Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 139/2003
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K 139/03

Urteil vom 2. Dezember 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin Weber
Peter

R.________ und V.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr.
Peter Steiner, Landstrasse 57, 5430 Wettingen,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8024
Zürich, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 16. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1962 und 1964 geborenen V.________ und R.________ sowie deren Kinder
waren bei der Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) bis Ende 2002
grundversichert. Während die übrigen Familienmitglieder zu anderen
Versicherungen wechselten, blieb R.________ weiterhin bei der Helsana
versichert. Diverse Ausstände, Prämien und Kostenbeteiligungen die ganze
Familie betreffend, führten zu mehreren Betreibungsverfahren gegen
V.________. Am ........ 2000 wurde über ihn der Konkurs eröffnet. In der
Folge stellte das Konkursamt X.________ am ........ 2001 sechs Verlustscheine
aus dem Konkursverfahren (Nr. ........) für nicht bezahlte Prämien- und
Kostenbeteiligungen von Fr. 503.40, Fr. 152.20, Fr. 342.20, Fr. 101.50, Fr.
98.55 und Fr. 518.50, somit von insgesamt Fr. 1'716.35 aus. In der Folge
erliess die Helsana per 18. Juni 2001 einen Leistungsaufschub für die
Grundversicherung für alle Familienmitglieder.

Nachdem die Helsana am 24. Januar 2002 eine Apothekerrechnung von Fr. 663.55
für einen Medikamentenbezug vom 20. Dezember 2001 bezahlt hatte, forderte sie
diesen Betrag aufgrund des bestehenden Leistungsaufschubes von V.________ am
23. Januar 2002 zurück. Nach erfolgloser Mahnung setzte sie mit
Zahlungsbefehl vom ........ 2002 den Ausstand von Fr. 663.55 (zuzüglich Fr.
40.- Gläubigerkosten und Fr. 20.- Verzugsschaden) in Betreibung, worauf der
Schuldner Rechtsvorschlag erhob. Mit Verfügung vom ........ 2002 beseitigte
sie den Rechtsvorschlag und erteilte definitive Rechtsöffnung. Auf Einsprache
hin hielt sie an ihrem Standpunkt fest (Einspracheentscheid vom 27. November
2002) .

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab, wobei es dem Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung mangels Bedürftigkeit nicht stattgab (Entscheid vom 16.
September 2003).

C.
V.________ und R.________ lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den
Rechtsbegehren, in Gutheissung der Beschwerde sei die Helsana aufzufordern,
eine Gesamtzusammenstellung des Zahlungsverkehrs mit sämtlichen Ausständen
vorzulegen. Die vorinstanzliche Abweisung des Gesuchs um Bewilligung der
unentgeltlichen Verbeiständung sei aufzuheben.
Die Helsana schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, da die Ausstände, die den Verlustscheinen
zugrunde liegen, nur teilweise getilgt wurden und der Leistungsaufschub in
der obligatorischen Grundversicherung zu Recht erfolgte.

Im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels teilt der Rechtsvertreter mit, die
Helsana habe V.________ mit Schreiben vom 6. Mai 2004 erklärt, dass nach
Bezahlung der Verlustscheine im Betrag von Fr. 1'494.60 die bestehenden
Leistungsaufschübe rückwirkend aufgehoben würden. Am 19. Mai 2004 habe dieser
den geforderten Betrag per Post einbezahlt. Es werde daher darum ersucht, die
Versicherung anzuweisen, den Leistungsstopp sofort aufzuheben.

In der Folge beantragt die Helsana, die Beschwerde sei als gegenstandslos
abzuschreiben. Nach Eingang der Zahlung habe sie den Leistungsaufschub bei
R.________ aufgehoben. Sie werde die Leistungsbezüge und insbesondere die
diesem Verfahren zu Grunde liegende Forderung von Fr. 663.55 nach den
gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen abrechnen.

Der Rechtsvertreter hält in seiner Stellungnahme an den Beschwerdeanträgen
fest. Die Zahlung des Betrages stelle keinen Beschwerderückzug dar und ein
Grund für die Abschreibung des Verfahrens liege ebenfalls nicht vor. Die
Versicherung, welche das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht
und das letztinstanzliche Verfahren verursacht habe, habe die Prozesskosten
zu tragen.

Die Helsana hält an ihrem Antrag auf Abschreibung des Verfahrens fest.

D.
Mit Entscheid vom 17. Februar 2004 wies das Eidgenössische
Versicherungsgericht das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Prozessführung und Verbeiständung ab. R.________ leistete in der Folge den
einverlangten Kostenvorschuss.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Nachdem V.________ am 19. Mai 2004, während des vorliegend hängigen
Verfahrens, die Ausstände aus den Verlustscheinen im Betrag von Fr. 1'494.60
(wie mit der Helsana vereinbart) bezahlt hat, hat diese gemäss Schreiben vom
21. Juli 2004 den Leistungsaufschub vom 18. Juni 2001 lite pendente wieder
aufgehoben. Damit ist der Rechtsgrund für die in Betreibung gesetzte
Rückforderung von Fr. 663.55 - für eine von der Helsana trotz
Leistungsaufschubes am 24. Januar 2002 aus der Grundversicherung bezahlte
Apothekerrechnung (zuzüglich Fr. 40.- Gläubigerkosten und Fr. 20.-
Verzugsschaden) - im Nachhinein dahingefallen (Art. 9 Abs. 2 KVV), womit das
strittige Rechtsöffnungsverfahren, wie die Beschwerdegegnerin zu Recht
geltend macht, gegenstandslos geworden und folglich abzuschreiben ist.

2.
2.1 Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen
Interesses dahin, entscheidet das Eidgenössische Versicherungsgericht mit
summarischer Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor
Eintritt des Erledigungsgrundes (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 40 OG und
Art. 72 BZP). Bei der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist
somit in erster Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses
abzustellen. Dabei geht es nicht darum, die Prozessaussichten im einzelnen zu
prüfen und dadurch weitere Umtriebe zu verursachen. Vielmehr muss es bei
einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben. Auf dem Weg über
den Kostenentscheid soll nicht ein materielles Urteil gefällt und unter
Umständen der Entscheid in einer heiklen Rechtsfrage präjudiziert werden.
Lässt sich der mutmassliche Ausgang eines Verfahrens im konkreten Fall nicht
ohne weiteres feststellen, ist auf allgemeine zivilprozessrechtliche
Kriterien zurückzugreifen. Danach wird in erster Linie jene Partei kosten-
und entschädigungspflichtig, die das gegenstandslos gewordene Verfahren
veranlasst hat oder bei der die Gründe eingetreten sind, die zur
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens geführt haben (unveröffentlichte Urteile
V. vom 25. Februar 1998 [I 10/98] und N. vom 5. November 1997 [U 189/97];
vgl. auch BGE 118 Ia 494 Erw. 4a; SVR 1998 UV Nr. 11 S. 33 Erw. 6a).

2.2 Strittig und zu beurteilen bleibt mithin die Frage der Zulässigkeit des
per 18. Juni 2001 erlassenen Leistungsaufschubes, welcher Voraussetzung für
die umstrittene Rückforderung von Fr. 663.50 durch die Helsana und mithin
Voraussetzung für die Rechtmässigkeit der von der Vorinstanz bestätigten
Rechtsöffnungsverfügung bildet.

2.2.1 Gemäss Art. 9 Abs. 2 KVV (in der vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember
2002 gültig gewesenen, vorliegend intertemporalrechtlich anwendbaren Fassung;
AS 1997 2272; BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) kann der Versicherer
nach Ausstellung eines Verlustscheines und Meldung an die Sozialhilfebehörde
die Übernahme der Kosten für die Leistungen aufschieben, bis die ausstehenden
Prämien oder Kostenbeteiligungen vollständig bezahlt sind. Sind diese
bezahlt, so hat der Versicherer die Kosten für die Leistungen während der
Zeit des Aufschubes zu übernehmen. Dabei ist entgegen der Auffassung des
kantonalen Gerichts für die Beendigung des Leistungsaufschubs erforderlich
und hinreichend, dass diejenigen Prämien samt Akzessorien bezahlt werden,
welche Gegenstand des Verlustscheins bildeten, der seinerseits Voraussetzung
der Einleitung des Verfahrens mit der Sozialhilfebehörde und der
Leistungssuspendierung war BGE 129 V 456 ff. Erw. 2).

2.2.2 Im angefochtenen Entscheid erwog die Vorinstanz, anhand der vorhandenen
Auflistung in den Akten und den Zahlungsbelegen sei erstellt, dass von den
Beschwerdeführern bisher nur ein Teil der Ausstände getilgt wurde und somit
eine Restforderung von insgesamt Fr. 1'716.65 aus dem Konkurs bestehe. Selbst
wenn die von den Beschwerdeführern nachweislich geleisteten Zahlungen von
insgesamt Fr. 642.15 ebenfalls bei den Ausständen aus dem Konkurs (statt bei
der Prämienforderung für Januar 2001) angerechnet worden wären, wäre die
Restforderung der Helsana (von Fr. 1'716.65) immer noch nicht vollumfänglich
getilgt, sodass die Anordnung eines Leistungsaufschubes im Sinne von Art. 9
Abs. 2 KVV nicht zu beanstanden sei. Zudem erkannte sie entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführer, dass der Konkursverlustschein ebenfalls ein
Verlustschein im Sinne von Art. 9 Abs. 2 alt KVV darstellt und mithin einen
Leistungsaufschub rechtfertigt. Diese vertraten sinngemäss den
Rechtsstandpunkt, dass die hinter Art. 265 Abs. 2 Satz 2 SchKG stehende
gesetzgeberische Intension mit einer über den Abschluss des Konkursverfahrens
hinaus dauernden Leistungssperre der Grundversicherung nicht vereinbar ist.
Zweck des Konkurses sei es ja gerade, den Schuldner davor zu befreien, immer
wieder von alten Schulden eingeholt zu werden. Sie stützten sich dabei auch
auf eine Stellungnahme des Ombudsmannes der sozialen Krankenversicherung (vom
12. Juni 2002).

2.2.3 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in seiner bisherigen
Rechtsprechung entschieden (RKUV 1995 K 961 S. 54 Erw. 3b mit Hinweisen),
dass eine über den Abschluss des Konkursverfahrens des Versicherten hinaus
dauernde Leistungssperre mit Art. 265 Abs. 2 SchKG, wonach der Gläubiger die
im Verlustschein verbriefte Forderung nur bei Vorliegen neuen Vermögens in
Betreibung setzen kann, nicht vereinbar ist. Es stellt sich die Frage, ob
diese unter der Herrschaft des KUVG ergangene Rechtsprechung auch im Bereich
des KVG seine Gültigkeit hat, wie Gerhard Eugster anzunehmen scheint
(Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
[SBVR], Soziale Sicherheit, S. 183 f. Rz. 339). Mit Verweis auf die genannte
Rechtsprechung führt er zu Art. 9 Abs. 2 KVV aus, "wird ein Verlustschein von
der Sozialfürsorge nicht übernommen, bleibt die Leistungssperre bis zur
Bezahlung der ausstehenden Prämien aufrecht. Wird dagegen ein
Konkursverlustschein von der Sozialfürsorgebehörde nicht ausgelöst, ist eine
Leistungssperre als unzulässig zu betrachten".

Diese strittige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lässt sich indessen
im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht abschliessend beurteilen (vgl.
Erw. 2.1 hievor). Da mithin der mutmassliche Verfahrensausgang nicht ohne
weiteres festgestellt werden kann, ist zur Verlegung der Prozesskosten auf
allgemeine zivilprozessuale Kriterien zurückzugreifen. Mit Blick darauf haben
die Beschwerdeführer vorliegend die Kosten zu tragen. Einerseits haben sie
das kostenpflichtige Verfahren (Art. 134 OG e contrario) veranlasst und
anderseits durch die vorzeitige Zahlung der Prämien- und
Kostenbeteiligungsausstände während des hängigen Prozesses die
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens verursacht.

3.
Schliesslich halten die Beschwerdeführer an ihrem Antrag auf Aufhebung des
Beschluss der Vorinstanz, womit das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen
Verbeiständung abgewiesen worden war, fest. Mit Verweis auf den Entscheid des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 17. Februar 2004 gilt
festzustellen, dass die Abweisung des Gesuchs mangels Bedürftigkeit zu Recht
erfolgte.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit sie nicht als
gegenstandslos vom Geschäftsverzeichnis abgeschrieben wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 2. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: