Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 2/2003
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K 2/03

Urteil vom 27. August 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und nebenamtlicher Richter
Maeschi; Gerichtsschreiber Grunder

M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Peter von Moos,
Kasernenplatz 2, 6003 Luzern,

gegen

Groupe Mutuel Assurances Service juridique, Rue du Nord 5, 1920 Martigny,
Beschwerdegegnerin,

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 4. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 15. Januar 2002 sprach die IV-Stelle Luzern M.________ ab
1. Mai 2000 bis 30. Juni 2001 eine ganze und vom 1. Juli bis 30. Oktober 2001
eine halbe Invalidenrente zu. Dabei ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von Fr.
21'312.-, welchen die IV-Stelle mit einer Forderung der Groupe Mutuel
Assurances (im Folgenden: Mutuel) von Fr. 19'200.20 und einer solchen der
Ausgleichskasse S._________ von Fr. 89.90 verrechnete, womit ein an den
Versicherten zu bezahlendes Betreffnis von Fr. 2'022.- verblieb. M.________
reichte gegen diese Verfügung Beschwerde ein mit dem Rechtsbegehren, es sei
ihm ab 1. Juli bis 31. Oktober 2001 eine ganze Rente zuzusprechen. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die Beschwerde ab und stellte im
Sinne einer reformatio in peius fest, es bestehe ab 1. Mai 2000 bis 30. Juni
2001 lediglich Anspruch auf eine halbe Rente (Entscheid vom 5. August 2002).
Dieser Entscheid wurde mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Eidgenössische Versicherungsgericht weitergezogen (I 597/02).

B.
Am 24. Januar 2002 erhob M.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern Beschwerde gegen die Mutuel und beantragte, die Verfügung der
IV-Stelle Luzern vom 15. Januar 2002 sei hinsichtlich der Verrechnung bzw.
der Rückforderung von Taggeldern des Krankenversicherers im Betrag von Fr.
19'200.20 aufzuheben und es sei die Ausgleichskasse C.________ anzuweisen,
den geltend gemachten Betrag auszuzahlen.

Mit Entscheid vom 4. Dezember 2002 trat das kantonale Gericht auf die
Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung nicht ein, dass es bezüglich
Bestand und Höhe der Rückerstattungsforderung an einer anfechtbaren Verfügung
fehle.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ beantragen, in Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache zur Neubeurteilung
zurückzuweisen und es sei festzustellen, dass das kantonale Gericht auf die
Beschwerde vom 24. Januar 2002 einzutreten habe. Gleichzeitig ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Die Mutuel und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung. Die zur Stellungnahme beigeladene IV-Stelle Luzern schliesst
sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist einzig die prozessuale Frage, ob das kantonale
Gericht auf die Beschwerde vom 24. Januar 2002 zu Recht nicht eingetreten
ist. Nicht zu beurteilen sind die mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erhobenen materiellen Einwendungen.

2.
2.1 Anfechtungsgegenstand im vorinstanzlichen Verfahren bildete die Verfügung
der IV-Stelle vom 15. Januar 2002, mit welcher dem Beschwerdeführer
rückwirkend eine Invalidenrente zugesprochen und eine teilweise Verrechnung
des Nachzahlungsbetrages mit einer Rückforderung des Krankenversicherers
angezeigt wurde. Die Verrechnung (Art. 50 Abs. 2 IVG i.V.m. Art. 20 Abs. 2
lit. c AHVG) setzt voraus, dass eine zu einer Leistungskürzung nach Art. 122
KVV Anlass gebende Überentschädigung besteht, was sich nach den Regeln des
Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) bestimmt. Weil gemäss KVG
eine subsidiäre Leistungspflicht des Krankenversicherers bis zur
Überentschädigungsgrenze besteht, ist es dessen Sache, die Leistungen im
Falle von Überentschädigungen zu kürzen (vgl. Eugster, Krankenversicherung,
in: SVBR/Soziale Sicherheit, S. 216 Rz 393). Einwendungen gegen
Leistungskürzungen wegen Überentschädigung sind daher im Verfahren der
Krankenversicherung vorzubringen, selbst wenn die aus einer Kürzung
resultierende Rückforderung mit nachzuzahlenden Leistungen eines anderen
Sozialversicherers verrechnet wird. Dementsprechend hätte der
Beschwerdeführer allfällige Einwendungen gegen die Leistungskürzung beim
Krankenversicherer vorbringen und erforderlichenfalls eine schriftliche
Verfügung verlangen müssen (Art. 80 Abs. 1 KVG).

2.2 Die Mutuel hat dem Beschwerdeführer bereits am 19. Dezember 2001 (und
damit noch vor Erlass der Verfügung der IV-Stelle vom 15. Januar 2002)
mitgeteilt, es bestehe per 24. Juli 2001 eine Überentschädigung in Höhe von
Fr. 19'837.40, welcher Betrag zurückzuerstatten sei und mit den Leistungen
der Invalidenversicherung verrechnet werde. Nach den Akten hat der
Versicherte darauf nicht reagiert, weshalb die Mutuel nicht verpflichtet war,
eine formelle Verfügung zu erlassen (Art. 80 Abs. 1 KVG; Eugster, a.a.O. S.
228 Rz 409). Weil es an einer solchen Verfügung und damit auch an einem
anfechtbaren Einspracheentscheid (Art. 85 KVG) fehlte, ist die Vorinstanz auf
die Beschwerde vom 24. Januar 2002 zu Recht nicht eingetreten.

Mit der gegen den Krankenversicherer erhobenen Beschwerde hat der Versicherte
noch innerhalb einer angemessenen Prüfungs- und Überlegungsfrist (BGE 106 V
246 Erw. 2 mit Hinweisen) sein Nichteinverständnis mit der formlos
mitgeteilten Leistungskürzung zum Ausdruck gebracht. Es rechtfertigt sich
daher, die Sache an die Mutuel zu überweisen, damit sie die vom
Beschwerdeführer erhobenen materiellen Vorbringen prüfe und über die
Rückforderung verfügungsweise befinde. Sie wird dabei auch das am heutigen
Tag ergangene Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts betreffend den
Anspruch auf Invalidenrente der Invalidenversicherung (I 597/02) zu
berücksichtigen haben.

3.
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Befreiung von den Gerichtskosten und
Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG) kann
entsprochen werden, weil die Bedürftigkeit auf Grund der im Verfahren I
597/02 eingereichten Unterlagen ausgewiesen ist, die Beschwerde zwar
unbegründet, aber nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung
durch einen Rechtsanwalt geboten war (BGE 124 V 309 Erw. 6). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später
dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Sache wird an die Beschwerdegegnerin überwiesen, damit sie über die
Leistungskürzung und die Rückerstattung verfügungsweise befinde.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Peter
von Moos, Luzern, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der IV-Stelle Luzern und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 27. August 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: