Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 7/2003
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K 7/03

Urteil vom 12. August 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber
Flückiger

D.________, 1977, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Michael
Weissberg, Zentralstrasse 47, 2502 Biel/Bienne,

gegen

Wincare Versicherungen, Rechtsdienst, Konradstrasse 14, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 29. November 2002)

Sachverhalt:

A.
D. ________ wurde 1977 mit einer Spina bifida geboren. Er ist bei der Wincare
Versicherungen obligatorisch krankenpflegeversichert.

Mit Schreiben vom 30. Juni 1997 lehnte es die Wincare ab, die Kosten eines
Konsiliums sowie einer eventuellen Operation durch Prof. S.________, Klinik
G.________/D, zur Behandlung der Spina bifida zu übernehmen. Zur Begründung
erklärte der Versicherer, die obligatorische Krankenpflegeversicherung decke
die Kosten von Behandlungen im Ausland nur dann, wenn sie in Notfällen bei
einem Auslandaufenthalt erbracht werden müssten.

Nachdem die fragliche Operation (Myelolyse und Celenresektion) im Februar
1998 in W.________/D vorgenommen worden war, lehnte es die Wincare mit
Verfügung vom 22. Dezember 2000 ab, die entstandenen Kosten zu übernehmen.
Daran hielt der Versicherer auf Einsprache hin mit Entscheid vom 27. Februar
2001 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 29. November 2002).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt D.________ das Rechtsbegehren
stellen, es sei festzustellen, dass er Anspruch auf Vergütung der
Operationskosten habe.

Die Wincare schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier:
27. Februar 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Pflicht
des Versicherers, im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung die
Kosten im Ausland durchgeführter Behandlungen zu übernehmen (Art. 34 Abs. 2
KVG in Verbindung mit Art. 36 KVV), zutreffend dargelegt. Richtig ist
insbesondere, dass das Departement des Innern die in Art. 36 Abs. 1 KVV
vorgesehene Liste der Leistungen, deren Kosten durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung im Ausland übernommen werden, ohne dass der in Art.
36 Abs. 2 KVV geregelte Notfall gegeben wäre, bisher nicht erlassen hat, was
einer Vergütung der Kosten solcher Behandlungen allerdings nicht zum
Vornherein entgegen steht (BGE 128 V 75).

2.2 Eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip gemäss Art. 34 Abs. 2 KVG in
Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 KVV setzt den Nachweis voraus, dass entweder in
der Schweiz überhaupt keine Behandlungsmöglichkeit besteht oder aber im
Einzelfall eine innerstaatlich praktizierte diagnostische oder therapeutische
Massnahme im Vergleich zur auswärtigen Behandlungsalternative für die
betroffene Person erheblich höhere, wesentliche Risiken mit sich bringt und
damit eine mit Blick auf den angestrebten Heilungserfolg medizinisch
verantwortbare und in zumutbarer Weise durchführbare, mithin zweckmässige
Behandlung in der Schweiz konkret nicht gewährleistet ist. Bloss
geringfügige, schwer abschätzbare oder gar umstrittene Vorteile einer
auswärts praktizierten Behandlungsmethode, aber auch der Umstand, dass eine
spezialisierte Klinik im Ausland über mehr Erfahrung im betreffenden
Fachgebiet verfügt, vermögen für sich allein noch keinen medizinischen Grund
im Sinne von Art. 34 Abs. 2 KVG abzugeben (Urteile H. vom 23. Juni 2003, K
102/02, und K. vom 14. Oktober 2002, K 39/01; vgl. auch BGE 127 V 147 Erw. 5
[betreffend ausserkantonale Leistungen gemäss Art. 41 Abs. 2 KVG]).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer im Rahmen der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung Anspruch auf Übernahme der Kosten
der im Februar 1998 im Ausland durchgeführten Operation hat. Dies hängt nach
dem Gesagten davon ab, ob es möglich und zumutbar gewesen wäre, dieselbe
Operation in zweckmässiger Weise in der Schweiz vornehmen zu lassen.

3.1 Das kantonale Gericht hat zu Recht festgestellt, dass die Durchführung
der in W.________ vorgenommenen Operation am Spital Z.________ möglich
gewesen wäre. Dem Schreiben von Frau Dr. med. K.________, Oberärztin, vom 12.
Juli 2000 ist zu entnehmen, dass an der Neurochirurgischen Klinik dieses
Spitals pro Jahr ca. zehn Operationen aus diesem Spektrum vorgenommen würden.
Auf die spezielle Operationsmethodik bei Patienten mit lumbosakraler
Lipomeningomyelozele mit riesiger Celenkomponente, Arnold Chiari Typ I ohne
Shunt-Einlage bzw. ohne Posteriorfossa-Dekompression seien zwischen 1996 bis
Ende 1999 fünf Patienten entfallen. Es hätte somit die Möglichkeit bestanden,
den Eingriff in der Schweiz vornehmen zu lassen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung hatte dem Beschwerdeführer auf dessen Anfrage hin am 14.
April 1998 mitgeteilt, dass die fragliche Behandlung auch in der Schweiz
durchgeführt werden könne, und zwar am Spital Z.________ sowie am C.________.
Ebenso gelangte die Vorinstanz mit Recht zum Ergebnis, es bestünden keine
hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Operation im Spital
Z.________ mit erheblich höheren, wesentlichen Risiken verbunden gewesen wäre
als deren Durchführung in W.________.

3.2 Die in Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachten Argumente sind nicht
geeignet, die vorinstanzliche Beurteilung in Frage zu stellen. Zunächst geht
aus der Bestätigung von Frau Dr. med. K.________ vom 12. Juli 2000 hervor,
dass derartige Operationen ohne Shunt-Einlage durchgeführt wurden. Auch Prof.
B.________ führt in seiner Stellungnahme vom 30. August 2001 aus, eine
Shunt-Einlage (eine Druckentlastung in die Hirnventrikel durch künstliche
Ableitung in den Bauchraum) habe beim Beschwerdeführer nicht zur Diskussion
gestanden. Dieser habe keinen Hydrocephalus, weshalb eine Shunt-Einlage an
der Situation des Rückenmarks/der Nervenwurzeln absolut nichts geändert
hätte. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Operation im
Spital Z.________ - ebenso wie in W.________ - ohne Shunt-Einlage vorgenommen
worden wäre. Wohl geht aus den Schreiben des Prof. B.________ vom 13. Mai und
29. Oktober 1998 an das BSV sowie seiner Stellungnahme vom 30. August 2001
hervor, dass er die Klinik G.________ hinsichtlich der Vornahme der Operation
für geeigneter hält als das Spital Z.________. Er verweist dabei namentlich
darauf, dass es sich um einen sehr anspruchsvollen neurochirurgischen
Eingriff handle, welchen die hiesigen Ärzte nur selten vorzunehmen hätten.
Eine Behandlung in W.________ sei auf Grund der grösseren Erfahrung der
dortigen Ärzte vorzuziehen. Eine Unzumutbarkeit der Behandlung am Spital
Z.________ in dem Sinne, dass die Vornahme der Operation mit erheblich
höheren, wesentlichen Risiken verbunden gewesen wäre als in W.________, ist
damit jedoch nicht hinreichend dargetan. Der Umstand, dass die Klinik in
W.________ über mehr Erfahrung verfügt als die entsprechenden schweizerischen
Institute, genügt nach der Rechtsprechung (Erw. 1.2 hievor am Ende) nicht, um
die Operation zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im
Ausland vorzunehmen zu lassen.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 12. August 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: