Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 11/2003
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P 11/03

Urteil vom 18. März 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und nebenamtlicher Richter Meyer B.;
Gerichtsschreiber Arnold

A.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Curdin Conrad,
Ilgenstrasse 7, 9201 Gossau SG,

gegen

Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, Ausgleichskasse, EL-Stelle, St.
Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld, Beschwerdegegner

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 21. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 21. August 2001 hob das Eidgenössische Versicherungsgericht
den Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 20. Juli
1999 und die Verfügungen des kantonalen Amtes für AHV und IV vom 14. Juli
1998 auf und wies die Sache an die EL-Stelle des Kantons Thurgau zurück,
damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den
Anspruch der A.________, geb. 1932, auf Ergänzungsleistung in den Jahren 1997
und 1998 neu verfüge. Nach ergänzenden sachverhaltlichen Erhebungen, worunter
die Bestätigung der kantonalen Arbeitslosenkasse vom 24. April 2002 und
verschiedene Kontoauszüge der Thurgauer Kantonalbank, verneinte die EL-Stelle
mit Verfügungen vom 19. Juli 2002 den Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab
dem 1. Januar 1997, dem 1. August 1997 sowie dem 1. Januar 1998 erneut wegen
eines Einnahmenüberschusses. Dabei ging sie namentlich von einem
Verzichtsvermögen von Fr. 57'000.- aus und berücksichtigte die entsprechenden
Erträge. Ferner rechnete sie dem Ehemann der Leistungsansprecherin,
B.________, ein hypothetisches Erwerbseinkommen von Fr. 38'875.- an.

B.
Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau wies die dagegen eingereichte
Beschwerde ab (Entscheid vom 21. Januar 2003).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ die Zusprechung von
monatlichen Ergänzungsleistungen von Fr. 1'981.15 vom 1. Januar bis 31.
Dezember 1997 sowie von Fr. 1'964.25 ab 1. Januar 1998 beantragen;
eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Die EL-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Anfechtungs-und Streitgegenstand bildet die Frage, ob und gegebenenfalls in
welchem Umfang die Beschwerdeführerin Anspruch auf Ergänzungsleistungen in
den Jahren 1997 und 1998 hat. Die hiefür einschlägigen materiellen und
prozessualen Rechtsgrundlagen, etwa die Judikatur zum Bedeutungsgehalt des
für den Sozialversicherungsprozess typischen Untersuchungsgrundsatzes (vgl.
auch BGE 125 V 500 Erw. 1), hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in
seinem auf Rückweisung lautenden Urteil vom 21. August 2001 dargelegt. Darauf
wird verwiesen.

2.
2.1 Verweist das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die
Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum
Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend
sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an die die
Sache zurückgewiesen wird, verbindlich (BGE 120 V 237 Erw. 1a, 117 V 241 Erw.
2a). Bezüglich der Bundesrechtspflege bestimmt das Gesetz dies für Zivil- und
Strafsachen ausdrücklich (Art. 66 OG, Art. 277ter BStP), doch gilt dieser
Grundsatz ebenfalls, wenn über eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit zu
befinden ist (BGE 117 V 241 Erw. 2a mit Hinweisen). Die genannten
Bestimmungen beruhen auf dem Gedanken, dass die betreffende Rechtsfrage für
den konkreten Streitfall als endgültig entschieden zu gelten hat, wie dies
bei einem letztinstanzlichen Endurteil der Fall ist. Wird der neue Entscheid
der unteren Instanz wiederum weitergezogen, so ist das Eidgenössische
Versicherungsgericht an die Erwägungen gebunden, mit denen es die Rückweisung
begründet hat (RKUV 1999 Nr. U 331 S. 126 ff. Erw. 2 mit Hinweisen, u.a. auf
BGE 117 V 241 Erw. 2a).

2.2 Ob Letzteres, d.h. die Selbstbindung des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts, stets Platz greift oder mit Blick auf BGE 125 V 416
Erw. 2c, wonach Teilaspekte des Streitgegenstandes in der Regel der
Rechtskraft nicht zugänglich sind, Ausnahmen gelten - etwa wenn ein
Tatbestandselement im Lichte ergänzender Abklärungen neu zu beurteilen ist
(vgl. zum Ganzen: Urteil M. vom 3. November 2003, I 5/03 mit Hinweisen) -,
braucht nicht abschliessend erörtert zu werden.

Die Annahme eines Verzichtstatbestandes im Zusammenhang mit dem Vertrag vom
4. März 1996 und die Anrechnung des Grundstücks Nr. ... mit einem Wert von
Fr. 57'000.- im Zeitpunkt des Verzichts (Art. 17a Abs. 2 ELV; BGE 113 V 195
Erw. 5c) gemäss Erw. 3c des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
vom 21. August 2001 werden von den Ergebnissen des im letztinstanzlichen
Urteil formulierten Abklärungsauftrages (vgl. nachstehende Erw. 3.1) in
keiner Weise tangiert. Soweit die Beschwerdeführerin den eben dargelegten
Verzichtstatbestand letztinstanzlich gleichwohl abermals beanstandet, ist ihr
entgegenzuhalten, dass kein Raum für eine erneute Prüfung dieser Frage
bleibt.

3.
3.1 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in Erw. 3 und -
zusammenfassend - in Erw. 4 des auf Rückweisung lautenden Urteils vom 21.
August 2001 den Auftrag an die EL-Stelle dahingehend umschrieben, dass, in
Nachachtung der Untersuchungsmaxime und unter Mitwirkung der
Beschwerdeführerin (ZAK 1989 S. 409 Erw. 3a), abzuklären sei, über welches
Barvermögen die Beschwerdeführerin am 1. Januar 1997, am 1. August 1997 sowie
am 1. Januar 1998 verfügt habe. In diesem Zusammenhang werde auch der Frage
nachzugehen sein, woher die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann bei den nach
den Akten bescheidenen finanziellen (Einkommens-)Verhältnissen die Mittel für
die Zahlung der monatlichen Raten von Fr. 1'500.- zwecks Tilgung der
Darlehensschuld genommen hätten. Ferner werde die EL-Stelle prüfen, wie es
sich mit den Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich der Arbeitslosigkeit
ihres Ehemannes bzw. der Ausschöpfung dessen Anspruchsberechtigung gegenüber
der Arbeitslosenversicherung verhalten würde. Alsdann habe sie die
Ergänzungsleistung neu zu berechnen und dabei das Grundstück Nr. ... zu einem
Wert von Fr. 57'000.- anzurechnen sowie die Darlehensschuld am 1. Januar 1997
mit Fr. 36'000.-, am 1. August 1997 mit Fr. 27'000.- und am 1. Januar 1998
mit Fr. 18'000.- zu bewerten.

3.2
3.2.1Laut Bestätigung der kantonalen Arbeitslosenkasse (vom 24. April 2002)
wurden B.________ in den vergangenen zehn Jahren keine Leistungen
zugesprochen, allfällige frühere Zahlungen könnten nicht mehr eruiert werden.
Daraus kann, entgegen der Auffassung der EL-Stelle, nicht geschlossen werden,
dass der Ehemann der Beschwerdeführerin auf Einkünfte verzichtet hat, indem
er sich offensichtlich vorzeitig pensionieren liess. Fest steht, dass die
Arbeitslosenkasse seit Anfang 1992 keine Leistungen ausgerichtet hat.
Nach wie vor unklar ist indes, ob, wie es die Beschwerdeführerin behauptet,
ihr Ehemann seit circa 1990 arbeitslos bzw. ausgesteuert ist. Erst wenn dies
erhoben ist, lässt sich beurteilen, ob der Ehemann auf Arbeitslosentaggelder
verzichtet hat bzw. unter welchen Umständen es zu einer vorzeitigen
Pensionierung kam. Als ergänzende Beweismittel in diesem Zusammenhang bieten
sich etwa das Einholen eines Berichtes bei der früheren Arbeitgeberin, der
Beizug eines Auszuges aus dem Individuellen Konto oder die Edition
schriftlicher Belege (beim Ehegatten der Beschwerdeführerin) über die
Auflösung des letzten Arbeitsverhältnisses und den Bezug von Leistungen der
Arbeitslosenversicherung vor dem Jahre 1992 an.

Sollte der Ehemann der Beschwerdeführerin tatsächlich, wie diese behauptet,
seit 1990 arbeitslos bzw. ausgesteuert sein, liesse sich der Verdacht des
Verzichts auf Arbeitslosengelder nicht bestätigen. Ferner wäre diesfalls auch
die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens unberechtigt: Ein seit langem
ausgesteuerter 61-jähriger Mann fand 1997 und 1998, als die Arbeitsmarktlage
noch relativ angespannt war, wohl kaum eine (auch bloss temporäre)
Arbeitsstelle (Urteil vom 21. August 2001, Erw. 3d am Ende).

3.2.2 Die von der EL-Stelle eingeholten Kontoauszüge per 1. Januar und 1.
August 1997 sowie 1. Januar 1998 geben keinen Aufschluss über den Verbleib
des am 1. Januar 1996 vorhandenen Sparguthabens (von Fr. 1'284.80) und der am
12. Juni 1996 ausbezahlten Freizügigkeitsleistung. Sie können deshalb,
entgegen der EL-Stelle, nicht ohne weiteres der Vermögensermittlung zu Grunde
gelegt werden. Auch auf die Bestätigung der Beschwerdeführerin vom 15. April
2002, wonach ihre Söhne für die Tilgung der Darlehensschuld vollumfänglich
aufgekommen seien, kann nicht abschliessend abgestellt werden. Es handelt
sich dabei um eine blosse Parteibehauptung. Die Verwaltung hat, nach Lage der
Akten, entgegen Erw. 3a des Urteils vom 21. August 2001, über die
grundsätzlich plausiblen Vorbringen betreffend Sparguthaben,
Freizügigkeitsleistung, Vorschussrückzahlung und Ratenzahlung keinen
rechtsgenüglichen Beweis geführt. Je nach Ergebnis dieser nachzuholenden
Abklärungen wird sich zeigen, ob am 1. Januar 1997 tatsächlich kein
Barvermögen mehr vorhanden war, allenfalls unter dem Titel Vermögensverzicht
eine Anrechnung angezeigt ist und woher die Mittel für die monatlichen Raten
von Fr. 1'500.- zwecks Tilgung der Darlehensschuld stammten.

3.3 Zusammengefasst hat die EL-Stelle, an welche die Sache erneut
zurückgewiesen wird, in Nachachtung des Urteils des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 21. August 2001 rechtsgenüglich abzuklären, wie es
sich mit den Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich Arbeitslosigkeit
ihres Ehemannes bzw. der Ausschöpfung der Anspruchsberechtigung auf
Arbeitslosentaggelder verhält, und über welches Barvermögen die
Beschwerdeführerin am 1. Januar 1997, 1. August 1997 und 1. Januar 1998
verfügte. Danach wird sie über den Anspruch auf Ergänzungsleistungen neu
verfügen.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der Beschwerdeführerin steht eine
dem Aufwand entsprechende Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden  der
Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 21. Januar 2003
und die Verfügungen vom 19. Juli 2002 aufgehoben, und es wird die Sache an
die EL-Stelle des Kantons Thurgau zurückgewiesen, damit diese, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Ergänzungsleistung
neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die EL-Stelle des Kantons Thurgau hat der Beschwerdeführerin für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 18. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: