Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 160/2003
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K 160/03

Urteil vom 19. Juli 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

CSS Kranken-Versicherung AG, Rösslimattstrasse 40, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

Z.________, 1944, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat
Frischkopf, Bahnhofstrasse 24, 6210 Sursee

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 12. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1944 geborene Z.________ ist bei der CSS Kranken-Versicherung AG
(nachfolgend CSS) krankenversichert. Sie wurde in der Zeit vom 24. Februar
bis 6. Mai 1999 durch Dr. med. dent. J.________ behandelt. Am 22. März 1999
stellte der Zahnarzt der CSS ein ausgefülltes Zahnschadenformular zu, auf
welchem er eine Osteomyelitis im Ober- und Unterkiefer beidseits
diagnostizierte. Gleichzeitig reichte er drei Kostenvoranschläge vom 17. März
1999 über den Gesamtbetrag von Fr. 16'428.45 sowie einen Röntgenbericht vom
26. Februar 1999, nachträglich zudem zwei Pathologieberichte vom 10. März und
12. April 1999 ein. Nach wiederholtem Beizug des Vertrauenszahnarztes Dr.
med. dent. C.________ und des Vertrauensarztes Dr. med. M.________ lehnte die
CSS eine Kostenübernahme mehrmals ab. Am 24. August 1999 stellte Dr. med.
dent. J.________ für die inzwischen durchgeführte Behandlung Rechnung im
Betrag von Fr. 10'397.25. Nach erneutem Beizug des Vertrauenszahnarztes Dr.
med. dent. C.________ sowie nach Einholung einer second opinion bei Dr. med.
dent. B.________, der wiederum mit Prof. Dr. Dr. H.________, Chefarzt der
Kieferchirurgischen Klinik X.________, Rücksprache genommen hatte, verneinte
die CSS mit Verfügung vom 17. Januar 2000 eine Leistungspflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung für die Behandlung bei Dr. med.
dent. J.________. Mit Einspracheentscheid vom 14. April 2000 hielt sie an
ihrem Standpunkt fest.

B.
Beschwerdeweise liess Z.________ die Übernahme der Behandlungskosten bei Dr.
med. dent. J.________ in der Zeit vom 24. Februar bis 6. Mai 1999, die
Übernahme der damit verbundenen Abklärungskosten und des Zahnschadenformulars
sowie die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten der noch ausstehenden
Kronen-Brücken-prothetischen Versorgung im Unterkiefer beidseits beantragen.
Die CSS schloss gestützt auf ein Radiologisches Konsilium des Prof. Dr. med.

N. ________ vom 26. Juli 2000 auf Abweisung der Beschwerde. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiess die Beschwerde nach Einholung
eines kieferchirurgischen Gutachtens des Prof. Dr. Dr. med. G.________,
Klinik und Poliklinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie Y.________, vom 5.
Dezember 2002 sowie eines Ergänzungsgutachtens vom 24. Juli 2003 mit
Entscheid vom 12. November 2003 teilweise gut und hob den Einspracheentscheid
vom 14. April 2000 insofern auf, als die CSS verpflichtet wurde, die Kosten
der Zahnbehandlung vom 14. (recte 24.) Februar bis 6. Mai 1999 betreffend der
Osteomyelitis zu übernehmen. Auf weitergehende Begehren trat es nicht ein.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die CSS nach Einholung eines
Gutachtens des Dr. med. S.________, Facharzt FMH für Chirurgie und
Kiefer-Gesichtschirurgie, vom 1. Dezember 2003 die Aufhebung des Entscheids
vom 12. November 2003 und die Feststellung, dass bei der Versicherten keine
Osteomyelitis vorgelegen habe, sodass für die durchgeführten zahnärztlichen
Behandlungen keine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung bestehe.

Z.  ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit
darauf einzutreten sei, schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet
auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat zunächst richtig ausgeführt, dass für die
Beurteilung des vorliegenden Falles nicht die Bestimmungen des am 1. Januar
2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, sondern die bis zum 31.
Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar sind (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).
Zutreffend dargelegt hat es sodann die massgebenden gesetzlichen Bestimmungen
über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung für zahnärztliche Behandlungen, die durch eine
schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems, namentlich durch eine
Osteomyelitis der Kiefer bedingt sind (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG, Art. 33
Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art 33 lit. d KVV sowie Art. 17 lit. c
Ziff. 5 KLV). Darauf kann verwiesen werden.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin an einer Osteomyelitis
der Kiefer leidet und die Beschwerdeführerin die Kosten der dadurch bedingten
zahnärztlichen Behandlung zu übernehmen hat.

2.1  Die Versicherte beantragte die Kostenübernahme gestützt auf die
Diagnosestellung des sie behandelnden Zahnarztes Dr. med. dent. J.________
vom 22. März 1999, wonach sie an einer Osteomyelitis im Ober- und Unterkiefer
beidseits leide.

2.2  Die Krankenversicherung demgegenüber verneinte nach mehrmaligem Beizug
ihres Vertrauenszahnarztes und Vertrauensarztes sowie nach Einholung einer
second opinion bei verschiedenen Fachärzten eine Leistungspflicht, da das
Vorliegen einer Osteomyelitis nicht (mehr) mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden könne, sondern vielmehr davon
auszugehen sei, dass die Versicherte an lokalen Ostitiden leide.

2.3  Die Vorinstanz holte bei Prof. Dr. Dr. med. G.________ ein Gutachten
sowie ein Ergänzungsgutachten ein und ging gestützt darauf davon aus, dass
die Versicherte an einer nicht vermeidbar gewesenen Osteomyelitis leide. Sie
bejahte demzufolge eine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung für die Behandlung bei Dr. med. dent. J.________ in
der Zeit vom 24. Februar bis 6. Mai 1999.

2.4  Die Beschwerdeführerin beauftragte nach Erhalt des vorinstanzlichen
Entscheids einen Kieferchirurgen mit einer Begutachtung und hält gestützt auf
dessen Bericht daran fest, dass keine Osteomyelitis und somit keine
Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gegeben sei.

3.
3.1 Die umfangreiche medizinische Aktenlage zum Vorliegen einer Osteomyelitis
präsentiert sich widersprüchlich und uneinheitlich. Die Diagnose einer
Osteomyelitis im Ober- und Unterkiefer beidseits findet sich im durch den
behandelnden Zahnarzt ausgefüllten Zahnschadenformular vom 22. März 1999.
Entsprechend wird im Röntgenbericht vom 26. Februar 1999 das positive
3-Phasenszintigramm mit Osteomyelitis vereinbar bezeichnet. Im von der
Vorinstanz eingeholten Gutachten vom 5. Dezember 2002 und Ergänzungsgutachten
vom 24. Juli 2003 wird ausgeführt, bei der histopathologischen
Diagnosestellung einer Markfibrose handle es sich um eine Veränderung der
Knochensubstanz im Sinne einer Osteomyelitis, weshalb eine
Kostenübernahmepflicht seitens der Krankenkasse bestehe. Demgegenüber
verneinen der Vertrauensarzt und der Vertrauenszahnarzt der
Beschwerdeführerin in ihren Berichten vom 17. April, 10. und 14. Mai und 10.
November 1999 das Vorliegen einer Osteomyelitis und gehen von lokalen
Ostitiden aus, wobei es sich um einen rein odontogenen im Sinne der
Verordnung vermeidbaren Befund handle. Dr. med. dent. B.________, dessen
Meinung als second opinion eingeholt worden war, bestätigt nach Rücksprache
mit Prof. Dr. Dr. H.________ im Bericht vom 25. September 1999 den Befund von
lokalen Ostitiden und führt aus, ihrer beider Auffassung nach könne im
vorliegenden Fall niemals von einer Osteomyelitis gesprochen werden. Im
Radiologischen Konsilium vom 26. Juli 2000, welches die Krankenversicherung
im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren in Auftrag gegeben hatte, hält Prof.
Dr. med. N.________ fest, er könne in der vorliegenden Untersuchung eine
Osteomyelitis nicht erkennen und hätte eine solche aufgrund des Bildmaterials
auch nicht diagnostiziert. Schliesslich führt auch der von der
Beschwerdeführerin nach Erhalt des vorinstanzlichen Entscheids beigezogene
Dr. med. S.________ in seinem Gutachten vom 1. Dezember 2003 aus, die
Diagnose einer Osteomyelitis lasse sich aufgrund der Aktenlage keinesfalls
bestätigen. Auch unter intensivster Dossierbearbeitung liessen sich keine
objektivierbaren Hinweise auf diese Erkrankung erkennen.

3.2  Das kantonale Gericht stützt seinen Entscheid auf das Gutachten des
Prof.
Dr. Dr. med. G.________ vom 5. Dezember 2002 mit Ergänzung vom 24. Juli 2003.
Dieses behandelt den Fragenkatalog, die Anamnese, die jetzigen Beschwerden
der Versicherten, Lokal- sowie Röntgenbefunde und beantwortet sehr
ausführlich und sorgfältig die allgemeinen Fragen des Gerichts. Bei der
Übertragung auf den konkreten Fall, untermauert mit der erforderlichen
Begründung, die dem Gericht erlauben würde, die gutachterlichen Überlegungen
nachzuvollziehen, lässt das Gutachten indessen die im Allgemeinen Teil
vorhandene Sorgfalt und Schlüssigkeit missen. In nur zwei Sätzen wird unter
Ziff. II lit. a - ohne weitere Begründung - erwähnt, bei der
histopathologischen Diagnosestellung einer Markfibrose handle es sich um eine
Veränderung der Knochensubstanz im Sinne einer Osteomyelitis. Der nächste
Satz unter Ziff. II lit. b gibt sodann bereits die dem Gutachter gar nicht
obliegende rechtliche Würdigung wieder. Die dürftigen Ausführungen zum
konkreten Fall vermögen in Anbetracht der diametral unterschiedlichen
Meinungsäusserungen diverser anderer Fachärzte, jeweils mit Begründung, das
Vorliegen einer Osteomyelitis nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Berechtigt sind sodann auch
die Zweifel der Beschwerdeführerin, ob das Gutachten im Wesentlichen durch
Prof. Dr. Dr. med. G.________ selber erarbeitet und verfasst worden ist. Das
Gericht hat dem beauftragten Gutachter nämlich lediglich erlaubt,
"Spezialärzte für Teilgutachten beizuziehen". Dass der Oberarzt Dr. Dr. med.

W. ________ nur in diesem beschränkten Umfang eingesetzt worden wäre, kann
dem
Gutachten nicht entnommen werden. Auch bei der Würdigung des Gutachtens durch
die Vorinstanz zeigt sich schliesslich eine gewisse Diskrepanz. Während bei
der Erarbeitung und Formulierung der Fragen an den Gutachter grosse Sorgfalt
festzustellen ist, finden sich bei der Übernahme der erwähnten dürftigen
Schlussfolgerung keinerlei Überlegungen, die seinerzeit der Fragestellung zu
Grunde gelegen haben. Ohne auf die diametral entgegenstehenden medizinischen
Berichte näher einzugehen erklärt das kantonale Gericht einzig, es habe keine
Veranlassung, nicht auf das in Auftrag gegebene Gutachten abzustellen.

3.3  Nachdem die Aktenlage zur entscheidenden Frage des Vorliegens einer
Osteomyelitis zu widersprüchlich ist, um darauf abstellen zu können, ist die
Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ein Obergutachten einhole
und anschliessend neu entscheide. Bei der Erarbeitung der Fragen an den
Gutachter ist zu beachten, dass nach den vorhandenen Unterlagen die
Diskrepanz zwischen den beteiligten Ärzten vor allem in der Frage liegt, ob
eine odontogene Erkrankung und somit eine Erkrankung der Zähne oder aber eine
Erkrankung des Kieferknochens und der Weichteile vorliegt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass das
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 12. November 2003 aufgehoben und
die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde neu entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 19. Juli 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin:
i.V.