Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 75/2003
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K 75/03

Urteil vom 10. Oktober 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

A.________, 1967, Beschwerdeführer, vertreten durch die Organisation
X.________,

gegen

Öffentliche Krankenkasse Graubünden, Schulstrasse 1, 7302 Landquart,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Schmid,
Hartbertstrasse 11, 7002 Chur

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

(Entscheid vom 6. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1967 geborene A.________ war bis 31. Januar 2002 über einen von der
Arbeitgeberin, der in Y.________ domizilierten Firma Q.________ SA,
abgeschlossenen Kollektivvertrag bei der Öffentlichen Krankenkasse Graubünden
(nachfolgend: ÖKK) krankentaggeldversichert. Nach Auflösung des
Arbeitsverhältnisses trat er mit Wirkung auf den 1. Februar 2002 in die
Einzeltaggeldversicherung der ÖKK über.
Nachdem der Hausarzt, Dr. med. T.________, Spezialarzt für Innere Medizin
FMH, A.________ zufolge Unterleibsschmerzen unbekannten Ursprungs und
mutmasslichem depressivem Zustand für die Zeit ab 27. September 2001 bis auf
weiteres eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte, richtete die ÖKK
Krankentaggelder aus. Nach Einholung eines Berichtes ihres Vertrauensarztes,
Dr. med. D.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 5. November 2001 wurden die
Leistungen per 15. Januar 2002 eingestellt. Daran hielt sie - Dr. med.
D.________ hatte in seiner weiteren Stellungnahme vom 15. April 2002 auch
nach Kenntnisnahme eines vom Versicherten beigebrachten Berichtes des Dr.
med. F.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, speziell Kinder und
Erwachsene, vom 11. Januar 2002 seinen Standpunkt einer uneingeschränkten
Arbeitsfähigkeit erneut bekräftigt - mit Verfügung vom 19. Juli 2002,
bestätigt durch den Einspracheentscheid vom 6. Januar 2003, fest.

B.
A.________ liess hiegegen Beschwerde führen mit dem Antrag, der
Einspracheentscheid sei aufzuheben und es seien ihm auch nach dem 14. Januar
2002 Krankentaggelder für eine vollständige Arbeitsunfähigkeit auszurichten.
Sein Begehren stützte er unter anderem auf einen neu eingeholten Bericht des
Dr. med. F.________ vom 23. Januar 2003. Das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden wies die Beschwerde mit Entscheid vom 6. Mai 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ das im kantonalen
Verfahren gestellte Rechtsbegehren erneuern. Er reicht einen weiteren Bericht
des Dr. med. F.________ vom 16. Juni 2003 zu den Akten.

Während das kantonale Gericht und die ÖKK auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen - Erstere soweit darauf einzutreten
sei -, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Die Vorinstanz hat richtig erkannt, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) nach den von der Rechtsprechung entwickelten
intertemporalrechtlichen Regeln (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) in
materiellrechtlicher Hinsicht auf den vorliegenden Sachverhalt nicht
anwendbar ist. Zutreffend wiedergegeben, weshalb auch darauf zu verweisen
ist, wurde ferner die Rechtsprechung zum Beweiswert und zur richterlichen
Beweiswürdigung von ärztlichen Berichten und Gutachten (BGE 122 V 160 Erw.
1c; vgl. auch BGE 125 V 352 ff. Erw. 3).

1.2  Gemäss Art. 72 Abs. 2 KVG entsteht der Taggeldanspruch, wenn die
versicherte Person mindestens zur Hälfte arbeitsunfähig ist. Die
Arbeitsunfähigkeit ist in der Regel gegeben, wenn eine Person ihre bisherige
Tätigkeit infolge des Gesundheitszustandes nicht mehr oder nur noch
beschränkt oder nur unter der Gefahr, ihren Gesundheitszustand zu
verschlimmern, auszuüben vermag (BGE 129 V 53 Erw. 1.1 mit Hinweisen).

2.
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer ab dem 15. Januar 2002 weiterhin
Anspruch auf Taggeldleistungen der ÖKK hat. Zur Beurteilung dieser Frage muss
zunächst überprüft werden, ob der medizinische Sachverhalt genügend abgeklärt
worden ist. Massgeblich sind dabei die Verhältnisse, wie sie sich bis zum
Datum des Einspacheentscheides vom 6. Januar 2003 darstellen (BGE 121 V 366
Erw. 1b mit Hinweisen).

3.
3.1 Der Hausarzt des Beschwerdeführers, Dr. med. T.________, hat diesen am
27. September 2001 wegen Unterleibsschmerzen unbekannten Ursprungs und
mutmasslichem depressivem Zustand bis auf weiteres arbeitsunfähig
geschrieben. Im Bericht vom 11. Januar 2002 attestierte Dr. med. F.________
dem Versicherten auf Grund einer Somatisierungsstörung und eines
delirierenden Erscheinens auf hypochondrischem Hintergrund ebenfalls eine
100%ige Arbeitsunfähigkeit. Diese Diagnose bestätigte der Psychiater auch in
seinen Berichten vom 23. Januar und 16. Juni 2003, wobei letzterer Aufschluss
über eine vom 26. Juni bis 24. September 2002 zunächst teilstationär, danach
ambulant und schliesslich stationär in der Klinik Z.________ durchgeführte
therapeutische Behandlung gibt. Weitere Unterlagen, die insbesondere Klarheit
darüber verschaffen würden, ob der Versicherte auf diese Behandlung
angesprochen hat, liegen keine vor. Der Vertrauensarzt der
Beschwerdegegnerin, Dr. med. D.________, welchem  sowohl die Diagnose wie
auch die Arbeitsfähigkeitsbeurteilung des Hausarztes bekannt waren, bejahte
nach Abschluss seiner Untersuchungen zwar das Vorliegen eines psychischen
Leidens, verneinte aber allfällige Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des
Beschwerdeführers in seiner angestammten Tätigkeit als Hilfsmagaziner
(Bericht vom 5. November 2001). In seiner Stellungnahme vom 15. April 2002
widerspricht er alsdann auch der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch Dr.
med. F.________, da die Beschwerden des Versicherten mittels einer
psychotherapeutisch-psychiatrischen Behandlung oder medikamentösen Therapie
behandelbar seien.

3.2  Nach dem Gesagten bestehen unter den involvierten Ärzten, namentlich
zwischen den Dres. med. T.________ und F.________ auf der einen und dem
Vertrauensarzt der ÖKK auf der anderen Seite, mit Bezug auf die
Arbeitsfähigkeit unterschiedliche Auffassungen. Ferner erwähnt der Psychiater
Dr. med. F.________ in seinem Bericht vom 23. Januar 2003 die vom
Vertrauensarzt der ÖKK am 15. April 2002 vorgeschlagenen
Behandlungsmassnahmen, unterlässt es jedoch, dazu Stellung zu nehmen und sich
insbesondere zu den Auswirkungen entsprechender Vorkehren auf den
Gesundheitszustand des Versicherten zu äussern. Des Weiteren führt er in
einem an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers adressierten Schreiben vom
16. Juni 2003 die von Juni bis September 2002 durchgeführte Behandlung in der
Klinik Z.________ an, sieht aber sowohl vom Beizug der entsprechenden
Klinikberichte als auch von der Wiedergabe deren Inhaltes ab, obgleich sich
daraus allenfalls wichtige Erkenntnisse hinsichtlich des Beschwerdebildes des
Versicherten ergeben hätten. Zu beanstanden ist sodann, dass es sich, obwohl
der Beschwerdeführer unbestrittenermassen an einer psychischen Erkrankung
leidet, bei Dr. med. D.________ um einen Allgemeinpraktiker und nicht um
einen psychiatrischen Fachexperten handelt, zumal in dessen Berichten fast
gänzlich Ausführungen zum psychischen Aspekt des Leidens des Versicherten
fehlen. Weder die Aussagen des Dr. med. F.________ noch - entgegen der
Betrachtungsweise der Vorinstanz - die Angaben des Vertrauensarztes erfüllen
somit die Kriterien, welche rechtsprechungsgemäss für beweiskräftige
ärztliche Eintscheidungsgrundlagen gelten (vgl. BGE 125 V 352 ff. Erw. 3),
weshalb darauf nicht ohne weiteres abgestellt werden kann. Ob lediglich eine
einzige Konsultation bei Dr. med. F.________ stattgefunden hat - wie in der
letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung der ÖKK vom 4. August 2003
angedeutet wird - mit der Konsequenz, dass dessen Berichte mangels einer
vergleichbaren Vertrauensstellung nicht in gleicher Weise zu würdigen wären
wie diejenigen eines Hausarztes (BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc mit Hinweisen),
kann demnach offen bleiben.
Auf Grund des dürftig abgeklärten medizinischen Sachverhaltes ist im
vorliegenden Fall folglich keine eindeutige Aussage zur Arbeitsfähigkeit des
Beschwerdeführers im relevanten Prüfungszeitraum (vgl. Erw. 2 in fine)
möglich. Namentlich zwischen der Verfügung vom 19. Juli 2002 und dem
Einspracheentscheid der ÖKK vom 6. Januar 2003 liegt eine beträchtliche
Zeitdauer, in welcher vom Krankenversicherer keine weiteren medizinischen
Abklärungen mehr getätigt worden sind. In diese Zeitspanne fällt insbesondere
auch der Aufenthalt in der Klinik Z.________ vom 26. Juni bis zum 24.
September 2002, der in die Entscheidfindung betreffend Krankentaggeldleistung
hätte miteinbezogen werden müssen. Es ist anzunehmen, dass der
Beschwerdeführer während dieses Klinikaufenthalts arbeitsunfähig war und
womöglich auch eine Krankmeldung erfolgte. Als möglicher Grund für die
fehlenden Akten kommt der Umstand in Betracht, dass der Versicherte
allenfalls bei einem anderen Versicherer als der ÖKK krankenpflegeversichert
ist. Selbst in diesem Fall wäre es der ÖKK jedoch zumutbar und möglich
gewesen, die entsprechenden Akten, die für eine umfassende Beurteilung des
Falles unentbehrlich erscheinen, bei der betreffenden Versicherung
einzuverlangen (vgl. Art. 82 KVG in Verbindung mit Art. 120 KVV; ab 1. Januar
2003: Art. 32 Abs. 1 und 2 ATSG). Die Beschwerdegegnerin, an welche die Sache
deshalb zurückzuweisen ist, wird die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen
haben.

4.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang
entsprechend hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung
(Art. 159 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 135 OG; Urteil C. vom 4. Mai
2000, P 64/99, Erw. 4).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 6. Mai 2003
sowie der Einspracheentscheid vom 6. Januar 2003 aufgehoben werden und die
Sache an die Öffentliche Krankenkasse Graubünden zurückgewiesen wird, damit
diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den
Taggeldanspruch des Beschwerdeführers über den 14. Januar 2002 hinaus erneut
befinde.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Öffentliche Krankenkasse Graubünden hat dem Beschwerdeführer für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 1200.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 10. Oktober 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: