zum Ganzen: AHI 2001 S. 133 Erw. 1b; Urteil Y. vom 9. Juli 2002 Erw.
1b, P 18/02).

2.3 Vom hypothetisch ermittelten Einkommen der Ehefrau des EL-Ansprechers
sind - ebenso wie bei den hypothetischen Einkommen nach Art. 14a und 14b ELV
- gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG bei Ehepaaren jährlich insgesamt Fr.
1500.- abzuziehen und vom Rest zwei Drittel anzurechnen. Insofern sind
hypothetische Einkünfte in gleicher Weise zu privilegieren wie tatsächlich
erzielte (AHI 2001 S. 134 Erw. 1c).

3.
Streitig ist, ob ab 1. Januar 2001 ein Einkommen der Ehefrau des
Beschwerdeführers im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG anzurechnen ist.

3.1 Die Ehefrau war zuletzt ab 25. September 2000 als Mitarbeiterin bei der
G.________ AG tätig. Die zu leistenden Arbeitsstunden wurden in gegenseitigem
Einvernehmen den Betriebsbedürfnissen angepasst. Am 11. Dezember 2000
kündigte die Ehefrau das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf gesundheitliche
Gründe. Ihr letzter effektiver Arbeitstag war der 19. Dezember 2000.

3.2 Gemäss dem Gutachten des Psychiaters Dr. med. H.________ vom 4. Juni 2002
leidet die Ehefrau an einer Somatisierungsstörung (ICD 10:F45.0). Weiter
bestünden Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung (Z60.3) und
familiäre Schwierigkeiten (Z63). Es liege ein mittelschwer ausgeprägtes
psychosomatisches Leiden vor, welches verhindere, dass die Versicherte voll
arbeitstätig sein könne. Gemäss Angaben der Versicherten sei es insbesondere
ab August 2001 vermehrt zu körperlichen Beschwerden gekommen. Die bisherige
Tätigkeit und andere Hilfsarbeiten seien der Versicherten halbtags zumutbar.
Die Arbeitsfähigkeit sei seit August 2001 entsprechend eingeschränkt. Nebst
den krankheitsbedingten Faktoren lägen bedeutende ungünstige krankheitsfremde
Umstände vor, welche die Arbeitsfähigkeit einschränkten: invalider Ehemann,
finanzielle Schwierigkeiten, Probleme mit der Tochter, geringe Ausbildung,
mässige Assimilation, fehlende Motivation zur Wiederaufnahme einer
ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit. Diese Faktoren führten dazu, dass die
Ehefrau ihre Restarbeitsfähigkeit nicht ausnütze.

3.3 Dieses Gutachten erfüllt die von der Rechtsprechung aufgestellten
Kriterien an einen Expertenbericht (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Das kantonale
Gericht hat gestützt hierauf zutreffend erwogen, dass die Ehefrau des
Beschwerdeführers ab 1. Januar 2001 bis zum massgebenden Zeitpunkt des
Verfügungserlasses (6. März 2001) aus medizinischer Sicht in ihrer
Arbeitsfähigkeit noch nicht eingeschränkt war. Eine Einschränkung trat erst
im August 2001 ein.

Zu keinem anderen Ergebnis führen die Berichte des Hausarztes Dr. med.
B.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH. Am 15. Mai 2001 legte er dar,
die Gründe der Arbeitsunfähigkeit der Ehefrau seien noch nicht restlos
geklärt und wohl vorwiegend funktioneller Natur. Bis zum Beweis des
Gegenteils sei sie als arbeitsunfähig zu betrachten. Am 17. Juni 2001 führte
er an, die Ehefrau sei von diversen Spezialisten untersucht worden, wobei
keine pathologischen Veränderungen gefunden worden seien. Es liege eine
larvierte, zum Teil reaktive Depression mit Somatisierungstendenz bei
psychosozialer Überlastung vor. Am 15. Juni 2002 gab er an, Mitte Dezember
sei die Ehefrau nicht arbeitsunfähig gewesen. Ihre gesundheitlichen Probleme
hätten sich dann verstärkt, so dass sie die Arbeit ab 1. Januar 2001 habe
niederlegen müssen. Da mithin auch nach der Beurteilung des Dr. med.
B.________ keine organischen Ursachen der Beschwerden vorliegen, vermögen
seine Ausführungen zur Arbeitsfähigkeit die Einschätzung des Psychiaters Dr.
med. H.________ nicht zu entkräften.

3.4 Der Beschwerdeführer macht indessen geltend, erhebliche
invaliditätsfremde Gründe hinderten seine Ehefrau an der Ausübung einer
Erwerbstätigkeit.

Diese war auf Grund des IK-Auszuges seit 1974 in der Schweiz praktisch
ununterbrochen erwerbstätig. Die von Dr. med. H.________ angeführte geringe
Ausbildung und die mässige Assimilation können demnach nicht als
Hinderungsgrund für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit angesehen werden. Im
Weiteren ist nicht ersichtlich, weshalb sie wegen der Invalidität des
Beschwerdeführers, wegen finanzieller Schwierigkeiten und wegen der Scheidung
der im Verfügungszeitpunkt 20-jährigen, nicht mehr zu Hause wohnenden Tochter
daran gehindert gewesen sein soll, die im September 2000 angetretene Stelle
bei der G.________ AG zumindest bis zum Beginn der krankheitsbedingten, 50
%igen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im August 2001 zu behalten.
Insbesondere wird nicht geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer, der eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 76 % bezieht, pflegebedürftig
ist. Die von Dr. med. H.________ angeführte fehlende Motivation zur
ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit kann nicht als relevanter Hinderungsgrund
angesehen werden, zumal die Motivationsproblematik nicht als
krankheitsbedingt taxiert wird.

3.5 Unbestritten und nicht zu beanstanden ist die Berechnung der Vorinstanz,
dass selbst bei einem bloss 50 %igen Arbeitseinsatz der Ehefrau bei der
G.________ AG die anrechenbaren Einnahmen des Beschwerdeführers seine
anerkannten Ausgaben überstiegen hätten. Die Ehefrau war während Jahren und
zuletzt bis 19. Dezember 2000 bei der G.________ AG erwerbstätig. Auf Grund
der Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass sie die letzte Stelle nicht
hätte beibehalten können. Von der Einräumung einer Anpassungsfrist für die
Anrechnung eines hypothetischen Einkommens kann daher abgesehen werden.

Damit ist die vorinstanzlich bestätigte Verfügung vom 6. März 2001, mit
welcher der Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab 1. Januar 2001 abgelehnt
wurde, rechtens.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung fällt zufolge Aussichtslosigkeit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht in Betracht (Art. 152 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 135 OG; BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 22. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: