Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 4/2003
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P 4/03

Urteil vom 17. November 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und nebenamtlicher Richter
Maeschi; Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke

F.________, 1916, E.________, 1921, Beschwerdeführer,beide vertreten durch
Fürsprecher Urs Hofer, Museumstrasse 10, 3000 Bern 6,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 16. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
F. ________ und E.________ meldeten sich am 10. September 1999 zum Bezug von
Ergänzungsleistungen zur Rente der AHV an. Dabei wiesen sie darauf hin, dass
sie mit Schenkungsvertrag vom 20. Oktober 1998 ihre Liegenschaft in
X.________ auf den 1. Januar 1999 je zu hälftigem Miteigentumsanteil an die
Söhne K.________ und H.________ übertragen hatten; diese übernahmen die auf
der Liegenschaft lastenden Hypothekarschulden von Fr. 107'000.- und räumten
den Eltern ein lebenslängliches und unentgeltliches Wohnrecht an der
2-Zimmerwohnung im ersten Obergeschoss des Hauses ein. Mit Verfügung vom 5.
Oktober 1999 wies die Ausgleichskasse des Kantons Bern das Leistungsgesuch ab
mit der Feststellung, dass ein Einnahmenüberschuss von Fr. 42'138.-
resultiere. Bei der Ermittlung der anrechenbaren Einnahmen berücksichtigte
die Kasse einen Vermögensverzicht aus der Schenkung der Liegenschaft von Fr.
314'186.- sowie einen Zinsertrag aus Vermögensverzicht von Fr. 4'398.-, indem
sie ausgehend von einem amtlichen Wert der Liegenschaft von Fr. 318'200.-
einen anrechenbaren Repartitionswert von Fr. 509'120.- ermittelte und hievon
die Schulden von Fr. 107'000.- sowie den Kapitalwert des Wohnrechtes von Fr.
87'934.- in Abzug brachte. Diese Verfügung ist unangefochten geblieben.

Im Hinblick auf den am 4. April 2001 erfolgten Übertritt ins Heim Y.________
meldeten sich F.________ und E.________ am 12. März 2001 erneut zum Bezug von
Ergänzungsleistungen an. Die Ausgleichskasse ermittelte unter
Berücksichtigung eines Vermögensverzichts aus der Schenkung der Liegenschaft
einen Einnahmenüberschuss von Fr. 15'958.- und wies das Begehren mit
Verfügungen vom 8. November 2001 ab.

B.
Die gegen eine Anrechnung von Verzichtsvermögen gerichtete Beschwerde wies
das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 16. Dezember 2002
ab.

C.
F.________ und E.________ lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren, in Aufhebung der Verfügungen vom 8. November 2001 seien die
anrechenbaren Einnahmen ohne Aufrechnung eines Verzichtvermögens, eventuell
unter Aufrechnung eines angemessen herabgesetzten Verzichtvermögens und
entsprechenden Zinsertrages festzulegen. Die den Beschwerdeführern
zustehenden Ergänzungsleistungen seien gerichtlich festzusetzen; eventuell
sei die Sache zwecks Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und zu
neuer Beurteilung an die Ausgleichskasse zurückzuweisen.

Die Ausgleichskasse beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorinstanzlichen Entscheid werden die für den Anspruch auf
Ergänzungsleistungen massgebenden Voraussetzungen (Art. 2 ELG) und die für
die Berechnung und Höhe der jährlichen Ergänzungsleistung geltenden
Bestimmungen (Art. 3a ELG) zutreffend dargelegt. Das Gleiche gilt für die
Regeln betreffend anerkannte Ausgaben (Art. 3b ELG) und anrechenbare
Einnahmen (Art. 3c ELG), einschliesslich der Bestimmungen über das
anrechenbare Vermögen, dessen Ertrag und den Vermögensverzehr (Art. 3c Abs. 1
lit. a-c ELG), über die Anrechenbarkeit von Einkünften und Vermögenswerten,
auf die verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG; BGE 121 V 205 Erw.
4a, 117 V 289 Erw. 2a; AHI 1997 S. 254 Erw. 2; SVR 1999 EL Nr. 2 S. 3 Erw. 2)
sowie über die Grundsätze zur Vermögensbewertung bei Liegenschaften (Art. 17
ELV; BGE 120 V 182 ff.). Darauf kann verwiesen werden.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (hier: 8. November 2001)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2
mit Hinweisen).

2.
2.1 Weil die Ergänzungsleistungen grundsätzlich jährlich ausgerichtet werden
(Art. 3a Abs. 1 lit. a ELG) und für die Bemessung der Leistungen in der Regel
das während des vorausgegangenen Kalenderjahres erzielte Einkommen sowie das
am 1. Januar des Bezugsjahres vorhandene Vermögen massgeblich ist (Art. 23
Abs. 1 ELV), kann eine Verfügung über Ergänzungsleistungen in zeitlicher
Hinsicht Rechtsbeständigkeit nur für das Kalenderjahr entfalten. Im Rahmen
der jährlichen Überprüfung können deshalb die Grundlagen der Berechnung der
Ergänzungsleistungen ohne Bindung an früher berücksichtigte
Berechnungsfaktoren und unabhängig allfälliger während der Bemessungsdauer
möglicher Revisionsgründe (Art. 25 ELV) von Jahr zu Jahr neu festgelegt
werden (BGE 128 V 39 ff.).
2.2 Die Beschwerdeführer konnten bei der Neuanmeldung vom 12. März 2001 somit
geltend machen, es liege in Bezug auf die Schenkung der Liegenschaft an die
beiden Söhne kein Vermögensverzicht vor, ohne sich die Verfügung vom 5.
Oktober 1999 entgegenhalten lassen zu müssen. Es liegt diesbezüglich auch
kein richterlicher Entscheid vor, welcher einer Neubeurteilung entgegenstehen
würde. Dies bedeutet entgegen den Ausführungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde indessen nicht, dass Verwaltung und Vorinstanz
den Umstand, dass die Annahme eines Verzichtsvermögens seinerzeit
unbestritten geblieben war, nicht in die Beweiswürdigung einbeziehen durften.
Vielmehr waren sie im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes (BGE 117 V 282 Erw.
4a) frei, auch diesen Umstand zu berücksichtigen. Der Einwand, die Vorinstanz
habe diese Tatsache in unzulässiger Weise in die Beurteilung miteinbezogen,
ist deshalb unbegründet.

3.
Streitig und zu prüfen ist, inwieweit den Beschwerdeführern in Zusammenhang
mit der Schenkung der Liegenschaft in X.________ an die beiden Söhne ein
Verzichtsvermögen und ein entsprechender Vermögensertrag anzurechnen ist.

3.1 Weil im Bereich der Ergänzungsleistungen das Fehlen von anrechenbarem
Einkommen und Vermögen den Leistungsanspruch zu begründen vermag und der
Anspruch umso höher ausfällt, je geringer das anrechenbare Einkommen und das
anrechenbare Vermögen sind, trägt dafür grundsätzlich der Leistungsansprecher
die Beweislast. Demnach haben die Beschwerdeführer die Folgen allfälliger
Beweislosigkeit zu tragen, indem sie sich das entäusserte Vermögen und den
darauf entfallenden Ertrag anrechnen lassen müssen (BGE 121 V 208 Erw. 6a mit
Hinweisen). Für einen geltend gemachten Vermögensverzehr und allfällige
Gegenleistungen hat der Leistungsansprecher nicht den vollen Beweis zu
erbringen. Anderseits genügt ein blosses Glaubhaftmachen von Tatsachen nicht.
Vielmehr gilt für den Nachweis von Tatsachen über das ganze oder teilweise
Fehlen von anrechenbarem Einkommen und Vermögen der im
Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit Hinweisen).

3.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, es liege kein Vermögensverzicht vor,
weil die Söhne Gegenleistungen in Form von Investitionen in die Liegenschaft
erbracht hätten, welche den Nettowert der Liegenschaft im Zeitpunkt der
Schenkung überstiegen. In der erstinstanzlichen Beschwerde wurde hiezu
ausgeführt, der amtliche Wert der Liegenschaft gemäss Bewertungsprotokoll vom
7. April 1966 von Fr. 88'900.- sei am 5. Dezember 1978 auf Fr. 217'900.-
erhöht worden, wobei die Neubewertung auf Grund von Investitionen erfolgt
sei, welche die Söhne, insbesondere H.________, auf eigene Kosten und mit
eigenen Leistungen durchgeführt hätten. In einer ersten Etappe in den Jahren
1971/72 sei der Estrichraum in eine 1½-Zimmerwohnung umgebaut worden mit
einem geschätzten Wert an Material und Arbeit von Fr. 40'000.-. In den Jahren
1976 bis 1978 hätten die Söhne das Parterre und den 1. Stock umgebaut und
renoviert sowie einen Anbau mit Keller und Luftschutzraum errichtet mit einem
Arbeitswert von Fr. 80'000.- und Materialkosten von mindestens Fr. 20'000.-.
Schliesslich sei in der Zeit von 1965 bis 1998 die Parterrewohnung renoviert
worden, wobei Material von Fr. 6'000.- eingekauft und Arbeit im Wert von
mindestens Fr. 5'000.- geleistet worden sei. Im Übrigen sei H.________ seit
1978 für den Unterhalt der Liegenschaft und durch entsprechende
Mietzinszahlungen an den Vater auch für den Hypothekarzins aufgekommen, was
mindestens Fr. 500.- im Monat, somit Fr. 120'000.- in 20 Jahren ausmache.

Auf eine prozessleitende Verfügung der Vorinstanz teilten die
Beschwerdeführer am 7. Mai 2002 mit, H.________ bewohne seit 1979, d.h. seit
Abschluss der grossen Renovationsetappe von 1976 bis 1978, eine Wohnung der
Liegenschaft. Seit jenem Zeitpunkt habe der Vater unentgeltlich im Haus
gewohnt. H.________ habe ihm monatlich Fr. 900.- bezahlt und sei zusätzlich
für sämtliche Nebenkosten (mindestens Fr. 200.- im Monat) aufgekommen. Vor
der Renovation sei die gleiche Wohnung zu einem Zins von monatlich Fr. 300.-,
einschliesslich Nebenkosten, vermietet worden. Es sei jedoch darauf
hinzuweisen, dass die Wohnung vor der Renovation über kein Warmwasser in der
Küche verfügt habe und lediglich mit einem Etagenheizofen beheizt worden sei.
Damit werde nochmals unterstrichen, dass die wertvermehrenden und
werterhaltenden Investitionen, die zur Festlegung höherer amtlicher Werte
geführt hätten, vollumfänglich durch die Schenkungsempfänger, insbesondere
durch H.________ finanziert worden seien.

3.3 Die Beschwerdeführer legen keine Belege für die geltend gemachten
Gegenleistungen der Söhne in Form von Unterhalts- und Renovationsarbeiten
(Materialkosten und Eigenleistungen) auf. Aus den in den Akten enthaltenen
amtlichen Bewertungen der Liegenschaft geht hervor, dass die am 7. April 1966
auf Fr. 88'900.- geschätzte Liegenschaft am 5. Dezember 1978 neu mit Fr.
217'900.- bewertet wurde. Die Änderung erfolgte laut Bewertungsprotokoll im
ordentlichen Berichtigungsverfahren zufolge Umbaus und Neuinstallationen
(Dachstock). Die Kosten der im Formular näher umschriebenen Umbauten wurden
auf Fr. 80'000.- geschätzt mit der Feststellung, dass keine Belege vorlägen,
die Kosten eher höher lägen und allenfalls Eigenleistungen hinzukämen. Gemäss
einer Bestätigung des den Schenkungsvertrag verurkundenden Notars vom 13.
Januar 2003 lagen Belege für wertvermehrende Aufwendungen im Betrag von Fr.
37'214.70 vor. Im Weiteren steht fest, dass der Sohn H.________ nach
Abschluss der Renovationsarbeiten eine Wohnung der Liegenschaft, welche bis
dahin vermietet worden war, selber bewohnte. Er hat die fraglichen
Investitionen daher zumindest teilweise zu persönlichen Zwecken und in
eigenem Interesse geleistet. Zwar soll er dem Vater einen Mietzins von Fr.
900.- monatlich bezahlt und zusätzlich für die gesamten Nebenkosten
aufgekommen sein. Hiefür fehlen indessen jegliche Belege. Soweit die
Investitionen die von den Beschwerdeführern selber benutzte Wohnung betrafen,
wird dem mit einem entsprechenden höheren Abzug für das mit der Schenkung
verbundene unentgeltliche Wohnrecht Rechnung getragen. Abgesehen davon, dass
die im Rahmen des EL-Anspruchs geltend gemachten Eigenleistungen der Söhne
zumindest in masslicher Hinsicht unbewiesen geblieben sind, stellen sie
jedenfalls keine adäquate Gegenleistung für die Schenkung der Liegenschaft
dar. Zwar ist glaubhaft, dass der Sohn H.________ mit seinen Leistungen einen
Beitrag an den Mehrwert der Liegenschaft erbracht hat. Die Leistungen sind
jedoch weder der Substanz noch dem Umfang nach in einer Weise substantiiert,
dass sie bei der EL-Berechnung berücksichtigt werden könnten. Mit der
Vorinstanz ist anzunehmen, dass es an einer entsprechenden Gegenforderung der
Söhne fehlt, wofür auch der Umstand spricht, dass die Verfügung vom 5.
Oktober 1999 unangefochten geblieben ist und die Anrechnung eines
Verzichtvermögens erst nach dem Übertritt der Beschwerdeführer ins Altersheim
in Frage gestellt wurde. Zu weiteren Abklärungen besteht kein Anlass. Zum
einen ist es im Rahmen der ihnen obliegenden Mitwirkungspflicht grundsätzlich
Sache der Beschwerdeführer, die geltend gemachten Tatsachen nachzuweisen, und
haben sie weder im erst- noch im letztinstanzlichen Rechtsmittelverfahren
hinreichende Belege für die geltend gemachten Gegenleistungen eingereicht.
Zum andern sind nach Lage der Akten und unter Berücksichtigung des langen
Zeitablaufs von weiteren Abklärungen kaum entscheidwesentliche neue
Erkenntnisse zu erwarten. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die
Vorinstanz im Sinne einer antizipierten Beweiswürdigung (BGE 124 V 94 Erw.
4b, 122 V 162 Erw. 1d, 119 V 344 Erw. 3c) von ergänzenden Erhebungen
abgesehen hat. Es besteht daher auch kein Anlass zur Rückweisung der Sache an
die Vorinstanz.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 17. November 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: