Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 1/2003
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P 1/03

Urteil vom 13. Juni 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Meyer, Ferrari und Ursprung;
Gerichtsschreiber Hochuli

Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St.
Gallen, Beschwerdeführerin,

gegen

G.________, 1926, Beschwerdegegner, vertreten durch H.________

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 14. November 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1926 geborene G.________ bezieht seit mehreren Jahren
Ergänzungsleistungen zur AHV. Er lebt im Arbeitsheim für Behinderte in
A.________ (nachfolgend: ABA). Vom 15. Juli bis 5. August 2000 hielt er sich
im Alterspflegeheim R.________ in Y.________ auf, weil das ABA in dieser Zeit
infolge Betriebsferien geschlossen blieb. Daraus entstanden ihm - neben den
zu Lasten der Krankenversicherung fallenden obligatorischen
Krankenpflegeleistungen - zusätzliche Mehrkosten von Fr. 2'956.- (Grundtaxe
von Fr. 105.- pro Tag plus Zusatzleistungen). Da das ABA während den
Betriebsferien eine Abwesenheitstaxe (von Fr. 84.- pro Tag statt bei
Anwesenheit Fr. 108.- pro Tag) erhob, machte der Versicherte die zusätzlichen
Kosten von Fr. 2'296.- (Fr. 660.- wurden vom ABA übernommen) bei der
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (nachfolgend: SVA oder
Beschwerdeführerin) geltend. Mit Verfügung vom 26. April 2001 lehnte diese
den Anspruch ab.

B.
Dagegen erhob G.________ Beschwerde, welche das Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 14. November 2002 guthiess, indem es die
Sache zur neuen Verfügung über die geltend gemachten Kosten an die SVA
zurückwies (Ziff. 2 des genannten Entscheides).

Im gleichen Entscheid wies das kantonale Gericht eine Beschwerde gegen eine
Verfügung der SVA vom 25. Januar 2001, welche ebenfalls Ergänzungsleistungen
betraf, ab. Diese Verfügung bildet nicht mehr Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens.

C.
Die SVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Ziffern 2-4
des kantonalen Entscheides seien aufzuheben.

Während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet G.________ auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Ergänzungsleistungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: vom 26.
April 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind
im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die für den Aufenthalt im Alterspflegeheim
R.________ anfallenden zusätzlichen Kosten gestützt auf das ELG als
Krankheitskosten vergütet werden können.

2.1 Die Ergänzungsleistungen bestehen aus der jährlichen Ergänzungsleistung,
welche monatlich ausbezahlt wird (Art. 3 lit. a ELG), und aus der Vergütung
von Krankheits- und Behinderungskosten (Art. 3 lit. b ELG). Gestützt auf Art.
3d Abs. 1 ELG werden ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten für
Zahnarzt (lit. a), Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause sowie in
Tagesstrukturen (lit. b), Diät (lit. c), Transporte zur nächstgelegenen
Behandlungsstelle (lit. d), Hilfsmittel (lit. e) und die Kostenbeteiligung
nach Art. 64 KVG (lit. f; Franchise, Selbstbehalte) vergütet. Gemäss Art. 3d
Abs. 4 ELG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 ELV bezeichnet das Eidgenössische
Departement des Innern (EDI) die zu vergütenden Krankheits- und
Behinderungskosten. Das EDI hat die entsprechende Verordnung über die
Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen
(ELKV) am 29. Dezember 1997 neu erlassen.

2.2 Die Vorinstanz führte aus, die dem ABA während der
betriebsferienbedingten Schliessung geschuldete Taxe stelle eine
Reservationstaxe dar. Sie sei als notwendige Ausgabe zu betrachten, weil
sonst eine Rückkehr des Versicherten ins Behindertenheim nicht gewährleistet
werden könne. Es dränge sich unter solchen Umständen ein Vorgehen analog
demjenigen bei Nichtheimbewohnern auf, die sich vorübergehend in ein Heim
oder in ein Spital begeben müssten und die Möglichkeit behalten sollten, nach
der Behandlung wieder in ihre Wohnung zurückkehren zu können. Daher
rechtfertige sich, den vorübergehenden Heim- oder Spitalaufenthalt
lückenfüllend analog einem Kur- und Heilbadaufenthalt zu betrachten. Nach
Massgabe von Art. 11 und 12 ELKV seien Kosten für ärztlich verordnete
Erholungs- und Badekuren vergütungsfähig. Diese Bestimmungen hätten ihre
gesetzliche Grundlage in Art. 3d ELG. Bei einem EL-Bezüger, der in einer
Wohnung lebe, habe dies zur Folge, dass seine Ergänzungsleistung nach den
Bestimmungen für Nichtheimbewohner zu berechnen sei und die Vergütung der
Kosten aus dem vorübergehenden Heimaufenthalt gestützt auf Art. 3d Abs. 1 ELG
zu erfolgen habe. Beim Versicherten, der Heimbewohner sei, sei analog
vorzugehen: Obwohl die jährliche Ergänzungsleistung auf der Basis der
Tagestaxe im ABA zu berechnen sei, müssten die nicht durch Dritte gedeckten
Kosten des vorübergehenden Aufenthaltes im Alterspflegeheim R.________
grundsätzlich als Krankheits- und Behinderungskosten vergütet werden.

2.3 Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, der vorübergehende
Aufenthalt des Versicherten im Alterspflegeheim R.________ sei als kurz
befristete Pflege und Betreuung eines Behinderten in einer Tagesstruktur bzw.
einem Tagesheim gemäss Art. 14 ELKV zu qualifizieren. Für die von der
Vorinstanz vertretene Auffassung, der vorübergehende Aufenthalt sei analog
den Kur- und Heilbadaufenthalten zu behandeln, gebe es keine gesetzliche
Grundlage. Gemäss Art. 14 Abs. 3 lit. b ELKV würden bei einem Heimaufenthalt
mit EL-Berechnung nach Art. 3b Abs. 2 ELG keine Kosten vergütet. Diese
Bestimmung schliesse somit eine Kostenbeteiligung am Aufenthalt im
Alterspflegeheim R.________ aus.

2.4 In seiner Vernehmlassung hält das BSV dafür, die Aufzählung in Art. 3d
Abs. 1 ELG sei abschliessend. Der Heimaufenthalt eines Heimbewohners könne
unter keine der in diesem Absatz 1 erwähnten Kategorien subsumiert werden.
Insbesondere sei Art. 3d Abs. 1 lit. b ELG nur auf Personen anwendbar, die
nicht dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder Spital lebten. Es sei
daher nicht möglich, die Kosten für den Aufenthalt im Alterspflegeheim
R.________ vom 15. Juli bis 5. August 2000 unter dem Titel "Krankheits- und
Behinderungskosten" zu vergüten.

3.
3.1 In Art. 3d Abs. 1 ELG hat der Gesetzgeber die Krankheits- und
Behinderungskosten, die Bezügern einer Ergänzungsleistung vergütet werden,
detailliert aufgezählt. Der Konkretisierungsgrad der Regelung lässt darauf
schliessen, dass der Gesetzgeber die zu vergütenden Kosten im Einzelnen
bestimmen wollte, was auf eine abschliessende Regelung hindeutet. Dies wird
durch die Beschränkung der Delegationsmöglichkeiten bestätigt, denn die in
Art. 3d Abs. 4 ELG enthaltene Delegationsnorm sieht einzig vor, dass der
Bundesrat die Kosten, die nach Absatz 1 vergütet werden können, zu bezeichnen
hat. Zusätzliche, vom Gesetz nicht genannte Kosten, können nicht übernommen
werden. Die Aufzählung der in Art. 3d Abs. 1 ELG genannten Kosten ist daher
abschliessend (AHI 2002 S. 74 f. Erw. 4a).

3.2 Die in Art. 11 und 12 ELKV aufgeführten Kosten von Erholungs- und
Badekuren werden nur vergütet, sofern sie ärztlich verordnet sind. Die
genannten Ausführungsbestimmungen stehen im Zusammenhang mit der Hilfe,
Pflege und Betreuung zu Hause sowie in Tagesstrukturen (vgl. Art. 3d Abs. 1
lit. b ELG) und finden daher die gesetzliche Grundlage im abschliessenden
Katalog der vergütungsfähigen Krankheits- und Behinderungskosten gemäss Art.
3d Abs. 1 ELG (AHI 2002 S. 75 Erw. 4d). Derartige Kosten sind im vorliegenden
Fall gerade nicht entstanden: Der Aufenthalt im Alterspflegeheim R.________
war weder ärztlich verordnet noch medizinisch als Erholungs- oder Badekur
begründet. Vielmehr fielen die zusätzlichen Kosten für die vorübergehende
Unterkunft im Alterspflegeheim R.________ einzig deshalb an, weil das ABA in
dieser Zeit wegen Betriebsferien geschlossen blieb, mithin aus betrieblichen,
nicht medizinischen Gründen.

3.3 Art. 3d Abs. 1 ELG bietet demnach keine gesetzliche Grundlage für die
Vergütung von Heimkosten als Krankheitskosten (vgl. Carigiet,
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
[SBVR], Soziale Sicherheit, S. 36, Fn 166). Es ist daher entgegen der Ansicht
der Beschwerdeführerin auch nicht möglich, die zusätzlich anfallenden Kosten
gestützt auf Art. 14 ELKV als solche für die Hilfe, Pflege und Betreuung von
Behinderten in Tagesstrukturen zu vergüten, da auch derartige Kosten
medizinisch begründet sein müssen und sich die genannte Bestimmung zudem
nicht auf Heimkosten (vgl. Art. 14 Abs. 3 lit. b ELKV) bezieht.

3.4 Etwas anderes lässt sich auch nicht aus Rz 4012 WEL (vom BSV
herausgegebene Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV in der
seit Januar 2000 gültigen Fassung) ableiten. Danach dürfen bei Heimbewohnern,
bei denen eine Rückkehr nach Hause noch möglich ist und deren Wohnung daher
noch beibehalten wird, als zusätzliche Ausgabe nebst den Heimkosten der
Mietzins und die damit zusammenhängenden Nebenkosten für eine Wohnung bis zu
einem Jahr vergütet werden. Diese Verwaltungsweisung bezieht sich
selbstredend nur auf Rentenbezüger, welche sich nicht dauernd, d.h. nicht
länger als ein Jahr (vgl. Rz 4013 WEL in der seit Januar 1998 gültigen
Fassung), in einem Heim aufhalten. Sie ist daher hier nicht anwendbar, da der
Beschwerdegegner dauernd auf eine Heimbetreuung angewiesen ist.

3.5 Nach dem Gesagten steht fest, dass die zusätzlichen Mehrkosten infolge
der betriebsferienbedingten Schliessung des ABA nicht als ungedeckte
Krankheits- und Behinderungskosten im Sinne von Art. 3d Abs. 1 ELG vergütet
werden können.

4.
Durch die Erhebung einer Reservations- oder Abwesenheitstaxe während den
Betriebsferien erhöhen sich die jährlichen Gesamtkosten, die dem
Beschwerdegegner in Rechnung gestellt werden. Gestützt auf Art. 3b Abs. 2
lit. a ELG kann bei Heimbewohnern die Tagestaxe vergütet werden. Wie das BSV
in seiner Vernehmlassung richtig festhält, könnte man sich fragen, ob die
Tagestaxe nicht um das Betreffnis für die Reservations- bzw. Abwesenheitstaxe
erhöht werden müsste, da den Betroffenen sonst ungedeckte Kosten anfallen.
Diese Frage kann indessen im vorliegenden Fall offen bleiben, da die
jährliche Ergänzungsleistung gemäss Art. 3a Abs. 3 ELG begrenzt ist und die
SVA dem Versicherten bereits die maximal mögliche jährliche
Ergänzungsleistung vergütete. Die Begrenzung auf einen gesetzlich definierten
Höchstbetrag zeigt, dass die EL-Regelung nicht für alle tatsächlich
anfallenden Auslagen eine Deckung vorsieht. Der Gesetzgeber schränkte den
Grundsatz im Sinne von Art. 3a Abs. 1 ELG, wonach sich die Höhe des
EL-Anspruchs aus der Differenz zwischen den anrechenbaren Einnahmen und den
anerkannten Ausgaben ergibt, unter anderem durch die Bestimmung von
Höchstgrenzen im Sinne der Absätze 2 und 3 des genannten Gesetzesartikel
ausdrücklich ein (vgl. Carigiet, a.a.O., S. 24 f. Rz 81). Wie sich aus Art.
191 BV ergibt, ist das Eidgenössische Versicherungsgericht an die bestehende
bundesgesetzliche Vorgabe gebunden. Da die von der SVA berechnete jährliche
Ergänzungsleistung bereits den gesetzlichen Höchstbetrag erreicht, besteht
kein Raum für die Anerkennung zusätzlicher Ausgaben.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden die Ziffern 2 und 4
des Entscheides des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14.
November 2002 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 13. Juni 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: