Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 17/2003
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K 17/03

Urteil vom 13. Juni 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

SKBH Kranken- und Unfallversicherung, Rue du Nord 5, 1920 Martigny,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________, 1944, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 13. November 2002)

Sachverhalt:

A.
A. ________ ist bei der SKBH Kranken- und Unfallversicherung (nachfolgend:
SKBH) krankenversichert. Sie leidet seit längerer Zeit an einer offenen Wunde
an der Zunge, welche im Institut für morphologische Diagnostik zum X.________
AG als Lichen ruber mucosae bzw. Lichen ruber planus qualifiziert
(Histologiebericht vom 14. Januar 2002) und von Dr. med. S.________, Facharzt
FMH für Dermatologie und Venerologie, am 28. Februar 2002 als Lichen ruber
mucosae vegetans diagnostiziert worden ist. Der Arzt hielt die Indikation zum
Ersatz der Amalgamfüllungen aus medizinischer Sicht zwingend gegeben und
ersuchte die Krankenkasse um entsprechende Kostengutsprache. Nach Beizug des
Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. R.________ verneinte die SKBH mit
Verfügung vom 24. Mai 2002 eine Leistungspflicht aus der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung für die empfohlene Zahnbehandlung. Nach erneutem
Beizug des Vertrauenszahnarztes hielt die Krankenkasse mit
Einspracheentscheid vom 23. Juli 2002 an ihrem Standpunkt fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 13. November 2002 gut und verpflichtete die SKBH,
die Kosten für die Amalgam-Entfernung zu übernehmen.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die SKBH die Aufhebung des
Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 13. November 2002
und die Bestätigung ihres Einspracheentscheids vom 23. Juli 2002.

A. ________ schliesst sinngemäss auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier:
23. Juli 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Die Leistungen, deren Kosten von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung bei Krankheit zu übernehmen sind, werden in Art. 25
des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) in allgemeiner Weise
umschrieben. Im Vordergrund stehen die Leistungen der Ärzte und Ärztinnen,
dann aber auch der Chiropraktoren und Chiropraktorinnen sowie der Personen,
die im Auftrag von Ärzten und Ärztinnen Leistungen erbringen.

Die zahnärztlichen Leistungen sind in der genannten Bestimmung nicht
aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem Masse
überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Behandlung durch eine
schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a
KVG) oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt
(Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) oder zur Behandlung einer schweren
Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c
KVG).

2.2 Gestützt auf Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit  Art 33 lit. d
der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) hat das Departement in der
Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
(Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) zu jedem der erwähnten Unterabsätze
von Art. 31 Abs. 1 KVG einen eigenen Artikel erlassen, nämlich zu lit. a den
Art. 17 KLV, zu lit. b den Art. 18 KLV und zu lit. c den Art. 19 KLV. In Art.
17 KLV werden die schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems
aufgezählt, bei denen daraus resultierende zahnärztliche Behandlungen von der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. In Art. 18 KLV
werden die schweren Allgemeinerkrankungen und ihre Folgen aufgelistet, die zu
zahnärztlicher Behandlung führen können und deren Kosten von der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu tragen sind. In Art. 19 KLV
schliesslich hat das Departement die schweren Allgemeinerkrankungen
aufgezählt, bei denen die zahnärztliche Massnahme notwendiger Bestandteil der
Behandlung darstellt.

3.
Auf Grund der Akten erstellt und unbestritten ist, dass die
Beschwerdegegnerin an der Mundschleimhauterkrankung Lichen ruber mucosae
vegetans bzw. Lichen ruber planus leidet, wobei die endgültige Zuordnung zu
einer der beiden Formen vorliegend nicht relevant ist. Streitig und zu prüfen
ist, ob die Kosten der deswegen empfohlenen Amalgamsanierung von der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind.

4.
4.1 Die Krankenkasse verneint von vornherein jegliche Leistungspflicht
gestützt auf das Krankenversicherungsgesetz, da das Leiden der Versicherten
in der abschliessenden Aufzählung der zu zahnärztlichen Behandlungen Anlass
gebenden Krankheiten in Art. 17 bis 19a KLV nicht aufgeführt sei.

4.2 Die Versicherte macht im Wesentlichen geltend, eine Besserung ihrer
Gesundheit könne nur durch eine zahnärztliche Behandlung erreicht werden. Die
Heilung der bei ihr diagnostizierten Mundschleimhauterkrankung werde durch
die Amalgamfüllungen verhindert, weshalb deren Ersatz durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sei.

4.3 Die Vorinstanz hat die Krankheit der Beschwerdegegnerin unter die
gutartigen, tumorartigen Veränderungen im Mundschleimhautbereich im Sinne von
Art. 17 lit. c Ziff. 1 KLV subsumiert. Auf Grund der medizinischen Akten
hielt sie den vom behandelnden Arzt dargelegten Zusammenhang mit einer
relevanten Amalgam-Sensibilisierung für nachvollziehbar und bejahte in
Anbetracht der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Leistungspflicht
der Krankenkasse für eine Amalgamsanierung.

4.4 In ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht die Krankenkasse geltend,
weder die Krankheit Lichen ruber mucosae vegetans bzw. Lichen ruber planus
noch die Amalgamintoxikation sei in den Aufzählungen von Art. 17 bis 19a KLV
aufgeführt. Insbesondere handle es sich bei der diagnostizierten
Mundschleimhauterkrankung weder um einen Tumor noch um eine tumorähnliche
Krankheit im Sinne von Art. 17 lit. c Ziff. 1 KLV, weshalb eine
Leistungspflicht zu verneinen sei.

5.
5.1 Bei der Schaffung des per 1. Januar 1996 in Kraft getretenen neuen Rechts
wurde am Grundsatz, wonach die Kosten für zahnärztliche Behandlungen nicht
der Krankenversicherung zu überbinden sind, nichts geändert (BGE 125 V 282
Erw. 6 mit Hinweisen). In BGE 124 V 185 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht - wie die Krankenkasse erwähnt hat - entschieden, dass
die in Art. 17 bis 19 KLV aufgelisteten Erkrankungen, deren zahnärztliche
Behandlung von der sozialen Krankenversicherung zu übernehmen ist,
abschliessend aufgezählt sind. Daran hat es in ständiger Rechtsprechung
festgehalten (BGE 128 V 137 Erw. 2c mit Hinweisen).

5.2 Art. 17 und 18 KLV regeln gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a und b KVG
die Übernahme der Kosten für die zahnärztliche Behandlung durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung für den Fall, dass diese entweder
durch eine schwere nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems oder durch
eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt ist. Art. 19 KLV
sodann umfasst gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG die Übernahme der
Kosten der zahnärztlichen Behandlung durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung, die zur Behandlung einer schweren
Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist. Für die Frage der
anwendbaren Rechtsgrundlage kommt es somit darauf an, ob, wie bei Art. 17 und
18 KLV, die schwere Erkrankung des Kausystems oder die schwere
Allgemeinerkrankung oder deren Behandlung Ursache des Zahnleidens ist, oder
aber ob, wie bei Art. 19 KLV, die zahnärztliche Versorgung notwendiger
Bestandteil der Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung darstellt.

5.3 Da vorliegend die Mundschleimhauterkrankung Lichen ruber mucosae vegetans
bzw. Lichen ruber planus auf das Amalgam zurückgeführt wird und die
Amalgamsanierung zur Behandlung dieser Erkrankung vorgesehen ist, kann eine
allfällige Leistungspflicht der Krankenversicherung nur auf Art. 19 KLV
abgestützt werden.

6.
Gemäss Art. 19 KLV übernimmt die Versicherung die Kosten der zahnärztlichen
Behandlungen, die zur Unterstützung und Sicherstellung der ärztlichen
Behandlungen notwendig sind:
"a. Bei Herzklappenersatz, Gefässprothesenimplantation, kraniellen
Shun toperationen;
b.  Bei Eingriffen mit nachfolgender langdauernder Immunsuppression;
c.  Bei Strahlentherapie oder Chemotherapie maligner Leiden;
d.  Bei Endokarditis."
6.1 Sinn dieser Bestimmung ist die Unterstützung und Sicherstellung der
ärztlichen Behandlungen der aufgelisteten schweren Allgemeinerkrankungen. Die
medizinische Behandlung dieser Leiden zählt unbestrittenermassen zu den
Pflichtleistungen der sozialen Krankenversicherung. Diese Behandlung verträgt
in der Regel keinen Aufschub, sondern muss unverzüglich erfolgen können.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung kann eine zahnärztliche
Versorgung sein. Erschiene deren Finanzierung durch die soziale
Krankenversicherung nicht als gesichert, könnte die sofortige medizinische
Behandlung der Krankheit in Frage gestellt und damit die Gesundheit, wenn
nicht gar das Leben, gefährdet sein.

6.2 Die Mundschleimhauterkrankung Lichen ruber mucosae vegetans bzw. Lichen
ruber planus ist in der abschliessenden Aufzählung von Art. 19 KLV nicht
erwähnt. Die Amalgamsanierung der Beschwerdeführerin kann demzufolge nicht zu
den Pflichtleistungen der sozialen Krankenversicherung gezählt werden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 13. November 2002 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau,
als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 13. Juni 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: