Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 23/2003
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P 23/03

Urteil vom 4. September 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Kernen und Frésard; Gerichtsschreiberin Hofer

M.________, 1940, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug

(Entscheid vom 27. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1940 geborene M.________ meldete sich am 22. März 2002 zum Bezug von
Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente an. Er gab an, er und seine Ehefrau
würden je eine Invalidenrente beziehen. Gestützt auf ergänzende Abklärungen,
in deren Rahmen sie Kenntnis von den Pensionskassenrenten des Ehepaares
erhielt, verneinte die Ausgleichskasse des Kantons Zug mit Verfügung vom 3.
Oktober 2002 die Bezugsberechtigung, da die Einnahmen von Fr. 53'810.- die
anrechenbaren Ausgaben von Fr. 44'448.- um Fr. 9'362.- überstiegen.

B.
Die von M.________ am 30. Oktober 2002 dagegen erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 27. Februar 2003 ab und
auferlegte ihm wegen mutwilliger Prozessführung eine Spruchgebühr von Fr.
500.-.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt M.________ sinngemäss Antrag auf
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids im Kostenpunkt.

Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen
lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig ist einzig, ob die Vorinstanz dem Versicherten wegen mutwilliger
Prozessführung Gerichtskosten in Höhe von Fr. 500.- auferlegen durfte.

Da es somit nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen, sondern um eine rein prozessrechtliche Frage geht,
hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das
vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche
Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung
wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in
Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 am 1. Januar 2003
stellte die Möglichkeit zur Kostenauflage im kantonalen Verfahren wegen
mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung nach der Rechtsprechung einen
allgemeinen prozessualen Grundsatz des Bundessozialversicherungsrechts dar
(BGE 126 V 149 Erw. 4a, 118 V 319 Erw. 3c). Für den Bereich der
Ergänzungsleistungen hielt Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG in Verbindung mit Art.
7 Abs. 2 ELG (je in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) zudem
ausdrücklich fest, dass das Verfahren vor den kantonalen Rekursbehörden
einfach, rasch und für die Parteien grundsätzlich kostenlos zu sein hat,
wobei jedoch in Fällen leichtsinniger oder mutwilliger Beschwerdeführung dem
Beschwerdeführer eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt werden
können (vgl. zudem altArt. 103 Abs. 4 AVIG, altArt. 108 Abs. 1 lit. a UVG,
altArt. 87 lit. a KVG, altArt. 106 Abs. 2 lit. a MVG). Mit dem ATSG sind
diese Bestimmungen aufgehoben worden. Neu verankert Art. 61 lit. a ATSG für
sämtliche von diesem Gesetz erfassten Regelungsgebiete, dass das Verfahren
einfach, rasch, in der Regel öffentlich und für die Parteien kostenlos sein
muss; einer Partei, die sich mutwillig oder leichtsinnig verhält, können
jedoch eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt werden.

2.2 Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften grundsätzlich
mit dem Tag des In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfange anwendbar, es
sei denn, das neue Recht kenne anders lautende Übergangsbestimmungen (BGE 129
V 115 Erw. 2.2, 117 V 93 Erw. 6b, 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 Nr. KV 37 S.
316 Erw. 3b).
Von den im ATSG enthaltenen Übergangsbestimmungen ist allein Art. 82 Abs. 2
ATSG verfahrensrechtlicher Natur. Dieser sieht vor, dass die Kantone ihre
Bestimmungen über die Rechtspflege diesem Gesetz innerhalb von fünf Jahren
nach seinem Inkrafttreten anzupassen haben; bis dahin gelten die bisherigen
kantonalen Vorschriften. Die Übergangsfrist bezieht sich auf die Bestimmungen
über die Rechtspflege und somit auf Art. 56 bis 61 ATSG. Die bisherigen -
allenfalls mit den ATSG-Rechtspflegebestimmungen kollidierenden - kantonalen
Vorschriften über das Beschwerdeverfahren gelten während einer Übergangsfrist
weiter (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Art. 61 Rz 5 und Art. 82 Rz 14 mit
Hinweis auf BBl 1991 II 271).

2.3 Da es sich bei der Kostenauferlegung wegen mutwilliger oder
leichtsinniger Prozessführung um einen allgemeinen prozessualen Grundsatz des
Bundessozialversicherungsrechts handelt, der für den Bereich der
Ergänzungsleistungen zudem im Bundessozialversicherungsgesetz normiert war
(Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 ELG), blieb für
eine abweichende kantonalrechtliche Regelung zum Vornherein kein Raum. Es
besteht daher auch kein Handlungsbedarf für eine Anpassung kantonalen Rechts
innert fünf Jahren, womit der übergangsrechtliche Art. 82 Abs. 2 ATSG hier
keine eigenständige Rechtswirkung entfaltet, die der sofortigen Anwendbarkeit
des Art. 61 lit. a 2. Satzteil ATSG entgegenstünde. Die Vorinstanz hat daher
auf das bei ihr vor dem 1. Januar 2003 anhängig gemachte, aber erst im Jahre
2003 beurteilte Beschwerdeverfahren zu Recht Art. 61 lit. a ATSG angewendet.

3.
Nach ständiger Rechtsprechung kann leichtsinnige oder mutwillige
Prozessführung vorliegen, wenn die Partei ihre Stellungnahme auf einen
Sachverhalt abstützt, von dem sie weiss oder bei der ihr zumutbaren Sorgfalt
wissen müsste, dass er unrichtig ist. Mutwillige Prozessführung kann unter
anderem auch angenommen werden, wenn eine Partei vor der Rekursbehörde an
einer offensichtlich gesetzwidrigen Auffassung festhält. Leichtsinnige oder
mutwillige Prozessführung liegt aber so lange nicht vor, als es der Partei
darum geht, einen bestimmten, nicht als willkürlich erscheinenden Standpunkt
durch das Gericht beurteilen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht
die Partei im Laufe des Verfahrens von der Unrichtigkeit ihres Standpunktes
überzeugen und zu einem entsprechenden Verhalten (Beschwerderückzug)
veranlassen will. Die Erhebung einer aussichtslosen Beschwerde darf einer
leichtsinnigen oder mutwilligen Beschwerdeführung nicht gleichgesetzt werden.
Das Merkmal der Aussichtslosigkeit für sich allein lässt einen Prozess noch
nicht als leichtsinnig oder mutwillig erscheinen. Vielmehr bedarf es
zusätzlich des subjektiven - tadelnswerten - Elements, dass die Partei die
Aussichtslosigkeit bei der ihr zumutbaren vernunftgemässen Überlegung ohne
weiteres erkennen konnte, den Prozess aber trotzdem führt (AHI 1998 S. 189 f.
Erw. 2c mit Hinweisen). Da Art. 61 lit. a ATSG am allgemeinen prozessualen
Grundsatz der Einschränkung der Kostenfreiheit im Falle mutwilliger oder
leichtsinniger Prozessführung festhält (Ueli Kieser, a.a.O., Art. 61 Rz 30),
hat die dazu entwickelte Rechtsprechung unter der Herrschaft des ATSG
weiterhin Geltung.

4.
4.1 Das kantonale Gericht begründet die Qualifizierung der gegen die
Verwaltungsverfügung vom 3. Oktober 2002 erhobenen Beschwerde als mutwillig
damit, dass nicht nur in der Anmeldung zum Bezug von Ergänzungsleistungen, wo
ausdrücklich nach Renteneinkommen gefragt worden sei, sondern auch in der
Beschwerdeschrift unvollständige Angaben gemacht worden seien. Auch seien
nicht alle im gleichen Haushalt lebenden Personen aufgeführt und
unvollständige Angaben über das Vermögen gemacht worden.

4.2 Der Beschwerdeführer hat nicht nur im Anmeldeverfahren unvollständige
Angaben gemacht und damit die ihm obliegende Mitwirkungspflicht verletzt.
Nachdem die Ausgleichskasse gestützt auf ergänzende Abklärungen ein
Renteneinkommen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau von Fr. 26'124.- der
Invalidenversicherung und von Fr. 27'671.- der Pensionskasse ermittelt hatte,
erhob der Versicherte Beschwerde. Mit dieser machte er geltend, das
gemeinsame Einkommen betrage insgesamt Fr. 43'124.-, welcher Betrag sich aus
einer IV-Rente von Fr. 15'248.-, Pensionskassengeldern von Fr. 18'036.- und
einer Rente der Ehefrau von Fr. 9840.- zusammensetze. Damit hat er
offensichtlich die IV-Rente der Ehefrau nicht erwähnt, obwohl dieser mit
Verfügung vom 23. Juli 2001 eine solche in Höhe von monatlich Fr. 935.-
zugesprochen worden war.  In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht er
geltend, dies sei nicht absichtlich geschehen. Da er der deutschen Sprache
nicht mächtig sei, sei er auf Übersetzer angewiesen. Nun hatte er aber in der
Anmeldung vom 22. März 2002 die beiden IV-Renten von Fr. 1242.- und Fr. 935.-
noch erwähnt und die entsprechenden Verfügungen beigelegt. Der Rentenbezug
seiner Ehefrau musste ihm somit bekannt sein. Dass er die von ihm
unterzeichnete Beschwerdeschrift vom 30. Oktober 2002 offenbar von einer
Drittperson hat übersetzen und schreiben lassen, vermag ihn nicht zu
entlasten. Denn eine Partei muss sich Fehler ihres Vertreters oder ihres
Erfüllungsgehilfen wie eigene anrechnen lassen (ZAK 1989 S. 223). Da sich das
erhobene Rechtsmittel auf einen Sachverhalt abstützte, von dem der
erstinstanzliche Beschwerdeführer bei der ihm zumutbaren vernunftgemässen
Überlegung ohne weiteres erkennen konnte, dass er unrichtig und sein
Rechtsmittel somit aussichtslos war, verstösst es nicht gegen Bundesrecht,
wenn die Vorinstanz ihm eine Spruchgebühr von Fr. 500.- auferlegt hat.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 4. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin:
i.V.