Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 35/2003
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K 35/03

Urteil vom 7. Juli 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

B.________, 1944, Beschwerdeführer,

gegen

SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8401
Winterthur, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 22. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1944 geborene B.________ ist bei der SWICA Gesundheitsorganisation
(nachfolgend SWICA) krankenversichert. Er leidet gemäss Bericht der
Elektromyographie-Station der Neurologischen Klinik und Poliklinik des
Spitals X.________ vom 29. Juli 1986 an einer neuralen Muskelatrophie
Charcot-Marie-Tooth. In der Zeit von Februar bis Mai 2001 liess sich
B.________ auf Empfehlung des Dr. med. A.________, FMH Akupunktur/TCM, bei
Dr. med. dent. W.________ diverse Amalgamfüllungen durch provisorische
Glasionomerzementfüllungen ersetzen. Diese Behandlung wurde am 12. Juni 2001
mit Fr. 1'061.75 in Rechnung gestellt. Unter Beilage eines Berichts des Dr.
med. A.________ vom 25. November 2001 ersuchte B.________ die SWICA am 16.
März 2002 um Übernahme der Kosten für die Amalgamsanierung (provisorische und
definitive Füllungen). Nach Beizug des Vertrauensarztes Dr. med. K.________
richtete die SWICA im Mai 2002 im Sinne einer freiwilligen Leistung aus der
Zusatzversicherung COMPLETA TOP pro sanierten Zahn Fr. 50.-, insgesamt Fr.
600.- aus, verneinte aber mit Verfügung vom 21. Juni 2002 eine
Leistungspflicht an die Amalgamsanierung aus der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung. An ihrem Standpunkt hielt die Krankenkasse mit
Einspracheentscheid vom 5. August 2002 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 22. Januar 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt B.________ die Ausrichtung von
Leistungen an die Amalgamsanierung aus der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung.

Die SWICA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Übernahme der
Kosten für zahnärztliche Behandlungen durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG
i.V.m. Art. 33 lit. d KVV, Art. 17 bis 19a KLV) zutreffend dargelegt. Richtig
ist insbesondere, dass gemäss ständiger Rechtsprechung die in Art. 17 bis 19a
KLV erwähnten Erkrankungen, deren zahnärztliche Behandlung von der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen ist, abschliessend
aufgezählt sind (BGE 128 V 137 Erw. 2c mit Hinweisen). Zu ergänzen ist, dass
die gemäss Rechtsprechung im Vordergrund stehenden Kriterien für die
Abgrenzung zwischen ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung der Ansatzpunkt
und die therapeutische Zielsetzung der Behandlung sind (BGE 128 V 145 Erw. 4
mit Hinweisen).
Darauf hinzuweisen ist schliesslich, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Einspracheentscheids (hier 5. August 2002) eingetretene Rechts-
und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Aus den Akten ersichtlich und unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer an
einer neuralen Muskelatrophie Charcot-Marie-Tooth leidet. Streitig und zu
prüfen ist, ob die Kosten der deswegen empfohlenen und durchgeführten
Amalgamsanierung von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu
übernehmen sind.

3.
3.1 Das Gesuch um Kostenübernahme begründete der Versicherte damit, dass die
Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung als Auslöser wahrscheinlich toxische oder
infektiöse Agentien habe, weshalb ihm Dr. med. A.________ eine
Amalgamsanierung empfohlen habe.

3.2 Die Krankenkasse verneinte von vornherein eine Leistungspflicht gestützt
auf das Krankenversicherungsgesetz, da das Leiden des Versicherten in der
abschliessenden Aufzählung der zu zahnärztlichen Behandlungen Anlass gebenden
Krankheiten in Art. 17 bis 19 KLV nicht aufgeführt sei. Einen
Leistungsanspruch aus Art. 19a Abs. 2 Ziff. 35 KLV lehnte sie sodann wegen
ungenügender gesetzlicher Grundlage der Bestimmung von Art. 19a KLV ab. Zudem
habe die Versicherung gemäss dieser Bestimmung nur die Kosten derjenigen
zahnärztlichen Behandlungen zu übernehmen, die durch ein Geburtsgebrechen
bedingt seien. Dieser direkte Zusammenhang zwischen Geburtsgebrechen und
zahnärztlicher Behandlung sei vorliegend nicht gegeben.

3.3 Die Vorinstanz verneint zunächst ebenfalls eine Leistungspflicht gestützt
auf Art. 17 bis 19 KLV, da weder die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit noch eine
Amalgamintoxikation in den abschliessenden Aufzählungen erwähnt sei. Sie
qualifiziert sodann die Erkrankung des Beschwerdeführers als Geburtsgebrechen
im Sinne des Art. 19a Abs. 2 Ziff. 35 KLV (Heredo-degenerative Erkrankungen
des Nervensystems), verneint indessen das Vorliegen einer Pflichtleistung für
eine zahnärztliche Behandlung, da diese nicht durch das Geburtsgebrechen
verursacht (bedingt) sei.

3.4 Nachdem der Versicherte ursprünglich um Übernahme der Kosten für die
zahnärztliche Behandlung im Rahmen der Amalgamsanierung ersucht hatte, führt
er in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nun aus, im Vordergrund stehe die
ärztliche Behandlung der schweren Allgemeinerkrankung. Er stellt daher den
Antrag, die Kosten der Amalgamsanierung seien in Anwendung von Art. 25 KVG
i.V.m. mit Art. 32 Abs. 1 KVG als Leistung an die Behandlung aufgrund der
Heredo-degenerativen Erkrankung des Nervensystems zu übernehmen.

4.
4.1 Für die Beurteilung der vorliegend streitigen Leistungspflicht aus der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung ist mit der Krankenkasse zunächst
festzustellen, dass die Amalgamsanierung eine zahnärztliche Leistung
darstellt, setzt sie doch einerseits am Kausystem an und liegt die
unmittelbare therapeutische Zielsetzung darin, die Amalgamplomben zu
entfernen und durch andere Materialien zu ersetzen. Für die Leistungspflicht
ist daher allein Art. 31 Abs. 1 KVG massgebend, wobei darauf hinzuweisen ist,
dass bei der Schaffung des per 1. Januar 1996 in Kraft getretenen neuen
Rechts am Grundsatz, wonach die Kosten für zahnärztliche Behandlungen nicht
der Krankenversicherung zu überbinden sind, nichts geändert worden ist (BGE
125 V 282 Erw. 6 mit Hinweisen).

4.2 Art. 17 und 18 KLV regeln gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a und b KVG
die Übernahme der Kosten für die zahnärztliche Behandlung durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung für den Fall, dass diese entweder
durch eine schwere nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems oder durch
eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt ist. Art. 19 KLV
sodann umfasst gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG die Übernahme der
Kosten der zahnärztlichen Behandlung, die zur Behandlung einer schweren
Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist. Wie die Vorinstanz zu
Recht festgestellt hat, ist eine Leistungspflicht der Krankenkasse gestützt
auf diese Bestimmungen zu verneinen, da das Leiden des Versicherten - die
Charcot-Marie-Tooth-Krankheit und die Amalgamintoxikation - bei den
abschliessend aufgelisteten Erkrankungen nicht erwähnt ist.

4.3 Krankenkasse und Vorinstanz haben sodann die Leistungspflicht gestützt
auf Art. 19a KLV geprüft. Gemäss dieser Bestimmung übernimmt die Versicherung
die Kosten der zahnärztlichen Behandlungen, die durch ein Geburtsgebrechen
nach Abs. 2 bedingt sind, wobei deren Aufzählung ebenfalls abschliessend ist.
Was die von der Krankenkasse angesprochene ungenügende gesetzliche Grundlage
von Art. 19a KLV anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass die Auflistung der
Geburtsgebrechen in Art. 19a Abs. 2 KLV keinerlei Einschränkung gegenüber der
Aufzählung im Anhang zur Verordnung über Geburtsgebrechen enthält. Die Hürde
in der Krankenpflegeleistungsverordnung ist mit andern Worten gleich niedrig
wie im Anhang zur Verordnung über Geburtsgebrechen, dies ungeachtet der mit
Art. 31 KVG für zahnärztliche Behandlungen bewusst erhöhten Voraussetzungen.
Der Bundesrat oder das Departement haben nach Art. 33 Abs. 2 bzw. 5 KVG
indessen lediglich die Befugnis, solche zahnärztlichen Behandlungen als Folge
von Geburtsgebrechen leistungspflichtig zu erklären, welche die Voraussetzung
von Art. 31 Abs. 1 KVG erfüllen (BGE 129 V 80 mit Hinweisen). Ob bei der
Charcot-Marie-Tooth-Krankheit als Heredo-degenerativer Erkrankung des
Nervensystems gemäss Art. 19a Abs. 2 Ziff. 35 KLV die Voraussetzungen von
Art. 31 Abs. 1 KVG erfüllt sind, braucht vorliegend jedoch nicht weiter
geprüft zu werden, da eine Leistungspflicht auch bei Bejahung dieser Frage
nur gegeben wäre, wenn die Amalgamsanierung durch das Geburtsgebrechen
bedingt bzw. verursacht worden wäre (vgl. Gebhard Eugster,
Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR],
Soziale Sicherheit, Rz 159 mit Fn 339). Diese Frage ist mit Krankenkasse und
Vorinstanz zu verneinen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 7. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin:

i.V.