Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 25/2003
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P 25/03

Urteil vom 21. Oktober 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard;
Gerichtsschreiber Jancar

S.________, 1925, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli
Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,

gegen

1. Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt  Zürich, Amtshaus
Helvetiaplatz, 8004 Zürich,
2. Bezirksrat Zürich, Neue Börse, Selnaustrasse 32,  8001 Zürich,
Beschwerdegegner

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 28. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1925 geborene S.________ ist Alleinaktionär und alleiniger Verwaltungsrat
des Ingenieurbüros L.________ AG (nachfolgend Gesellschaft). Seit 1. Juni
1990 bezog er Ergänzungsleistungen zur AHV/IV. Mit Urteil vom 20. Oktober
1998 verpflichtete das Bundesgericht die Stadt X.________, der Gesellschaft
Fr. 296'490.- plus 5 % Zins seit 10. März 1987 zu bezahlen. Mit Entscheid vom
4. Februar 2000 verneinte das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt
Y.________ den Anspruch von S.________ auf Ergänzungsleistungen ab 1. Februar
1999 wegen Überschreitung der Einkommensgrenze. Die dagegen erhobene
Einsprache wies der Bezirksrat Zürich mit Entscheid vom 9. November 2000 ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich nach Durchführung einer Referentenaudienz vom 14. Juni 2002
teilweise gut, und es hob den Beschluss des Bezirksrates Zürich vom 9.
November 2000 sowie den Entscheid des Amtes für Zusatzleistungen zur AHV/IV
der Stadt Y.________ vom 4. Februar 2000 auf. Es wies die Sache an das Amt
für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Y.________ zurück, damit es über
den Anspruch des Versicherten auf Ergänzungsleistungen ab 1. Februar 1999 im
Sinne der Erwägungen neu entscheide. Den Erwägungen ist zu entnehmen, dass
für die Zeit bis Ende 1998 die Anrechnung eines Verzichtseinkommens verneint
wird. Ab. 1. Januar 1999 sei dem Versicherten ein jährliches Einkommen von
Fr. 18'000.- und als Vermögenswert eine Restforderung für ein
Aktionärsdarlehen von Fr. 32'878.40 anzurechnen. Die von der Gesellschaft im
Jahre 1998 gebildete Rückstellung von Fr. 100'000.- sei nicht zu beanstanden
(Entscheid vom 28. Februar 2003).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte, der kantonale
Entscheid sei insoweit aufzuheben, als ihm ab 1999 ein Lohn von Fr. 18'000.-
und als Vermögenswert ein Aktionärsdarlehen von Fr. 32'878.40 angerechnet
würden.
Das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Y.________ und der
Bezirksrat Zürich schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Mit Eingabe vom 7. August 2003 reicht der Vertreter des Versicherten eine
Stellungnahme des Letzteren vom 6. August 2003 ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und die Grundsätze über den
Anspruch auf Ergänzungsleistungen (Art. 2 Abs. 1 ELG), die Anrechnung von
Einkünften und Vermögen, auf die verzichtet worden ist, als Einnahmen (Art.
3c Abs. 1 lit. g ELG), die Bewertung des Vermögens (Art. 17 Abs. 1 ELV) sowie
die Mitwirkungspflichten der Parteien bei der Feststellung des Sachverhalts
(BGE 125 V 195 Erw. 2 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Beizupflichten ist
im Weiteren den Erwägungen der Vorinstanz, dass das am 1. Januar 2003 in
Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Entscheides (hier: 9. November 2000) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).
Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass eine Verzichtshandlung nach Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG
in der Regel vorliegt, wenn die versicherte Person ohne rechtliche
Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung auf Vermögen verzichtet hat,
wenn sie einen Rechtsanspruch auf bestimmte Einkünfte und Vermögenswerte hat,
davon aber faktisch nicht Gebrauch macht bzw. ihre Rechte nicht durchsetzt,
oder wenn sie aus von ihr zu verantwortenden Gründen von der Ausübung einer
möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht (BGE 121 V 205 Erw. 4a, AHI
2003 S. 221 Erw. 1a, je mit Hinweisen).

2.
Die Vorinstanz hat erwogen, zur Absicherung der ab 1999 geplanten Aktivitäten
habe die Gesellschaft per Ende 1998 eine Rückstellung von Fr. 100'000.-
gebildet, die Ende 2000 immer noch mit Fr. 96'000.- ausgewiesen gewesen sei.
Werde weiter berücksichtigt, dass die Lohnzahlungen an den Beschwerdeführer
im Jahre 1990 wegen der schlechten finanziellen Lage eingestellt worden
seien, müsse gefolgert werden, dass künftige Lohnzahlungen nicht
ausgeschlossen sein sollten, sobald dies die finanzielle Lage der
Gesellschaft wieder zuliesse. Ende 1998 habe sich ihre finanzielle Lage durch
die Auszahlung des Prozessgewinns gemäss Urteil des Bundesgerichts vom 20.
Oktober 1998 erheblich verbessert, so dass ab 1999 eine neue
Standortbestimmung angezeigt sei. Der Beschwerdeführer besorge weiterhin die
Geschäfte der Gesellschaft und übe dabei Tätigkeiten aus, für die
normalerweise ein Entgelt ausgerichtet werde. Andererseits hielten sich seine
Aktivitäten in einem begrenzten Rahmen und dienten vornehmlich der Sicherung
der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Da aber eine genügende Rückstellung
vorhanden sei, mit der eine Lohnzahlung finanziert werden könne, sei dem
Beschwerdeführer ein Einkommen von jährlich Fr. 18'000.- anzurechnen. In der
Bilanz der Gesellschaft per Ende 1998 figuriere eine Restforderung des
Beschwerdeführers von Fr. 32'878.40 aus einem Aktionärsdarlehen. Aufgrund
ihrer finanziellen Situation zwischen Ende 1998 und Ende 2000 hätte die
Gesellschaft diese Forderung begleichen können, ohne dass eine Überschuldung
eingetreten wäre, so dass dieser Betrag dem Beschwerdeführer als Vermögen
anzurechnen sei. Schliesslich sei bezüglich des Wertes der Gesellschaft die
Bildung einer Rückstellung von Fr. 100'000.- Ende 1998 nicht zu beanstanden,
da dies vom Fiskus akzeptiert worden sei und kein Anlass für eine andere
Einschätzung bestehe.

An diesem zutreffenden Ergebnis des kantonalen Entscheides vermögen die
Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und in der Stellungnahme
vom 6. August 2003 nichts zu ändern.

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Frage, ob ein bestimmtes
Einkommen als fiktiver Lohn zu berücksichtigen sei, unter dem Gesichtswinkel
der Zumutbarkeit der Einkommenserzielung zu bewerten sei. Dem ist zu
entgegnen, dass dem 1925 geborenen Beschwerdeführer nicht zugemutet wird,
noch einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Tut er dies aber, so ist ihm
ein Erwerbseinkommen aus dieser Tätigkeit anzurechnen.

4.
4.1 Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, es sei fraglich, ob er überhaupt
auf ein Einkommen von jährlich Fr. 18'000.- gelangen könnte. Wegen seines
fortgeschrittenen Alters und der Belastung durch das vorliegende Verfahren
vermöge er während der Arbeit bei weitem nicht mehr die gewünschte Energie
aufzubringen. Zudem sei nach der langen Phase der erzwungenen Reduzierung der
Aktivität nun eine längere Anlaufstrecke notwendig, um überhaupt eine
erwerbswirksame Tätigkeit auszuüben. Es müsse erwiesen sein, dass er ab 1999
eine zeitlich derart ausgedehnte Tätigkeit ausgeübt habe, die ihm einen
Lohnanspruch von Fr. 18'000.- eingebracht habe.

4.2 Der Hinweis auf das Alter des Beschwerdeführers steht im Kontrast zu den
Ausführungen über die künftigen Pläne der Gesellschaft. Nach Eingang der vom
Bundesgericht am 20. Oktober 1998 zugesprochenen Geldsumme war es gemäss der
vorinstanzlichen Replik des Versicherten das erklärte Ziel der Gesellschaft,
die Aktivitäten weiterzuführen. Während zuerst das Vermarkten der
entwickelten Produkte im Vordergrund stand, sah sie in der Folge als
Schwerpunkt die Veröffentlichung der vorhandenen Ergebnisse der Forschung und
Entwicklung, um sie den künftigen Interessenten bekannt zu geben (Protokoll
der Sitzung des Verwaltungsrates vom 16. August 2000, Ziff. 8). Diese Pläne
deuteten in keiner Weise darauf hin, dass der Beschwerdeführer aus Alters-
oder anderen Gründen den Lohn von jährlich Fr. 18'000.- nicht zu erzielen
vermöchte.
Was die Höhe des angerechneten Lohnes betrifft, bewegt sie sich angesichts
der fachlichen Qualifikation des Beschwerdeführers an der untersten Grenze.

5.
Der Beschwerdeführer wendet im Weiteren ein, die Gesellschaft wäre nach
kaufmännischen Überlegungen gar nicht in der Lage gewesen, den Lohn aus ihrem
Ertrag zu bezahlen.

Der Verzicht des Beschwerdeführers auf seinen Lohnanspruch gegenüber der
Gesellschaft, deren Alleinaktionär er ist, muss unter verschiedenen
Gesichtspunkten betrachtet werden.

5.1 Ein Verzicht auf den Lohn aus der Motivation, die Gesellschaft als
Drittperson mit Rechtspersönlichkeit mit dieser Forderung nicht zu belasten,
ändert nichts daran, dass es eben ein Verzicht ist. Die Motivation des
Verzichts ist unerheblich (BGE 122 V 397 Erw. 2; Carigiet,
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
[SBVR], Soziale Sicherheit, S. 29 f.).
5.2 Nun ist der Beschwerdeführer erwähntermassen Alleinaktionär der
Gesellschaft. Diese ist Bestandteil seines Vermögens. Eine gut dastehende
Aktiengesellschaft ist zweifellos mehr wert als eine finanziell
angeschlagene. Es kann aber nicht Aufgabe der Ergänzungsleistungen sein, den
Verzicht eines Ansprechers auf ein jährliches Einkommen von Fr. 18'000.- auf
unbestimmte Zeit hinzunehmen und ihm Ergänzungsleistungen auszurichten im
Hinblick auf eine vage Möglichkeit, dass die Entwicklung der Gesellschaft die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ansprechers verbessern könnte. Es
bleibt durchaus privater Dispositionsmöglichkeit überlassen, in der Hoffnung
auf künftigen Gewinn in eine Gesellschaft zu investieren, solange diese
Disposition ausschliesslich den Privaten betrifft. Es ist jedoch nicht Sache
der Ergänzungsleistungen, solche Dispositionen zu finanzieren auf die Gefahr
hin, dass der erhoffte Gewinn, bestehe er nun aus einem grösseren Vermögen
der Gesellschaft oder in Gewinnausschüttung oder Lohnzahlung, dann doch nicht
eintritt.

5.3 Weshalb der Lohnanspruch des Beschwerdeführers nur aus dem Ertrag der
Gesellschaft und nicht auch aus deren Vermögen zu bezahlen ist, lässt sich
nicht einsehen. Die Gesellschaft verfügt über genügend Vermögen, die
Lohnzahlung vorzunehmen. Dies gilt auch für die Rückzahlung des restlichen
Aktionärsdarlehens von Fr. 32'878.40. Denn die Gesellschaft verfügt über
Wertschriften, welche nach Eingang des im Jahre 1998 zugesprochenen
Prozesserlöses für Fr. 186'953.10 erworben worden sind. Unbehelflich ist
unter diesen Umständen der vorinstanzliche Einwand des Beschwerdeführers, vom
Prozessgewinn seien die ausstehenden Prozesskosten von Fr. 119'004.-
beglichen worden.

Ob die Rückstellungen der Gesellschaft in der Grössenordnung von Fr.
100'000.- von der Steuerbehörde akzeptiert worden sind, betrifft die
Gesellschaft und nicht den Beschwerdeführer. Diese Akzeptanz kann den
Beschwerdeführer nicht hindern, seine Forderungen ihr gegenüber geltend zu
machen. Auch der Rangrücktritt des Beschwerdeführers bezüglich der
Aktionärsdarlehen, die er vor Jahren abgegeben hat, hindert nicht, dass er
nun auf das Vermögen der Gesellschaft greifen kann. Dass andere Gläubiger vor
ihm zu befriedigen wären, wird nicht behauptet.

Sollte das Vermögen der Gesellschaft durch fortlaufende Lohnzahlungen im
Falle des Ausbleibens entsprechender Einnahmen aufgebraucht und die
Gesellschaft liquidiert werden müssen, so ist nicht einzusehen, weshalb
dieses Ergebnis nicht hinzunehmen wäre. Es kann nicht Aufgabe der
Ergänzungsleistungen sein, Erwerbsgesellschaften am Leben zu erhalten, die
sich nur deshalb über Wasser halten können, weil sie ihren Angestellten die
Löhne, auf welche diese Anspruch haben, nicht ausrichten.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 21. Oktober 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: