Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 161/2003
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K 161/03

Urteil vom 3. Juni 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber
Hochuli

P.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch die Rechtsberatung
T.________,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8003
Zürich, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 27. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 6. März 2002 (bestätigt mit Einspracheentscheid vom 5.
August 2002) lehnte die Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) die
Ausrichtung von Taggeldleistungen aus der freiwilligen
Krankentaggeldversicherung nach KVG an den 1961 geborenen, seit 12. März 2001
arbeitslosen (Beginn einer neuen Rahmenfrist für Leistungen der
Arbeitslosenversicherung gemäss Verwaltungsgerichtsbeschwerde S. 2), aus der
Türkei stammenden P.________ ab, weil ihm ab 20. Juli 2001 trotz
gesundheitlichen Einschränkungen die Verwertung einer vollen Arbeitsfähigkeit
zumutbar sei.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des P.________ hiess das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 27. November
2003 in dem Sinne teilweise gut, als es den Einspracheentscheid aufhob und
die Sache an die Helsana zurückwies, damit diese abkläre, ob und
gegebenenfalls von wann bis wann die gemäss dem - im Auftrag der
Invalidenversicherung erstellten - Gutachten des Dr. med. I.________,
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 28. September 2002
(nachfolgend: Gutachten) festgestellte Arbeitsunfähigkeit bestehe.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt P.________ unter Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheids und des Einspracheentscheids beantragen, die
Helsana habe ihm Krankentaggelder gestützt auf eine volle Arbeitsunfähigkeit
vom 18. August bis 14. Oktober 2001, vom 1. Februar bis 31. März und 23. Juli
bis 5. August 2002 sowie gestützt auf eine 60%ige Arbeitsunfähigkeit vom 1.
April bis 22. Juli 2002 zu entrichten. Im Weiteren ersucht er um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die Helsana und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Entstehung des
Taggeldanspruchs (Art. 72 Abs. 2 KVG) und die Kürzung des Taggeldes bei
teilweiser Arbeitsunfähigkeit (Art. 72 Abs. 4 KVG) zutreffend dargelegt.
Richtig wiedergegeben ist sodann Art. 50 Abs. 1 der Allgemeinen
Versicherungsbedingungen der Helsana in der Ausgabe 1997/98/99 (nachfolgend:
AVB), wonach der Leistungsanspruch bei nachgewiesenem Einkommensausfall und
bei einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 25 % besteht. Gleiches gilt in
Bezug auf die auch unter dem KVG geltende Rechtsprechung zur Definition der
Arbeitsunfähigkeit (BGE 114 V 281, RKUV 1998 Nr. KV 45 S. 430). Darauf wird
verwiesen. Beizufügen ist, dass unter Berücksichtigung von Art. 53 Abs. 2 AVB
Arbeitslosen nach Art. 73 Abs. 1 KVG bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr
als 50 Prozent das volle Taggeld und bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr
als 25 Prozent, aber höchstens 50 Prozent das halbe Taggeld auszurichten ist.

1.2 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist, da
nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen
Einspracheentscheids (hier: vom 5. August 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte zwischen 20. Juli 2001 und 5.
August 2002 (Datum des Einspracheentscheids) in einem Ausmass arbeitsunfähig
war, welches ihm einen Anspruch auf Krankentaggeldleistungen der Helsana
vermittelte.

2.1 Aufgabe des Arztes ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu
Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten der
Versicherte arbeitsunfähig ist (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen). Nach der
Rechtsprechung zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V
352 ff. Erw. 3a und b, 122 V 160 f. Erw. 1c, AHI 2001 S. 113 ff. Erw. 3, je
mit weiteren Hinweisen) ist dem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens
eingeholten Gutachten externer Spezialärztinnen und -ärzte, welche aufgrund
eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die Akten
Bericht erstatten und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen
Ergebnissen gelangen, bei der Beweiswürdigung volle Beweiskraft zuzuerkennen,
solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise
sprechen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb mit Hinweisen).

2.2 Nach umfassender Würdigung der vorhandenen Akten erkannte die Vorinstanz,
dass der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum aus somatischer Sicht nicht
in einem anspruchsbegründenden Ausmass von mindestens 25 % arbeitsunfähig
war, auch wenn ihm gemäss Bericht des Spitals X.________ vom 29. Januar 2002
seit einer unfallbedingten Schädigung des rechten Auges vom 16. April 1996
keine Tätigkeiten mehr zumutbar waren, welche binokulares Sehen
voraussetzten. Denn sowohl in der damals angestammten und während mehreren
Jahren ausgeübten Arbeit als Maschinist in der Fabrik B.________, welche er
nach eigenen Angaben per 31. März 1998 aus wirtschaftlichen Gründen verlor,
als auch in verschiedenen Temporäreinsätzen als Maschinist zwischen 1999 und
2001 war der Versicherte gemäss ausführlichen Berichten des Augenarztes Dr.
med. F.________, Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, vom 26. November
2001 und 8. April 2002 wegen der Sehfähigkeitsbeeinträchtigung in der
Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt. Dr. med. A.________, der den
Versicherten am 9. Januar 2002 in der Medizinischen Klinik des Spitals
X.________ eingehend untersuchte, hielt ihn - trotz der geschilderten, endlos
scheinenden Beschwerden - unter Berücksichtigung der einseitigen
Beeinträchtigung der Sehfähigkeit für voll arbeitsfähig, da aus somatischen
Gründen keine anderen Einschränkungen vorhanden seien. Unter den bei den
Akten befindlichen zahlreichen, von verschiedenen behandelnden Ärzten
ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsattesten findet sich kein einziges, welches
sich mit objektivierbaren somatischen Beschwerden nachvollziehbar begründen
liesse. Demnach stellten die Helsana und das kantonale Gericht zu Recht auf
die ausführlich, widerspruchsfrei und nachvollziehbar begründeten Berichte
des Spitals X.________ und des Dr. med. F.________ ab und gelangten gestützt
darauf zutreffend zur Auffassung, der seit 12. März 2001 arbeitslose
Beschwerdeführer sei aus somatischer Sicht in Bezug auf jede Tätigkeit,
welche nicht binokulares Sehen erfordere, voll arbeitsfähig.

2.3 Zwar bescheinigte der Hausarzt Dr. med. R.________ dem Versicherten am
12. September 2001 zuhanden der Helsana wegen einer
Schmerzverarbeitungsstörung und einem chronischen Lumbovertebralsyndrom eine
volle Arbeitsunfähigkeit ab 20. Juli 2001. Doch ergänzte er bereits mit
Zwischenbericht vom 30. September 2001, dass er Zweifel an der
Arbeitsunfähigkeit bzw. den angegebenen Beschwerden habe und beim
Beschwerdeführer eine fehlende Motivation vermute. In einem Telefongespräch
vom 17. Oktober 2001 mit dem vertrauensärztlichen Dienst der Helsana führte
der Hausarzt sodann aus, der Versicherte habe ihm bereits nach dem Unfall vom
16. April 1996 erklärt, von nun an nicht mehr arbeiten zu können, weil sonst
bei einem möglichen weiteren Arbeitsunfall die Gefahr bestehe, auch noch das
zweite Auge zu verlieren. Vor einer Abreise in sein Heimatland habe ihm der
Beschwerdeführer gesagt, er sei krank und bestimme immer noch selber, wann er
arbeitsfähig sei und wann nicht. Nachdem anlässlich der Untersuchung im
Spital X.________ kein somatisch fassbares Substrat für die geklagten,
angeblich vollständig invalidisierenden Beschwerden gefunden werden konnte,
veranlasste die IV-Stelle des Kantons Solothurn, wo sich der Versicherte
zwischenzeitlich zum Leistungsbezug angemeldet hatte, eine psychiatrische
Begutachtung. Dem in allen Teilen überzeugenden Gutachten des Dr. med.
I.________ kommt volle Beweiskraft zu (vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a). Unter
Berücksichtigung sämtlicher medizinischer Unterlagen und nach eingehender
Untersuchung gelangte der Psychiater zur Überzeugung, dem Beschwerdeführer
seien sämtliche Arbeiten, welche kein binokulares Sehen voraussetzen und
keine hohen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit
stellen, zumutbar bei einer Leistungsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht in
Bezug auf alle in Frage kommenden Tätigkeiten von 70 %. Was der Versicherte
hiegegen unter Berufung auf das Arztzeugnis des behandelnden Psychologen
S.________ vom 19. April 2002 einwendet, ist nicht stichhaltig, zumal dieser
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weder eine Diagnose noch eine
nachvollziehbare Begründung zu entnehmen ist.

2.4 Nicht beigepflichtet werden kann hingegen der Vorinstanz, soweit sie
ausführte, im Gutachten sei einzig offen geblieben, ab welchem Zeitpunkt eine
psychische Einschränkung im genannten Ausmass von 30 % bestanden habe.
Demgegenüber hielt Dr. med. I.________ im Gutachten (S. 13) vielmehr
ausdrücklichen fest, dass die von ihm unter Berücksichtigung der psychisch
bedingten Gesundheitsstörungen geschätzte Arbeitsunfähigkeit von 30 % "seit
der Dekompensation nach 1996 [...] in etwa stationär" geblieben sei. Da der
Versicherte in Nachachtung der ihm obliegenden Schadenminderungspflicht (BGE
113 V 28 Erw. 4a mit Hinweisen; AHI 2001 S. 282 Erw. 5a/aa) seit 1996
offensichtlich während einigen Zeitabschnitten dennoch eine volle
Arbeitsfähigkeit verwerten konnte, ist nach dem Gesagten gestützt auf das
Gutachten davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer in den geltend
gemachten und ärztlich bescheinigten Phasen der Arbeitsunfähigkeit (volle
Arbeitsunfähigkeit: vom 18. August bis 14. Oktober 2001, vom 1. Februar bis
31. März und 23. Juli bis 5. August 2002; eine 60%ige Arbeitsunfähigkeit vom
1. April bis 22. Juli 2002) unter Berücksichtigung aller geklagter
Beschwerden aus somatischer und psychiatrischer Sicht zumutbar war, eine
mindestens 70%ige Arbeitsfähigkeit zu verwerten. In den geltend gemachten
Perioden war dem Versicherten von Dr. med. R.________ und dem Psychologen
S.________ Arbeitsunfähigkeit attestiert worden. Die Helsana, an welche die
Sache zur masslichen Bestimmung und Neuverfügung über den nach Gesetz und AVB
dem Beschwerdeführer während den eben genannten Arbeitsunfähigkeitsphasen
grundsätzlich zustehenden Anspruch auf Krankentaggeldleistungen
zurückzuweisen ist, wird abklären, wie weit der Versicherte unter
Berücksichtigung der aktenkundigen Hinweise zum Beispiel im Gutachten (S. 4)
auf gewisse Beschäftigungseinsätze in der fraglichen Zeit tatsächlich kein
Erwerbseinkommen erzielte.

3.
3.1 Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind
gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten
erweist sich daher als gegenstandslos.

3.2 Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung kann nicht stattgegeben
werden, da diese in letztinstanzlichen Verfahren patentierten
Rechtsanwältinnen und -anwälten vorbehalten bleibt (Art. 152 Abs. 2 OG;
Urteil K. vom 17. Januar 2002, I 47/01, Erw. 3 mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
Luzern, 3. Juni 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: