Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 34/2003
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P 34/03

Urteil vom 5. November 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Fessler

A.________, 1962, Beschwerdeführer,

gegen

Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, Ausgleichskasse, EL-Stelle, St.
Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld, Beschwerdegegner

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 29. April 2003)

Sachverhalt:

A.
A. ________ bezieht seit Jahren Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente. Im
Zeitraum August bis Oktober 2002 ersuchte er das Amt für AHV und IV des
Kantons Thurgau im Rahmen der Ergänzungsleistung (EL) um Vergütung von
Kosten, die ihm im Zusammenhang mit Krankheitsbehandlung und -vorsorge 2001
und 2002 erwachsen waren. Mit Verfügungen vom 20. September 2002 sowie vom
18. Oktober und 31. Oktober 2002 lehnte die Amtsstelle die Leistungsbegehren
ab, soweit sie nicht die Kostenbeteiligung aus der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung (Selbstbehalte und Franchisen) betrafen.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2002 sodann beantragte A.________ die Vergütung
der Abonnementsgebühr für Telekabel von monatlich Fr. 22.30 ab 1. Oktober
2002 durch die Ergänzungsleistung. Dieses Begehren lehnte das kantonale Amt
für AHV und IV mit Verfügung vom 25. Oktober 2002 ebenfalls ab.
Schliesslich gelangte A.________ am 2. Dezember 2002 erneut an das kantonale
Amt für AHV und IV. Er machte geltend, es seien ihm Kosten von Fr. 72.- für
Radio- und Fernsehempfangsgebühren für die Monate August und September 2001
erwachsen. Diese Aufwendungen hätten vermieden werden können, wenn die
Verfügung über die Ergänzungsleistung ab 1. April 2001 innert nützlicher
Frist (30 Tage) erlassen und das notwendige Merkblatt vom Juni 2001
rechtzeitig zugesandt worden wäre. Die «von Ihnen verursachten
Behinderungskosten» von Fr. 72.- seien durch die EL zu vergüten. Mit
Schreiben vom 19. Dezember 2002 teilte die Amtsstelle A.________ mit, es
könnten keine Leistungen an Rechnungen der Billag AG, Schweizerische
Inkassostelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren, erbracht werden.

B.
A.________ reichte gegen alle vier Verfügungen sowie die Mitteilung vom 19.
Dezember 2002 bei der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau Beschwerde
ein und beantragte die Vergütung der geltend gemachten Kosten durch die
Ergänzungsleistung.
Die kantonale Rekurskommission vereinigte die Verfahren und wies die
Rechtsmittel mit Entscheid vom 29. April 2003 ab.

C.
A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Rechtsbegehren, die
geltend gemachten «Behinderungskosten» von Fr. 72.-, «Mietnebenkosten» von
Fr. 22.30 im Monat für den Telekabelanschluss vom 1. Oktober 2002 bis 30.
Juni 2003, Krankheits- und Behinderungskosten für 2001 und 2002 in der Höhe
von Fr. 2801.- sowie Behinderungskosten von Fr. 762.- «durch vorsätzliche
Störung, Defekte, Hausfriedensbruch, Wohnungsverschmutzung durch
Aerosolgiftgase» seien durch die Ergänzungsleistung zu vergüten.
Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau verzichtet auf eine Stellungnahme
und einen Antrag zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung reicht keine Vernehmlassung ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Ergänzungsleistungen geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles in der Regel auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung eingetretenen
Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die
bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
Die Ergänzungsleistungen bestehen aus der jährlichen Ergänzungsleistung,
welche monatlich ausbezahlt wird, sowie der Vergütung von Krankheits- und
Behinderungskosten (Art. 3 Abs. 1 lit. a und b ELG).
Die jährliche Ergänzungsleistung hat dem Betrag zu entsprechen, um den die
anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 3a Abs. 1
ELG).

2.1 Bei Personen, die nicht dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder
Spital leben (zu Hause wohnende Personen), sind als Ausgaben anzuerkennen
u.a. ein Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf sowie der Mietzins einer
Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten (Art. 3b Abs. 1 lit. a
Ingress und lit. b erster Satz ELG).
Bei Personen, die dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder Spital leben
(in Heimen wohnende Personen), sind als Ausgaben anzuerkennen u.a. die
Tagestaxe und der Betrag für persönliche Auslagen (Art. 3b Abs. 2 lit. a und
b ELG).

2.1.1 Radio- und Fernsehempfangsgebühren nach Art. 55 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG [SR 784.40])
und Art. 44 der Radio- und Fernsehverordnung vom 6. Oktober 1997 (RTVV [SR
784.401]) stellen nicht Mietzinsausgaben im Sinne von Art. 3b Abs. 1 lit. b
erster Satz ELG dar. Es handelt sich bei diesen «Regalabgaben» (BGE 121 II
183) nicht um Nebenkosten nach Art. 257a und b OR (Peter Higi, Zürcher
Kommentar, 3. Aufl., N 45 zu Art. 256a-256b OR und N 5 ff. zu Art. 257a-257b
OR; Rolf Weber in: Obligationenrecht I. Art. 1-529 OR [Basler Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht (Hrsg. Honsell/Vogt/Wiegand)], 3. Aufl., N 3 f.
zu Art. 256b sowie N 1 zu Art. 257a und 257b; Urteil des Bundesgerichts in
Sachen P. AG gegen A. AG vom 24. Mai 2000 [4C.82/2000] Erw. 3a und b mit
weiteren Hinweisen auf die Lehre). Es kommt dazu, dass nach Art. 45 Abs. 2
RTVV EL-Bezüger auf entsprechendes Gesuch von der Gebührenpflicht befreit
werden.

2.1.2 Radio- und Fernsehempfangsgebühren sind ergänzungsleistungsrechtlich
somit zum allgemeinen Lebensbedarf zu zählen. Folgerichtig können sie bei der
EL-Berechnung nicht separat im Rahmen der in Art. 5 Abs. 1 lit. b ELG
festgelegten Höchstbeträge für die Mietzinsausgaben nach Art. 3b Abs. 1 lit.
b ELG berücksichtigt werden. Ob sie im Mietvertrag unter den Nebenkosten
aufgeführt werden oder sogar im Nettomietzins enthalten sind, ist nicht von
Belang.

2.1.3 Das für die Radio- und Fernsehempfangsgebühren nach Art. 55 Abs. 1 RTVG
und Art. 44 RTVV Gesagte muss auch für Kabelfernsehgebühren gelten. Anders
verhält es sich in Bezug auf die Kosten für den Kabelnetzanschluss (vgl. Higi
a.a.O. N 8 zu Art. 257a-257b OR und Weber a.a.O. N 2 zu Art. 257a OR).

2.2 Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung ist ein Anspruch einzuräumen
auf die Vergütung von ausgewiesenen, im laufenden Jahr entstandenen Kosten
u.a. für die Kostenbeteiligung nach Art. 64 KVG (Art. 3d Abs. 1 lit. f ELG;
vgl. auch Art. 6 f. ELKV in Verbindung mit Art. 19 ELV und Art. 3d Abs. 4
ELG).
Die Vergütung von Krankheitskosten im Rahmen von Franchise und Selbstbehalt
durch die Ergänzungsleistung (bis zum Höchstbetrag von 830 Franken [Art. 7
ELKV]) setzt voraus, dass die fragliche diagnostische oder therapeutische
Massnahme aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen wurde
(vgl. Art. 3 ELKV und BGE 127 V 242; ferner BGE 123 V 256 f. Erw. 2c).

3.
Die kantonale Rekurskommission hat die fünf im September, Oktober und
Dezember 2002 erlassenen Verfügungen des kantonalen Amtes für AHV und IV
betreffend die Vergütung der Kosten für bestimmte Massnahmen der
Krankheitsbehandlung und -vorsorge, die Erstattung der Radio- und
Fernsehempfangsgebühren für August und September 2001 sowie die Übernahme der
Abonnementsgebühr für Telekabel ab 1. Oktober 2002 durch die
Ergänzungsleistung bestätigt. Das ist aufgrund der in Erw. 2 hievor
dargelegten klaren gesetzlichen Ordnung nicht zu beanstanden. Es kann ohne
weiteres auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.
Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geben zu keiner anderen
Beurteilung Anlass.

3.1 Es wird auch vom Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend gemacht, die
Radio- und Fernsehempfangsgebühren stellten Mietzinsausgaben im Sinne von
Art. 3b Abs. 1 lit. b erster Satz ELG dar und seien daher bei der
EL-Berechnung separat im Rahmen der in Art. 5 Abs. 1 lit. b ELG festgelegten
Höchstbeträge zu berücksichtigen. Daraus folgt zwingend, dass diese Gebühren
ebenfalls nicht etwa unter dem Titel Schadenersatz durch die
Ergänzungsleistung übernommen werden können. Eine allfällige
Verantwortlichkeit der kantonalen Amtsstelle im Zusammenhang mit der
angeblich verspäteten Information des Beschwerdeführers über die Möglichkeit
der Befreiung von der Gebührenpflicht kann im Übrigen nicht Gegenstand des
Sozialversicherungsprozesses sein (vgl. auch Art. 78 ATSG und Art. 6a ELG, in
Kraft seit 1. Januar 2003). Insoweit hätte die Vorinstanz richtigerweise
nicht auf die Beschwerde gegen die Verfügung (Mitteilung) vom 19. Dezember
2002 eintreten dürfen.

3.2
3.2.1Im Weitern geht es bei der Abonnementsgebühr für Telekabel ab 1. Oktober
2002 entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers nicht um die Gebühr für
einen Antennenbetrieb. Ob sodann bei Heimbewohnern regelmässig die
Kabelfernsehgebühren in der Tagestaxe enthalten sind, wie er sinngemäss
geltend macht, kann offen bleiben. Selbst wenn es sich so verhält, bedeutet
das nicht zwingend eine Ungleichbehandlung der zu Hause wohnenden EL-Bezüger.
Dazu sind die tatsächlichen Verhältnisse von Heimbewohnern und
Nichtheimbewohnern zu verschieden. Entsprechend sind denn auch die
anrechenbaren Ausgaben für die EL-Berechnung bei den beiden Kategorien von
Leistungsbezügern unterschiedlich geregelt. Dem allgemeinen Lebensbedarf
sowie dem Mietzins der Wohnung und den damit zusammenhängenden Nebenkosten
bei den zu Hause wohnenden Personen stehen bei Heimbewohnern die Tagestaxe
sowie der Betrag für die persönlichen Auslagen gegenüber (Art. 3b Abs. 1 und
2 ELG; vgl. auch Erwin Carigiet/Uwe Koch, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV
[Supplement], Zürich 2000, S. 115, welche den Betrag für die persönlichen
Auslagen bei aktiven Heimbewohnern für eindeutig zu knapp bemessen halten).

3.2.2 Nichts zu Gunsten des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass beim
früheren Mietverhältnis die Kabelgebühren in den Nebenkosten enthalten waren
und bei der EL-Berechnung mit berücksichtigt wurden. Es trifft zwar zu, dass
im Mietvertragsformular des Thurgauer Hauseigentümerverbandes, Ausgabe 1996,
diese Gebühren unter den Nebenkosten aufgeführt werden. In dem vom
Beschwerdeführer am 28. August 2001 unterzeichneten Vertrag ist diese
Position indessen durchgestrichen. Wie es sich damit verhält, kann offen
bleiben. Mit der kantonalen Rekurskommission ist festzustellen, dass es für
die erfolgreiche Berufung auf den öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutz bei
unrichtigen behördlichen Auskünften oder Anordnungen (vgl. BGE 127 I 36 Erw.
3a, 121 V 66 Erw. 2a; ferner ARV 1999 Nr. 40 S. 237 Erw. 3a) zumindest am
Tatbestandsmerkmal der nicht rückgängig zu machenden Dispositionen fehlt.
Dass der Beschwerdeführer auf den 1. Oktober 2002 die Wohnung nicht
gewechselt oder in eine andere günstigere Wohnung gezogen wäre, wenn er um
die Nichtberücksichtigung der von ihm direkt zu bezahlenden Kabelgebühren bei
der EL-Berechnung gewusst hätte, ist nicht anzunehmen und wird auch nicht
geltend gemacht.

3.3 Es steht fest, dass es sich bei den Kosten von Fr. 2801.-, welche dem
Beschwerdeführer im Zusammenhang mit Krankheitsbehandlung (u.a. Einnahme von
Naturheilmitteln) und Krankenvorsorge (u.a. Miete eines Reinigungsgerätes)
2001 und 2002 erwuchsen, nicht um Franchisen oder Selbstbehalte im Sinne von
Art. 64 KVG handelt. Damit entfällt die Vergütung durch die
Ergänzungsleistung. In diesem Verfahren nicht zu prüfen ist, ob die
Krankenkasse zu Recht die Übernahme der Kosten der fraglichen Massnahmen aus
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abgelehnt hat. Inwiefern
dadurch das Recht auf soziale Sicherheit (vgl. Überschrift zu Art. 108 ff.
BV) verletzt wird, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht weiter dargetan.
Schliesslich liegt auch die Vergütung von Behinderungskosten «durch
vorsätzliche Störung, Defekte, Hausfriedensbruch, Wohnungsverschmutzung durch
Aerosolgiftgase» ausserhalb der Zielsetzungen der Ergänzungsleistung.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 5. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: