Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 69/2003
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K 69/03

Urteil vom 5. Dezember 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Fessler

H.________, 1920, Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Sohn W.________,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8003
Zürich, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 29. April 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1920 geborene, im Kanton Glarus wohnhafte H.________ ist bei der Helsana
Versicherungen AG obligatorisch krankenpflegeversichert. Mit Verfügung vom 2.
Juli 2001 lehnte die Helsana die Übernahme der Kosten der Präparate
Burgerstein Geriatrikum, Basenpulver und Anabol Logos gemäss Rechnungen des
Naturarztes und Heilpraktikers E.________ vom 20. September 2000, 7. März und
11. Mai 2001 aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ab. Daran
hielt der Krankenversicherer mit Einspracheentscheid vom 12. Dezember 2001
fest.

B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde von H.________ hob das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 12.
Dezember 2001 insoweit auf, «als damit eine Leistungspflicht vor Ende Mai
2001 verweigert wird», und verpflichtete die Helsana, «die Kosten für die
Präparate Burgerstein Geriatrikum, Basenpulver und Anabol Logos in dem Umfang
bis Ende Mai 2001 zu übernehmen, in dem sie früher Leistungen dafür erbracht
hat». Im Übrigen wies es das Rechtsmittel ab (Entscheid vom 29. April 2003).

C.
H.________ lässt durch ihren Sohn W.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen mit den sinngemässen Rechtsbegehren, in Aufhebung von
Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid sei die Helsana zu verpflichten,
die Präparate Burgerstein Geriatrikum, Basenpulver und Anabol Logos ab 1.
Juni 2001 sowie das von einem nicht EMR-registrierten Naturarzt abgegebene
Präparat Nerven Dragées von Fr. 39.60 zu bezahlen; im Weitern seien die vom
Kanton Appenzell Ausserrhoden unter der Registrierung von Heilmitteln
(AR-Nummer) zugelassenen Präparate mit den IKS-registrierten Präparaten
gleichzustellen und kassenpflichtig zu erklären.
Die Helsana beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung reicht keine Vernehmlassung ein.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Während der Rechtshängigkeit der Beschwerde gegen den Einspracheentscheid
der Helsana vom 12. Dezember 2001 ist am 1. Januar 2003 das Bundesgesetz vom
6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
(ATSG) in Kraft getreten. Mit diesem Erlass ist u.a. die örtliche
Zuständigkeit zur erstinstanzlichen gerichtlichen Beurteilung von
Streitigkeiten zwischen Versicherern und Versicherten über die
Kostenübernahme im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für
Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihren Folgen
dienen (Art. 25 Abs. 1 KVG), neu geordnet worden. Nach dem auf Ende 2002
aufgehobenen Art. 86 Abs. 3 erster Satz KVG bestand ein alternativer
Gerichtsstand am Wohnsitz der versicherten Person oder am Sitz des
Versicherers zur Zeit der Beschwerdeerhebung. Laut dem seit 1. Januar 2003 in
Kraft stehenden Art. 58 Abs. 1 ATSG (in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 KVG) ist
für die Beurteilung von Beschwerden gegen Einspracheentscheide (oder
Verfügungen, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist) das
Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig, in welchem die versicherte
Person (oder der Beschwerde führende Dritte) zur Zeit der Beschwerdeerhebung
Wohnsitz hat.

1.2 Die am Recht stehende Versicherte hatte bei Einreichung der Beschwerde
Wohnsitz im Kanton Glarus. Dort wohnt sie heute noch. Sitz der Helsana war
und ist Zürich. Im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung war somit nach dem damals
geltenden alt Art. 86 Abs. 3 KVG die Zuständigkeit des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich zur Beurteilung der
Streitsache gegeben. Ab 1. Januar 2003 war dies indessen nicht mehr der Fall.
Die Zuständigkeit lag an sich beim Verwaltungsgericht des Kantons Glarus.

1.3 Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf den Grundsatz des intertemporalen
Prozessrechts, wonach die einmal begründete Zuständigkeit eines Gerichts
fortbesteht (perpetuatio fori; vgl. BGE 124 V 132 Erw. 3b), von einer
Überweisung der Streitsache an das Glarner Verwaltungsgericht abgesehen und
die Beschwerde materiell behandelt.

1.3.1 Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften vorbehältlich
anders lautender Übergangsbestimmungen in der Regel mit dem Tag des
In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfange anwendbar (BGE 129 V 115 Erw.
2.2 mit Hinweisen). Dieser intertemporalrechtliche Grundsatz kommt dort nicht
zur Anwendung, wo die Streitsache vor In-Kraft-Treten des neuen Rechts der
(damals zuständigen) Gerichtsinstanz zum Entscheid unterbreitet wurde. Das
betrifft namentlich die örtliche Zuständigkeit. Es gilt die prozessuale Regel
der perpetuatio fori. Danach bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach
dem Zeitpunkt der formgültigen Anhängigmachung der Streitsache (zur
Publikation in BGE 130 V vorgesehenes Urteil D. vom 23. Oktober 2003 [I
387/03] Erw. 3.2).
1.3.2 Der Allgemeine Teil des Sozialversicherungsrechts enthält nur eine
übergangsrechtliche Norm formeller Natur. Nach Art. 82 Abs. 2 ATSG haben die
Kantone ihre Bestimmungen über die Rechtspflege diesem Gesetz innerhalb von
fünf Jahren nach seinem In-Kraft-Treten anzupassen; bis dahin gelten die
bisherigen kantonalen Vorschriften (BGE 129 V 115 Erw. 2.2). Zur örtlichen
Zuständigkeit für die erstinstanzliche gerichtliche Beurteilung von
Streitigkeiten zwischen Versicherern und Versicherten über die
Kostenübernahme im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für
Leistungen nach Art. 25 ff. KVG gibt es keine Übergangsbestimmung. Es kommen
somit die vorstehenden allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätze zur
Anwendung. Danach hat die Vorinstanz zu Recht ihre örtliche Zuständigkeit
bejaht und die von der Helsana verweigerte Übernahme der Kosten von
bestimmten Präparaten im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
materiell beurteilt.

2.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nicht eingetreten werden, soweit
die Vergütung der Kosten des Präparates Nerven Dragées durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung beantragt wird. Es fehlt an einem
Anfechtungsgegenstand (Einspracheentscheid) und damit an einer
Sachurteilsvoraussetzung (BGE 125 V 414 Erw. 1a).
Ebenfalls kann nicht auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingetreten
werden, soweit verlangt wird, die vom Kanton Appenzell Ausserrhoden unter der
Registrierung von Heilmitteln (AR-Nummer) zugelassenen Präparate seien mit
den IKS-registrierten Präparaten gleichzustellen und kassenpflichtig zu
erklären. Dieses Begehren ist unzulässig. Bedingungen für die Aufnahme von
Präparaten in die Arzneimittelliste mit Tarif (ALT) oder in die
Spezialitätenliste (SL) festzulegen, ist im Rahmen von Gesetz (KVG) und
Verordnungen (KVV und KLV) Sache der hiefür zuständigen Verwaltungsbehörden
(Eidgenössisches Departement des Innern und Bundesamt für Sozialversicherung;
vgl. nachstehende Erw. 4.2).

3.
Mit dem ATSG sind zahlreiche materielle Bestimmungen im Bereich der sozialen
Krankenversicherung geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung
des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw.
1), und weil ferner nach dem Einspracheentscheid vom 12. Dezember 2001
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen unberücksichtigt zu bleiben
haben (BGE 121 V 366 Erw. 1b, 116 V 248 Erw. 1a), sind im vorliegenden Fall
die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Vorschriften anwendbar (BGE 129 V 4
Erw. 1.2).

4.
4.1 Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt die Kosten für die
Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen
dienen (Art. 25 Abs. 1 KVG). Die Leistungen umfassen u.a. die ärztlich oder
unter den vom Bundesrat bestimmten Voraussetzungen von Chiropraktoren oder
Chiropraktorinnen verordneten Arzneimittel (Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG).
Die Leistungen nach Art. 25 müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich
sein. Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein
(Art. 32 Abs. 1 KVG).

4.2 Nach Anhören der zuständigen Kommissionen und unter Berücksichtigung der
Grundsätze nach den Art. 32 Abs. 1 und 43 Abs. 6 erlässt das Departement u.a.
eine Liste der in der Rezeptur verwendeten Präparate, Wirk- und Hilfsstoffe
mit Tarif und erstellt das Bundesamt eine Liste der pharmazeutischen
Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel mit Preisen
(Spezialitätenliste; Art. 52 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 und lit. b je erster
Halbsatz KVG).

4.2.1 Der Bundesrat hat in den Art. 64 ff. KVV, das Departement gestützt auf
Art. 65 Abs. 3 und Art. 75 KVV in den Art. 30 ff. KLV formelle und materielle
Ausführungsbestimmungen im Zusammenhang mit der Spezialitätenliste erlassen.
Zu erwähnen ist hier Art. 65 Abs. 1 KVV. Danach setzt die Aufnahme eines
Arzneimittels in die Spezialitätenliste die Registrierung oder ein Attest der
zuständigen schweizerischen Prüfstelle (bis 31. Dezember 2001: Interkantonale
Kontrollstelle für Heilmittel [IKS]) resp. seit 1. Januar 2002 die Zulassung
des Schweizerischen Heilmittelinstituts (Swissmedic) voraus (vgl. BGE 129 V
45 Erw. 6.2.1). Dabei handelt es sich indessen lediglich um eine notwendige,
nicht aber hinreichende Aufnahmebedingung.
Nach Art. 63 Abs. 2 KVV finden für die Aufnahme eines Arzneimittels in die
Arzneimittelliste mit Tarif (ALT) die Bestimmungen über die
Spezialitätenliste sinngemäss Anwendung.

4.2.2 Die Spezialitätenliste hat im Unterschied zum Katalog in Anhang 1 der
Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV), erlassen vom Eidgenössischen
Departement des Innern gestützt auf Art. 33 Abs. 5 KVG sowie Art. 33 KVV und
Art. 1 KLV, gleichzeitig abschliessenden und verbindlichen Charakter. Die
Kosten von nicht in der Liste aufgeführten pharmazeutischen Spezialitäten und
konfektionierten Arzneimitteln können daher grundsätzlich nicht durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung vergütet werden (Urteil W. vom 1.
September 2003 [K 63/02] Erw. 3.1 und 3.2). Das Gleiche gilt für die
Arzneimittelliste mit Tarif (vgl. RKUV 2002 Nr. KV 196 S. 9 Erw. 3b/cc).

5.
5.1 Die Präparate Burgerstein Geriatrikum, Basenpulver und Anabol Logos sind
weder auf der Arzneimittelliste mit Tarif noch auf der Spezialitätenliste
aufgeführt. Nach Gesetz und Rechtsprechung besteht somit grundsätzlich kein
Anspruch auf Übernahme deren Kosten durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung. Die Vorinstanz hat daher zu Recht mit dieser
Begründung die Pflicht der Helsana zur Vergütung der Kosten der Präparate
Burgerstein Geriatrikum, Basenpulver und Anabol Logos ab 1. Juni 2001
verneint. Die nicht streitige Verpflichtung des Krankenversicherers unter dem
Titel Treu und Glauben zur Kostenübernahme bis Ende Mai 2001 in dem Umfang,
in dem er früher Leistungen dafür erbracht hat, ist im Übrigen nicht zu
beanstanden.

5.2 Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geben zu keiner
anderen Beurteilung Anlass. Dass die kombinierte Anwendung der fraglichen
Präparate den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin verbessert und ihre
Mobilität gesteigert hat, spricht zwar für deren Wirksamkeit. Ebenfalls lässt
die offenbar gute Verträglichkeit den Einsatz dieser Naturheilprodukte als
zweckmässig erscheinen (vgl. BGE 127 V 146 Erw. 5). Das allein genügt
indessen nicht, um allenfalls ausnahmsweise vom Erfordernis, in einer der
beiden Listen (ALT oder SL) aufgeführt zu sein, abzusehen und die
Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung zu
bejahen. Das muss jedenfalls solange gelten, als nicht feststeht, dass es
kein oder keine Präparate auf der Arzneimittelliste mit Tarif oder auf der
Spezialitätenliste gibt, die eine wirksame und zweckmässige Behandlung des
Leidens ermöglichen. Dass es keine solchen Arzneimittel gibt, wird nicht
geltend gemacht und ist für dieses Verfahren nicht anzunehmen. Unter diesen
Umständen hilft schliesslich auch das Argument nicht, dank der gezielten
Kombinationstherapie mit Burgerstein Geriatrikum, Basenpulver und Anabol
Logos habe die vor vier Jahren vom Hausarzt als notwendig erachtete
Einweisung in ein Pflegeheim vermieden werden können. Schliesslich kann auch
nicht davon gesprochen werden, die Nichtweiterbezahlung der Rechnungen für
die fraglichen Präparate ab 1. Juni 2001 verstosse gegen Treu und Glauben. Es
wird auf die vorinstanzlichen Erwägungen zu diesem Punkt verwiesen.

5.3 Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 5. Dezember 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: