Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 38/2003
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P 38/03

Urteil vom 2. Dezember 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Flückiger

S.________, 1963, Beschwerdeführer, vertreten durch den Procap,
Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001
Aarau, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 13. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 13. Dezember 2002 verneinte die Sozialversicherungsanstalt
des Kantons Aargau (SVA) einen Anspruch S.________s auf eine jährliche
Ergänzungsleistung zur Rente der Invalidenversicherung. Sie begründete dies
damit, dass unter Anrechnung eines hypothetischen Einkommens der Ehefrau ein
Einnahmenüberschuss resultiere.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau teilweise gut, hob die Verfügung auf und wies die Streitsache zur
Ergänzung der Abklärungen und anschliessenden Neubeurteilung an die SVA
zurück (Entscheid vom 13. Mai 2003).

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen. Er beantragt
sinngemäss, der Entscheid des kantonalen Gerichts sei dahingehend abzuändern,
dass die Angelegenheit zur Neuprüfung des Anspruchs ohne Anrechnung eines
hypothetischen Einkommens der Ehefrau an die SVA zurückgewiesen werde.

Das Bundesamt für Sozialversicherung und die SVA verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer ficht den kantonalen Entscheid an, da die
Angelegenheit zu weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen an die
Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wurde und er mit den Erwägungen teilweise
nicht einverstanden ist. Er macht geltend, er habe deshalb ein
Feststellungsinteresse an deren Berichtigung.

1.2 Anfechtbar ist grundsätzlich nur das Dispositiv, nicht aber die
Begründung eines Entscheides. Verweist indessen das Dispositiv eines
Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu
dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der
formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das
Dispositiv verweist, für die Behörde, an welche die Sache zurückgewiesen
wird, bei Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den
Streitgegenstand, ist somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (BGE 120 V
237 Erw. 1a mit Hinweis; Meyer-Blaser, Der Streitgegenstand im Streit -
Erläuterungen zu BGE 125 V 413, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Aktuelle
Rechtsfragen der Sozialversicherungspraxis, St. Gallen 2001, S. 31). Auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.

2.
2.1 Wie das kantonale Gericht zutreffend ausgeführt hat, findet das
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
im vorliegenden Fall keine Anwendung, da die streitige Verfügung vor dessen
Inkrafttreten am 1. Januar 2003 erlassen worden ist (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit
Hinweis).

2.2 Gemäss Art. 2 Abs. 1 ELG haben Schweizer Bürger und Bürgerinnen mit
Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz Anspruch auf
Ergänzungsleistungen, wenn sie eine der Voraussetzungen nach den Art. 2a - 2d
ELG erfüllen und die gesetzlich anerkannten Ausgaben (Art. 3b ELG) die
anrechenbaren Einnahmen (Art. 3c ELG) übersteigen. Dabei entspricht die
jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die
anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 3a Abs. 1 ELG).

2.3 Die anrechenbaren Einnahmen werden nach Art. 3c ELG berechnet. Als
Einkommen anzurechnen sind danach u.a. Einkünfte und Vermögenswerte, auf die
verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG). Eine Verzichtshandlung
liegt vor, wenn die versicherte Person ohne rechtliche Verpflichtung auf
Vermögen verzichtet hat, wenn sie einen Rechtsanspruch auf bestimmte
Einkünfte und Vermögenswerte hat, davon aber faktisch nicht Gebrauch macht
bzw. ihre Rechte nicht durchsetzt, oder wenn sie aus von ihr zu
verantwortenden Gründen von der Ausübung einer möglichen und zumutbaren
Erwerbstätigkeit absieht (BGE 121 V 205 Erw. 4a mit Hinweisen).

2.4 Gemäss Rechtsprechung ist unter dem Titel des Verzichtseinkommens (Art.
3c Abs. 1 lit. g ELG) auch ein hypothetisches Einkommen der Ehefrau eines
EL-Ansprechers anzurechnen, sofern diese auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit
oder auf deren zumutbare Ausdehnung verzichtet (BGE 117 V 291 Erw. 3b; AHI
2001 S. 133 Erw. 1b). Bei der Ermittlung einer allfälligen zumutbaren
Erwerbstätigkeit ist der konkrete Einzelfall unter Anwendung
familienrechtlicher Grundsätze zu berücksichtigen. Dementsprechend ist auf
das Alter, den Gesundheitszustand, die Sprachkenntnisse, die Ausbildung, die
bisherige Tätigkeit, die konkrete Arbeitsmarktlage sowie gegebenenfalls auf
die Dauer der Abwesenheit vom Berufsleben abzustellen. Ferner ist bei der
Festlegung eines hypothetischen Einkommens zu berücksichtigen, dass für die
Aufnahme und Ausdehnung der Erwerbstätigkeit eine gewisse Anpassungsperiode
erforderlich und nach einer langen Abwesenheit vom Berufsleben die volle
Integration in den Arbeitsmarkt in einem gewissen Alter nicht mehr möglich
ist (AHI 2001 S. 133 Erw. 1b; Urteil vom 9. Juli 2002, P 18/02, Erw. 1b).

3.
3.1 Die SVA hat in ihrer ablehnenden Verfügung vom 13. Dezember 2002
festgehalten, der nichtinvaliden Ehefrau sei ein hypothetisches Einkommen
anzurechnen, weil sie keine Anstrengungen unternommen habe, eine
Erwerbstätigkeit zu finden. Das zumutbare Einkommen legte die Verwaltung auf
Fr. 33'760.- fest. Davon wurden nach Abzug des Freibetrages von Fr. 1500.-
zwei Drittel angerechnet (Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG analog, vgl. AHI 2001 S.
134 Erw. 1c).

3.2 Das kantonale Gericht hat erwogen, der Ehefrau des Beschwerdeführers sei
grundsätzlich eine vollzeitige Erwerbstätigkeit zuzumuten. Unter Vorbehalt
der familienrechtlichen Notwendigkeit längerer Heimataufenthalte der Ehefrau,
des Arbeitsmarktes sowie einer Anpassungsfrist, könne ihr ein hypothetisches
Erwerbseinkommen angerechnet werden. Zur Abklärung der genannten Vorbehalte
und der Einkommenshöhe in einer der Ehefrau tatsächlich offen stehenden
Arbeit wurde die Streitsache an die Verwaltung zurückgewiesen.

3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, es dürfe ihm kein hypothetisches
Einkommen der nicht invaliden Ehefrau angerechnet werden, da dieser eine
Erwerbstätigkeit mangels Sprachkenntnisse und aufgrund familienrechtlicher
Pflichten gegenüber ihren in T.________ lebenden Kindern nicht zumutbar sei.

4.
4.1 Gemäss Art. 163 ZGB sorgen die Ehegatten gemeinsam für den ehelichen
Unterhalt. Der nichterwerbstätigen Ehefrau kann unter Umständen die Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit zugemutet werden (Erw. 2.3 hievor), soweit dies für
den gemeinsamen Unterhalt erforderlich ist.
Wie das kantonale Gericht zutreffend festgestellt hat und vom
Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird, schliessen im vorliegenden Fall
weder das Alter der Ehefrau noch eine gesundheitliche Beeinträchtigung die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aus. Umstritten ist, ob familienrechtliche
Verpflichtungen einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen beziehungsweise ob die
Notwendigkeit der Aufenthalte in T.________ zur Betreuung ihrer Kinder
bereits ausgewiesen ist oder ob diesbezüglich weitere Abklärungen
erforderlich sind. Der Beschwerdeführer beschränkt sich im Wesentlichen auf
die Behauptung, schwerwiegende Probleme der Tochter hätten die örtliche
Anwesenheit der Mutter erfordert. Angaben über das Alter der Kinder, den
üblichen Betreuungsrahmen und die speziellen Situationen, welche die
Anwesenheit der Mutter erfordern, fehlen weitgehend. Aufgrund dieser
Aktenlage lässt sich somit nicht beurteilen, ob die früheren Aufenthalte der
Ehefrau in T.________ zur Betreuung ihrer Kinder tatsächlich notwendig waren
und wieweit solche Abwesenheiten auch in Zukunft zu erwarten sind. Die
Vorinstanz hat diesbezüglich zu Recht einen Abklärungsbedarf erkannt und die
Sache an die Verwaltung zurückgewiesen. Diese wird im Rahmen des
Untersuchungsgrundsatzes die vorliegend in Frage kommenden Beweismassnahmen
benennen und gegebenenfalls anordnen.

4.2 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, seine Ehefrau habe bis heute
keine Anstellung erhalten, weil sie die deutsche Sprache zu wenig beherrsche.
Ihre schlechten Sprachkenntnisse stünden der Zumutbarkeit einer
Vollzeiterwerbstätigkeit entgegen. Damit bestreitet er nicht die Zumutbarkeit
an sich, sondern die tatsächlichen Möglichkeiten und Chancen einer nicht
deutsch sprechenden Stellensuchenden auf dem Arbeitsmarkt. Wie die Vorinstanz
zutreffend ausgeführt hat, ist bei der Ermittlung des hypothetischen
Erwerbseinkommens für die EL-Berechnung nicht auf den allgemeinen und
ausgeglichenen Arbeitsmarkt, sondern auf die konkrete persönliche Situation
sowie den Arbeitsmarkt im fraglichen Zeitpunkt und in der Nähe des Wohnortes
der betreffenden Person abzustellen. Deshalb wird die Verwaltung - bevor sie
den Zeitpunkt und die Höhe eines anrechenbaren Einkommens festlegt - zu
prüfen haben, welche Stellenangebote und welche Verdienstmöglichkeiten für
Frauen mit dem entsprechenden Ausbildungsprofil beziehungsweise der
entsprechenden Berufserfahrung in der fraglichen Region tatsächlich zur
Verfügung standen. Dass sie dabei eine angemessene Anpassungsfrist zu
berücksichtigen hat, wird im angefochtenen Entscheid ebenfalls bereits
gesagt.

4.3 Aufgrund der vorliegenden Akten kann demnach der vom Beschwerdeführer
beantragte Schluss, dass seine Ehefrau kein Erwerbseinkommen erzielen könne
und ihm deshalb kein hypothetisches Einkommen anrechenbar sei, nicht gezogen
werden. Vielmehr bedarf es der Abklärungen gemäss dem angefochtenen
Entscheid.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 2. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: