Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 46/2003
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P 46/03

Urteil vom 7. November 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Flückiger

Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

K.________, 1960, Beschwerdegegner, vertreten durch das Rechtsberatung- und
Übersetzungsbüro F.________

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 12. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit (während eines kantonalen Beschwerdeverfahrens lite pendente erlassener)
Verfügung vom 14. Februar 2002 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau dem
1960 geborenen K.________ für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2001
eine halbe und ab 1. Januar 2002 eine ganze Rente der Invalidenversicherung
nebst zwei Kinderrenten zu. Im Rechtsmittelverfahren änderte das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau diese Verfügung dahin ab, dass es dem
Versicherten vom 1. November 2001 bis 31. Januar 2002 eine halbe und ab 1.
Februar 2002 eine ganze Rente - jeweils nebst zwei Kinderrenten - zusprach
(Entscheid vom 9. Juli 2002), was das Eidgenössische Versicherungsgericht auf
Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin mit Urteil vom 25. Februar 2003 (I 546/02)
bestätigte.

Am 8. Mai 2002 meldete sich K.________ zum Bezug von Ergänzungsleistungen an.
Die Ausgleichskasse des Kantons Aargau verneinte mit Verfügung vom 26.
November 2002 einen Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung ab 1.
Oktober 2001 mit der Begründung, die zu dessen Beurteilung vorzunehmende
Berechnung ergebe einen Einnahmenüberschuss.

B.
In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau die angefochtene Verfügung auf und
wies die Sache an die Ausgleichskasse zurück (Entscheid vom 12. Juni 2003).

C.
Die Ausgleichskasse des Kantons Aargau führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die
Sache zu dessen Berichtigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

K. ________ und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Ergänzungsleistungen geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 26.
November 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

1.2 Die jährliche Ergänzungsleistung hat dem Betrag zu entsprechen, um den
die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 3a
Abs. 1 ELG). Die anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen von
Ehegatten, Personen mit rentenberechtigten oder an der Rente beteiligten
Kindern sowie von Waisen, die im gleichen Haushalt leben, sind
zusammenzurechnen (Art. 3a Abs. 4 ELG).

1.3 Als Einnahmen anzurechnen sind unter anderem Renten, Pensionen und andere
wiederkehrende Leistungen (Art. 3c Abs. 1 lit. d ELG) sowie Einkünfte und
Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG).
Die Erwerbseinkünfte bilden grundsätzlich ebenfalls anrechenbare Einnahmen.
Sie sind jedoch - von einer hier nicht gegebenen Ausnahme abgesehen - in dem
Sinne privilegiert, dass ein jährlicher Freibetrag abgezogen wird, der bei
Ehepaaren oder an der Rente beteiligten Kindern Fr. 1500.- beträgt, und vom
Rest lediglich zwei Drittel anzurechnen sind (Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG).
Unter dem Titel des Verzichtseinkommens (Art. 3c Ab. 1 lit. g) ist auch ein
hypothetisches Einkommen der Ehefrau eines EL-Ansprechers anzurechnen, sofern
diese auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder auf deren zumutbare Ausdehnung
verzichtet (BGE 117 V 291 Erw. 3b mit Hinweisen; AHI 2001 S. 133 f. Erw. 1b).
Für diese hypothetische Erwerbseinkommen gilt ebenfalls die Privilegierung
gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG (BGE 117 V 292 Erw. 3c; AHI 2001 S. 134 f.
Erw. 1c).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf eine
jährliche Ergänzungsleistung für die Zeit ab 1. Oktober 2001 und in diesem
Rahmen die Höhe der für die Ermittlung der anrechenbaren Einnahmen zu
berücksichtigenden Einkünfte aus Erwerbstätigkeit (mit Einschluss eines
allfälligen hypothetischen Erwerbseinkommens der Ehefrau) und
Arbeitslosenentschädigung.

2.1 Die der Verfügung vom 26. November 2002 zu Grunde liegenden Berechnungen
enthalten unter dem Titel "Erwerbseinkommen (Arbeitnehmer)" Beträge von Fr.
48'610.- (Oktober bis Dezember 2001), Fr. 36'000.- (Januar bis August 2002)
und Fr. 49'800.- (ab September 2002). Diese Summen setzen sich zusammen aus
einem Betrag von Fr. 36'000.-, entsprechend dem Einkommen, welches die
Ehefrau des Beschwerdegegners nach Auffassung der Verwaltung zumutbarerweise
erzielen könnte, und (für die Zeit von Oktober bis Dezember 2001 sowie ab
September 2002) dem Lehrlingslohn des 1984 geborenen, Anspruch auf eine
Kinderrente begründenden Sohns Y.________. Der Lehrlingslohn belief sich laut
Lehrvertrag vom 15. Juni 2001 während des bis August 2002 dauernden ersten
Lehrjahres auf Fr. 970.- pro Monat bzw. Fr. 11'640.- pro Jahr, und
anschliessend im zweiten Lehrjahr auf Fr. 1150.- pro Monat bzw. Fr. 13'800.-
pro Jahr.

2.2 Nachdem sich im Rechtsmittelverfahren herausgestellt hatte, dass die
Ehefrau des Beschwerdegegners seit 13. Mai 2002 Taggelder der
Arbeitslosenversicherung bezieht, hielt das kantonale Gericht in seinem
Entscheid vom 12. Juni 2003 fest, es sei zu Unrecht ein hypothetisches
Erwerbseinkommen der Ehefrau in Höhe von Fr. 48'610.- in die EL-Berechnung
einbezogen worden. Stattdessen sei dem Beschwerdegegner die jährliche
Arbeitslosenentschädigung seiner Ehefrau im Betrag von rund Fr. 21'248.- als
privilegiertes Einkommen gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG anzurechnen. Zwei
Drittel der davon nach Abzug des Freibetrags von Fr. 1500.- verbleibenden
Summe ergäben anrechenbare Einnahmen in Höhe von Fr. 12'033.-.
2.3 Die Ausgleichskasse weist in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Recht
darauf hin, dass die in den ursprünglichen Berechnungen enthaltenen Beträge
von Fr. 48'610.- (für die Zeit von Oktober bis Dezember 2001) und Fr.
49'800.- (ab September 2002 Fr. 49'800.-) neben dem hypothetischen Einkommen
der Ehefrau auch den Lehrlingslohn des Sohns Y.________ enthalten. Dieser
Lehrlingslohn ist als privilegiertes Einkommen gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. a
ELG in die Anspruchsberechnung einzubeziehen (Art. 3a Abs. 4 ELG). Die durch
die Ehefrau bezogene Arbeitslosenentschädigung ist nicht unter die
Erwerbseinkünfte gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG, sondern unter "Renten,
Pensionen und andere wiederkehrende Leistungen" gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. d
ELG zu subsumieren mit der Folge, dass die dem Erwerbseinkommen vorbehaltene
Privilegierung entfällt und die Einnahmen vollumfänglich anzurechnen sind
(BGE 119 V 273 ff. Erw. 3). Die Sache ist daher an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie die aus dem hypothetischen Erwerbseinkommen der
Ehefrau, dem Lehrlingslohn und der Arbeitslosenentschädigung für die
Berechnung der Ergänzungsleistung resultierenden anrechenbaren Einnahmen
unter Berücksichtigung der während des Beurteilungszeitraums eingetretenen
Veränderungen neu festsetze. Dabei ist auch die im
invalidenversicherungsrechtlichen Rechtsmittelverfahren erfolgte
Neufestsetzung des Rentenbeginns zu berücksichtigen und, falls erforderlich,
zu klären, wie sich die Differenz zwischen der Summe des hypothetischen
Erwerbseinkommen von Fr. 36'000.- und des Lehrlingslohns im ersten Lehrjahr
von Fr. 11'640.- einerseits (Fr. 47'640.-) und dem in die ursprüngliche
Berechnung (für die Zeit bis Ende 2001) eingesetzten Betrag von Fr. 48'610.-
andererseits erklären lässt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 12. Juni 2003
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im
Sinne der Erwägungen verfahre und über die Beschwerde neu entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 7. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: